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Interview mit dem scheidenden 1. Vorsitzenden der Systemischen Gesellschaft Arist von Schlippe
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Arist von Schlippe
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Am 28. April 2005 wurde Arist von Schlippe
(AS) auf der Jahresmitgliederversammlung der Systemischen Gesellschaft
(SG) in Halle nach sechsjähriger Amtszeit als erster Vorsitzender mit
großem Beifall verabschiedet. Als Nachfolgerin wurde Dr. med. Cornelia
Oestereich aus
Hannover gewählt. Aus diesem Anlass führte ich am Rande der Jahrestagung der SG folgendes Interview mit Arist von Schlippe für systemagazin.
Tom Levold
TL: Die Systemische Gesellschaft hat
seit ihrer Gründung im Jahre 1993 zwei Vorstandsvorsitzende gehabt, die
jeweils sechs Jahre im Amt waren. 1993 bis 1999 war der Vorstand unter
dem Vorsitz von Kurt Ludewig mit intensiver Aufbauarbeit beschäftigt.
1999 hast Du den Vorsitz über einen Verband übernommen, der gerade eine
lange diskutierte neue Satzung verabschiedet hatte, die ein
Zwei-Kammer-Prinzip vorsah, eine für Weiterbildungsinstitute, eine für
Einzelmitglieder. Wie würdest Du die wichtigsten Unterschiede
charakterisieren, die die Systemische Gesellschaft (SG) in diesen
vergangenen sechs Jahren markiert hat?
AS: Metaphorisch ausgedrückt, könnte man sagen, dass die SG in den
ersten sechs Jahren laufen gelernt und in den vergangenen Jahren lesen
und schreiben gelernt hat. Vielleicht stehen in der nächsten Phase
„pubertäre Auseinandersetzungen“ an. Aber Spaß beiseite: In der Tat
ging es in den ersten Jahren vorwiegend darum, Strukturen
weiterzuentwickeln; in der Zeit, in der ich als Vorsitzender tätig war,
bestanden die wichtigsten Aufgaben darin, die SG nach innen und nach
außen zu konsolidieren und dafür zu sorgen, in der berufspolitischen
Landschaft eine prägnante Stimme zu entwickeln.
TL: Die Öffnung für Einzelmitglieder
hat sicher starken Einfluss auf die Aufgabe der inneren Konsolidierung
gehabt. Auf der Mitgliederversammlung 1999 sind etwa 30
Einzelmitglieder aufgenommen, zunächst alles Lehrtherapeuten der SG,
jetzt sind wir bei über 400 Einzelmitgliedern. War diese Öffnung aus
Deiner Sicht eine gute Entscheidung?
AS: Das ist ganz schwer zu sagen. Einerseits war es eine richtige
Entscheidung, weil es dazu geführt hat, dass wir ein Fachverband mit
einer großen Attraktivität für systemisch denkende KollegInnen geworden
sind. Es ist nicht leicht, hinein zu kommen, weil eine hohe
Qualifikation dafür erforderlich ist. Damit hat die Mitgliedschaft
einen hohen Wert und ermöglicht eine starke Identifikation mit dem
Verband. Andererseits empfinde ich auch eine gewisse Skepsis über
diesen Schritt. Die hat – das klingt vielleicht paradox - mit der
ausgesprochen guten und freundschaftlichen Kooperation zu tun, die sich
in den vergangenen Jahren mit der DGSF entwickelt hat. Hier stellte
sich immer wieder die Frage, ob man nicht fusionieren solle, zumal
durch die Einzelmitgliedschaften die Verbände in vielerlei Hinsicht
noch ähnlicher geworden sind, und ja auch inhaltlich eine sehr ähnliche
Stoßrichtung verfolgen. Wenn die SG ein reiner Institute-Verband
geblieben wäre, wäre vielleicht die Abgrenzung dieser beiden Verbände
leichter gewesen: einer für die qualifizierten Institute, einer für die
Mitglieder. Die Frage stellt sich so deutlicher: Brauchen wir
eigentlich noch zwei Vereine mit zwei Vorständen?
TL: Ab welchem Zeitpunkt könntest Du Dir vorstellen, diese Frage mit Nein zu beantworten?
AS: Vor zwei Jahren hätte ich noch gesagt: Innerhalb der nächsten fünf
Jahre. Heute denke ich, dass die Strategie, die wir gemeinsam als
Verbände und besonders Wilhelm Rotthaus und ich als Vorsitzende in
enger Kooperation entwickelt haben, nämlich: „zwei Verbände - eine
Stoßrichtung“, uns momentan berufspolitisch so nützlich ist, das eine
Fusion nicht ansteht. In beiden Vorständen konnten wir es uns
grundsätzlich vorstellen, auch wenn es organisatorisch und technisch
ein schwieriges Unterfangen werden dürfte. Aber gegenwärtig ist es
nicht nur nicht notwendig, es nützt uns sogar, als zwei Verbände
aufzutreten und Stellungnahmen mit unterschiedlichen Formulierungen,
aber ähnlichen Richtungen abzugeben. Wenn ich aber in der Perspektive
von 10 bis 15 Jahren denke, wird es irgendwann mal einen Punkt geben,
wo es vielleicht nötig ist, sich zusammen zu tun, aber aktuell steht
das nicht an.
