Copyright © 2013
levold system design Alle Rechte vorbehalten. |
|
|
Post aus Perturbistan 8 – Emil oder: Neulich in der Ruhezone des ICE 109
|
Lothar Eder, Mannheim (perturbistan@web.de):
Sie quasseln und quasseln. Nein, nicht über Wichtiges. Sie tauschen Nichtigkeiten aus. Schön sei es gewesen, daß beim Frühstücksbuffet die Grapefruit filettiert war, sagt die Frau. Das habe einem das lästige Herauspuhlen der Stückchen aus der Schale erspart. Auch das französische Restaurant sei sehr gut gewesen. Den besten Salat aber gebe es bekanntermaßen beim Italiener. Und beim Spanier, ergänzt der Mann. Er hat einen Packen Prospekte in der Hand. Mit Triumph in der Stimme zeigt er nun auf einen davon und widerlegt die Frau. Dies da – sein Finger klopft auf ein Foto – sei das Restaurant, das man besucht habe und es sei kein französisches. Die Frau lenkt ein.
Draußen fährt anmutig die Mark Brandenburg vorbei.
Der Service kommt ins Abteil und befragt uns nach unseren Wünschen. Das Paar nimmt nichts, ich bestelle einen grünen Tee.
Wir sind zu dritt im Abteil; zwei reden, einer schreibt.
Die Frau holt nun allerlei Haushaltskleingerätschaften aus einer Tasche hervor. Mit reichlich Text unterlegt sie die sodann folgende Präsentation. Diese hier – ihre Worte weisen auf mehrere ineinanderliegende Edelstahlhütchen, deren Verwendungszweck mir trotz längeren Spähens aus den Augenwinkeln verschlossen bleibt - , diese hier habe sie im KaDeWe erstanden, zu einem Preis (sie macht eine unterstreichende Handbewegung), naja, die seien ja normal so schwer zu bekommen, da habe sie gleich mehrere genommen. Das war die einzig richtige Entscheidung, schießt es aus dem Mann hervor.
Draußen nach wie vor die Mark Brandenburg.
Mein grüner Tee wird gereicht. Das Getränk im Verein mit dem Keks und einem kleinen Stück Schokolade, dessen Einwickelpapier auf die Sponsorenschaft der Bahn für die gerade vergangene Fußballweltmeisterschaft verweist, stimmen mich kurzfristig milder. Die Edelstahlhütchen sind wieder verstaut, ebenso die Prospekte. Nun aber bilden diverse Schokoladen und Pralinen den Gesprächsmittelpunkt meiner Mitreisenden. Es wird ausgiebig geraschelt, ausgepackt, verkostet und kommentiert. Immer wieder zuckt es in mir. Etwas in meinem Inneren will entschlossen auf das an der Abteiltür befindliche Symbol hinweisen, das einen schematisierten Kopf zeigt, dessen Besitzer seinen Zeigefinger an den Mund gelegt hat. Pssst sagt das Symbol, Ruhe sagt es, hier wird gelesen, geschrieben, geschlafen, die Klappe gehalten schreit das Zeichen, und ich meinerseits bräuchte nur mit mahnendem Blick darauf zeigen und wüßte mich einig mit einer höheren Macht, dem Zugchef, dem deutschen Bahnwesen überhaupt.
Doch ich schweige
Ich denke an eine Passage aus Wilhelm Genazinos Roman „Eine Frau. Eine Wohnung. Ein Roman“. Da sitzt der Icherzähler jemandem gegenüber, dessen Gegenwart er als – naja, sagen wir: schwierig empfindet. Und er denkt sich: über dich schreib ich auch noch mal. Und spürt ein Behagen in sich aufsteigen. Jetzt erscheinen mir meine beiden Abteilnachbarn mit einem Mal fast liebenswert, wie sie da schutzlos ihr Leben als fette Schreibbeute vor mir ausbreiten.
Wir fahren auf Braunschweig zu.
Das Paar ist nun in Zeitungen vertieft und hält weitgehend die Klappe.
Zwei schweigen, einer schreibt.
In Göttingen steigen eine Mutter mit Tochter in Begleitung des Hundes Emil zu. Emil raubt dem Paar den Atem. Mutter und Tochter lesen. Emil liegt zu meinen Füßen. Er ist, so erfahre ich, ein aus Italien stammender Mischling. Da sei er ja gerade Weltmeister geworden, entfährt es mir. Der Hund Emil riecht weltmeisterlich nach Hund. Im Abteil herrscht vorerst Schweigen.
In Hanau steigt der Hund Emil mit den beiden Damen aus. Zwischen Hanau und Frankfurt hat das Paar eine alle Details berücksichtigende Unterredung darüber, was denn der Kühlschrank für das Abendessen noch hergebe. Von Auberginen und zwei Köpfen Eisbergsalat ist vielfach die Rede und was man damit prima bewerkstelligen könne. In Frankfurt verabschiedet sich das Paar artig von mir und steigt aus. Nun, ich muß nicht alleine bleiben. Eine Dame setzt sich zu mir ins Abteil und beginnt sogleich, einem für solche Informationen offenbar aufgeschlossenen Gesprächspartner per Mobiltelefon bedeutsame Sachverhalte zur Kenntnis zu bringen. Zum Beispiel den Umstand, daß der Zug jetzt gerade aus unerfindlichen Gründen stehe. Sodann werden via Telefon vielerlei Vermutungen darüber angestellt, wie dieser Halt sich wohl auf die Ankunftszeit des Zuges in München auswirken werde. Mein Blick schweift noch einmal hin zum Ruhesymbol, ich suche für Augenblicke das stille Einvernehmen mit dem Kopf und dem an die Lippen geführten Zeigefinger. Nein, ich sag nix, mein Schweigeversprechen bleibt für heute unverbrüchlich. Aber schreiben tu ich. Ich schreib alles auf. Das habt ihr jetzt davon! Aus.
|
|
|