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Theodor Bardmann über Niklas Luhmann
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In welchem
Zusammenhang Sind Sie erstmals dem Namen, der Person oder dem Werk
Niklas Luhmanns begegnet? Und welchen Unterschied hat diese Begegnung
für Sie persönlich gemacht?
TB: Da ich in Bielefeld studiert habe, bin ich dem Namen Luhmann
recht früh begegnet, von der Person und dem Werk habe ich mich
allerdings aus ideologischen Gründen bis zur Mitte meines
Studiums fern gehalten. Luhmann galt den einen als zu konservativ, den
anderen als Geheimtip. An die Person und sein Werk wurde ich durch
einen Mitstudenten, Mathias Jaensch, geführt. Mit einer wahrhaft
rührenden Hartnäckigkeit hat er mir kleine Einblicke ins
systemtheoretische Denken verschafft und mich schließlich verführt,
auch mal eine Vorlesung von Luhmann zu besuchen. Nach diesem "Biss in
den Apfel" gab es kein Zurück mehr.
Welches seiner Werke hat eine besondere Bedeutung für Sie und warum?
TB: Es gibt kein einzelnes Werk, das ich hier hervorheben könnte und
wollte. Es ist die zum traditionellen Denken kompromisslos inkongruente
Perspektive, die Luhmanns Denken für mich immer wieder interessant und
spannend macht. Und da ich etliche seiner Werke nun schon mehrmals und
jedesmal in anderen Zusammenhängen gelesen habe, sind mir jedesmal
andere Stellen als wichtig und beeindruckende aufgefallen. Kurz: Jeder
sollte sich seine eigene Faszination erwirken.
Gab es persönliche Begegnungen mit Luhmann und, wenn ja: welche sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
TB: Es gab mehrer Begegnungen. Über einige habe ich in dem zusammen mit Dirk Baecker herausgegebenen Buch "Gibt es eigentlich den Berliner Zoo noch?" (UVK, Konstanz 1999) berichtet.
Inwiefern können Mitglieder der
beratenden Professionen (Psychotherapie, Beratung, Supervision etc.)
von der Lektüre der Werke Luhmanns aus Ihrer Sicht profitieren - und
wie würden Sie die Antwort begründen?
TB: Therapeuten, Berater und Supervisoren können enorm von Luhmanns Denken
profitieren, allein weil er ihnen eine zusätzliche Perspektive
anbietet, mit der der Raum möglicher Problembeschreibungen und
Problemlösungen wächst: Soziale Realität muss nicht mehr nur als ein
mit Akteuren bevölkerter Handlungszusammenhang gedacht werden, er kann
nun als ein sich von Ereignis zu Ereignis reproduzierender
Systemzusammenhang gedacht werden. Damit kommen Eigenlogiken und
Eigendynamiken in den Blick, die aus einer Akteurs/Handlungsperspektive
in aller Regel vernachlässigt werden.
Neben der Einführung einer Systemperspektive hilft freilich auch der
Abschied von einem naiven Realitätsverständnis allen therapeutischen,
beratenden und supervisionierenden Berufen weiter, denn damit wird die
Verantwortlichkeit für das, was Realität genannt wird, neu
verhandelbar. In diesem Zusammenhang scheint mir der
Zirkularitätsgedanke besonders hilfreich, verweist er doch alle an der
"Realitätskonferenz" Beteiligten (selbst die Therapeuten, Berater und
Supervisoren) letztlich zurück auf ihre eigenen Beiträge zur
gegenwärtigen, als problematisch beschriebenen Situation.
Luhmanns Denken in funktionalen Äquivalenten ist ebenfalls ein sehr
brauchbares Konzept: statt nach den richtigen oder gar besten Lösungen
zu fahnden, sucht man professionelle Sicherheit darüber zu gewinnen,
für den Fall der Fälle Alternativen zur Hand zu haben. Und natürlich
weiß man auch als Luhmannianer, das die Lösung der einen Runde das
Problem der nächsten sein wird, sprich: es gibt keine absolute und
endgültige Lösung, sondern nur einen dauernden Versuch, das System
immer wieder neu an veränderten Umweltbedingungen anzupassen.
Ich perönlich fand Luhmanns Denken auch immer sehr hilfreich gegenüber
Radikalkonstruktivisten, denn mit Luhmann hat man ein sehr ausgeprägtes
historisches Verständnis vcn den systemischen Gegebenheiten. Das
bedeutet: die Verhältnisse sind gewachsen und nicht alles ist von heute
auf morgen änderbar. Im Gegenteil: Systeme sind extrem konservativ und
halten mit einer kaum zu glaubenden Hartnäckigkeit an ihren
Konstruktionen fest.
Ich könnte noch etliche "profitable Brauchbarkeiten" hier aufzählen,
möchte aber lieber mit einer mir wichtig erscheinenden Bemerkung
schließen: Ich habe immer wieder erfahren, dass Menschen mit einiger
professioneller Erfahrung dem systemischen Denken gegenüber sehr offen
sind und vieles von dem, was die Theorie oft sehr voraussetzungsvoll
und umständlich auszubuchstabieren versucht, ihnen aus ihrem
praktischen Handeln heraus schon längst vertraut ist. Sie haben es
bereits durchlebt und begriffen, ohne die systemtheoretischen Begriffe
zu kennen. Deshalb wage ich die abschließende These: Gute
professionelle therapeutische, beraterische und supervisorische Arbeit
ist systemische Arbeit, ob sie sich so nennt oder nicht.
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