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Post aus Perturbistan: Balotelli
Lothar Eder, Mannheim:


Balotelli

Wir nannten es als Kinder Mohrenkopf, in anderen Gegenden Deutschlands, so erfuhr ich später, wird es Negerkuss genannt; gemeint ist dieses Etwas aus Zuckerschaum, von Schokolade ummantelt, das im Kramerladen oder beim Bäcker 10 oder 20 Pfennige gekostet hat. Es war süß, himmlisch und ein Paradies auf der Zunge. Nun, der Mohr bzw. sein Kopf haben in Zeiten der politischen Korrektheit ihre Arbeit (jawohl, seine Arbeit, nicht etwa seine Schuldigkeit hat er getan, der Mohr, wie wir schiller- oder wenigstens stadelmaierbewanderten Klugmeier wissen!) längst getan und deshalb heißt die Sache mittlerweile Schaumspeise mit Migrationshintergrund (vgl. http://www.stupidedia.org/stupi/Negerkuss). Klingt lecker. Auch das Zigeunerschnitzel wird, so hört man, demnächst in Sintiundromaschnitzel umbenannt; zwar ist wohl den meisten Menschen klar, dass das Zigeunerschnitzel nicht aus Zigeunern hergestellt wird. Aber der Zigeuner ist abgeschafft, sprachgebrauchstechnisch zumindest und heißt jetzt Sintiundroma. Sonst wäre er nämlich diskriminiert, genauso wie der Neger respektive Mohr, der nun ein Mitmensch mit mehr Hautpigmenten ist. Gemunkelt wird auch, dass Mannheim aus Gleichstellungsgründen entweder für die nächsten 400 Jahre in Frauheim bzw. ab sofort und für alle Ewigkeit in Mann-/Frauheim umbenannt wird (der Vorschlag Männinheim wurde, so hat man uns zugetragen, abgelehnt). Aus Paritätsgründen gilt gleiches für die Münchner Frauenkirche. Jaja, die Türme der Männerkirche in München, welch Wahrzeichen der Stadt und der Gleichstellung!
Zurück zum Neger, der ja nicht mehr so heißt, wie wir nun wissen. Und somit nicht nur der Mohrenkopf und der Negerkuss ein für alle mal der politisch korrekten Nichtigkeit überantwortet sind, sondern auch alte Fotografensprüche wie „Neger im Keller, nimm zwei Blenden heller“. Und manch einer mag sich an die skandalumwitterte Äußerung der Fürstin von Thurn und Taxis in einer Gesprächssendung erinnern, die da meinte, die große Verbreitung von Aids in Afrika komme nicht etwa von der mangelnden Verhütung dortenhalben, sondern einfach daher, dass der Neger so gern schnaxln täte. Der Skandal war seinerzeit nicht nur der öffentliche Gebrauch des Wortes „Schnaxln“, vielmehr war es der Ausdruck „Neger“. Es war zudem die, so wurde angeführt, durch nichts zu rechtfertigende Behauptung, der stärker pigmentierte Mitmensch neige der geschlechtlichen Aktivität heftiger zu als wir Bleichgesichter. Woraus wir lernen, dass wir jederzeit in der Öffentlichkeit vom Schnaxln sprechen dürfen, der Neger aber schon überhaupt und gar nicht mehr im Mund geführt werden darf, und am wenigsten, wenn ihm Besonderheiten zugeschrieben werden (wie etwa eine erhöhte Schnaxlneigung).
Man darf einen stärkerpigmentierten Mitmenschen auch nicht einen „Gorilla“ nennen, selbst wenn er sich so benimmt. So widerfuhr es nämlich des öfteren dem dunkelhäutigen Fußballspieler Mario Balotelli, seines Zeichens Stürmer des derzeitigen englischen Meisters Manchester City und der italienischen Nationalelf (die nicht Meister geworden ist). Von Herrn Balotelli ist bekannt, dass er, ohne Rücksicht auf deren Hautpigmentierung, seine Mitmenschen gelegentlich nicht nur mit derbsten Beschimpfungen bedenkt, sondern ihnen je nach Laune auch mal an die Gurgel geht. Wer ihn aber ob seines Verhaltens, wie geschehen, als Gorilla bezeichne, der riskiere, so Herr Balotelli, sein Leben, denn er werde ihn eigenhändig umbringen. Das ist nicht nett vom Mohr respektive Gorilla respektive Herrn Balotelli, denn das Umbringen von Zeitgenossen, die vermeintlich ins eigene Terrain eindringen, gehört eigentlich schon mehr zum Gorilla als zum zivilisierten Mitmenschen gleich welcher Hautfarbe. Widersprüchlich zu seinen verbalen Einlassungen fanden wir auch die Gorillapose Balotellis, nachdem er uns im EM-Halbfinale 2012 das zweite Mal einen eingeschenkt hatte. Reißt sich das Trikot vom Leib und macht oberkörperfrei und immer noch unbedrängt von der deutschen Abwehr den Affen in unserem Strafraum!
