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Hartwig Hansen: Direkt von der Arbeit ...
„Europa? Find ich gut!“ hieß das Kabarett in der Bonner „Brotfabrik“ an diesem Abend, zu dem ich mit Alexander, meinem Freund aus gemeinsamen West-Berliner Tagen, verabredet war.
Aber es sollte alles anders kommen.
Denn als ich in der „heute“-Sendung im ZDF die Menschen am Brandenburger Tor sah und die Nachrichten dazu von Ruprecht Eser hörte, spürte ich die Tränen aufsteigen und den Impuls: „Da musst Du hin!“ Warum ich bei den Bildern der Glückstrunkenen an der Mauer plötzlich weinen musste, war mir schleierhaft. Das waren doch Nachrichten im Fernsehen, warum ging mir das denn so nahe? Zum Nachdenken hatte ich aber keine Zeit. Denn jetzt lief alles „wie im Film“, wie von selbst. Ich fuhr zur „Brotfabrik“ und wartete ungeduldig auf Alexander.
Seine Reaktion ist lapidar: „Das ist nicht dein Ernst!“ Er weiß noch von nichts. Ich rede auf ihn ein: „Die Mauer ist auf. War gerade in den Nachrichten. Da müssen wir doch hin. So was wird es nie wieder geben ... Lass uns zum Flughafen fahren und ’ne Maschine nach Berlin nehmen. Ich zahl’ den Flug und du die Taxe zum Brandenburger Tor!“
„Ich hab doch gar keinen Ausweis dabei.“ – „Dann holen wir ihn eben noch.“
Nach ein paar weiteren Drängel-Sätzen von mir sagt er schließlich: „Okay, lass uns beim Flughafen anrufen.“ Der Münzapparat (ja, damals gab’s das noch ...) macht Zicken und die Nummer des Kölner Flughafen ist laufend besetzt.
„Egal, lass uns fahren, die letzte Maschine geht um viertel vor zehn.“
Und wir brettern nach Bad Godesberg, holen Alexanders Ausweis – wir haben ja keine Ahnung, dass sich an diesem Tag niemand mehr dafür interessieren wird – und sind eine halbe Stunde später auf der Autobahn.
Kurz vor Köln-Wahn (!) sagt Alexander, als ich ihm noch mal alles aus den Nachrichten und das mit den Tränen erzählt habe: „Du hast Recht, wir sind heute wohl wirklich in der falschen Stadt.“
Wir stürmen zum Schalter: „Haben Sie noch zwei Plätze nach Berlin?“
Die Dame schaut in unsere aufgeregten Gesichter und bleibt gelassen: „Nur noch Clubklasse. Sonst ist alles ausgebucht.“
„Und es ist der letzte Flug heute?“ Sie verzieht keine Miene: „Ja!“
„Dann nehmen wir die Plätze.“
Wir albern rum wie kleine Jungs bei einem Streich auf dem Schulhof.
Wir fliegen nach Berlin und können es nicht erwarten.
„Du zahlst die Taxe!“, erinnere ich Alexander, nachdem wir in Tegel gelandet sind.
Aber es steht keine Taxe vor dem Flughafengebäude, wo sich sonst hunderte drängen. Alle unterwegs. Berlin im Ausnahmezustand! Und wieder geht alles wie von selbst. Wir fragen ein Pärchen: „Können Sie uns wohl in die Stadt mitnehmen? Wir sind aus Bonn und wollen zum Brandenburger Tor.“ Der Mann lächelt verlegen-abwehrend, aber die Frau sagt: „Steigt ein, wir fahren zum Kudamm.“
Auch gut!
Auf dem Stadtring zeigen wir ungläubig auf den ersten Trabbi: „Guck’ mal, das gibt’s doch nicht!“ Es ist wahr – die Mauer ist auf. Und da ist sogar ein DDR-Taxi ...
23:30 Uhr. Das Cafe „Perestroika“ am Kudamm wirbt für sein Frühstück „Gorbi & Raissa“, aber wir wollen kein Frühstück, wir wollen zur Mauer. Wir halten den Daumen raus. Auf der großen Nachrichtenwand Ecke Joachimsthaler Straße wird Helmut Kohl vorm Schöneberger Rathaus ausgepfiffen. Vorm Europa-Center tanzt man auf der Straße.
Und schon sitzen wir in einem anderen Auto, das zur Potsdamer Straße fährt. Das nächste nimmt uns sogar bis zum Reichstag mit.
Wir sind da, der ohnehin gestiegene Adrenalinspiegel erklimmt Höchstwerte.
Die Bilder im Fernsehen werden zur Wirklichkeit. Es knallen Sektkorken, Wunderkerzen brennen, Hämmer und Bohrer bearbeiten die Mauer, die Ritzen zwischen den Plattenelementen werden immer größer. Dahinter stehen junge Vopo-Beamte und ringen mit ihrer Fassung. Sie vermeiden den Blickkontakt und antworten nicht auf die jubelnden Zurufe.
Man kann sogar auf die Mauer am Reichstag klettern, die Menschen helfen sich gegenseitig und fallen sich unten wie oben im Minutentakt in die Arme. „Wir sind ein Volk. Kommt rüber!“
Auch wir wollen „da hoch“. Und dann stehe ich tatsächlich auf dem schmalen Sims der bisher unbezwingbaren Mauer mit meinem Aktenköfferchen zwischen all den strahlenden Menschen und weiß nicht, wie ich mich fühlen soll. Für Tränen reicht es jetzt nicht mehr. Der Film ist wirklich unwirklich und unwirklich wirklich.
„Was machste denn hier mit deinem Köfferchen?“, fragt einer neben mir in der dicht gedrängten Menge kurz vor Mitternacht.
Als ich mir gerade eine Antwort überlegen will, sagt seine Frau: „Lass doch, der kommt eben direkt von der Arbeit!“
Und wir lachen uns an.
In diesen Momenten ist alles ganz leicht.



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