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Rosmarie Welter-Enderlin zum 65. Geburtstag von Gunthard Weber
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Lieber Gunthard,
während ich in meinem kleinen Büro im alten Haus sitze und den drei
Pferden zuschaue, die vor dem nahen Wald grasen, bist Du auf Deiner
Weltreise bzw. „Aufstellungs-Tournee“ unterwegs. Ich vermute, dass Du,
wie Du angekündigt hast, nach Moskau nun in Asien bist, wo Nele Dich
trifft, bevor Ihr nach Südamerika fliegt. Ist dazwischen noch Bamako in
Mali dran, wo Du an einem Schulprojekt für Mädchenbildung arbeitest?
Ich habe nicht mehr alle Stationen Eurer Reise im Kopf.
Du ahnst wohl, dass ich – nach vielen eigenen Reisen - nun gerne im
Grünen sitze und meine Gedanken zu Dir und Deinem bevorstehenden
„runden“ Geburtstag schweifen lasse, über cyberspace vielleicht, mit
den herzlichsten Wünschen für eine gute und sichere Reise. Tom Levold
hat mich gebeten, zuhanden seines systemagazins ein paar Worte zu Dir und
zu unserer Beziehung zu schreiben, was ich sehr gerne tue.
Anfänge: Learning by Doing
War das Institut an der Mönchhofstrasse in Heidelberg, wo wir uns
etwa 1977 zum ersten Mal begegnet sind? Helm Stierlin, wie ich von
einem langen USA Aufenthalt zurück, hatte mich eingeladen, zu meinen
Erfahrungen mit Paartherapie (systemisch- verhaltenstherapeutisch à la
Jay Haley und Richard Stuart) zu erzählen. Ich weiss, dass ich damals
noch amerikanische Miniröcke trug, die in Europa längst out of style
waren, weil mir das Geld für Schweizermode fehlte. Schliesslich hatten
wir noch kleine Kinder, und Rudolf und ich waren in Europa Mr. und Mrs.
Nobody.
Vermutlich illustrierte ich meinen damaligen Workshop mit diesen
schwerfälligen Videobändern, die man noch von Hand einfädeln musste.
Die technisch Begabteren in Eurem Team halfen mir wohl dabei. Ich
erinnere mich an Dich, wie Du in der grossen Kursgruppe am Rande
sassest, um besser „in and out“ flitzen zu können. Vermutlich war ich
ein bisschen gekränkt über Dein Flitzen, aber sicher bin ich nicht,
nach so langer Zeit. Seit kurzem erst weiss ich, warum Du damals so
hektisch warst. In Eurem wundervollen Garten in Wiesloch, wo Nele und
Du mit mir in diesem Sommer abends beim Teich sassen, hast Du von den
Anfängen bei „Übervater“ Stierlin erzählt. Angeregt von Ingeborg
Rücker-Emden-Jonasch hat er Dich damals als jungen Spund ins Team
aufgenommen und sofort ins kalte Wasser von Paar- und Familientherapien
geworfen. Und wie es zu Dir gehört, hast Du Learning by Doing
praktiziert. Brilliant und zuverlässig, wie es zu Dir passt! Darum
musstest Du in der Klinik auch präsent sein für Familien und konntest
nicht einfach gemütlich im Workshop sitzen. Du hattest das Vertrauen
des Meisters, und an Vaterfiguren orientiert, wie Du bist, hast Du die
angebotene Chance bestens genutzt. Es war ja für Leute wie Du,
eigenständig und neugierig, eine wunderbare Zeit zum Lernen! Wildwuchs
und Lebendigkeit eben.
Wenn ich daran denke, was für sonderbare Blüten der heutige
Reglementierungszwang in Sachen Psychotherapie treibt, wie fleissige
Beamte mit legitimen Zwängen ihren Status festigen und Studierende beim
Sammeln ihrer Rabattmarken das Lernen vergessen, finde ich den
damaligen Wildwuchs – wie der Wildwuchs in Deinem Garten! – eine wahre
Freude.
