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Rudolf Welter: Lebensentwürfe, Teil 9
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Artistenfamilie
Über eine vierstufige, aufziehbare Treppe gelangt der Besucher in die
Behausung der Familie W. Durch die schmale Eingangstür fällt der Blick
auf die dicht nebeneinander -stehenden Möbel des Einraumhauses, das auf
die Bewegungen des Besuchers mit leichtem Schwingen reagiert. Entlang
einer Längswand sind drei Betten aufgestellt, belegt mit dicken
leuchtendfarbenen Decken, die auf kühle Nächte warten. Zwei Kinder
spielen auf einem der Betten mit Plastiktieren, während durch die
kleinen Fensteröffnungen das Grunzen, Brüllen, Trompeten, Wiehern und
Scharren von lebenden Tieren zu hören ist. An der gegenüberliegenden
Wand sieht der Besucher ein Spülbecken, auf dem gewaschenes Geschirr
trocknet. Über dem Becken treten Nabelschnüre in das Zuhause der
Familie ein, versorgen sie während der kurzen Sesshaftigkeit mit Wasser
und Strom.
Tagsüber werden die Polstermöbel den Wänden entlang aneinandergereiht,
damit der häusliche Verkehr der Familie durch den länglichen Raum
gewährleistet ist. Abends werden dann die mit Rollen versehenen Stühle
in die Mitte gefahren, um den Blick auf den Fernseher zu ermöglichen.
Hinten, in der Ecke links, befindet sich ein einskommafünf auf zwei
Meter großer Raum, in dem eine Toilette, ein Lavabo und eine Dusche
eingebaut sind. Seine Wände sind mit einem kachelkarreeartigen
Kunststoffbelag ausgeschlagen, der da und dort angeschimmelt ist, weil
dem Raum eine Belüftung fehlt.
Vor dem hinteren Ausgang hängt eine hausbreite Plattform, auf dem im
Moment ein Grill angeheizt wird. Wenn es mit der Sesshaftigkeit aus
ist, wird die Plattform hochgezogen, und daran hängen dann die zwei
Fahrräder der Kinder, mit denen sie die örtlichen Schulen besuchen.
Neben dem Eingang, dort, wo die Zugvorrichtung des fahrbaren
Einraumhauses angebracht ist, hängt ein Schild mit der Aufschrift:
"Achtung, vor der Wegfahrt die Abnabelung nicht
vergessen!"
Kaspar Tschudi
Kaspar Tschudi von der Linth wohnt mit seiner Familie im jetzt
einjährigen Haus in Kleinmanhatten. Das Haus ist jetzt nicht mehr mit
Schindeln bedeckt. Das war eigentlich der Grund dafür, dass der Name
des Fleckens Glarus zu Kleinmanhatten umgewandelt wurde.
Man muss sich dies einmal vorstellen: Des Gemeindepräsidenten Haus
fängt in einer Föhnnacht Feuer. Innerhalb dreier Stunden brennen
sechshundert Wohnungen, Ställe und Magazine ab, zweitausendzweihundert
Menschen sind über Nacht obdachlos geworden, der Schaden wird auf
mindestens zehn Millionen geschätzt. So wird Präsident Tschudi in die
Pflicht genommen, in höchster Eile die Bürger von Glarus zu einer
außerordentlichen Versammlung einzuberufen, um den Wiederaufbau des
Fleckens in die Wege zu leiten. Drei Tage nach dem Brand sind aus allen
verkohlten Löchern und versehrten Häusern, in denen die Opfer des
Brandes notdürftig hausten, Bürger und Bürgerinnen heraus- und
zusammengekommen und haben beschlossen: "Es seien die bisher vom Rathe
während und nach dem Brande getroffenen Verfügungen in Bezug des
Löschens, des Oeffnens der Kommunikation und der Bäche, sowie der
Bewachung der Brandsstätte und des theilweise zerstörten Eigenthums
genehmigt. Es solle mit möglichster Beförderung zum Wiederaufbau des
zerstörten Fleckens in planmäßiger und geordneter Weise geschritten
werden. Zu diesem Zwecke soll allervörderst ein Bauplan für den Neubau
durch Sach- und Fachkunde angefertigt und derselbe in Bezug der
Strassen und Platzierung der Landesgebäude der hoh. Obrigkeit zur
Genehmigung unterbreitet werden." Tschudi, nach beschlossener Sache,
spricht zur Bürgerversammlung: "Glarus, der bis jetzt so emsige und in
rascher Entwicklung begriffene Flecken, wird sich mit Gottes Hülfe und
der Menschen Kräfte wieder zu erheben vermögen und nach einem oder zwei
Menschenaltern werden die Wehen des furchtbaren Unglücks überstanden
sein. Dann erst aber würde man es tief, aber zu spät bedauern, wenn
Glarus nur wieder auf die alten Fundamente und in kleinlicher Weise
auferbaut würde. So haben wir uns, liebe Bürger von Glarus zu einem
rationellen Plane entschieden, der einige persönliche Opfer fordern
werde. Um die oben aufgeführten Bestimmungen ausführen zu können,
sollen die zuständigen Landesbehörden für die Erlassung eines
geeigneten Expropriationsgesetzes angegangen werden."
