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Haja Molter über Niklas Luhmann
In welchem Zusammenhang bist Du erstmals dem Namen, der Person oder dem Werk Niklas Luhmanns begegnet? Und welchen Unterschied hat diese Begegnung für Dich persönlich gemacht?

HM: Zum ersten Mal habe ich von Niklas Luhmann während meines Psychologiestudiums 1968 – 1974 in Köln gehört. Ohne es heute näher begründen zu können, wurde Luhmann dem kritischen Zeitgeist entsprechend unter den „reaktionären“ Soziologen gehandelt. Adorno, Horkheimer und Habermas wurden in guten Topf sortiert.
Persönlich bin ich dann dem Werk Luhmanns Mitte der achtziger Jahre zunächst noch in Verbindung mit den Arbeiten Maturanas und Varelas über Autopoiese begegnet. Unter systemischen Kolleginnen und Kollegen wurde der Name Luhmann immer öfter genannt. Es war aber eher so, dass niemand nichts Genaues wusste.
So begann ich mich selbst kundig zu machen und habe mich Teilen seines interessanten, doch recht sperrigen Werkes nach und nach genähert.

Welches seiner Werke hat eine besondere Bedeutung für Dich und warum?

HM:
Bis heute dient mir das 1984 erschienene Buch  „Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorieals Grundlage für das Verständnis Luhmanns und daraus abgeleiteter Fragestellungen für systemische Therapie und Beratung.
Wichtig ist für mich die Leitunterscheidung von allopoietischen und  autopoietischen Systemen. Innerhalb der autopoietischen Systeme die Differenzierung lebende Systeme und sinnverarbeitende Systeme. Letztere unterscheiden sich nach psychischen und sozialen Systemen. Interaktion, Organisation und Gesellschaft sind Unterscheidungskategorien sozialer Systeme.
Weiter wurde für mich bedeutsam Luhmanns Begriff der Beobachtung unter der Prämisse, dass Systeme ´blind´ operieren und Beobachtung Leistung eines Beobachters ist. Der blinde `Fleck´ der Beobachtung kann nur durch eine Beobachtung 2. Ordnung aufgedeckt werden. Durch Luhmann findet das Psychische wieder Beachtung in der systemischen Therapie und Beratung. Er versteht psychische Systeme als autopoietische Systeme, deren Basis Bewusstsein ist. Körper und Psyche gehören zu unterschiedlichen Systemtypen.
Provokant und anregend zugleich bleibt bis heute seine Sicht von Kommunikation, dass Elemente sozialer Systeme nicht Menschen sind sondern Kommunikationen. (Luhmann, N. 1986. Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefahren einstellen? Opladen). Er sieht Kommunikation als Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen. Schon in seinem Werk „Soziale Systeme“ (s. o.) kritisiert er den geläufigen Kommunikationsbegriff, dass Informationen in der Kommunikation übertragen werden als „unbrauchbar, weil sie zu viel Ontologie impliziert. Sie suggeriert, dass der Absender etwas übergibt, was der Empfänger erhält.“ (a. a. O. S. 193).
Luhmann schlägt vor, Kommunikation als Selektionsprozess zu verstehen, in dem eine Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen hergestellt wird. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die strukturelle Koppelung von Bewusstsein und Kommunikation: Bewusstsein und Kommunikation beobachten sich wechselseitig, Bewusstsein und Sprache verhalten sich asymmetrisch, Bewusstsein und Sprache gliedern sich an gleiche Ereignisse unterschiedlich an.
Last not least bestärkte mich Luhmanns erkenntnistheoretischer Standpunkt in einer konstruktivistischen Haltung in Therapie und Beratung. Seine Auffassung, dass Menschen nicht Teil sozialer Systeme sind, hilft sich die Unterscheidung zwischen System und Umwelt als Beobachtungskategorie zu bedienen.



Gab es persönliche Begegnungen mit Luhmann und, wenn ja: welche sind Dir besonders in Erinnerung geblieben?

HM: Persönlich habe ich Luhmann auf einem der Heidelberger Kongresse gehört. Ich kann mich noch gut erinnern, dass es mir nicht leicht fiel, seinen Worten, Gedanken und Ideen meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Mehrmaliges Hören der Audiokassette des Vortrages machte dann den Zugang leichter.


Inwiefern können Mitglieder der beratenden Professionen (Psychotherapie, Beratung, Supervision etc.) von der Lektüre der Werke Luhmanns aus Deiner Sicht profitieren - und wie würdest Du die Antwort begründen?

HM: Luhmann zu studieren lohnt sich aus meiner Sicht für die Mitglieder der beratenden Professionen. Was ich unter Punkt 2 beschrieben habe, sollte zum Allgemeingut von Systemikern gehören.
Ein großer Vorteil besteht für mich darin, dass man als beobachtender Systemiker differenzierte Beschreibungen über Selbstorganisationsprozesse in Therapie und Beratung machen kann, wo einem nicht selten die `Unmöglichkeit zu kommunizieren` z.B. in Paarberatungen bis zur Schmerzgrenze demonstriert wird. Wenn soziale Systeme auf der Basis von Kommunikationen operieren, genügt es, das entsprechende Kommunikationsmuster und nicht das Bewusstsein zu verändern.
Zum Schluss möchte ich noch eine utopische Hoffnung äußern: Wenn Luhmanns stringenter erkenntnistheoretischer Standpunkt  von den systemischen Kollegen und Kolleginnen ernst genommen würde, könnten uns solche Entwicklungen wie die verordnete Liebe à la Hellinger in Zukunft erspart bleiben.



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