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Jürgen Kriz über Niklas Luhmann
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In welchem Zusammenhang bist Du erstmals dem Namen, der Person oder dem Werk Niklas Luhmanns begegnet? Und welchen Unterschied hat diese Begegnung für Dich persönlich gemacht?
JK: Ich bin Niklas Luhmann als Person begegnet, bevor ich eine Zeile
von ihm gelesen hatte: Im Sommersemester 1972 bekam ich in Bielefeld an
der Fakultät für Soziologie die C3-Professur für Statistik, und Luhmann
hatte dort 1968 die C4-Professur für Soziologie erhalten. Da man mir
gleich den "Ausschuss für Lehre" aufdrückte (was die gesamte
Koordination der Lehre in der Fakultät beinhaltete), hatte ich viele
Gespräche, Sitzungen etc. mit Luhmann. Inhaltlich haben wir unsere
Ideen zu der Zeit wenig ausgetauscht (beide waren wir m.E. von der
Systemtheorie noch weit entfernt…). Mein Soziologie-Intermezzo
(1970-1980) hat meinem Denken aber insgesamt sehr gut getan (jedenfalls
hatte meine Welt-, Wissenschafts- und Menschensicht eher die Form eines
Ofenrohrs: gewisse Tiefe, aber überaus beschränkte Weite des Horizonts
- was, wie ich frecherweise sagen würde, für Psychologen typisch ist…).
Inhaltlich habe ich dann - mittlerweile in Osnabrück - Luhmann erst ab
Mitte der 80er Jahre wieder getroffen, nachdem ich längst den
Schwerpunkt Psychotherapie verfolgte und mich nach brauchbaren
Erklärungsmodellen umsah, die über Watzlawick etc. hinausgingen. Über
die Auseinandersetzung mit Jantsch, Prigogine, Maturana und Varela kam
ich da rasch zu Luhmann.Da Bielefeld von Osnabrück nur 45 Autominuten
entfernt ist, war ich war regelmäßig dort, als Humberto Maturana bei
Lumann in Bielefeld war.
Ich wurde aber davor und danach auch ein paar mal in
Lehrveranstaltungen von Luhmann eingeladen. Leider fanden aber aus
meiner Sicht keine wirklich inhaltlichen Auseinandersetzungen statt
(übrigens m.E. ebenso wenig wie zwischen Maturana und Luhmann).
Besonders die Luhmann-Anhänger waren - meiner Einschätzung nach - nicht
bereit, zuzulassen, dass es neben dem Ansatz ihres "großen Meisters"
auch andere Systemtheorien geben könnte - von denen es eine zwar gerade
zu einem Nobelpreis geschafft hatte (nämlich Ilya Prigogine 1977 für
seine Theorie dissipativer Strukturen) und über die auch reichlich
Literatur vorhanden war - aber in denen es eben nicht zentral um
"Autopoiese" ging. Diese Erfahrungen haben mich dann auch zu solch
bissigen Bemerkungen bewegt, dass die "operationale Geschlossenheit"
vor allem in den Zitier- und Referenzkartellen der Luhmannianer
emprisch belegt werde…
Welches seiner Werke hat eine besondere Bedeutung für Dich und warum?
JK: "Vertrauen" fand ich damals bedeutsam, vermutlich, weil es vor der Veröffentlichung von "Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorie“
die erste Begegnung mit diesem Denken war. Und natürlich sind die
“Sozialen Systeme” selbst bedeutsam, weil hier das Denken Luhmanns sehr
systematisch dargelegt ist. Ferner einige Aufsätze, die Luhmann zu
dieser Zeit (Mitte der 80er bis 90er Jahre) verfasste.
Gab es persönliche Begegnungen mit Luhmann und, wenn ja: welche sind Dir besonders in Erinnerung geblieben?
JK: Ergänzend zur Antwort auf die erste Frage könnte ich noch
bemerken, dass die Unterschiede zwischen Niklas Luhmann und Humberto
Maturana sehr drastisch in der ersten Begegnung deutlich wurden: Ich
vermute mal, dass beide keine oder kaum Gelegenheit hatten, sich vorher
zu sprechen - jedenfalls ging (in meiner Erinnerung vor vollem Hörsaal)
beim ersten Mal Maturana mit offenen Armen auf Luhmann zu, um ihn zu
begrüßen, während Luhmann geradezu angewurzelt und erstarrt (ob solcher
Intimitäts-Androhungen) stehen blieb. Dies ist eines meiner
markantesten Erinnerungen. Darin wird aber m.E. auch die
persönlichkeitsgefärbte Basis dafür deutlich, dass Maturana so sehr
darauf bestand, Autopoiese als eine Systemkonzeption zu präsentieren,
die (im sozialen Raum) als Elemente Menschen vorsieht (was ich übrigens
für theoretisch unsinnig halte), während Luhmann eben auf abstrakten
Kommunikationen bestand (was ich teile - wenn auch nicht in dieser
ontologisierten Abgeschlossenheit).
