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Rudolf Welter: Lebensentwürfe, Teil 4
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General a.D.
Im Friedhof Sihlfeld in Z. begegnet Decker der
Grabsteinplatte des Generals a.D. von Matt. Der General hat das
Schlachtfeld mit dem Sihlfeld getauscht. Und das a.D. steht bekanntlich
für 'außer Dienst'. Als Laie stellt Decker sich vor, dass ein General
in einem friedliebenden Land wie der Schweiz eigentlich sein ganzes
Leben lang außer Dienst gestanden haben muss. Ja, das ist es
eigentlich: Immer einer Organisation - in diesem Falle einer Armee -
vorzustehen, die ständig darauf wartet, eingesetzt zu werden. General
von Matt hat mit seiner Organisation auf den Ernstfall geübt, der
bekanntlich in der Schweiz nie eintraf.
Könnt ihr euch vorstellen, ein Leben lang im Dienste des Außer-Dienstes
zu stehen? Ist es nicht vergleichbar mit einem gelernten
Straßenbahnführer, der sein ganzes Leben zu Hause verbringt und darauf
wartet, endlich einmal eine Straßenbahn durch die Stadt zu führen? Oder
mit einem Chirurgen, der seine Skalpelle zu Hause immer gut geschärft
und steril im Schrank bereit hält und vergeblich auf seinen Einsatz im
Operationssaal wartet. Oder mit einem Architekten, der ständig im
"Schöner Wohnen" blättert und davon träumt, die darin enthaltenen
Grundrisse und Einrichtungsbeispiele einem Bauherrn
aufzudrängen.
Decker erinnert sich, dass neben der Grabplatte des Generals a.D. auch
jene seiner Gattin und der Söhne liegen. Also eine ganze Familie außer
Dienst! Wie muss es wohl gewesen sein für die Familie, mit einem
General a.D. zu leben, der nichts anderes tat, als die Feldzüge von
Generälen i.D. in den erwähnten Journalen zu studieren? Decker stellt
sich die Familie über den Sandkasten - ungefähr vier auf fünf Meter -
gebeugt vor, im Keller der Villa am Berg an Sommerabenden, wenn
Gewitterstürme tobten, Donnerschläge ferner Geschützsalven
vortäuschend. Ganze Armeen wurden zusammen verschoben. Also doch im
Dienst gewesen, wenn auch nur en miniature! Wie auch der
Straßenbahnführer, der im Keller eine Modelleisenbahn betreibt. Seine
Minizüge fahren genau nach Fahrplan, Menschen steigen keine ein, das
gäbe nur Verspätungen. Oder der Chirurg, der Puppen anfertigen ließ,
mit hautähnlichen Plastikoberflächen und Eingeweiden versehen. Einige
besonders wertvolle mit blutähnlicher Flüssigkeit gefüllt. Ja, das ist
ein Leben, ungestört von Menschen mit ihren nicht enden wollenden
Ansprüchen, zeitlich völlig frei und nur mit sich selbst beschäftigt,
dem Beruf nachgehen zu können!
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