Haja Molter: Nutze das, was du schon kannst!
„Itzig, wohin reit`s Du? – Weiß ich? Frag das Pferd.“
(Freud, S. (1899/1986). Briefe an Fließ, S. 407)
Eine kleine Geschichte vorweg:
„Vom Mut, ein Probe zu wagen. Ein König stellte für einen wichtigen
Posten den Hofstaat auf die Probe. Kräftige und weise Männer Umständen
ihn in großer Menge. „Ihr weisen Männer“, sprach der König, „ich habe
ein Problem, und ich möchte sehen, wer von Euch in der Lage ist, diese
Problem zu lösen.“ Er führte die Anwesenden zu einem riesengroßen
Türschloss, so groß, wie es keiner je gesehen hatte. Der König
erklärte: „Hier seht ihr das größte und schwerste Schloss, das es je in
meinem Reich gab. Wer von Euch ist in der Lage, das Schloss zu öffnen?
Ein Teil der Höflinge schüttelte nur verneinend den Kopf. Einige, die
zu den Weisen zählten, schauten sich das Schloss näher an, gaben aber
zu, sie könnten es nicht schaffen. Als die Weisen dies gesagt hatten,
war sich auch der Rest des Hofstaates einig, dieses Problem sei zu
schwer, als dass sie es lösen könnten.
Nur ein Wesir ging an das Schloss heran. Er untersuchte es mit Blicken
und Fingern, versuchte, es auf die verschiedensten Weisen zu bewegen
und zog schließlich mit einem Ruck daran. Und siehe, das Schloss
öffnete sich. Das Schloss war nur angelehnt gewesen, nicht ganz
zugeschnappt, und es bedurfte nichts weiter als des Mutes und der
Bereitschaft, dies zu begreifen und beherzt zu Handeln. Der König
sprach: „Du wirst die Stelle am Hof erhalten, denn du verlässt dich
nicht nur auf das, was du siehst und hörst, sondern setzt selber deine
eigenen Kräfte ein und wagst eine Probe.“ (Peseschkian 1979 S. 15)
Meine Anfänge als Therapeut fallen in die Blütezeit der humanistischen
Psychologie Anfang der siebziger Jahre. Im September 1972 machten meine
Frau und ich uns auf über den großen Teich und begannen eine Ausbildung
zum Gruppen- und Paartherapeuten am „Institute of Group Psychotherapy“,
Los Angeles, das damals der Gründer des Instituts, Georges R. Bach,
leitete. Bach arbeitete innovativ auf dem Gebiet der Gruppentherapie,
er verknüpfte psychoanalytische Konzepte mit der Feldtheorie Kurt
Lewins, dessen Assistent er Ende des zweiten Weltkrieges war. Bekannter
ist er durch die Marathon-Gruppensitzungen und sein Konzept der
kreativen bzw. konstruktiven Aggression geworden.
Beim Entstehen meiner heutigen Auffassung über das Lehren von Therapie
und Beratung verdanke ich der Zusammenarbeit mit Bach entscheidende
Impulse. Als Freund und Lehrer ermutigte er mich, meinen eigenen Weg in
der Wahl der therapeutischen Verfahren zu gehen. Von Anfang an befreite
er mich von dem Zwang, mich einer Schule anschließen zu müssen.
Seine Art, uns auszubilden war völlig unkonventionell. Wir konnten an
seiner wöchentlich stattfindenden Gruppentherapie, den ebenfalls
wöchentlichen Streittrainings für Paare und einer wöchentlichen Gruppe
für Singles mit dem Titel „Pairing“ teilnehmen. Wir konnten bei
Paartherapien und therapeutischen Einzelsitzungen hospitieren. Zu
vielen Gastvorlesungen und workshops an kalifornischen Universitäten
begleiteten wir ihn als Assistenten, die Kleingruppen anleiteten und
Aggressionsrituale vor Zuhörern demonstrierten.
Ich erinnere mich gut an eines der ersten Male, wo ich innerhalb eines
Marathons für Paare von George den Auftrag bekommen hatte, eine
therapeutische Sitzung mit einem texanischen Lastwagenfahrer
durchzuführen. Meine therapeutischen Fähigkeiten hatte ich bis dahin
nur in Rollenspielen in der Ausbildung zum Gesprächstherapeuten während
meines Studiums in Köln ausprobieren können. Jim, der texanische
Lastwagenfahrer und imposante Zwei-Meter-Mann sprach ein breites
Amerikanisch mit unverwechselbarem texanischem Akzent. Zu dieser Zeit
war ich noch darauf konzentriert, mich in die amerikanische
Alltagssprache einzuhören und amerikanisch sprechen zu lernen. Ich
konnte einfachen Konversationen halbwegs folgen.
Ich saß Jim gegenüber und hörte ihm aufmerksam zu. Inhaltlich habe ich
so gut wie nichts verstanden. Mit vielen bekräftigenden und
aufmunternden Mhms versuchte ich immer wieder seine Aufmerksamkeit zu
fokussieren und Blickkontakt zu halten. Sein Mienenspiel, das für mich
so etwas wie ein instant feed back war, schien neugierige
Aufmerksamkeit zu verraten. Das Gespräch dauerte ungefähr eine Stunde
und irgendwie muss ich es geschafft haben, ein Ende zu finden. Jim
stand mit mir auf, der Zwei-Meter-Mann beugte sich zu mir herunter und
umarmte mich herzlich, lange und fest, um mir dann zu sagen: „So gut
wie Du hat mir noch keiner zugehört.“
Meine Empfehlung für Anfänger: „Nutze das, was du schon kannst!“ und „Wer am Schwimmen ist, geht nicht unter“.
Literatur:
Bach, G. (1950). Dramatic play therapy with adult groups. J.Psychol. 29, 225-246
Bach, G. (1954). Intensive Group Psychotheray. New York: Ronald Press
Bach, G., Wyden, P. (1969). Streiten verbindet. Formeln für faire Partnerschaft in Liebe und Ehe. Gütersloh: Bertelsmann
Bach, G. Molter, H. (1976). Psychoboom – Wege und Abwege moderner
Psychotherapie. Köln: Diederichs
Peseschkian, N. (1979). Der Kaufmann und der Papagei. Frankfurt am Main: Fischer
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