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Post aus Perturbistan 1: Mehr so haptisch
Lothar Eder, Mannheim (perturbistan@web.de):


Alle zwei Jahre kaufe ich mir einen Anzug. Das mache ich nicht gerne, am liebsten wäre es mir, ich könnte einmal im Leben meine Garderobe zusammenkaufen und dann wäre Ruhe. Aber die Vergänglichkeit oder wer auch immer haben es anders eingerichtet. Den Vorgang des Garderobenerwerbs bringe ich gerne so schnell wie möglich hinter mich: Und am liebsten ist es mir, wenn ich in ein Geschäft hinein gehe, das Passende auswähle, zahle und gehe.
Aber da fängt es schon an. Herrenbekleidungsabteilungen befinden sich niemals im Parterre, bei Schuhen ist es genauso. Herren sind oben. Ein Ergebnis der Frauenbewegung? Das wäre ja ein Widerspruch in sich, schließlich bewegt sich am wenigsten, wer nur ins Parterre hineinrutschen muss. Jaja, ich weiß, Frauen legen viel größere Laufstrecken zurück beim Garderobenerwerb. Drei Dutzend mal zum Blusenständer und dann die Strecken hin und her vor dem Spiegel. Und Du findest wirklich die andere besser? Wir kennen das. Also gut, ich habe mich ja eh schon lange damit abgefunden, Herren sind also oben. Ohoh, ich merke gerade, man muss ganz schön aufpassen, was man schreibt. Herren sind weiter oben, damit bin ich aus dem Schneider, glaube ich. Schneider, Anzug, zurück auf dem Pfad.
Also, ich will einen Anzug kaufen und habe das richtige Stockwerk gefunden. Vor den Anzugerwerb hat das Leben den Anzugverkäufer gesetzt. Und dabei hat es sich etwas gedacht. Aber was? Die Anzugverkäufer, denen ich begegne, glänzen sämtliche durch Arroganz. Sie ignorieren mich, lächeln gnädig-herablassend, wenn ich mit drei Sonderangebotsanzügen überm Arm danach frage, wo die Umkleidekabinen sind, stecken - ohne zu fragen - zwei Finger in den Hosenbund (in meinen) und sagen dann: von der Weite ist er gut. Wer? Der Anzug? Ich? Heute ergeht es mir nicht besser. Beim Kleidungskauf stelle ich zudem immer wieder fest, dass die Zeiten schneller sind als ich. Kaum habe ich mich an die Gestaltung, den Schnitt eines Kleidungsstückes gewöhnt und will ein neues, zusätzliches erwerben, hat die Mode schon wieder gewechselt. Ich möchte einen neuen Anzug, er soll aber genau so sein wie der alte.
Denkste. Ich wähle zwei Anzüge aus, werde gnädig zur Umkleidekabine gewunken, steige in die Hose, verstaue das Hemd, ziehe die Schuhe an und merke: etwas stimmt nicht. Um den Bund herum fühlt diese Anzughose sich anders an als die alte. Hilfesuchend wende ich mich an den Verkäufer. Der denkt natürlich gar nicht daran, dezent in der Nähe zu bleiben, um mich in diesen schweren Augenblicken zu begleiten. Weit weg steht er, telefoniert, mit wem? Langsam kommt er nun auf mich zu. Wunderbar sagt er, passt! Ich gehe unwillkürlich einen Schritt zurück, um die üblichen zwei Finger hinter dem Hosenbund zu vermeiden. Aber, wende ich ein, es fühlt sich nicht gut an. Welch lächerlicher Einwand, sagt der Blick des Verkäufers, milde Verachtung umspielt seinen Mund. Es ist obenrum so eng, will ich erklären, mein alter Anzug, also alt ist er nicht, vor zwei Jahren habe ich ihn gekauft, just hier, in diesem Geschäft, in dieser Abteilung. Ja, Bundfalte trägt man heute nicht mehr, unterbricht mich der Verkäufer, sein Blick ist in die Ferne gerichtet, in eine Anzugsverkaufswelt mit hoher Kundencompliance, damals waren die Hosen viel breiter, sagt er, und vielleicht haben Sie ja auch mehr Gewicht? Frechheit! Sage ich nicht (warum eigentlich nicht?), denke ich zumindest. Aber sieht gut aus, mehr sollte es obenrum nicht sein. Meint er jetzt mich oder die Hose? Ich unternehme einen weiteren Versuch. Ja, und so was breiteres, ich meine mit Bundfalte haben Sie nicht mehr? Ach!, der Verkaufsmensch macht eine wegwischende Handbewegung, heute hat man das viel jugendlicher, ja, die schwarzen Anzüge mit Weste, die gibt es noch mit Bundfalte. Das ist Gewöhnungssache, wissen Sie, das spüren Sie gar nicht, das ist rein visuell.
Ich will protestieren, mein Fühlen, Spüren einbringen in diesen Dialog, verstanden werden, angenommen, Alternativen sollen gesucht und gefunden werden. Eine Kollegin des Verkäufers kreuzt unseren Standort, sie hat offenbar alles mitbekommen. Ich suche ihren Blick, eine Frau, sie wird mich verstehen, mich bei meinen Gefühlen abholen. Jaja, sagt sie, heute trägt man die Hosen viel jugendlicher, und die nächste Saison bleibt es so, das habe ich gerade erst auf der Messe gesehen. So ist es immer. Das woran ich mich gewöhnt habe, wechselt schnell und dann bleibt es lange bei der Ungemütlichkeit, z.B. bei jugendlichen Hosen. Aber das ist rein visuell, nimmt der Verkäufer das Gespräch wieder auf. Ich fühle mich aber nicht wohl darin, sage ich. Ich betone Fühle und Darin, um ihm noch einmal eine Empathiesteilvorlage zu geben. Vergebens, mit einem weiteren "das ist rein visuell" zernichtet der Verkaufsmensch jede adäquate Komplementarität zwischen uns. Nein, sage ich, das ist nicht visuell, das ist haptisch! Wenn ich schon keinen Anzug habe, dann wenigstens Recht. Aber da steht er schon wieder am Telefon und gibt irgendwelche Zahlen durch. Wahrscheinlich die aktuelle Jugendlichkeitsstatistik, rein visuell natürlich, ohne Bundfalte. Ich probiers in zwei Jahren wieder. Aus.



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