Gunthard als Ideenstifter und Gründerfigur
Seit ich weiss, dass Du einmal Offizier warst und als Sportler Deine
Sporen abverdient hast, verstehe ich besser, woher Deine Freude an
Bewegung und an „Führung“ kommt (dieses Wort ist in der Schweiz
erlaubt!). Ich habe in den vielen Jahren, seit wir uns kennen, immer
Deine Energie und Dein Temperament bewundert, wenn wir zusammen
Workshops gaben und Du schon bei Themen angekommen warst, die noch kaum
ausgesprochen waren, und die Gruppe fasziniert hinter Dir her rannte.
Das Motto „Beeil dich“ scheint in Deiner Lebensgeschichte verankert zu
sein, hast Du einmal erzählt, und es zeigt sich an der Art wie Du
gehst: federnd und zielbewusst. Und weil es mir nie langweilig wird mit
Dir, mag ich dieses Federnde und Zielbewusste. Man kann Dich nämlich
zum Anhalten bringen! Freundliches oder kritisches Nachfragen dient
dazu, aber auch körperliche Signale wie Berührung und Rhythmus. Du bist
ein phantastischer Tänzer! Und wenn ich nicht durch einen Unfall beim
Langlaufen ein „dummes Knie“ hätte, würde ich gerne die nächsten 50
Jahre mit Dir über die Stolpersteine des Lebens tanzen! Oder mit Nele
und Rudolf zusammen wandern, zum Beispiel im Safiental, wo wir bei
unseren Bergbauer-Freunden und ihren drei Buben vor einem Seminar ein
Wochenende verbracht haben und Gemsen und Steinböcke beobachteten.
Oder unsere Reise - nach dem Kongress in Kunming - in Yünnan
wiederholen, im Bus mit den abgeschliffenen Reifen (Rudi sagt, ich
hätte nicht deutlich geschaut) als wir in chinesisch-tibetischem Land
reisten, und auf 4000 m.ü.M. bei einem Ritualort gegenüber den riesigen
Schneebergen Zypressenzweige entzündeten und sie feierlich um das
Heiligtum trugen – erinnerst Du Dich? Im ziemlich dürftigen Hotel in
Dejen haben wir zuerst die ergrauten Leintücher auszuwechseln versucht
und später im Städtchen erstaunlich gut gegessen. Aber am Morgen, als
Du und Nele nicht zum Frühstück erschienen, wussten wir, dass etwas
passiert sein musste. Nachschauen ergab, dass die Türfalle zu Eurem
Zimmer abgefallen war und Ihr eingeschlossen wart. Über eine Leiter
musstet Ihr dann herausklettern. Ohne Panik und mit Gelächter. Ich
hätte das nicht so gut geschafft! Deine Erfahrung mit der Situation in
Entwicklungsländern spürt man bei solchen Ereignissen.
Und dann Deine Einfälle! Sie scheinen Dir zuzufliegen, Du packst sie im
Schwung, und wer mit Dir tanzt, hat guten Zugang zu ihnen. Dabei hilft
es, wenn man mit Dir lachen und sich an den wunderlichen Metaphern
ergötzen kann, die das Leben so anbietet. Den Kalauer zum Beispiel, aus
dem Carl Auer als Verlagsnamen hervorgegangen ist, ein Verlag, der seit
Jahren in schwierigen Zeiten für Bücher überlebt.
Ich habe Dich im Titel dieses Abschnitts als Ideenstifter und Gründer
bezeichnet. Und ich weiss, wovon ich schreibe! Denn ich habe wie Du ein
Institut für die Aus- und Weiterbildung von Therapeutinnen und
Therapeuten gegründet und Kollegen zum Mitmachen eingeladen. Das war
vor 18 Jahren.
Ein Institut, aber nicht drei wie Du habe ich gegründet! Nach Jahren
der Kooperation mit Bernd Schmid im Schlosshof in Wiesloch hast Du an
der Kussmaulstrasse mit bedeutsamen anderen das berühmte „Heidelberger
Institut“ aufgebaut. Kluge Köpfe waren da präsent, und der Ehrgeiz der
einzelnen blühte nicht nur, er wucherte! Die Ideen des radikalen
Konstruktivismus und der Lösungsorientierung fanden dort guten Boden
und wuchsen bis unters Dach. Mir, mit meiner Verankerung in den
Sozialwissenschaften und in der Pragmatik menschlicher Entwicklung und
menschlicher Probleme wurde dabei manchmal leicht schwindlig, besonders
bei der „gnadenlosen Ressourcenorientierung“.
