Start
Bücher
Neuvorstellungen
kurz vorgestellt
Klassiker
Vorabdrucke
Zeitschriften
Familiendynamik
Konfliktdynamik
Journ. of Fam.Ther.
Family Process
Kontext
OSC
perspekt. mediation
Psychoth. im Dialog
Psychother.Soz.Wiss.
rpm
Soziale Systeme
systeme
System Familie
systhema
ZSTB
Links
Beiträge
Feldpost
Salon
Interviews
Nachrufe
Glossen
Luhmann-Special
Kongressgeschichten
"Das erste Mal"
Begegnungen
Blinde Flecke
Mauerfall 1989
Von Klienten lernen
Bibliothek
edition ferkel
Berichte
Nachrichten
Kalender
Newsletter
Konzept
Institute
Info
Autoren
Kontakt
Impressum
Druckversion Druckversion
Copyright © 2013
levold system design
Alle Rechte vorbehalten.
systemagazin logo

systemagazin special: "Kongressgeschichten"
Kurt Ludewig: Eine märchenhafte Kongressgeschichte oder: eine Handvoll wertvoller Geschenke

Das Jahr 1984 hatte gerade begonnen, als ich von einer Tagung erfuhr, in der Karl Tomm Humberto Maturana und Heinz von Foerster zusammen mit Gianfranco Cecchin und Luigi Boscolo nach Calgary eingeladen hatte, öffentlich über Epistemologie und Psychotherapie zu diskutieren. Persönlich steckte ich damals mitten in einer fast unerträglichen finanziellen Krise, denn wir hatten Ende 1979 ein Haus gekauft, uns bis an den Kragen verschuldet, während Ronald Reagan eine Zinspolitik in den USA eingeschlagen hatte, die bei uns eine mächtige Wirtschaftsrezession in Gang hielt. Wir standen kurz vor dem Ruin, und ich sollte nach Calgary fliegen? Not aber macht bekanntlich erfinderisch, und ich fand einen nicht ganz koscheren Weg, mir mehr Geld von meiner unterstützenden Instanz auszahlen zu lassen, als ich tatsächlich für den Flugticket ausgab. Mit der Differenz würde ich mir leisten können, neben dem Flug auch ein preiswertes Hotel zu bezahlen und nach der Tagung auch Howard Liddle in San Francisco und Steve de Shazer in Milwaukee zu besuchen.
Karl Tomm war so freundlich, alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich aus dem Ausland, sprich: Europa und Japan, angemeldet hatten, zusammen mit einiger Prominenz aus Nordamerika zu einer Präkonferenz einzuladen. In diesen ersten drei Tagen hatten alle vier Referenten Gelegenheit, ihre Arbeit zu präsentieren. Es wurden auch Videoaufnahmen von Sitzungen mit Familien aufgenommen, um sie später bei der tatsächlichen Konferenz zu zeigen.
Am ersten Tag standen morgens die meisten von uns am Kaffeetisch, als die Referenten in Begleitung von Karl Tomm den Raum betraten. Humberto grüßte die meisten per Handschlag, und als ich an der Reihe war, sagte ich “Hola!”, er antwortete verwundert: “¿De dónde?” (woher?), worauf ich erwiderte: “Como tu, de Chile” (wie du, aus Chile). Von da an sollte sich eine Freundschaft langsam anbahnen, die über Jahrzehnte andauern würde.
Die erste Präsentation hatte das Calgary Team übernommen - damals gehörte u.a. Evan Imber-Black dazu. Ihre Arbeitsweise orientierte sich streng an den Vorgaben des damaligen Mailänder Teams und war für mich, der dies genug ausprobiert hatte und ohnehin an den Folgen des jet lag litt, nicht besonders anregend. Vom Dunkeln des Saals geschützt ging ich vorsichtig heraus, um mich mit Kaffee zu versorgen und traf dort einen mir unbekannten Herrn, der offenbar ähnliche Bedürfnisse hatte. An dieser Stelle begann ebenfalls eine langdauernde Freundschaft mit einem so  interessanten und liebenswerten wie auch ungewöhnlichen Mann: Harry Goolishian.
Das waren die ersten Geschenke dieser Tagung. Zwei tiefe Freundschaften, die mich auf liebevolle Weise prägend beeinflussen sollten.
