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Nachruf auf Rolf Thissen (gestorben am 5.4.2009)
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Barbara Schmidt-Keller und Rudolf Klein, Merzig (SGST: Wir trauern um Rolf Thissen
Am 5. April 2009, Sonntagmorgens irgendwann nach 8 Uhr, ist Rolf Thissen gestorben. Wenige Wochen zuvor war er zum dritten Mal an Leukämie erkrankt. Er hatte den ersten Chemotherapie-Zyklus ertragen, eine Lungenentzündung war noch nicht wieder abgeklungen und am nächsten Tag sollte der 2. Zyklus beginnen. Er wusste, dass der erste Behandlungszyklus erfolglos geblieben war. In den neu gebildeten Zellen war ein hoher Prozentsatz Tumorzellen und Rolf als Mediziner konnte einschätzen, was das bedeutete. Er kommentierte das Ergebnis mit den Worten: „Die Leukämie ist stärker als die Chemo.“ Er schien im Einverständnis mit dem Unvermeidlichen zu sein. Er ließ sein Leben los, obwohl er um all das wusste und trauerte, woran er jetzt keinen Anteil mehr würde nehmen können. Ganz im Vordergrund stand hier seine Bindung an seine Frau und seine Kinder. Rolf hatte 3 Töchter, eine junge erwachsene Tochter aus erster Ehe und 2 Töchter aus seiner zweiten Ehe, die mit 6 und 10 Jahren ihren Vater noch lange gebraucht hätten. Er war sich dessen bewusst und doch dankbar für die 6 Jahre, die seit der Ersterkrankung vergangen waren, und in denen er die Kinder und die Kinder ihn erleben und Erinnerungen und Bilder sammeln konnten. Es war keine unbeschwerten 6 Jahre. Rolf war 2003 zum ersten Mal schwer erkrankt und hatte mit allergrößter Skepsis der Behandlung zugestimmt. Die Nebenwirkungen der Chemotherapie und der Knochenmarktransplantation brachten ihn an den Rand seiner Möglichkeiten, diese zu ertragen, und sicher oft über diese Erträglichkeitsgrenze hinaus. Er erholte sich von dieser ersten Behandlung nur sehr langsam. Zum ersten Mal sah ich (Barbara) ihn wieder kurz vor Weihnachten, ca. 8 Monate nach der Diagnose. Er kam mit seiner Frau zu einem gemeinsamen Essen unseres Instituts und ich begegnete ihm vor der Tür. Sein Blick hatte sich verändert und etwas Fernes bekommen. Diese Art zu blicken, erinnerte mich an meinen Großvater, der nach langen Kriegs- und Gefangenschaftsjahren nur noch im Sessel gesessen und auf beklemmende Art in eine unbestimmte Ferne geschaut hatte. In den folgenden Monaten nahm er seinen Platz im Leben wieder ein. Er begeisterte sich wieder für das, wofür er sich immer begeistert hatte und er ärgerte sich und grollte auch wieder über ähnliche Dinge wie vorher. Er war in gewisser Weise wieder „der Alte“ – und gleichzeitig nicht. 2006 erlitt er einen ersten Rückfall. Trotz großem Zweifel am Sinn dieser erneuten Tortur stellte er sich dieser chemotherapeutischen Behandlung. Auch diese Zyklen brachten ihn in den Grenzbereich zwischen Leben und Tod und er überlebte wieder nur knapp. Zu seiner und unser aller Überraschung erholte er sich dieses Mal viel schneller, wirkte hoffnungsvoll und nahm seine Position als Chef der Psychiatrie in Wallerfangen wieder ein. Er arbeitete mit Engagement in der Klinik und war im Rahmen der SGST als Vorsitzender und als Lehrtherapeut in den folgenden 3 Jahren erneut präsent. Es sollten seine letzten Lebensjahre werden. Wir lernten Rolf 1986 am Rande des legendären Forums „Lebende Systeme“ der damaligen IGST in Heidelberg kennen. Gunthard Weber machte uns bekannt. Voller Erstaunen stellten wir fest, dass in der kleinen Kreisstadt Merzig gleich vier Menschen zu finden waren, die sich