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Rudolf Welter: Lebensentwürfe, Teil 1
Deckers Vater I

Erlebtes - Ungelebtes

Deckers Vater sitzt am schweren, eichenen Schreibtisch in seinem Büro. Zwischen den beiden Schubladenstöcken befindet sich unter der Tischplatte in der Fußgegend ein Tresor, in dem er Wertsachen und Schmuckstücke aufbewahrt. An der Wand hängt eine Tafel mit Zeitplänen, die aufzeigen, wie seine Mitarbeiter auf dem Bau eingesetzt werden sollen. Daneben hängt seit vielen Jahren ein runder Teller aus gebranntem Ton, auf dem mit Ölfarbe geschrieben steht: Gott schütze das ehrbare Handwerk zwischen Himmel und Erde. Decker fuhr als Schüler oft zum nahe gelegenen Militärflugplatz, und jedes Mal, wenn er zurückkam, fragte er sich, ob der Satz auf dem Teller wohl das Handwerk der Piloten meine.
Natürlich fehlt auf dem Schreibtisch auch eine Schreibmaschine nicht. Decker sieht Vater Offerten schreiben, er glaubt sich zu erinnern, dass diese Tätigkeit für ihn nur mit großer Überwindung zustande kam, viel eher war er bereit, Menschen ein schützendes Dach über deren Köpfe zu ziehen.
Jetzt riecht es gut nach Seife und Haarpomade im Hause der Eltern. Es ist Freitagabend, Zeit zum Singengehen im Gesangsverein. Wenn dort ein ganz besonders hoher Anlass gefeiert wurde, trug Vater vor dem Fest stundenlang ein feines Haarnetz, das sein Haar glatt an die Kopfhaut drückte. Nach dessen Entfernung sah Vater aus wie ein Zirkusdirektor.
Einmal wurde Vater auserkoren, eine damals bekannte Sopranistin vor dem Konzert des Gesangvereines in Zürich abzuholen. Decker durfte Vater begleiten. Auf der Heimfahrt zum Konzert saß er im schwarzen "Citroen Large" gebückt auf der Rückbank und hörte verwundert zu, wie Vater mit der großen Dame weltmännisch Gespräche führte. Wovon diese handelten, erinnert sich Decker nicht mehr.
Vater ging versuchsfreudig mit seinem Auto um. Er experimentierte zum Beispiel mit der Beigabe von Heizöl in den Benzintank, bis er merkte, dass der Motor zu stottern begann. Und Vater war einer der Ersten, der den damals revolutionären Citroen DS kaufen wollte.

Decker erinnert sich ans Nachhause fahren hinten im Auto der Familie von Zusammenkünften der großen Verwandtschaft, die sich abwechslungsweise da und einmal dort traf. Zwei seiner Brüder und Vater wurden an diesen Anlässen immer wieder aufgefordert, improvisiertes Theater aufzuführen. Sie haben dann mit Früchten jongliert, die aufgetischt wurden. Sie haben miteinander in Schattentheatern blutige Operationen simuliert, bis die anwesenden Kinder kaum noch hinschauen konnten. Oder sie haben sich gegenseitig im schnellen Takt rücklings so in die Arme geworfen, dass die Kinder meinten, einer der Brüder müsste früher oder später zu Boden fallen.

