Hallo, ich heiße Hartmut Hinderer,
bin von Beruf Zukunftsbilderentwerfer. Ich entwerfe für andere Menschen
Zukunftsbilder, die sie sich selbst niemals vorstellen können oder
zutrauen würden. Ich bin sozusagen ein Allerweltszukunftszauberer. Ich
besitze eine Trickkiste, in denen sich Zutaten befinden, die sich zu
schillernden und strahlenden Visionen kombinieren lassen.
Meine Kundschaft hat in den letzten Jahren stark zugenommen, weil die
'Erlernte Hilflosigkeit' in unserer Gesellschaft rapide überhand
genommen hat. Ich nutze diese Hilflosigkeit geradezu unverschämt aus.
Ohne sie könnte ich nicht leben, das heißt Geld verdienen. Noch mehr:
Mir liegt sehr viel daran, die Hilflosigkeit meiner Kundschaft
aufrechtzuerhalten oder lieber noch zu steigern durch meine Tätigkeit
als stellvertretender Entwerfer von Zukunftsbildern. Am Besten gelingt
mir dies, wenn ich immer nur ein Zukunftsbild pro Kunde abliefere und
erkläre, dass dies das Beste sei, was ihm - dem Kunden - in Zukunft
geschehen könne.
Mir liegt natürlich überhaupt nichts daran zu erfahren, ob der Kunde
mein Bild akzeptiert: Ob er es nach einer Überprüfung nur als
Bereicherung seiner Bildergalerie aufhängt oder ob es alle anderen
Bilder von den Wänden verdrängt. Hauptsache, meine Bilder wirken. Und
das tun sie offensichtlich, wie dies in zahlreichen Briefen, die ich
erhalte, angedeutet wird:
Lieber Herr Hinderer
Da haben Sie mir ja etwas Schönes eingebrockt mit Ihrem Bild! Wie
stellen Sie sich eigentlich vor, wie ich dorthin gelangen kann, wo Sie
mich haben wollen? Haben Sie sich überlegt, wo ich die Mittel hernehme,
um auf diese lange Reise zu gehen? Meine Familie war ganz entsetzt, als
ich ihr Ihr Bild vorgestellt habe. Das passt überhaupt nicht zu dir,
sagten alle spontan. Und warum ich mich denn lösen solle vom jetzigen
Leben, es gehe doch gut, meinten sie. Ich solle Sie doch einmal fragen,
was denn der Sinn sei, solche Gespinste für andere Menschen
auszudenken. Dieses Nachfragen werde wahrscheinlich weitere Auslagen
nach sich ziehen, sagte ich ganz verzweifelt. Stimmt das wohl, Herr
Hinderer?
Geben Sie mir doch diesbezüglich gelegentlich eine Antwort, vielen Dank.
Mit freundlichen Grüssen P.K.
Sehr verehrter, lieber Meister
Vielen herzlichen Dank für das Geschenk meines Lebens, das Sie mir mit
der Überreichung Ihres Meisterwerkes gemacht haben. Wie Sie nur in
meine tiefsten, geheimen Sehnsüchte eindringen können und dies aus so
weiter Ferne! Wie Sie sich nur in meiner Seele nach verborgenen oder
verschütteten Wünschen und Visionen umsehen können. Ach, es ist so
aufregend! Und wie Sie formulieren können! Da wird mir alles so klar,
so durch- und einsichtig. Warum bin ich selber nicht schon lange auf
dieses Wunschbild gekommen? Aber dafür sind Sie ja da, großer Meister.
Sie müssen wohl ein ganzes Visionenvorratslager haben, auf das Sie
zurückgreifen können, ist das so? Ich kann Sie versichern, dass ich bei
Ihnen wieder ein Bild bestellen werde, sobald das jetzige seinen Glanz
verloren hat, sprich, keine Wirkung mehr zeigt. Ich werde Sie bei all
meinen Freunden weiterempfehlen.
Ihre F.Z.
Herr Hinderer
Ich kann es kaum glauben. Da zahle ich Fr. 5000.- für ein Zukunftsbild
und was kriege ich: Einen Helgen, den auch ich hätte herstellen können.
Sie trauen mir ja überhaupt nichts zu, das Bild gleicht ja fast aufs
Haar den Bildern, die schon in meiner Galerie hängen, wenn ich das so
ausdrücken darf bzw. wenn Sie wissen, was ich meine. Ich möchte
deutlich werden: Die ganze Übung bedeutet für mich eine reine
Geldverschwendung. Sie bringt mir überhaupt nichts Neues, im Gegenteil.
Sie machen mir mein jetziges Leben zur Hölle, weil mir nun noch
deutlicher geworden ist, in welcher langweiligen, trostlosen Lage ich
mich befinde. Kann ich Ihnen das Bild wieder zurückgeben oder es
umtauschen? Wie kann ich Ihr Bild aus meinem Leben ausradieren? Bitte
lassen Sie etwas hören von sich, die Aktion hat mich völlig hilflos
gemacht.
Gruß K.F.U.
Sehr geehrter Herr Hinderer
Ihr geniales Bild, das mich in die Zukunft weisen soll, hat mich tief
beeindruckt. Ich denke aber, den Fehler meines Lebens begangen zu
haben, dass ich bei Ihnen ein Zukunftsbild in Auftrag gegeben habe. Es
hat mich ganz durcheinander gebracht. Wie konnte ich mich nur so lange
treiben lassen von fremden Kräften, selbst nichts zu meinem Leben
beitragen, keine eigenen Visionen einbringen? Und da kommt das von
Ihnen mir zugeschriebene Bild! Welche Welten gehen da auf, welche
Fluggeräte trauen Sie mir da zu! Aber Sie können ja nicht wissen, dass
ich furchtbare Angst vor dem Fliegen habe. Früher war das anders, da
hätte ich mich noch in eine Ihrer vorgeschlagenen Flugkisten gewagt,
hätte Berge und Täler überfliegen mögen. In meiner Hilflosigkeit und
Verzweiflung habe ich nun das Bild in einer mit einer dicken
Stahlverschalung versehenen Kiste im Keller versenkt. Dies nützt aber
alles nichts, das Bild verfolgt mich überall hin und ätzt eine Spur in
meinen Lebenslauf; es macht mich noch krank!
Trotzdem, mit freundlichen Grüssen F.Z.
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