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Franziska Becker: Berlin lebt, die Mauer ist gefallen - oder ein schöner dichter Tag
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Der 9. November 1989 war ein Donnerstag. Ich verbrachte den Tag zunächst im Travemünder Maritim-Hotel auf der Gesamtbetriebsrätekonferenz der Volksfürsorge Deutsche Lebensversicherung AG. Zu der Zeit befand ich mich in der Berufsausbildung zur Versicherungskauffrau und vertrat als Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertreterin die Interessen der Azubis. Dort wurde die ganze Woche immer wieder über die mutige Bevölkerung im Osten diskutiert – auch als gutes Vorbild für die (west)deutschen Arbeitnehmer, den schleichenden Abbau der Mitbestimmung nicht länger hinzunehmen. Wie lange würde es noch dauern, bis die Mauer fällt? Die frühabendliche Rückfahrt im Zug brachte ein anregendes Gespräch mit einem Russischprofessor von der Freien Universität (der mir 50 D-Mark lieh, weil ich irgendwie kein richtiges Ticket hatte). Das ostdeutsche Bahnpersonal verhielt sich ungewohnt, nicht richtig unfreundlich, etwas unsicher, sehr vorsichtig, so mein Eindruck. Zuhause ging ich gleich ins Bett, weil die Woche anstrengend war (besonders gut lassen sich Arbeitnehmer-Interessen beim Bier diskutieren). Gegen 21.00 Uhr rief mein damaliger Freund an und sagte, „er guckt sich das jetzt mal an, was da los ist“, ich könne ja mitkommen. Ich fiel aus allen Wolken. So weit reichte meine Vorstellungskraft nicht, dass der eiserne Vorhang sich doch so schnell öffnen könnte. Als ich zu meinen Eltern ging (ich wohnte noch zuhause), um kundzutun, was los ist, war meine Mutter wenig überrascht und meinte müde, sie hat das erwartet. Damals arbeitete sie in der Schöneberger Senatskanzlei und die politischen Akteure waren längst auf „etwas“ eingerichtet. Nicht erst dank Günter Schabowski konnten in Kürze ständige Ausreisen über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu West-Berlin erfolgen, ohne Vorliegen von Voraussetzungen – und: unverzüglich. Beim SFB konnte die Live-Übertragung der Pressekonferenz mit Günter Schabowski miterlebt werden. Kurz vor deren Ende teilt er den erstaunten Journalisten mit, dass ab sofort Westreisen für jedermann möglich sind. Viele DDR-Bürger sehen die Mitteilung im Fernsehen. Wir gingen zunächst durch den Übergang Invalidenstraße in Tiergarten (ich kann mich nicht erinnern, ob und wie wir kontrolliert wurden). Es war unglaublich, alles war so einfach, so leicht. „Drüben“ war es ruhig, dunkel, nur die roten Lampen leuchteten (energie)schwach den Weg. Wir liefen ein Stück die Karl-Liebknecht-Straße lang, vorbei an einer Straßenbahnhaltestelle hinter dem Gorki-Theater. Es war still, etwas unheimlich; kein Mensch zu sehen, mir war fad, wir gingen zurück in den „Westen“, wo schon etwas mehr lost war, obwohl die o.a. Reiseregelung erst am Folgetag um 4.00 Uhr eintreten sollte. Die ersten DDR-Bürger kamen ab 21.30 Uhr in den Westen. Die Stimmung war positiv, tendenziell abwartend, die ganz große Euphorie kam erst in den folgenden Stunden und Tagen. Im frühen Morgengrauen lief ich weiter zur Mauer am Brandenburger Tor. Es war nun schon recht voll, immer mehr Menschen kamen. Langsam rückten die Medienvertreter an. Auf die Mauer wollte ich unbedingt; solch ein historisches Moment wollte ich mir keinesfalls entgehen lassen. Heute oder nie. Der erst Sekt wurde getrunken, das Glück war nicht in Worte zu fassen. Dort blieb ich bis sieben Uhr, weil ich in die Berufsschule musste. Sie war unweit, nur ein paar Meter weiter in Moabit. Als ich dort ankam, war alles wie immer, nur anders. Ich war schockiert. Hören die Leute kein Radio, sehen kein TV? Nur mein Lieblings-Fachkundelehrer stand am Eingang und war völlig emotionalisiert, konnte die Tränen nicht zurückhalten. Mit ihm liefen wir zur Invalidenstraße um mal zu „gucken“, um „Trabis zu klopfen“ (bemerkenswert sind die vielen neuen Ossi-Wessi-geprägten Worte, die zu der Zeit entstanden). Die nächsten Tage blieben für mich unwirklich und vergingen wie im Traum. Samstag Vormittag stand unsere „DDR-Verwandtschaft“ spontan vor der Tür, um sich das Begrüßungsgeld abzuholen und um zu „gucken“. Wir reichten uns die Hände. Eine weitere Erinnerung an diese Tage ist das Luft-Gemenge: Es war kalter November (knapp über 0 Grad) und es wehte kaum Wind (Inversionswetterlage). Dazu kamen die Tausenden von Trabis, die in die Stadt kamen. Ein unvergessener Geruch, den es nie wieder geben wird. Mein Charlottenburger Wohnumfeld stand Kopf: Vor Banken und der Post warteten überall unendlich lange Schlangen mit Menschen, die ihre 100,- D-Mark-Begrüßungsgeld abholten. Die Auszahlung des Begrüßungsgeldes durch Banken und Sparkassen ordnete noch in der Nacht zum 10. November der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, an. Meine Mutter ließ sich gerne freiwillig zum Geldausteilen im Rathaus disponieren. Verrückte Zeit. Ein weiterer emotionaler Höhepunkt war für mich einen Tag später der Auftritt und die Rede Willy Brandts vor dem Schöneberger Rathaus. Er durfte „es“ und ich „ihn“ erleben.
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