Vater ist in einer großen Familie aufgewachsen. Später hat er in der Familie spaßeshalber erzählt, dass er nie sicher war, wie viele Geschwister es in der Familie ursprünglich gab. So kam es, dass Vater nie viel Geld hatte, um sich Vergnügen zu leisten. Für etwas hat er aber sein Geld  gespart: für den Zirkus, der ab und zu nach Winterthur kam. Oder er hat es auf sich genommen, zu Fuß nach Zürich zu wandern, um dort den Zirkus zu besuchen. Ab und zu begleitete ihn dabei einer seiner Brüder, was dann bedeutete, dass im Elternhaus genügend gutes Schnürschuhwerk gefunden werden musste.
Am meisten interessierte ihn das Vorführen von Zaubertricks. Er sah genau hin, wie es der Zauberer in der Arena fertig brachte, einen Schirm zwischen den Beinen zu balancieren, oder einen Faden steif zu machen um ihn dann im Rachen auf und ab zu bewegen. All dies und mehr musste er später zu Hause ausprobieren. Da die Familie groß war, passierte es oft, dass ihn jemand beim Üben beobachtete. So wurde er an Samstagabenden aufgefordert, seine Tricks vorzuführen. Die Geschwister hatten große Freude daran, die Eltern weniger, weil sie fürchteten, dass aus diesen Aufführungen ein ernsthaftes Liebäugeln mit dem Zirkusleben werden könnte.
Er ging so sparsam um mit seinem verdienten Geld, dass er nach der Lehre als Friseur in Darmstadt in eine Zaubererschule eintreten konnte. Die Familie, besonders die Mutter, war entsetzt, als sie dies vernahm. Sie war eine sehr religiöse Frau, und sie konnte es mit ihrem Glauben nicht vereinbaren, dass ein Sohn in eine Welt des Scheins und Glitzerns eintauchen wollte.
Es ging nicht lange, bis Vater nach dieser Schule eine Anstellung beim Circus Carlito erhielt. Dort lernte er auch seine Lebensgefährtin kennen, ebenfalls eine Artistin. Zusammen gründeten sie dann eine Familie und sind bis über die Landesgrenze herumgezogen. Sein technisches Geschick und sein Erfindergeist haben Vater dazu verholfen, dass er Tricks entwickelte, die sehr berühmt wurden. So hat er es zum Beispiel fertig gebracht, alle Zuschauer zum Verschwinden zu bringen, so dass er seinen Auftritt frühzeitig beenden konnte, um zu seinen geliebten Kindern, die im Wohnwagen auf ihn warteten, zurückzukehren.

Mit Vater teilten noch zehn Geschwister die engen Räume des Hauses und die wenigen Betten, die zur Verfügung standen. Vaters Vater war Lokomotivführer. Frühmorgens musste er aufstehen, um den Dampfkessel einzuheizen. Eigentlich wäre das die Aufgabe des Heizers gewesen. Vaters Vater war aber ein sehr gewissenhafter Mann, er wollte dabei sein, meistens so gegen vier Uhr, wenn die Lokomotive unter Dampf gesetzt wurde. Vater durfte manchmal mit seinem Vater auf dem Führerstand mitfahren. Der Zug fuhr sehr nahe am Garten der Familie vorbei, und Vater konnte seinen zehn Geschwistern, die der Größe nach aufgereiht auf die pfeifende Lokomotive warteten, zuwinken.

Dieses Mitfahren dürfen kam nicht von ungefähr. Vater war sehr interessiert an Maschinen jeglicher Art, und Vaters Vater bemerkte dies natürlich mit Freude. Darum schlug er ihm gegen Ende der Schule vor, als Maschinenschlosserlehrling in die große Maschinenfabrik in Winterthur einzutreten. Dies passte ihm sehr. So kam es, dass er noch während der Lehre eine bedeutende Erfindung machte. Er hörte von seinem Schwager A. in W., dass alle seine Autos wegen Benzinmangels (Kriegszeit!) stillstanden. Er fragte Vater, ob er sich einen Ersatzkraftstoff ausdenken könnte. Nun erinnerte sich Vater an die Fahrten auf den Dampflokomotiven. Da kam er auf die Idee, dass mit Feuer nicht nur Dampf, sondern auch Gas erzeugt werden könnte. Darauf konstruierte Vater stundenlang in der Freizeit, unterstützt von seinem Lehrmeister, Prototypen von Gaserzeugern, die dann den unveränderten Motor mit Gas beliefern sollten. Manchmal wurde es recht gefährlich, weil Vater noch wenig Kontrolle über zunehmende Druckzustände ausüben konnte, er musste improvisierend, mit Versuchen und Irrtümern, vorgehen. Doch konnte er mit der Zeit seine Idee so weit entwickeln, dass ein erster Versuch mit dem Auto von Schwager A. gewagt werden konnte. Und siehe da, es funktionierte. Bald sah man viele Autos auf den Strassen der Schweiz mit diesen Holzvergasern, die zum Teil an den Autos hinten stehend montiert oder auf einem Einradanhänger nachgezogen wurden.




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