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Rudolf Welter: Leer Gut Geschichten - Teil 3
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VII. Ein Gebäudeentwerfer
Hat Interesse an auffälligen Gebäuden und mobilen Leichtbauten, die er auf Reisen entdeckt. Entwickelt Gebäude vom Innenleben der Bewohner aus. Ist leicht belehrend, wenn Bewohner seiner Häuser zum Beispiel Fragen zur Möblierung haben. (Er sagt zum Beispiel: Das Wort Möbel kommt von mobil. Möbel sind aber in vielen Köpfen wie am Boden angeschraubt, darum werden sie selten umgestellt). Pflegt gute Beziehungen zu eigenen und fremden Kindern. Nimmt Anteil am Schicksal von Bewohnern, wenn ihnen z.B. gekündigt wird und sie umziehen müssen. Mit Wehmut erinnert er sich gelegentlich an frühere, wohlige Wohnsituationen, die er mit seiner Familie in einem alten Haus erlebte. Sein Name: Franco Biotta
Manhattan
Menschen und Autos fließen beinahe geräuschlos auf den Talsohlen der Hochhauscanyons in Richtung Arbeit oder Feierabend - Auf die Hochhauswände trifft Sonnenschein, auf der Höhe der Talsohlen liegt fahles Licht zwischen den Häusern, a very cozy Stimmung für mich - Fensterreiniger bewegen sich in Körben an den Hauswänden auf und ab, die Seile verschwinden über den Kanten der Häusergipfel, sechshundert Fuß über dem Meeresspiegel – Anzeigetafeln und Lichtreklamen preisen Wohn- und Arbeitshöhlen in luftiger Höhe an. Mancherorts sind sie so dicht, dass sie ganze Hochhauswände abdecken – Sirenengeheul der Feuerwehr und Ambulanzen echot pendelnd zwischen den Wänden der Hochhäuser hin und her – Von den Schnellstrassen am Rande der Manhattaninsel sieht man nachts Richtung downtown xtausend erhellte Fenster, die die Konturen der Hochhäuser fast zum Verschwinden bringen – Der vertrauten Gestalt Manhattan fehlen seit einigen Jahren zwei hohe dünne Gliedmassen. Die Bewohner spüren Phantomschmerzen.
Hausgefühle
Ich habe mich entschieden, eine kurze Zeit in einem sehr alten Haus zu wohnen, welches in Kürze abgebrochen wird. Es muss einem Neubau weichen, den unser Büro entworfen hat und dessen Bau wir begleiten werden.
Behutsam betrete ich das leer stehende Haus, weil ich meine, noch schattenhaft Körper von Bewohnern zu sehen, die erst kürzlich ausgezogen sind. Beim Durchschreiten des Hauses werfen Wände meine Schrittgeräusche zurück. Keine Möbel sind mehr vorhanden. An den Wänden sind Flecken zu sehen, die von den dort einmal hängenden Bildern stammen. Auf Fußböden markieren Spuren oft begangene Wege durch Räume. An Türzargen finden sich Kratzer in den Farben. Ein Fensterglas ist gesprungen. Abdrücke von Büchergestellen sind im Parkett und auf schmutzigen Spannteppichen sichtbar. An Badezimmerwänden haben sich Schimmelpilze gebildet. Radiatorenventile stehen auf der Skala bei Null. Wasser tropft aus einem Hahn. In der Wohnstube steht ein mit Metall ummantelter Ofen. Wo eine Sitzbank davor stand, sind abgewetzte Farbfelder zu sehen. (Diese stammten von Bauern, die im Winter von Holzarbeiten aus Wäldern zurückkehrten und sich am Ofen reibend wärmten, sagte mir bei einer früheren Besichtigung ein Bewohner, der hier wohnte). Zum Schluss betrete ich einen Raum, in dem ein zurückgelassenes Bett steht, zur Entsorgung hier gelassen. Und hier, in diesem Raum, entscheide ich, will ich die Nacht verbringen.
In einer eigenartigen Stimmungslage bin ich eingeschlafen, alleine, in einem leer stehenden Haus, um eine Nacht zu verbringen. So wunderte es mich anderntags nicht, was mir träumte: Ich hörte eine Person das Haus betreten. Schritte hallten durchs Haus und die Person stieg eine Treppe hoch. Bald betrat sie das Zimmer, in dem ich schlief. Es stellte sich heraus, dass der Vater der Familie, der hier wohnte, vor mir stand. „Was tun denn sie hier“, fragte er. „Ich will ganz einfach herausfinden, wie es einem Haus zu Mute ist, bald abgerissen zu werden“, antwortete ich. Leer stehend, leer von Wohnfunktionen, eine leere Hülle ohne Fenster und Türen (es war Sommerzeit, so hielt ich es aus diese Nacht im Haus). „Und was machen sie hier“, fragte ich zurück. „Ich will nochmals den dreißig Jahren Leben nachgehen, die unsere Familie in diesem Haus genossen hatte. Grosse Feste mit Freunden bei Essen und nächtelangem Tanzen haben wir erlebt. Geburtstage haben wir gefeiert in der Familie und mit Nachbarn. An Weihnachten erzählten wir Eltern Weihnachtsgeschichten und unter dem Weihnachtsbaum lagen Geschenke. Und ich denke an Diskussionen mit den Kindern am Küchentisch. Dann gab es auch schlaflose Nächte wegen stürmischen Gewittern, die um das alte Haus tobten. Und Käse mit einem Glas Wein nach dem Besuch eines Konzertes gab es“. So seine Erinnerungen.
Dann verließ er mich, ich hörte ihn noch durchs Haus gehen und das Haus verlassen. Dann erwachte ich ganz nachdenklich: dieses Haus soll abgebrochen werden, ging es mir durch den Kopf.
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