Tschudi kann es kaum selber glauben, dass innerhalb von nur zwei
Monaten ein Plan für Kleinmanhatten vorliegt, wie jetzt der Flecken
Glarus benannt wurde. Dieser Plan beruht auf der Idee, dass das neue
Glarus mit geraden und breiten Strassen - fünfzig bis sechzig Fuß breit
- versehen wird, dass zwei geräumige, öffentliche Plätze geschaffen
werden und sich das Ganze in die Länge und Breite ziehen wird. Um dies
Bewerkstellen zu können, müsse der Tschudirain mit einem Masseninhalt
von dreiundreissigtausend Schachtruthen abgetragen werden (auch das
noch, wird sich Tschudi gedacht haben). Nicht ganz klar ist, ob die
Herren Architekten Elmer und Jenni die Idee zu diesem Plan von einem
Vorschlag, der von in New Glarus (USA) lebenden Auswanderern stammte,
übernommen haben. Wie dem auch sei, bald konnte dank dem rasch und
unbürokratisch in Kraft getretenen Expropriationsrechtes, dem sich auch
Präsident Tschudi beugen musste, mit dem Wiederaufbau begonnen werden,
auch mit dem Bau des neuen Hauses der Familie Tschudi.
Ein kleiner Funke hat bewirkt, dass aus einem blühenden Marktflecken
ein armseliger Haufen Schutt und Asche und daraus ein visionäres Muster
von Strassen und Plätzen entstanden ist. Entsprang der Funke vielleicht
in Tschudis eigenem Kopf? Hat er im Traum wohl sein Temperament
überhitzt und damit Feuer gelegt? Vielleicht hatte er in einer
Schublade seines Schreibtisches im fein getäfelten Studierzimmer schon
lange den geheimen Plan zu Kleinmanhatten und ein Expropriationsgesetz
gelagert, auf einen günstigen Moment wartend für die Ausführung?
Jedenfalls hat der Föhn ihn in der Verwirklichung seines Traumes
unterstützt, wer weiß, was passiert wäre, wenn nur Tschudis Haus
abgebrannt wäre.
Schüler Max
Schüler Max schrieb einen Aufsatz bei dem er sich phantasierend treiben
ließ und von einem Bub erzählte der sich zutraute trotz Rückenwind mit
ausgebreiteten Armen in die Lüfte zu steigen um dann über den Wolken zu
schweben um von dort ein Luftschloss zu überfliegen das neben einer
brennenden Scheune stand die wegen des ausgeprägten Sinnes des
Schlossbesitzers für den haushälterischen Umgang mit Wasser nicht
gelöscht werden sollte worauf der Schüler Max plötzlich Angst kriegte
vor seiner eigenen Phantasie die ihm die Finger verbrennen könnte und
der Lehrer ihm sagte er werde schon wieder auf die Erde kommen mit
seinem Geschreibe weil er ihm jetzt nämlich ganz gewaltig die Flügel
stutzen wolle.
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