mit dieser noch selten anzutreffenden Methode beschäftigten. Rolf erzählte uns, dass er mit seinem Kollegen Peter Michael Glatzel erste Versuche in systemischer Therapie im Rahmen der Psychiatrie machte. Wir verabredeten ein erstes Treffen und daraus ergab sich eine kleine Arbeitsgruppe, die sich regelmäßig donnerstags in einer verlängerten Mittagspause traf. Wir zeigten uns gegenseitig Videos aus unseren Therapiesitzungen und gaben uns kollegiale Supervision. Dazu gab es Vollkorngebäck und Demeter- Malzkaffee. Es dauerte auch nicht lange, bis wir mit Live-Interviews in der Psychiatrie experimentierten. Die Keimzelle der späteren SGST hatte sich gebildet. Wir gründeten die SGST 1988. Rolf war daran maßgeblich beteiligt. Er wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt und blieb dies bis zu seinem Tod. Von 1997 bis 2002 war er als zweiter Vorsitzender Mitglied im Vorstand der Systemischen Gesellschaft. Rolf war ein ungewöhnlicher Mensch mit unterschiedlichen Seiten. Einerseits konnte er klar, schnell und sehr präzise argumentieren und komplexe Sachverhalte analysieren und kommunizieren. Er war scharfzüngig, beißend und im Konflikt rückte er kaum einen Millimeter von seiner Position ab. Wenn sein Humor dann aber wieder zum Vorschein kam, war in der Regel Tauwetter. All das prädestinierte ihn in besonderer Weise zu einem methodischen Vorgehen, dem seit Jahren sein Interesse gehörte: der provokativen Therapie. Er entwickelte hierin Leidenschaft und Leichtigkeit, ein Können, von dem ich (Rudi) selbst profitiert habe: Als vor einigen Jahren die Verteidigung meiner Dissertation terminiert war und mir weder das Procedere noch die anwesenden Prüfer bekannt waren, holte ich mir Rat bei Kollegen, die eine solche Prozedur bereits hinter sich gebracht hatten. So fragte ich auch Rolf. Er hörte sich meine Unsicherheiten, Ängste und Fragestellungen an. Dann fragte er nach meinen größten Befürchtungen. Die bestanden natürlich darin, als unwissend, schlecht vorbereitet, dem Thema nicht gewachsen zu erscheinen und durchzufallen. Er hörte schweigend zu, machte eine lange Pause, rieb sich am Kinn, schaute mir lange in die Augen und sagte mit allem Ernst: „Tja. Es muss halt auch Verlierer geben.“ Ich musste lachen und dieser Satz inklusive der affektiven Verknüpfung begleitete mich bis zur und durch die Prüfung. Diese bestand ich mit großer Gelassenheit. Rolf war auch fürsorglich und hilfsbereit. Wenn man seinen medizinischen Rat brauchte, war er ein geduldiger und unterstützender Freund. Er besprach sich mit Kollegen aus anderen Fachgebieten und nutzte seine Kontakte, um uns in diversen Krisen zu unterstützen und beizustehen. Im Dezember 2008 war er nach der wissenschaftlichen Anerkennung der Systemischen Therapie begeistert und voller Tatendrang. Schnell begann er die jetzt erforderlichen Schritte zu durchdenken und brachte seine Ideen und Positionen als Diskussionsgrundlage zu Papier. Im gleichen Monat erkrankte er an einer Bronchitis, die nicht ausheilen wollte. Eine spezielle Diagnostik erbrachte im März den Befund eines erneuten Leukämie-Rückfalls. Dieses Mal unterzog sich Rolf schnell und ohne Zögern einer chemotherapeutischen Behandlung. Der erste Zyklus schwächte ihn so sehr, dass er den zweiten Zyklus nicht mehr erlebte. Er starb im Bewusstsein seines nahen Todes. Wir schreiben diese Zeilen in Trauer und Betroffenheit. Wir verlieren in ihm einen guten Freund und Kollegen. Er wird uns fehlen.
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