Inwiefern können Mitglieder der
beratenden Professionen (Psychotherapie, Beratung, Supervision etc.)
von der Lektüre der Werke Luhmanns aus Deiner Sicht profitieren - und
wie würdest Du die Antwort begründen?
JK: Obwohl ich in Luhmanns Theorie für die Psychotherapie, Beratung
etc. weit mehr Probleme als Nutzen sehe, fange ich mit dem Positiven
an: Zunächst einmal ist in diesen Zeiten des Reduktionismus
(Neuro-blabla, etc.) jede komplexere, dynamischere und systemische
Theorie ein willkommenes Gegengewicht gegen die BILD-Zeitungs- und
45-Sekunden-Take-Welterklärungen. Ich zumindest möchte mir das Ofenrohr
nicht wieder aufsetzen. Das war auch übrigens auch der Grund für meine
anfängliche Faszination für Maturana, Varela und Luhmann: Endlich
Sichtweisen, die meinem Bedürfnis nach Nicht-Reduktion entsprachen.
Einer der wichtigsten Gedanken, den die autopoietische
"Abgeschlossenheits"-Fokussierung mit sich bringt, ist m.E. folgender:
Ein sehr großer Teil dessen, worüber wir kommunizieren, hängt damit
zusammen, dass wir nicht ins Bewusstsein des anderen "sehen" können -
wir also mühsam interaktiv herstellen müssen, was gemeint ist, ob wir
vertrauen können (s.o.!), etc. Ein großer Teil dessen, womit sich unser
Bewusstsein beschäftigt, sind also die Inhalte von Kommunikation sowie
deren Interpretation und Wirkungen. Dies zu beachten und zu bedenken
(!) , halte ich für Therapeuten, Berater, Coachs etc. wichtig. Darüber
hinaus halte ich Luhmanns Ansatz für eine bedeutsame Theorie in
Hinblick auf die gesellschaftliche Ebene - einschließlich der Fragen in
Bezug auf ihre Differenzierung (Institutionen, Rollen…) und
Stabilisierungen.
Gerade hier und deshalb sehe ich aber auch die Grenzen für den Bereich
von Therapie und Beratung. Lumanns Theorie betont zu sehr die
Stabilität, während es mir um ein Verständnis sowohl von von Stabilität
als auch von Veränderung geht. Ferner kann Luhmann die Beziehungen
zwischen den unterschiedlichen Systemebenen (besonders zwischen
Bewusstsein und Kommunikation), nur mit dem unterbelichteten Konzept
der Interpenetration fassen - wobei die System-Relationen zudem noch
mit einer verkappten Ontologisierung belastet sind ("diese Ebenen gibt
es"), was ich problematisch bis unfruchtbar finde. Hingegen halte ich
mehr Flexibilität in der Theorie-Konzeption für wichtig, nämlich
Systemgrenzen danach zu konzipieren: “für welche Fragen und Probleme
ist die Betonung der ‘Abgeschlossenheit’ brauchbar, und für welche ist
eher eine verschränktere Konzeption hilfreich”?
Da es aber hier um Luhmanns Theorie geht und nicht um meine, will ich
dies hier nicht weiter ausführen. Es gibt aber etliche andere Ansätze
in interdisziplinären Diskursen, die diese Fragen aus meiner Sicht weit
befriedigender angehen und beantworten (und es würde den
Luhmann-Schülern nicht schlecht anstehen, zumindest einige dieser
zahlreichen Werke zur Kenntnis zu nehmen. Übrigens: Luhmann selbst
würde ich keine solche Ignoranz vorwerfen - er hat sehr viel Neues
entwickelt und daher selektiv gelesen, das halte ich für zulässig. Wenn
man aber vorwiegend Luhmanns Werk interpretiert und ausarbeitet, muss
man sich m.E. auch mit anderen vergleichbaren Ansätzen
auseinandersetzen.
Daher nochmals mein schon vor Jahren gezogenes Resümee: Die Fragen und
Probleme, die Luhmanns Theorie beantwortet, sind weitgehend nicht meine
als Therapeut, Berater und Coach. Und die Fragen und Probleme, die mich
als Therapeut, Berater und Coach bewegen, lassen sich mit Luhmanns
Theorie für mich nicht befriedigend beantworten (im Gegensatz zu
anderen Ansätzen).
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