Vor allem erlebte ich bei manchem Eurer Kongresse, wie schnell
interessante Ideen zu Ideologien gerannen. Frauen und Männer hatten bei
Euch auch punkto Theorien einen sehr unterschiedlichen Stellenwert, und
als ich bei Euch das Thema Gender bzw. Geschlecht als soziale
Konstruktion einführte, bekam ich den Unterschied hautnah zu spüren.
Dass Du Dich, nicht ohne Zorn von Kollegen, schliesslich von der
Kussmaulstrasse abgelöst und das Wisl, das Wieslocher Institut
gegründet und Dich später bei der Gründung des HSI, des Helm Stierlin
Institutes in Heidelberg, beteiligt hast, zeigt Deine Resilienz:
Gedeihen trotz widriger Umstände. Kein Wunder, dass Du zunehmend
fasziniert warst von anderen als den klassischen systemischen
Vorgehensweisen, wie sie Euch seinerzeit vom Team in Mailand
präsentiert wurden, die vorwiegend auf formale Sprachregeln bezogen
waren und hohe Intellektualität voraussetzten. Die Tausend klugen
Fragen nach Unterschieden etc. zum Beispiel…
Gunthard als philosophischer Moralist
Sätze wie jener berühmte von der systemischen Neutralität passten weder
zu Dir und Deinem affektiv-engagierten Umgang mit Menschen noch zu
meiner Art, die Dinge fühlbar und nicht bloss intellektuell begreifbar
zu machen. Aber irgendwo hat sich ein Bruch ergeben in der Art, wie Du
und ich das Thema der Fühlbarkeit menschlicher Beziehungen anpackten.
Es könnte sein, dass Du wesentlich stärker bist in Deiner
moralisch-philosophischen Grundhaltung als ich. Oder dass das Thema
Gender und Machtverhältnisse für mich als Frau prägnanter ist als für
Dich?
Jedenfalls habe ich Deine Affinität zum Ex-Priester Hellinger nie ganz
verstanden. Sicher hat er viele Deiner Ideen zum Thema Paar-und
Familienbeziehungen, wie Du sie in den „Skulpturen“ beschrieben und
unterrichtet hast, so übersetzt, dass sie bühnentauglich wurden. Ich
habe einige seiner „Aufführungen“ vor Hunderten Menschen gesehen, auch
in Heidelberg, und mir wurde so übel von seiner normativen Haltung,
dass ich den Saal fluchtartig verlassen musste, während rundum Menschen
in tränenreiche Trance zu fallen schienen. Ich habe diesen Ritus
kürzlich als (katholische) Folkore beschrieben – mit Diskriminierung
von Frauen und mit aller Verächtlichkeit gegenüber
selbstverantwortlicher Mündigkeit, die sich nicht unterwerfen lässt.
Auch nicht von einem Ex-Priester! Bloss das Wort Folklore hat Dir
begreiflicherweise nicht gefallen...
Aber Du und ich haben es geschafft, über diesen Graben hinweg
freundschaftlich im Gespräch zu bleiben und die Unterschiede, die einen
Unterschied ausmachen, offen zu benennen. Als die Systemische
Gesellschaft, der unsere Arbeitsgemeinschaft in Meilen dank dem
Vorschlag von Tom Levold angehört, Deinen Aufnahmeantrag für das Wisl
kritisch beantwortete, haben wir uns in Meilen energisch für seine
Aufnahme eingesetzt. Denn wenn wir auch wenig halten von der
„katholischen Folklore“, halten wir alle sehr viel von Dir und Deiner
therapeutischen Arbeit und Deinem Engagment für Leute in Ausbildung.
Das wollte ich Dir zum 65. einmal mehr sagen. Und ich wünsche Dir, dass
Du weiterhin „einengende Lebensthemen in Fülle verwandelst“ und schenke
Dir dieses Motto gerne für Deine Arbeit und Deine Musse in den nächsten
Jahren.
Herzlich,
Rosmarie Welter-Enderlin
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