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Christoph Schmidt-Lellek: Mauerfall und Reichsprogromnacht
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Diese Tage habe ich in prägnanter Erinnerung, weil ich mich mit einer ganz anderen unüberwindlich erscheinenden „Mauer“ befasst habe, nämlich der zwischen Juden und Deutschen. Es war die zweite Wuppertaler Tagung zum Holocaust, veranstaltet von der Universität Wuppertal in Zusammenarbeit mit dem israelischen Psychologen Dan Bar-On, Professor an der Universität Beer-Sheva. Daran teilgenommen haben u.a. etliche Mitglieder einer Dialoggruppe zwischen Kindern von Holocaust-Opfern und Kindern von Nazi-Tätern, die Bar-On ins Leben gerufen hat. In dieser außerordentlich dichten und spannungsreichen Atmosphäre war die Erinnerung an die genau 51 Jahre zurückliegende „Reichspogromnacht“ als Beginn der handfesten Judenverfolgung und -vernichtung sehr präsent. Thema dieser Tagung waren nicht nur wissenschaftliche Untersuchungen über die Nachwirkungen der Nazizeit in Deutschland und in Israel, sondern auch Konzepte, wie diese Spuren in der Seele der Nachgeborenen verarbeitet und überwunden werden können – angefangen bei der Anerkennung der historischen Tatsachen, die bis heute noch nicht unbestrittenen sind (siehe Bischof Williams), bis hin zur emotionalen Bewältigung des Bewusstseins, dass die Eltern sich an unvorstellbaren Verbrechen beteiligt haben. Die Begegnungs- und Dialoggruppen sind ein Teil dieses Prozesses der Verarbeitung. Ich bin von Dan Bar-On zu dieser Tagung eingeladen worden, weil ich zusammen mit meiner Kollegin Barbara Heimannsberg ein Jahr zuvor ein Buch über die Wahrnehmungen der psychischen Auswirkungen der Nazivergangenheit in der Psychotherapie herausgegeben habe („Das kollektive Schweigen. Nationalsozialistische Vergangenheit und gebrochene Identität in der Psychotherapie“, 2. erw. Aufl. 1992). Ende der 80er Jahre gab es viele erneute Bemühungen um eine Aufarbeitung der Nazizeit, um eine differenzierte Wahrnehmung ihrer Spuren in unserer Gesellschaft. Im Zusammenhang mit diesen Diskussionen hörte ich 1988 in einem Rundfunkgespräch mit dem jüdischen Philosophen Hermann Levin Goldschmidt den Satz: „Die Nach-Hitler-Zeit fängt jetzt an.“ Als am Morgen des 10. November unter den Teilnehmern der Tagung die Nachricht von den Ereignissen der letzten Nacht kursierte, sagte ich mir nach einem ersten ungläubigen Erstaunen: Das passt ja – auch damit zeigt sich, dass die Nach-Hitler-Zeit jetzt anfängt.
Die Vorträge der Wuppertaler Tagung sind dokumentiert in: Konrad Brendler & Günter Rexilius (Hrsg.): Drei Generationen im Schatten der NS-Vergangenheit (Bd. 4 der Schriftenreihe des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften). Wuppertal: Gesamthochschule Wuppertal, 1991.
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