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Andrea Brandl-Nebehay - Briefe aus Östererreich Nr. 3, 12.11.2005
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Liebe Leserinnen und Leser,
angeregt durch die südländische Feldpost von Annette Kreuz-Smolinski
mit Ihrer heiteren Skizze der spanischen Familientherapie-Landschaft
möchte ich heute über die alpenländische Psychotherapie-Szenerie
berichten, die auch den Rahmen für systemische Ausbildung und Praxis
abgibt.
In Österreich gibt es seit 1990 das – damals revolutionäre -
Psychotherapie-Gesetz, das Standards für Ausbildungseinrichtungen,
Voraussetzungen für die Zulassung zur Ausbildung sowie die Praxis der
Ausübung von Psychotherapie umfassend regelt.
Die Zugangsbedingungen für Ausbildungs-BewerberInnen sind – anders als in
Deutschland – sehr weit gefasst: neben AbsolventInnen verschiedener
Studienrichtungen (Medizin, Pädagogik, Philosophie, Psychologie,
Publizistik, Theologie, Lehramt) kann man auch mit einem Abschluss in
Sozialarbeit, -pädagogik oder Musiktherapie zur Ausbildung zugelassen
werden. QuereinsteigerInnen aus anderen Berufsgruppen können ihre
besonderer Eignung durch entsprechende Gutachten nachweisen (der sog.
„Genieparagraph“ – eine österreichische Spezialität).
Auch das Spektrum der anerkannten fachspezifischen Richtungen ist breit
gestreut. In den nunmehr 15 Jahren gelebter Praxis des
Psychotherapie-Gesetzes wurden 20 Psychotherapie-Methoden anerkannt,
die sich 4 Hauptrichtungen zuordnen lassen:
- Psychoanalytisch und tiefenpsychologisch
fundierte Methoden (inkl. Daseinsanalyse, Hypnosepsychotherapie,
Katathym-Imaginative Psychotherapie, Konzentrative Bewegungstherapie,
Dynamische Gruppenpsychotherapie und Transaktionsanalytische
Psychotherapie)
- Methoden mit humanistisch-existenzieller
Orientierung (Existenzanalyse, Logotherapie, Gestalttherapie,
Klientenzentrierte Psychotherapie, Psychodrama)
- Systemische Familientherapie
- Verhaltenstherapie
Das zuständige Gesundheitsministerium führt eine
Psychotherapeutenliste, in die mittlerweile ca. 6000 Personen
eingetragen sind. Der Weg zur Eintragung in diese Liste ist
mühselig, teuer und lang. Nach einem für alle
AusbildungsteilnehmerInnen verbindlichen zweijährigen „Propädeutikum“
beginnt die mindestens vierjährige fachspezifische Ausbildung in einer
der oben genannten Therapieschulen. Dieses psychotherapeutische
Fachspezifikum umfasst (jeweils mindestens) 300 Stunden Theorie, 200
Stunden Selbsterfahrung, 150 Stunden Supervision und 1300 Stunden
Praxis (davon 600 Stunden eigenständige psychotherapeutische
Tätigkeit), verbunden mit Kosten zwischen 20.000 und 50.000,- EURO.
Ausbildung in „systemischer Familientherapie“ (so die offizielle
Bezeichnung unserer Schule – ein intern heiß umstrittenes Thema) wird
von 3 anerkannten Einrichtungen angeboten:
Ich selbst bin in der letztgenannten ÖAS beheimatet, die Ausbildungen
in Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck anbietet und mit ca. 300
AbsolventInnen und über 200 aktuellen AusbildungsteilnehmerInnen
einer der größten Ausbildungsvereine ist.
Mit der europaweit spürbaren Veränderung der Bildungslandschaft und
Ausbreitung von Privatuniversitäten wird auch die österreichische
psychotherapeutische Szene aufgemischt: Anfang Oktober 2005 nahm die
Sigmund Freud Privatuniversität (www.sfu.at) in Wien ihren
Studienbetrieb auf und bietet ein Bakkalaureat-Studium (6 Semester)
sowie ein Magister-Studium (4 Semester) der Psychotherapiewissenschaft
an. Begrüßenswert ist die Zielsetzung einer stärkeren Verankerung der
Psychotherapie in Lehre und Forschung sowie die Möglichkeit der
„Nach-Akademisierung“ von bereits anerkannten PsychotherapeutInnen.
Kritische Auseinandersetzungen kreisen hingegen um die Frage, ob ein
Studium der „Psychotherapiewissenschaft“ einer Berufsausbildung
gleichzusetzen sei und zur Berufsberechtigung als Psychotherapeut bzw.
Psychotherapeutin führen könne.
„Verschulung als Totengräberin der Systemischen Psychotherapie?“ war
der provokante Titel eines Artikel von Klaus Mücke ("Verschulung als
Totengräberin der Systemischen Psychotherapie?" In: Z.system.Ther.
17/2: S. 94-100, 1999), in dem er verbindliche Ausbildungscurricula mit
einheitlichen Standards als Begräbnisstätte für die systemische
Therapie als „originelle, aufgeschlossene, kreative, effektive,...
lösungs- und kundenorientierte Therapieform“ schwarz malte.
Neben den vielen Vorteilen des österreichischen Psychotherapie-Gesetzes
ist der Nachteil freilich nicht zu übersehen, dass damit auch die
systemische Ausbildung in ein Korsett gezwängt wurde, das den
LehrtherapeutInnen wie den Studierenden viele Umstellungen und Umdenken
(wie z.B. die verbindlich vorgeschriebenen 80 Stunden
Einzelselbsterfahrung sinnvoll genutzt werden können) abverlangte. Nach
15 Jahren hat man sich – wie die Reifrockträgerin im Rokoko - an das
Mieder gewöhnt und nimmt es nicht mehr als solches wahr. Die Dame ist
schlank, aktiv und lebendig geblieben und zieht nach wie vor viele
VerehrerInnen in ihren Bann.
Mit herzlichen Grüßen aus Wien,
Andrea Brandl-Nebehay
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