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Nachrufe auf Steve de Shazer (25.6.1940 - 11.9.2005)

Steve de Shazer
Am 11.9.2005 ist Steve de Shazer, der Begründer des so genannten "Lösungsorientierten Ansatzes" in der Psychotherapie, im Alter von 65 Jahren in Wien an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. In Wien hielt er sich aus Anlass eines geplanten Workshops auf. Genauere Informationen sind dem nachfolgend zitierten Brief von Ferdinand Wolf aus Wien an die systemische Mailing-Liste zu entnehmen, der in den letzten Stunden bei Steve de Shazer war.

An dieser Stelle aber zunächst ein Nachruf von Joachim Hesse sowie ein kurzes Gedenkwort von Joachim Hinsch, Leiter des Wiener Instituts für Ehe- und Familientherapie:


Joachim Hesse, Euskirchen:

Er ist gestorben, wie er gelebt und gelehrt hat; mit Schalk in den Augen und einem ernsten Witz schied er aus dem Leben. Nach einem von Ferdinand Wolf gewünschten „Good night“, antwortete er: „May be not GOOD night, but NOT TOO BAD night“.
Wer ihn als Mensch und Ausbilder gekannt hat, spürte immer, dass seine unbestechliche Klarheit mit Liebe gepaart war. Dies hatte nichts mit einem simplifizierenden Optimismus, geschweige denn, etwas mit „positivem Denken“ zu tun.
Ein Beispiel für seine liebevolle Klarheit war die Art und Weise, wie er die Wunderfrage (man muss ja nicht an Wunder glauben, damit sie passieren) stellte. Immer wieder die gleiche Frage so neugierig und wundersam zu stellen, dass Klient und Therapeut in  Bann gezogen werden, ist ein wirkliches Wunderwerk.
Damit sich die Kraft der Wunderfrage wirksam entfalten kann, legte Steve großen Wert darauf, dass die Frage nicht originell, sondern originalgetreu – also weder kopierend, noch ausinterpretierend – gestellt wird. (Wer sich für die Originalversion  der  Wunderfrage  interessiert,  kann sie sich von:  J. Hesse, Sternenstr. 1, 53881 Euskirchen zuschicken lassen.) In dieser Hin-Sicht war Steve sehr genau und ganz und gar nicht konstruktivistisch.
Die Strenge und Lockerheit von Steve’s Fühlen, Denken und Handeln entspringt meines Erachtens einem holistischen Realismus. Unabhängig von seinen (de-)konstruktivistischen Erkundigungen, gewann ich im Laufe unserer mehr als 15-jährigen freundschaftlichen Zusammenarbeit den Eindruck, dass er alles andere als ein postmoderner Beliebigkeits-Relativist gewesen war.
Auf einem von uns veranstalteten Symposium in Köln machte er unmissverständlich klar, dass er konstruktivistische Ideen lediglich als nützliches Werkzeug gebrauchte, um den Therapieprozess reflexiv beschreiben zu können. Ein normativer und unrealistischer Gebrauch konstruktivistischer Ideen war ihm fremd. Dazu war er zu sehr Realist. „It’s too simple, to be unrealistic“, war einer seiner Kommentare.
Er verwendete das Wort „Konstruktivismus“ im Dienste der Realität: zur Erkundung von Wirklichkeitskonstruktionen und zu Realisierbarkeitserkundungen realistischer Lösungswege.
In diesem Sinne reagierte Steve in den Seminaren sehr erstaunt, wenn er nach dem Aspekt von Gefühlen im Therapieprozess gefragt wurde. Solche Fragen empfand er als etwas Trennendes. Denn Gefühle konnten für ihn nicht – z. B. durch „Gefühlsarbeit“ – von der Realität des Menschen abgespalten werden. Wer ihm nah genug gegenüber saß, konnte sehen und erleben, wie feinfühlig er z. B. mit seinen großen staunenden Augen auf einen einging und gleichzeitig dabei frei ließ.
Diese wunderbare Art seiner Geborgenheit der Distanz werde nicht nur ich schmerzlich vermissen. Mit ihm ist eine  Ausnahmepersönlichkeit verstorben. Sein Tod ist eine Zäsur."


Joachim Hinsch, Wien:

"Steve de Shazers plötzlicher Tod hat hier in Wien uns alle in tiefe Bestürzung gestürzt. Die Nachricht löste sofort einen Sturm im Telefonnetz aus. Viele Anrufe waren nicht nur Nachricht, sondern entsprangen auch der Sorge, wen man jetzt unbedingt benachrichtigen muss. So etwas löst nicht jemand aus, der bloß sehr bekannt oder berühmt ist, sondern offensichtlich war er für viele, selbst wenn sie ihn nicht persönlich gut kannten, ein lieb gewordener großer Freund, ein großer Bruder geworden.
Seine Idee, nicht das System "Problem" sondern das System "Lösungen" anzuschauen, hat in der Szene einen Erdrutsch ausgelöst. Danach war nichts mehr wie vorher. Er hat damit so tiefe Spuren hinterlassen, wie es nur ganz wenigen Menschen vergönnt ist: Er hat das Denken verändert.
Aber sein Tod lässt diesen Weg nur schwer finden. Der Verlust ist zu groß, um schnell wieder in Lösungen denken zu können."