Am Nachmittag dieses ersten Tages hat Heinz von Foerster einen seiner herrlichen Vorträge in der ihm zugeteilten Zeit gehalten. Im Anschluss sollte Humberto in etwa 60 Minuten die Grundlinien seiner Theorien vorstellen. Er sprach sage und schreibe  mindestens drei Stunden ohne Unterbrechung, und keiner protestierte, man verzichtete auf den Nachmittagskaffee und ging nicht einmal zur Toilette. Am Ende seiner Ausführungen ging es mir und vielen anderen so, als erwachten wir aus einer Art Trance. Ich hatte zuvor und habe seitdem neben vielen üblichen auch viele hervorragende Vorträge gehört. Keiner aber hat auf mich eine vergleichbar nachhaltige Wirkung gehabt wie der an jenem Nachmittag. Maturanas Vortrag schlug wie eine Bombe in das Feld meines damaligen Denkens. Er erschütterte Vieles und leitete einen fast vollständigen Wiederaufbau ein, einen Prozess, der heute noch anhält. Ich war nun restlos aus der komfortablen Traumwelt des Objektivismus herausgerissen worden und würde nie wieder dahin zurückfinden können. Das war ein weiteres Geschenk.
Am Ende dieser Vorkonferenz hatten wir einen freien Tag bis zum Beginn der eigentlichen Tagung. Die meisten fuhren mit bei einer Tour nach dem Skiurlaubsort Banff. Humberto aber blieb in Calgary, zumal er mir versprochen hatte, einen Vormittag für mich frei zu halten. Wir trafen uns nach dem Frühstück und wanderten in der noch kühlen Luft bis zu einem Football-Stadion. Dort auf einer kalten Tribüne sitzend erfuhr ich von ihm alles Mögliche über Chile. Seine Erzählungen haben mich nach einer 14-jährigen selbstgewählten Abstinenz als Reaktion auf die unerträgliche politische Lage wieder für den Ort meiner Herkunft gewonnen. Das war der Auftakt zu einer immer dringender werdenden Sehnsucht nach der Heimat, die mich Ende des Jahre dahin trieb. Ich verdanke diesen ersten Tagen in Calgary nicht nur die eindeutige Entschiedenheit in Sachen systemischen Denkens, sondern auch die Versöhnung mit meiner geschundenen Heimat.
Zur Mittagszeit, als wir überlegten, zu einem Steak-House zu gehen, trafen wir Heinz von Foerster auf der Straße. Als gering verdienender Rentner, wie er sich selbst bezeichnete, bestand er darauf, dass wir im Tagungshotel speisten, denn das würde ihn als Referenten nichts kosten. Leider fand aber dort zur gleichen Zeit eine Tagung irgend einer Ölfirma mit hunderten von Delegierten statt. Das Restaurant war proppenvoll, es gab keinen freien Tisch. Heinz aber war hungrig und nicht bereits, sich auf später vertrösten zu lassen. Er wickelte die Tischzuweiserin in ein derart verwirrendes Gespräch ein, dass diese nicht anders konnte, als ihren Supervisor herbeizurufen. Diesem erging es aber nicht viel besser, so dass wir in Kürze an einem Tisch, der aus einem anderem Raum gebracht worden war, unser unbezahltes Mittagsessen bekamen - nicht einmal ich, der weder Referent noch Hotelgast war, musste bezahlen, denn die Zuständigen waren offenbar erst erleichtert, als wir gegangen waren.
Das war ein weiterer unvergleichbar wertvoller Gewinn dieser Tage. Am Umgang von Heinz mit dem Hotelpersonal, der gänzlich “irreverent” (ehrfurchtslos), jedoch zu keiner Zeit respektlos war, konnte ich am eigenen Leibe erfahren, dass systemisches Denken nicht bloß abstrakt und weltfremd ist, sondern äußerst praktikabel und wirksam.
Im Leben gibt es hier und da “perfekte Momente”, in denen einem viel Gutes widerfährt. Sie sind ein Geschenk, denn sie passieren einem, ohne sie bewusst herbeigefürt zu haben. Dieser Besuch in Calgary war ein unglaublich wertvolles Geschenk!
P.S.: Über diese Tagung habe ich 1984 in der Zeitschrift für Systemische Therapie einen Beitrag verfasst, der sich hier nachlesen lässt.



Suche
Heute ist der
Aktuelle Nachrichten
15.06.2014
Die Systemische Gesellschaft sucht zum 1. Januar 2015 neue Geschäftsführung
10.04.2014
W 3 Endowed Professorship for Systemic Family Therapy in Freiburg
08.04.2014
Gesundheitsausgaben 2012 übersteigen 300 Milliarden Euro
28.01.2014
Fast jede zweite neue Frührente psychisch bedingt
17.12.2013
Diagnose Alkoholmissbrauch: 2012 wieder mehr Kinder und Jugendliche stationär behandelt

Besuche seit dem 27.1.2005:

Counter