Lothar Eder, Mannheim (perturbistan@web.de):
Seichtum für Alle? – Seichtum besteuern!
Jetz isses bald wieder soweit und ich weiß immer noch nicht, was ich wählen soll, sag ich zu Berta. Du? Nö, macht sie. In ein paar Tagen, am 27.9. ist Bundestagswahl. Der sogenannte Wahlkampf brummt vor sich hin und die rechte Wahllust bleibt dem Volke aus, so will es scheinen. Du hast Post, sagt Berta. Von wem, frage ich, und sehe die Umschläge durch. Frank-Walter hat mir geschrieben und eine Frau Reinemund von der FDP. Ich finde es nett, wenn mir Menschen schreiben, die mir sonst nie schreiben, allerdings macht es mich skeptisch, wenn sie es nur alle vier Jahre tun, wenn grad mal wieder Wahl ist. Frank-Walter schreibt mir schon auf dem Umschlag, da sei eine wichtige Nachricht drin. Statt Briefmarke ist ein Portrait von ihm zu sehen. Sympathisch schaut er mich an, so einer würde einen bestimmt jeden Morgen grüßen, wohnte er in der Nachbarschaft. Er würde bestimmt die Blumen gießen und unseren Kater Luhmann (der eigentlich eine Katze ist, aber das ist eine andere Geschichte) füttern, wenn man einmal weg wäre. Dennoch, ich bekomme nicht die rechte Lust, den Umschlag aufzumachen. Als ich FDP las, dachte ich schon, es wäre Post von Guido persönlich. Aber nein, es ist Frau Reinemund vom hiesigen Wahlkreis, die mir schreibt. Einer Frau, die Reinemund heißt, möchte ich gleich und sofort und immerdar gleich alles glauben, merke ich. Und daß sie mir verspricht, ich könne mit einer Stimme für ihre Partei den Gesundheitsfonds abwählen, freut mich sehr. Frau Ullala aus der Partei von Frank-Walter hat nämlich die Gerechtigkeit eingeführt und das wirkt sich so aus, daß ich als Inhaber einer Kassenpraxis seit zweieinhalb Monaten auf die Restzahlung des ersten Quartals warten und mein Konto überziehen muß, um die laufenden Kosten zu bezahlen. Frau Ullala meint nämlich, Gerechtigkeit ist, dass man, wenn man in einem reichen und teuren Bundesland lebt wie ich, dann weniger Geld bekommen soll, damit es sich ausgleicht. Es dauert aber, bis man genau ausgerechnet hat, wie viel weniger genau, und deshalb bekommt man erst einmal gar nichts. Ich will gerne in Erwägung ziehen, daß das eine gute Sache ist, aber eine gewisse Skepsis bleibt, das muß ich zugeben, da kann Frank-Walter so gemütlich schauen wie er will. Ich brauche also nur mein Kreuzchen an der richtigen Stelle ... ? Ach das wäre zu schön. Aber da denke ich an Guido und seinen Brüderle und, ach ich weiß nicht.
Angela hat mir nicht geschrieben. Wahrscheinlich hatte sie keine Zeit. Das verstehe ich. Böse fand ich es, daß der Herr Henscheid sie in einem satirischen Beitrag als "Seelenknödel im Hosenanzug" bezeichnet hat. Angela braucht mir nicht zu schreiben, sie schaut mich immer so schön an auf den Plakaten. "Zuversicht" steht da auf dem neuesten, unter dem Großportrait der Kanzlerin, schön lächelt sie da heraus aus dem Plakat und zu mir her, ganz jungmädchenhaft und aufdaschristkindwartend ist der Blick und bestimmt ist damit die nächste Bescherung gemeint, Deutschland, du kannst und hast es besser, ach wie wunderbar! Die ganze engelsgleiche Zuversicht will sich gleich zurechtkuscheln in meinem Inneren, aber da kommt Berta und sagt, die Linke sei ja wohl nicht mehr ganz knusper. Auf dem einen Plakat steht "Reichtum für alle" und ein Plakat weiter schreiben sie "Reichtum besteuern", also nee. Das verstehst du nicht, Berta, sage ich. Da steckt eine Logik dahinter, weißt Du, erst machen sie uns alle reich, und dann kassieren sie die Steuern von uns und die verteilen sie wieder an uns alle, und wir sind wieder ... oder so ähnlich, verstehst du? Ich glaube, die haben sich verschrieben, meint Berta. Eigentlich meinen die "Seichttum für alle", so finde ich nämlich diesen Wahlkampf. Mit einem oder zwei "t" frage ich, und beide lachen wir, weil nämlich "seichen" was heißt, naja, das kann man hier nicht aufschreiben. Auf süddeutsch halt Pipi machen, jetzt ist es raus, und wir finden es lustig, weil man auf diese Parolen eben ... naja, Sie wissen schon – eben: seichen kann. "Seichtum besteuern" wäre also eine einträgliche Idee. Für das Haushaltsdefizit und so. Manchmal assoziiere ich frei und irgendwie fallen mir in dem Zusammenhang Bewässerungssysteme ein, und die machen alles grün, aber gleich denke ich an Joschka, den multiplen Junkie, der jetzt BMW berät. Der spielt zwar nicht mehr mit bei den Grünen, aber irgendwie drängen sich diese BMWs in meinem Inneren auf wie auf der Autobahn, wenn ich mal wieder unrechtmäßig bei 120 die linke Spur in Anspruch nehme. Vielleicht sollte ich ja die Partei wählen, die damals für das Psychotherapeutengesetz gesorgt hat, aber die gibt es nur in dem Bundesland, aus dem ich ursprünglich komme und eine Zeitlang wollte ich dorthin nicht mehr zurück eben wegen der Partei, die dann später das Gesetz für meinen Berufsstand durchgesetzt hat. Ach, die Welt ist zu komplex, um einfach zu wählen. Wäre ich doch nur Muslim – da könnte ich fragen: Kreuzchen machen? - ich bin doch Muselmann! Jetzt reichts aber, sagt Berta, hast wohl wieder heimlich RTL-Comedy geschaut!? Luhmann, unser Kater, der eigentlich eine Katze ist, aber das ist eine andere Geschichte, rettet mich aus meiner Zerknirschung. Kurz schaut er uns an auf seinem Weg zum Futternapf. Und, lese ich seinen Ausdruck richtig? – Tierschutzpartei wählen scheint er zu sagen. Naja, warum nicht. Wenigstens wäre die Katze zufrieden. Aus.
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