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Edelgard Struß: Winterwanderland
Am Sonntag nach dem 9. November 1989 sind mein Mann, ein Freund, mein Bruder und ich von Frankfurt aus in die Rhön gefahren, um zu wandern. In der grauen Luft gingen wir an einem Waldrand entlang, dann über eine Weide und stießen schließlich auf einen Weg, auf dem noch andere Leute unterwegs waren, alle in eine Richtung. Als wir ihnen nachgingen, kamen wir zu diesem endlosen bewachten Doppel- und Dreifachzaun, der damaligen Grenze. Hinter diesem Zaun auf einem wenige Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze, so wurde erzählt, lebten Leute, die nicht nur in die DDR eingesperrt waren, sondern sich ohne eine Sondergenehmigung weder aus ihrem Grenzland herausbewegen noch Besuch empfangen durften. Jetzt hatte sich an einer Stelle des Zauns, in dem sich eine Art Gartentor befand, eine kleine Schlange von Westdeutschen gebildet, die einer nach dem anderen durch das Tor traten, ein paar Meter über einen Holzsteg schritten und an deren Ende einen Grenzposten passierten, der von jedem 10 Mark bekam. Er sah verlegen aus und war bestimmt jemand, der abends zum Dienstende das ganze Eintrittsgeld bei seinem Vorgesetzten abliefern würde.
Kaum waren sie drüben, stiefelten die meisten Leute lachend auf dem Brachland herum, blieben aber in der Nähe des Zauns, als wollten sie das Ende der Öffnungszeit nicht verpassen. Wir wanderten in der aufkommenden Dämmerung weiter auf einem Feldweg, der nach einem knappen Kilometer in ein Dorf führte mit kleinen beigegrauen Häusern und beigegrauen Zäunen in einer beigegrauen Dezemberluft, die nach Kohlenfeuer roch. Es gab eine Kneipe dort, in der es aussah wie jenseits des Zauns im Hessen der 50er Jahren: Holztische, Holzstühle, kahle Wände, ein Bullerofen aus Metall und Fensterscheiben, an denen das Kondenswasser herunterrann. Auch die Menschen, in der Mehrzahl Männer, sahen für uns aus wie in der Zeit stehen gebliebene Gestalten: derbe Landarbeiter mit abgegriffenen Schirmmützen auf den Köpfen, die rauchend und Bier trinkend wie all die Jahre ihren Sonntagnachmittag im Wirtshaus verbrachten und sich laut unterhielten. Mit der größten Selbstverständlichkeit wurde für uns ein Tisch geräumt und, als sei das alles nichts Besonderes, die Gespräche fortgesetzt, während man beobachtete, was wir uns zu trinken bestellten. Schmeckt das Bier? fragte einer fröhlich, hob den Krug und prostete uns zu. Wir prosteten zurück und ich hatte den Eindruck, ich wäre durch das Zuprosten auf einmal Bestandteil einer Ausstellung geworden, für die ich noch vor einer halben Stunde selber Eintritt bezahlt hatte. Und dann dachte ich noch: wenn die jetzt aus irgendwelchen Gründen die Grenze wieder zu machen, dann sitze ich bis an mein Lebensende im falschen Jahrzehnt mit meinem Mann, dem Freund, meinem Bruder und diesen Leuten auf diesem Grenzstreifen, wo ich doch einfach nur wandern gehen wollte. Da bekam ich einen Schluckauf.

Edelgard Struß, Dezember 2009



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