In welchem
Zusammenhang bist Du erstmals dem Namen, der Person oder dem Werk
Niklas Luhmanns begegnet? Und welchen Unterschied hat diese Begegnung
für Dich persönlich gemacht?
RS: Mir ist der Name
Niklas Luhmann zum erstenmal in einem Schaufenster einer Buchhandlung
in meiner Heimatstadt Lemgo begegnet. Luhmann hielt dort einen Vortrag
im Rahmen der damals existierenden Lemgoer Universitätstage. Ich ging
dort schon als Schüler gern hin, konnte Luhmanns Vortrag aber nicht
besuchen, weil ich zu der Zeit Zivildienstleistender war und die
Dienstzeit mit dem Vortrag zusammenfiel. Das war vermutlich im
Herbst/Winter 1970/71. Das nächste, woran ich mich erinnere, war eine
Besprechung des Luhmann/Habermas-Buches in der „Zeit“. Eine Behauptung
jener Rezension war, wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, dass
„Komplexität“ das neue Modewort (konservativer) amerikanischer
Intellektueller sei und dass es nun auch einen deutschen Autor gebe,
der auf dieses Wort setze. Von diesem Wort hatte ich noch nie gehört
und deshalb hat mich das interessiert.
Welches seiner Werke hat eine besondere Bedeutung für Dich und warum?
RS: „Soziale Systeme"
hat mich in den zwei, drei Jahren, in denen ich immer wieder darin las,
am meisten beeindruckt, und ich denke auch heute noch, dass es Luhmanns
wichtigstes Buch ist. Daneben gab es andere Bücher, die ich besonders
überzeugend fand: insbesondere die zunächst als Rowohlt-Taschenbuch
erschienene zweibändige Rechtssoziologie und „Macht“.
Gab es persönliche Begegnungen mit Luhmann und, wenn ja: welche sind Dir besonders in Erinnerung geblieben?
RS: Vor allem in den
Jahren 1974 bis ca. 1979 bestand mein Studium und das einer kleinen
Zahl anderer Studenten vor allem darin, dass wir jede Veranstaltung von
Luhmann besuchten und auch noch danach jede Nuance des Vorgefallenen
endlos durchdiskutierten. Es ist nicht eine einzelne Erinnerung, die
mir vor Augen steht; es ist vor allem die unausrechenbare Schwierigkeit
dessen, womit uns Luhmann immer wieder überraschte, die die Überzeugung
in uns stützte, dass er das, was Wissenschaft bedeuten kann, in einem
anderen Sinn verkörperte, als dies irgendeinem der anderen Lehrer
auch nur annähernd gelang.
Inwiefern können Mitglieder der
beratenden Professionen (Psychotherapie, Beratung, Supervision etc.)
von der Lektüre der Werke Luhmanns aus Deiner Sicht profitieren?
RS: Es drängt sich auf zu sagen, dass vor allem die Lektüre der
Schriften zum Erziehungssystem für Angehörige der beratenden
Professionen nützlich sein kann, weil dies der einzige Fall ist, in dem
Luhmann auch eine Professionstheorie mitentwickelt hat. Mir liegt aber
näher zu betonen, dass wie für alle anderen Leser auch das Moment der
Ausbildung des Intellekts in der Auseinandersetzung mit der nach wie
vor ausgefeiltesten Analytik, über die die Sozialwissenschaften
verfügen, dasjenige ist, was das Studium lohnend macht.
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