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Post aus Perturbistan 5: Der Tag an dem mir klar wurde, daß ich niemals mit Herrn Biolek kochen würde
Lothar Eder, Mannheim (perturbistan@web.de):


Berta, rief ich in die Küche und Berta antwortete was ist denn und ich sagte Berta, weißt du was mir gerade klar geworden ist und Berta nuschelte ein was denn Per herüber, das nach einer Mischung aus Langeweile und Genervtsein klang. Berta, sagte ich, mir ist gerade klar geworden, daß ich niemals mit Alfred Biolek kochen werde. Ja und? rief Berta aus der Küche, das geht doch den meisten Leuten so und ich weiß gar nicht, ob das wirklich so schlimm ist. Ja schon, antwortete ich, aber es sagt doch etwas aus über, na ja wie bedeutsam man ist, du weißt schon was ich meine. Spätestens bei diesem Satz wurde mir klar, daß Berta natürlich mal wieder nicht wußte, was ich meine. Seit zwei Stunden saß ich im Wohnzimmer und dachte über mein Leben nach. Und stellte fest, daß ich bei der Beschauung meines Lebens einfach nichts zu entdecken vermochte, was mir einigermaßen bedeutsam erschien. Dies betrübte mich. Und es betrübte mich sehr. Berta, machte ich also einen weiteren Versuch, ist das nicht schlimm? Schweigen aus der Küche, einfaches, trockeneiskühles Schweigen. Für eines wäre es natürlich gut, ließ Berta sich doch noch zu einer Stellungnahme hinreißen, wir kämen vielleicht billiger an eine neue Küche ran, eine dieser Alfred Biolek Küchen, und eine neue Küche wäre wirklich nötig, überall klemmt es, die Armaturen funktionieren nicht und du kümmerst dich ja nicht drum. Du kannst ja wieder einen deiner Handwerker holen, Bromski oder wie er heißt, rief ich zurück, damit er mal wieder was repariert, dein Handwerkergott, damit wieder ein wenig Bertaküchenglück einzieht in unser Haus. Du bist ungerecht Per, schalt Berta zurück und so gehts halt manchmal zu bei uns.
Luhmann, unser Kater, eigentlich eine Katze (aber das ist eine andere Geschichte), kam herein und strich mir ein wenig um die Beine. Ach Luhmann, seufzte ich und Luhmann schaute kurz und verständnisvoll zu mir hoch. Denken Katzen über verpaßte Chancen nach, kommt ihnen auch manchmal der Gedanke, sie könnten ihr Leben in den Sand gesetzt, aus ihren Möglichkeiten zu wenig gemacht haben und jetzt ist es zu spät, die Weichen neu zu stellen, längst ist der Lebenszug auf eine Schiene gestellt und rollt nun dahin auf seiner Bahn bis zum Ende, kein Abzweig mehr von diesem Gleis eines unbedeutenden Jedermannslebens? Mir wurde noch schwerer und dunkler ums Gemüt. Es war dies die Zeit im Jahr, in welcher der Ingeborg Bachmann Literaturpreis vergeben wurde, und ich war nicht dabei, wieder einmal war ich nicht dabei, schallte es in mir. Wie auch, kein Verleger kannte auch nur eine Zeile von mir, niemand konnte mich also vorschlagen, gar mich einladen, kein Ingeborg Bachmann Juror aller vergangenen und künftigen Zeiten würde auch nur im entferntesten je von mir hören oder gehört haben, ich war von jetzt an und für alle Zukunft zur literarischen und überhaupt lebensmäßigen Bedeutungslosigkeit verdammt und so schrie ich meinen Schmerz hinüber in die Küche, wo Berta werkelte, Berta rief ich, weißt du, daß ich niemals den Bachmannpreis gewinnen werde? Berta zeigte sich in der Tür. Täuschte ich mich oder schaute sie ein wenig erschrocken? Bachmannpreis, sagte sie, ist das nicht diese stunden- und tagelange öde Leserei und dieses intellektuelle Rumgesülze über irgendwelche Texte, die kein normaler Mensch liest? Ja, rief ich, schon, ich meine nein, natürlich nicht, weißt du der Bachmannpreis – gibt’s dafür viel Geld, unterbrach mich Berta, das wär' natürlich was, da könnten wir ja dann ... Nein Berta, es geht nicht ums Geld, es geht um, na ja, wenn man beim Bachmannpreis dabei ist, dann zählt man was, verstehst du, man hat etwas erreicht, man ist dabei. Aber du schreibst doch so schöne Gedichte, versuchte Berta mich zu trösten, zum Beispiel das mit den Bechern das mag ich sehr, ich verstehs zwar nicht ganz, aber es hat so was, na, so was poetisches finde ich. Das Gedicht heißt "Die Krüge", erwiderte ich, und es ist nicht von mir, sondern von Paul Celan, und das ist wirklich ein wunderschönes Gedicht. Aber niemand kennt meine Gedichte, verstehst du, niemand wartet auf den neuen Per Turbistan, keine Kritikerrunde zerstreitet sich wegen mir, niemand entdeckt Höhen oder Tiefen oder geniale kryptische Verschlüsselungen des Ewigen in meinen Zeilen, ach es ist schrecklich, diese Bedeutungslosigkeit. Ich ließ mich samt meiner anschwellenden Nichtigkeit noch tiefer in die Ikeapolster sinken. Berta setzte sich zu mir und strich mir über den Kopf. Aber du hast doch uns, sagte sie, Luhmann und mich.
Ja, seufzte ich ermattet und in diesen Seufzer legte ich all mein vergangenes und gegenwärtiges Unglück hinein und ließ es langsam entweichen. Ja, ich habe euch, und das ist gut so, sagte ich dann. Denn was hätte ich sonst sagen sollen? Ich dachte an amerikanische Fernsehserien. Dort blickt der Held an einer solchen Stelle auf seine Berta, dann auf seinen Luhmann, dann sieht man sein Gesicht in Großeinstellung, sieht, wie die Augen sich befeuchten und die Lider blinzeln, die Lippen werden zur besseren Emotionsbewältigung zusammengepreßt und dann hören wir ein weiteres Ja, es ist gut so; schwer-bedeutsames Nicken des Helden, in der Regel gefolgt von einer langen Per-Berta-Umarmung. Musik und Abblende. Nur: dies hier war kein amerikanischer Film. Was aber war es dann?
Wieder einmal war es Berta, welche die Situation rettete. Soll ich morgen für dich bei Alfred Biolek anrufen? flüsterte sie mir ins Ohr. Ja, flüsterte ich zurück, sag ihm, daß ich nicht komme. Aus.




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