TL: Was sind aus Deiner Perspektive die wichtigsten Wegmarken der SG in den vergangenen sechs Jahren gewesen?
AS: Ich fange mal mit der Entwicklung einer „Corporate Identity“ an.
Das führte von der Entwicklung des derzeitigen Logos über die Gewinnung
der Zeitschrift „systeme“ als Verbandszeitschrift, die nun gemeinsam
mit der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie
ÖAS herausgegeben wird, bis hin zur Erstellung einer Broschüre zum
Systemischen Denken für eine breitere Öffentlichkeit. All dies hat dazu
geführt, dass die Inhalte und Aktivitäten der SG sowohl innerhalb als
auch außerhalb des Verbandes verstärkt wahrgenommen wurden.
Auf der berufspolitischen Ebene stand 1999 noch der Kampf gegen die
Nicht-Anerkennung der Systemischen Therapie durch den
Wissenschaftlichen Beirat sehr im Vordergrund. Gemeinsam mit Kurt
Ludewig habe ich damals eine Entgegnung zum ablehnenden Gutachten
verfasst. Dann gab es große Unterschriftenaktionen, sowohl unter
Familientherapeuten als auch unter Hochschullehrern. Rolf Thissen
organisierte damals auch noch eine Unterschriftenaktion von Ärzten, die
sich gegen die Initiative von Wissenschaftlichem Beirat und
Bundesärztekammer wehrten, die versuchten, ein Lehrverbot für
Systemische Therapie in der Psychotherapeutenausbildung durchzusetzen.
Wir haben in allen diesen Fällen meist wenig direkt messbare Erfolge
vorweisen können, konnten aber an vielen Punkten feststellen, dass wir
gehört worden sind, dass unsere Präsenz wahrgenommen wird, und es gab
schließlich auch von einigen Landesärztekammern eine bewusste
Entscheidung, sich nicht an das Votum der BÄK und des Wiss. Beirates zu
halten, sondern die Reichhaltigkeit psychotherapeutischer Weiterbildung
dadurch zu erhalten, dass die Systemische Therapie als Bestandteil
weiterhin zugelassen wurde.
In diesem Zusammenhang denke ich auch an die „Kölner Erklärung“, eine
der ersten Aktivitäten des neuen Vorstandes, mit der wir uns
entschieden haben, die alleinige Konzentration auf die Anerkennung als
Therapieverfahren zu verlassen, um uns nicht durch die Entscheidung des
Wissenschaftlichen Beirates in eine „Problemhypnose“ hineinbringen zu
lassen. Vielmehr wollten wir die Vielfalt der Felder, in denen
systemischen Denken und Handeln zum Ausdruck kommt, aktiv aufsuchen und
entsprechende Plattformen entwickeln, z.B. in Pädagogik,
Organisationsberatung, Mediation und allen möglichen anderen Bereichen,
ohne die Psychotherapie darüber zu vernachlässigen.
Unser Fokus ist systemische Praxis, da ist Psychotherapie ein Bereich.
Diese Haltung ermöglichte uns, aus der Depression der Nicht-Anerkennung
wieder herauszufinden und neues Selbstbewusstsein zu gewinnen.
Für mich persönlich ist darüber hinaus auch die Hellinger-Stellungnahme
der SG von Bedeutung, eine Positionierung der SG zur Aufstellungsarbeit
und zur Person von Bert Hellinger, die neben meinem offenen Brief an
Hellinger im vergangenen Jahr in der systemischen Szene mit großer
Erleichterung aufgenommen worden ist. Es wurden dabei klare Worte
gesprochen, ohne gleichzeitig die Methode der Aufstellung als solche in
Bausch und Bogen zu verurteilen, die durch als Instrument wertgeschätzt
wurde, mit dem man sich gleichwohl auseinandersetzen sollte.
Ganz wichtige Meilensteine waren auch die Tagungen und Kongresse unter
Federführung oder Beteiligung der SG. 2002 haben wir in Saarbrücken zum
ersten Mal den Schritt von einer die Mitgliederversammlung begleitenden
fachlichen Auseinandersetzung in die Öffentlichkeit gemacht und unter
der Überschrift „Körper, Geist, System“ eine erste allgemeine
Fachtagung gemacht, die sehr gut angekommen ist. Nach der Tagung 2003
in Köln zum Thema „Wie lernen Organisationen“ haben wir in diesem Jahr
hier in Halle schon die dritte Fachtagung „Systemische Praxis zwischen
Handwerk und Kunst“.
