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systemagazin special: "Kongressgeschichten"
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Andrea Lanfranchi: Emmy Werner wackelt auf dem Stuhl
Für den internationalen Resilienz-Kongress von 2005 (1) luden Rosmarie Welter-Enderlin und ihr Team vom Ausbildungsinstitut Meilen neben Sir Michael Rutter und weiteren renommierten Vortragenden auch die Pionierin der Resilienzforschung, Emmy E. Werner, ein. Ich sass hinter dem Redner-Pult und war für die technische Unterstützung zuständig. Die 76-jährige quirlige Frau erschien in speditivem Gang in letzter Minute mit einigen halbleeren Blättern in der Hand. Obwohl sie als Grande Dame der Resilienzforschung weltweite Anerkennung genießt, ist sie doch von kleiner Statur. Sie wollte sitzen, aber um ins Mikrofon reden zu können, musste sie auf einen hohen metallenen Hocker steigen. Da wackelte sie 45 Minuten lang, sprach temperamentvoll mit dem ganzen Körper, war einmal ganz nahe am Mikrofon und plötzlich so weit weg, dass man sie fast nicht hören konnte, gestikulierte und wippte hin und her, sodass ich die ganze Zeit fürchtete, jetzt fällt sie mir auch noch vom Hocker… Ich schwitzte immer mehr, hatte jedoch das Glück auf meiner Seite. Einige Stunden später leitete ich selber einen Workshop, und Frau Werner saß aufmerksam im Saal – was mich durchaus ehrte, aber auch etwas blockierte. Ich wollte einige kritische Vorbemerkungen über die „klassische“ Resilienzforschung anbringen und fühlte mich nun angesichts des hohen Besuchs über die Stichhaltigkeit der Argumentation doch etwas unsicher. Das Material meines Vortrags beschränkte sich nämlich auf einige aus der Literaur rezipierten Forschungsberichte und auf ein einziges Fallbeispiel von Resilienzförderung bei einer Schülerin mit Migrationshintergrund, während Emmy Werner 40 Jahre lang hunderte von Kindern und nun Erwachsene im Längsschnitt akribisch untersucht hatte. Ich riskierte doch noch einige pointierten Aussagen über die vermutete Bedeutung von Psychotherapeutinnen und –therapeuten als Resilienzfaktor und sagte etwas unbedacht, dass dies durch die Pioniere der Resilienzforschung wohl nicht untersucht werden konnte, weil es in den 60er Jahren auf der Insel Kauai keine Therapeuten gab. Die Entgegnung kam aus der Werner-Ecke postwendend: Oh doch, dass hätten sie wohl und mehrmals untersucht in all den Jahren, und das könnte ich in ihrem neuen Buch unter dem Stichwort „Mental health services“ auf S. 77 nachlesen… Das Buch (2) schenkte sie mir am nächsten Tag, mit einer sehr schönen und treffenden Widmung: Für Andrea, mit Humor und Respekt. So habe ich sie auch an der Tagung erlebt! Auf dem Weg nach Hause suchte ich die genannte Seite: „The resilient individuals also sought help from people they respected and trusted. Fewer than 5 percent had consulted mental health professionals in times of trouble, while some 10 percent of their age group had done so between the ages of thirty and forty. Instead, the majority of the resilient men and women relied on the emotional support of their spouses and close friends when the going got tough.“ (Übersetzt: „Einige sich als resilient entwickelnde Heranwachsende – ca. 5 bis 10 Prozent - holten sich Beratung oder Psychotherapie in Zeiten der Krise, vor allem im Alter zwischen 30 und 40. Die Mehrheit fand jedoch Unterstützung in der Paarbeziehung oder bei engen Freundinnen und Freunde. Es ist also nicht so, dass Psychotherapie keine Rolle spielt oder nicht wirksam war. Sie war für die meisten untersuchten Männer und Frauen einfach weit weg und insofern kein Mittel der Wahl, weil eben näher stehende Vertrauenspersonen helfen konnten.“)
(1) Welter-Enderlin, R., & Hildenbrand, B. (Hrsg.). (2006). Resilienz - Gedeihen trotz widriger Umstände. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme. (2) Werner, E. E., & Smith, R. S. (2001). Journeys from Childhood to Midlife. Risk, Resilience, and Recovery. Ithaca and London: Cornell University Press.
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