Susanne Altmeyer: In Ulm, um Ulm und über Ulm
DGSF-Tagung 2007 in Neu-Ulm. Ulm – in Ulm, um Ulm, um Ulm herum. Ich beschließe, ÜBER Ulm auszuprobieren und am Mittwochmorgen vor dem Forschungskolloquium und der Tagungseröffnung das Ulmer Münster zu besteigen: sein höchster Turm ist mit 161,50 m der höchste Kirchturm der Welt! Das gesamte Gotteshaus hat über 500 Jahre gebraucht, bis es vollendet war, und hat dabei nicht nur sein Aussehen, sondern auch seine Konfession geändert: ursprünglich als katholische Kirche errichtet mutierte es nach der Einführung der Reformation im 16. Jahrhundert zur größten protestantischen Kirche der Welt. Superlative genug - passend zu unserer Tagung starte ich einen systemischen Weg (nach oben) in einer Welt der Veränderung. Als ich die 768 Stufen zu erklimmen beginne, herrscht am Boden dichter Nebel. Optimistisch und lösungsorientiert, wie ich als Systemikerin nun einmal bin, rechne ich fest damit, dass es in der Höhe besser wird, so dass ich vielleicht sogar den legendären Blick bis zu den Alpen erleben werde. Ich genieße die sportliche Betätigung und die Vorfreude auf die gute Sicht und ignoriere zunächst die Anzeichen von Luftnot, die sich nach relativ kurzer Zeit bei mir einstellen. Mein körperliches Wohlbefinden bleibt dann lange das einzige, was sich verändert. Die Sicht ändert sich nicht: dichter grauer Nebel in allen Richtungen. Um mein limbisches System zu überlisten, das sich schon auf den Modus „schlechte Laune“ einzustimmen beginnt, fange ich an zu singen („Horch die Glocke tönt“), was ich wegen der sich dadurch verstärkenden Atemnot bald wieder einstellen muss. Ich versuche es mit wertschätzender Konnotation: dadurch, dass ich nichts sehe, kann ich mich besser auf die Geräusche, die von unten kommen, konzentrieren, außerdem achte ich so mehr auf meine Atemnot und überfordere mich nicht! Befriedigt mache ich eine kleine Pause und schaue nach oben: winzige kleine blaue Fleckchen in der dichten Wolkenschicht, die ich von unten nie, nie, nie gesehen hätte!! Außerdem bin ich dem Himmel jetzt schon eindeutig näher, was auch immer das bedeuten mag, und werde gleich global auf dem höchsten Punkt eines christlichen Bauwerkes stehen. Ganz oben ist es dann objektiv gesehen genauso wie ganz unten – grau-weiß - aber meine Herz schlägt viel schneller, ich schnaufe eindrucksvoll, fühle mich sehr erhaben und schaue mehrmals in jede Richtung, so dass mein Blick wenigstens theoretisch auch auf die Alpen fällt. Ich bleibe nicht sehr lange, weil der Panoramablick oben sehr bescheiden ist, und auch sonst nichts zum Verweilen einlädt. Auf dem Weg nach unten denke ich darüber nach, was diese Aktion mit meiner bevorstehenden Kandidatur für den DGSF-Vorstand zu tun hat. Ist es ein Zeichen von Arroganz und narzisstischer Selbstüberhöhung, vor einer solchen Wahl auf einen sooo hohen Turm zu steigen, und hat Über-Ulm etwas mit meinem Über-Ich zu tun? Werde ich mich im Vorstand so fühlen wie auf dem Turm: überfordert, blind und isoliert, angewiesen auf positive Umdeutungen suboptimaler Umstände? Werde ich, wenn ich denn gewählt werden sollte, nach kurzer Zeit des erschöpften Wartens auf den Durchblick wieder aufgeben und meinem primären Bedürfnis nach ausreichend Schlaf nachgeben? Der gedanklicher Exkurs in die tiefenpsychologisch geprägten Windungen meines Cerebrums beginnt mich spätestens bei dieser Frage zu ärgern und ich switche zurück in die systemische Hirnwindungs-Ecke: es hat viel Spaß gemacht, dieses tolle historische Gebäude, an dem ganz viele Menschen mitgeplant und -gebaut haben, zu besteigen, mich anzustrengen und zum Ziel zu kommen und mich beim Abstieg auf eine spannende Tagung mit vielen inspirierenden Themen und netten Menschen zu freuen! |