Joachim Hinsch: „Wann ist es ein klein wenig besser?“ Nie.
Als wir 1976 im Wiener Institut für Ehe- und Familientherapie mit Paartherapien anfingen, gab es im deutschsprachigem Raum eigentlich nur das Kollusionskonzept von Jürg Willi und vielleicht strukturelle Konzepte, die Paare immer in einem Dreieck sahen: Mann-Frau-Kind, Mann-Frau-Schwiegermutter. Beide Konzepte gaben einen theoretischen Rahmen, aber keine Handlungsideen. Das war umso schlimmer, als ein Großteil aller Therapien von Paaren beansprucht wurde. Wir probierten und bemühten uns redlich, ließen uns von der Paarebene auf die Elternebene treiben, machten Co-Therapien, bei denen man der/dem Co auf vorsichtige Weise das Ruder aus der Hand nahm, um seinen eigenen (vermeintlich besseren) Ideen Platz zu verschaffen. Ehepaar Z. ist mir noch in lebhafter Erinnerung: In der ersten Stunde ging es um ihren Streit, den wir auch in der zweiten Stunde nicht schlichten konnten. In der dritten Stunde war plötzlich das Bettnässen des Sohnes das Thema, das zwar in der vierten, aber nicht mehr in der fünften Stunde wichtig war. Dafür drängte sich das Thema auf, ob der Mann so viel arbeite, weil er sich eigentlich vor dem Familienleben drücke. Diese Frage wurde abgelöst von der Notwendigkeit der Entscheidung, ob die älteste Tochter in den Ferien nach Amerika fahren dürfe. Da alle diese Fragen mit heftigen Auseinandersetzungen des Ehepaares verbunden waren, gab es auch viele Möglichkeiten, darauf einzugehen. Da die Co-Therapeutin ganz offensichtlich nicht weiter kam, ergab sich natürlich immer wieder die zwingende Situation für mich, das Gespräch selbst in die Hand zu nehmen, womit das Ganze wieder von vorne anfing. Man sieht daran, dass mit dem Wunsch, Struktur zu schaffen, leicht Chaos entsteht. Mit Einzeltherapien verbindet mich vor allem ein Erlebnis, das ich hatte, als ich das Konzept de Shazers kennen gelernt hatte: Herr W. war vom Psychosozialen Dienst wegen schwerer Depressionen überwiesen worden. Das schreckte mich nicht mehr, weil ich ja de Shazer kannte. Das Ziel war eh klar, musste also nicht lange erfragt werden, aber Ausnahmen würden sich natürlich leicht finden lassen, denn die gibt es ja immer im Leben. „Wann ist es ein klein wenig besser?“ Nie. „Gibt es irgendwelche Zeiten am Tag, wo Sie das etwas anders sehen?“ Nein. „Überlegen Sie noch einmal genau: wenn Sie den ganzen Tag durchgehen, da gibt es doch irgendwelche Schwankungen. Ist es irgendwann ein wenig leichter?“ Nein, aber wissen Sie, Herr Doktor, wann es mir besser geht? (Jetzt war der Moment, wo ich beweisen konnte, dass de Shazer doch Recht hatte, sein Konzept auch in Österreich funktionierte; ich atmete auf, freute mich über den Durchbruch, über das Gelingen der Therapie): Abends, eine halbe Stunde, bevor ich schlafen gehe. Da nehme ich mein Schlafmittel und weiß, dass ich gleich schlafen werde und erst am nächsten Morgen wieder aufwache. Das war der Moment, wo ich aufgab und wieder anfing, mit ihm zu reden, mich für ihn zu interessieren. Dass auch lösungsorientiertes Vorgehen keine reine Technik, sondern vor allem eine Haltung ist, dass sie den Menschen, der in seiner Not in Therapie kommt, nicht übersieht, verstand ich leider erst später.
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