Nun fällt gleich auf, dass in dieser Reihe 2004 fehlt, und das bringt
mich auf ein unglaubliches Highlight in unserer Verbandgeschichte:
nämlich dass wir gemeinsam mit der DGSF den „5. Europäischen Kongress
für Familientherapie und Systemische Praxis“ ausgerichtet haben, mit
3.500 Teilnehmern eine der größten Tagungen einer einzelnen Schule, die
es bislang in Deutschland gegeben hat.
TL: Noch einmal zurück zum Verband.
Bis 1999 war die SG eine Organisation, in der eine
face-to-face-Beziehung der Mitglieder bzw. Institute-Vertreter
dominierte, die viele Auseinandersetzungen sowohl erleichterte als auch
erschwerte. Heute ist die Gesellschaft so groß geworden, dass sich
viele Mitglieder nicht mehr kennen. Welche Auswirkungen hat das auf die
SG?
AS: Das ist sicherlich eine der zukunftsrelevanten Fragen für die SG.
Bis vor einiger Zeit konnte man sagen, dass wir alle Institute,
die sich um eine Aufnahme bewarben, mehr oder weniger gut kannten. In
den letzten Jahren haben wir verstärkt Aufnahmeanträge von Instituten
erhalten, die keinem aus der Mitgliedschaft wirklich bekannt waren.
Daran erkennt man die Attraktivität des Labels der SG, aber wir
verfügen noch nicht über ausreichend differenzierte Strukturen, um mit
solchen Anfragen gut umgehen zu können. Daher haben wir gestern auf der
Mitgliederversammlung der SG Prozeduren beschlossen, die uns erlauben,
anfragende Institute zunächst einmal besser inhaltlich und von der
konkreten Arbeit her kennen lernen zu können und gleichzeitig
deutlicher die Frage zu stellen: „Hat die SG ein Interesse an der
Aufnahme, welche Bereicherung bringen neue Institute für die
Gesellschaft ein?“
Ein zweiter Gesichtspunkt ist der, dass wir in
einem langen Klärungsprozess Qualitäts-Standards bzgl. Organisation und
Inhalten von Weiterbildungsangeboten entwickelt haben, die für alle
Mitgliedsinstitute galten, ohne dass dies in einem fortlaufenden
Prozess immer wieder neu überprüft worden wäre, da die Institute für
die Einhaltung der Standards bürgten. Mit zunehmender Größe und
zunehmender zeitlicher Entfernung von diesem Prozess kann das so nicht
mehr gewährleistet sein. Wir brauchen daher m.E. ein Instrumentarium,
um uns zu vergewissern, ob wir noch auf demselben Boden unseres
Qualitätsverständnisses stehen. Das sind sicher Aufgaben, die jetzt mit
dem Größerwerden des Verbandes unumgänglich werden.
TL: Was wünschst Du Cornelia Oestereich, Deiner Nachfolgerin im Amt der ersten Vorsitzenden der SG?
AS: Da denke ich zunächst an die naheliegendsten Aufgaben, die
anstehen. Zum Jahresende verlässt uns unsere langjährige
Geschäftsstellensekretärin Regina Gunne, die mit einer unglaublichen
Autonomie und enormem Engagement die Alltagsgeschäfte des Verbandes
geregelt hat. Wir sind mittlerweile so sehr gewachsen, dass wir
zukünftig nicht ohne einen Geschäftsführer auskommen werden. Es
gibt daher eine ganze Menge an arbeitsintensiven
Strukturentwicklungsaufgaben für den Vorstand, von der Beschreibung
eines Qualifikationsprofils eines solchen Geschäftsführers bis hin zur
Ausstattung des Sekretariates. Da wünsche ich Cornelia und auch den
anderen VorstandskollegInnen, dass sie eine gute Hand und auch das
Glück haben werden, jemanden zu finden wie Regina Gunne.
Dann gibt es etwas, das ich eigentlich nicht zu wünschen brauche, da
ich sehr von seinem Eintreffen überzeugt bin, nämlich dass Cornelia die
notwendige Kontinuität in der berufspolitischen Präsenz der SG nahtlos
fortführen wird. In diesem Zusammenhang ist übrigens auch ein baldiges
Treffen der beiden bisherigen Vorsitzenden mit der neuen Vorsitzenden
geplant.
Eine weitere Aufgabe wird sein, gemeinsam mit der DGSF eine gute Lösung
zu finden, wie die deutsche systemische Szene in der EFTA repräsentiert
sein wird, die ab dem nächsten Jahr nur noch einen nationalen Verband
als Mitglied anerkennen wird
Hierfür und für alles wünsche ich Cornelia Oestereich alles Gute.
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