Und hier der Brief von Ferdinand Wolf im Wortlaut:

"Liebe Freunde von SYSTEM-L,

Steve sollte gestern und heute ein Seminar in Wien gestalten. Er kam Samstag nachmittags von London nach Wien. Wir hatten vor zwei Wochen vereinbart kurz nach seiner Ankunft - wie immer -.gemütlich bei Bier und gutem Essen zusammenzusitzen und über Gott und die Welt zu plaudern. Ich wurde von der Flughafenambulanz zu Hause kontaktiert (Steve wollte alleine vom Flughafen ins Hotel kommen), daß Steve in einem kritischen Zustand sei. Ich ersuchte, ihn mir ans Telefon zu geben. Er übermittelte mir - bereits schwer atmend - seinen dringenden Wunsch nach ärztlicher Hilfe. Wir entschieden, daß er sofort in ein Krankenhaus kommen sollte. Ich kam auch dort an, als er eingeliefert wurde.
Wir konnten noch kurz sprechen. Er war bereits an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Das Sprechen strengte ihn sehr an.Ich hielt ihn an der bereits mit mehreren Schläuchen versehenen Hand. Steve sagte, daß er sehr froh wäre, mich jetzt bei sich zu haben. Der Flug wäre für ihn schrecklich gewesen. Er war bereits in London etwas verkühlt gewesen. Ich sollte versuchen, ihm ein Telefon zu besorgen und wenn möglich die Gruppe in Wien, aber auch Insoo und Harry Korman in Malmö zu kontaktieren. Ich versprach ihm das alles zu tun. Der Arzt ersuchte mich bald zu gehen, da Steve offensichtlich an einer schweren Pneumonie litt. Steve ersuchte mich noch einwenig zu bleiben und ihm von meiner Familie und meinen derzeitigen Projekten zu erzählen. Nach einigen Worten ersuchte mich der Arzt das Zimmer zu verlassen. Wir verabschiedeten uns in der für Steve bezeichnenden humoristischen Art. Nach meinem "Good night!" antwortete er "Maybe not GOOD night, but NOT TOO BAD night". Ich stellte mich den Ärzten als Verbindungsperson zur Verfügung und ersuchte sie, mich über alles auf dem laufenden zu halten. Zwei Stunden später erlitt er einen septischen Schock. Er wurde in künstlichen Tiefschlaf versetzt und erhielt Antibiotika, da sein Immunsystem nicht funktionierte. Sonntag vormittag war Steve noch immer im Tiefschlaf. Sonntag nachmittag kam Insoo per Flugzeug von Kopenhagen. Ich holte sie vom Flughafen ab, von wo wir sofort ins Krankenhaus fuhren. Steve's Zustand verschlechterte sich zusehends. Er verblieb weiterhin im Tiefschlaf unnd sollte nicht mehr aufwachen. Insoo verblieb bei sehr lieben Freunden von uns beiden in Wien, da ich 40 km außerhalb von Wien wohne. Um 23 Uhr wurde ich vom Spital kontaktiert, daß sich der Zustand weiter verschlechtere und in absehbarer Zeit mit dem Tod von Steve zu rechnen sei. Ich informierte sofort Insoo, sodaß sie noch rechtzeitig bei Steve sein konnte und er um 23.47 in ihrem Beisein starb. Wir haben dann gestern gemeinsam mit den beiden Freunden, Marianne Rössler und Wolfgang Gaiswinkler alle organisatorischen Belange im Spital und auch außerhalb erledigt. Heute wird Insoo zur Botschaft und zum Bestattungsinstitut gehen. Sie hat entschieden eine Feuerbestattung in Wien durchführen zu lassen, um die Urne dann nach Milwaukee zu überführen.
Es ist beindruckend wie Insoo in ihrer unnachahmlich bescheidenen Art mit der Trauer über den Tod von Steve umgeht und zurechtkommt. Auch sie ist froh, hier nicht alleine zu sein. Sie ist auch stark beeindruckt und berührt über die unglaubliche Anteilnahme aus aller Welt und ersucht mich Euch /Ihnen ihren Dank dafür zu übermitteln.
Es ist für mich noch immer unfaßbar einen derartig außergewöhnlichen Menschen, Freund, Lehrer, Kumpel und Spiritus Rektor wie Steve verloren zu haben. In meinem Herzen wird er immer bleiben.

Ferdinand Wolf"



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