Erich Wolfgang K.
Wir sind im Jahre 1938. Der Jude Erich Wolfgang K. befindet sich im Zug
von Wien nach Le Havre. In seinem Gepäck befinden sich eine Fahrkarte
für die Überfahrt nach den USA und eine unvollendete Komposition, die
er dort fertig zu stellen gedenkt. Aufgeregt sitzt er im Abteil,
Grenzen im Zug überfahrend, fürchtet sich vor Kontrollen, stellt sich
vor, dass er sich in Hollywood niederlassen wird. Warum gerade dort,
ist ihm selber nicht klar. Wo geht's denn hin, mein Herr, wird er von
einem Mitreisenden gefragt. Zögernd antwortet K.: Ich musste Wien
verlassen, weil man mich verfolgt hat und ich dort nicht mehr weiter
komponieren konnte. Jetzt befinde ich mich auf dem Weg nach den USA.
Ich werde dort versuchen, an meinen Kompositionen weiterzuarbeiten,
antwortet K.
K. hat sich in Hollywood niedergelassen, kann aber seinen Vorstellungen
nicht nachleben, weiter an seiner Musik zu arbeiten. Davon kann er
nicht leben. So beginnt er, Aufträge für das Komponieren von Filmmusik
anzunehmen. In seinem Inneren ist er sehr unglücklich, dass er sich
diesem neuen Musikstil annehmen muss. Sehnlichst wartet K. auf das
Kriegsende, weil er hofft, dann wieder nach Wien zurückkehren zu können.
Es ist jetzt das Jahr 1946. Wir treffen K. auf einem Dampfer Richtung
Europa in einer kleinen Kabine, wo er, in Ermangelung eines Klaviers,
im Kopf hört, wie eine Vertonung einer Hymne über Wien entsteht: Du
Stadt, du Psalm, aus Gottes Mund erklungen und Stein geworden, Marmor,
Park und Garten, Gedicht und Lied... Ein Text, der von einem Freund von
K. stammt. Er stellt sich vor, mit dieser Hymne Wien wiedererobern und
auch wieder zu seiner Musik zurückfinden zu können. Es kommt aber
anders. Wien hat andere Sorgen, Wien muss jetzt Kriegszerstörungen
reparieren. Wien hat auch den Komponisten K. vergessen. Andere Namen
sind in der Musikwelt aufgetaucht und K. hat verpasst, sich in neuen
Stilen zu versuchen.
Es ist jetzt das Jahr 1950. K. sitzt wieder im Zug von Wien nach Le
Havre. Im Gepäck von K. befindet sich eine Fahrkarte für die Überfahrt
nach den USA, aber keine unvollendete Komposition, die er dort zu Ende
führen will. Aufgelöst, perspektivenlos und traurig durchfährt er
Europa, überfährt Grenze um Grenze, wird nicht mehr gefragt nach den
Gründen seiner Reise, verfolgt nur von der Frage: Was werde ich in den
USA tun?
K. wünscht, dass seine Kabine stillstehen, sich vergrößern, in ihr eine
neue Welt entstehen würde, in der er ein neues Leben mit seiner Musik
erfüllt beginnen könnte. Statt dessen bewegt sich die Kabine in Stürmen
auf und ab, neigt sich seitwärts, seine Musik entleert sich dabei
zusehends aus seinem inneren Tongehäuse bis er nichts mehr hört davon,
nur noch Geräusche von Wind und Wellen. K. kehrt nach Hollywood zurück,
zieht sich in sich zurück, komponiert widerwillig Filmmusik und stirbt
bei Takt neunzehn über den Noten für die Musik, die zum Film 'Verloren
sind die Verfolgten' hätte gehören sollen.
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