Oh Wunde, oh Schmerz, oh schwärende Schmach! Italien, immer wieder Italien! Und nun auch noch dieser, dieser Nichtgorilla Balotelli! Gleich zweimal macht er uns die Hütte voll, brav eskortiert von der deutschen Abwehr. Aus der Jogibärtraum von Wirwerdeneuropameister, oh Weh, oh Wunde, oh Schmerz! Sehnsüchtig erinnern wir uns an die Zeiten des Michael-Ballack-Begüßungsfouls gleich zu Spielbeginn oder die herrlichen gorillahaften Ausraster eines Oliver Kahn, wenn der Gegner im deutschen Strafraum sich dicke machen zu können glaubte (manchmal traf es auch den eigenen Mitspieler). Da wusste der Gegner gleich, was Trumpf ist, obwohl das andererseits gegen Italien auch noch nie geholfen hat. Vorbei! Es sind dies die Zeiten des braven Philipp Lahm, des biederen Badstuber, des  stark pigmentierten Jerome Boateng und des Mats Hummels, der dem Ithaker auf links eine Körperdrehung auf Kreisklasseniveau gestattete, sodass der unbedrängt in den Strafraum flanken konnte. Auf wen? Auf Balotelli!! Und was macht der? Ein Tor gegen uns! Und dann noch eins! Aus-Äpfel-Amen mit dem Europameistertraum!
Am Tag darauf musste ich mir dann in meinem italienischen Stammcafé beim Capuccinoordern das hämische Grinsen des Wirts (eigentlich ein Kölner, der aus mir unerfindlichen Gründen zum Italienertum konvertiert ist) gefallen lassen. Ob ich denn wie gewohnt ein Hörnchen mit dunkler Cremefüllung dazu haben wollte? Ich wollte. Und beschloss die Umbenennung des Cornetto in: Balotelli. Der Wirt, da aus Köln, ist ein mit Humor ausgestatteter Mann und machte mit. Ein Capuccino bitte! Und ein Balotelli dazu? erwiderte der Wirt. Si, naturalmente! lautete regelmäßig meine Antwort. Den Ithaker bezwingen, indem man ihn verspeist, eine herrliche psychohygienische Maßnahme, tief archaisch zudem! Wenn schon unsere Abwehr den italienischen Mohren nicht vernaschte (sondern er sie), dann würde ich nun, Tag für Tag, auf diese Weise meine kleine Rache haben, welch Genugtuung, welch Wohltat!
Dann aber kam das Knie in die Quere, das linke. Nein, kein Knie von nationaler Bedeutung, nicht das von Schweini oder Poldi oder sonstwem. Es war nur mein eigenes, national und fußballerisch völlig bedeutungslos, aber eben meins. Es tat weh. Beginnende Arthrose, so der Arzt. Ernährungsumstellung, am besten kein Zucker mehr. Damit kam er mir also doch noch davon, der Mohr, der italienische. Denn das Cornetto enthält eine Menge Zucker (besonders die dunkle Füllung) und damit ist der Gorilla vom Speiseplan gestrichen. Vorbei ist es nun also mit der nationalen Ehrenrettung, zumindest der von meiner Seite. Fortan gibt es Braunhirse statt Balotelli.
So kann er also ungestraft weiterhin große Töne spucken, der pigmentreiche Nichtgorilla. Und unsere Abwehr verspeisen. 4 Tore hat er dann angekündigt fürs Finale gegen Spanien. Die hat er auch bekommen. Allerdings in die eigene Hütte (wer lacht da jetzt hämisch!?). So ist er jetzt Vizeeuropameister, der italienische Mitmensch mit reichlicher Hautpigmentierung. Bravo! Hat seine Arbeit getan und geht seiner Wege, ohne wohl je von Friedrich Schiller und seiner „Verschwörung des Fiesco zu Genua“ gehört zu haben. Denn da wurde ihm zugerufen: „Kerl, du verdientest einen eigenen Galgen, wo noch kein Sohn Adams gezappelt hat. Geh ins Vorzimmer, bis ich läute“. Und der grummelte zurück: „Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen“. Also nein, darf man so mit Mohren reden!? Zeit, dass dieser Schiller mal der Antidiskriminierungsbehörde vorgeführt wird! Aus.



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