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Rudolf Welter: Lebensentwürfe, Teil 2
Deckers Vater II

Kriegszeit

Deckers Mutter schreibt: "Wann kommst du wohl heim? Hört ihr gar nichts, wie und was. Mit den Franzosen ist es ja jetzt sowieso fertig, heute Morgen hieß es im Radio, dass zwischen England und Frankreich Meinungsverschiedenheiten entstanden sind. England hat jetzt natürlich Angst, es ergehe ihnen jetzt auch so. Nun, etwas gehört ihnen ja auch, sie haben es wirklich verdient, schon deshalb, weil sie die Franzosen auch in den Krieg hineingezogen haben, daran sind nur sie schuld."      

Deckers Vater schreibt: "Nach dem Mittagessen ging ich auf den Bahnhof, aber solange ich wartete, meine Mutti kam halt nicht, aber man muss das aushalten können, wenn man denkt, dass jetzt Tausende ihr Mutti nicht mehr sehen. Bei uns hat sich die Lage ja eher wieder gebessert, und ich glaube bestimmt nicht, dass wir in einen Krieg verwickelt werden, und so wollen wir geduldig warten, denn wenn man das Schwere der anderen in Betracht zieht, ist ja das unsrige nur ein Kinderspiel. Also mein liebes Mutti, warten!"

Vater denkt: In meinem Inneren habe ich ganz gewaltig Angst, dass es bei uns auch Krieg gibt, warum auch nicht? Überall um uns herum wird gekämpft, werden Völker überfallen. Warum soll dies nicht auch uns geschehen? Warten ist eine furchtbare Art, mit dieser bedrohlichen Situation umzugehen. Es macht mich so hilflos, zuschauen zu müssen, was um uns herum passiert, und nichts dagegen tun zu können, dass mein Land nicht auch unter die Räder kommt. Und dann die Familie, die lieben Kinder so weit weg, ich hänge doch so an meiner Frau und meinen Kindern. Wieso kommen eigentlich diese Hornochsen auf die Idee, Konflikte immer nur mit Waffengewalt zu lösen.

Vater schreibt: "Wir haben wieder einen strengen Tag hinter uns. Als wir die letzte Nacht so recht im Stroh waren, gab es Alarm und so fuhren wir ca. um 24 Uhr in F. weg über R., M. hinauf nach Luziensteig hart an der Grenze, dort konnten wir die ganze weitere Nacht im Auto schlafen, es war ein wunderbarer Morgen, wenn nur die Lage nicht so ernst wäre. Wir fuhren dann wieder hinunter nach M., wo wir jetzt einquartiert sind, wie lange wissen wir nicht, wir sind immer im Alarmzustand. Liebes Mutti, die Lage ist sehr ernst für uns, aber ich weiß nicht, ich bin trotzdem zuversichtlich, und weil ich das von dir auch weiß, so habe ich eine innere Ruhe, die nur der haben kann, der noch an eine göttliche Führung glaubt."

Vater schreibt: "Heute hat mir B. ein Paket geschickt, Zigaretten, Schokoladenwaffeln und eine halbe Sau, so dass ich fast nicht weiß wohin damit. Den Speck schicke ich Dir nicht, damit er nicht noch schlechter wird, es wäre schade darum. Ich habe nämlich noch Landjäger, die auch auf ihre Mission warten. Ich habe den Kompanie Kommandanten gefragt, ob ich am nächsten Samstag heim dürfe, er hat es bewilligt. Natürlich nur bis Sonntagabend. Dann würden wir uns ja schon bald wieder sehen, ich freue mich darauf."

Deckers Mutter schreibt: "Gestern ist H. mit M. nach hier gekommen für ein paar Tage. Es muss unglaublich zu und her gehen in Winterthur und Zürich. Alles ist am packen und ausziehen. Ich weiß nicht, ob auch ihr Soldaten eine solche Spannung erlebt, wie wir hier. Auch hier ist alles aufgeregt. Vorgestern hat alles geglaubt, wir bekommen hier Krieg. I. hat auch Koffer gepackt. Heute Morgen haben sie diese nach S. gebracht. Von W. nach Z. sehe man überhaupt keine Wegweiser mehr, es sind alle weggenommen worden. Ja, weißt Du, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie viel hier geredet wird, natürlich nur, um die Leute in Aufregung zu bringen. Ich kann Dir schon sagen, lieber Vati, dass es auch mich erschreckt hat, aber Du kannst beruhigt sein, dass ich nicht etwas Übereiltes oder Verkehrtes mache, ich bin trotzdem noch ruhig und denke, es liege alles in Gottes Hand. Es befällt mich manchmal doch die Sehnsucht, jetzt bei Dir zu sein, komme dann, was wolle, aber das kann ja nicht sein."




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