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systemagazin special: "Das erste Mal"
Edelgard Struß: Das erste Mal ist manchmal gar nicht das erste Mal


War das die erste Supervision? Als ich ein Team von vier Personen beraten habe, die sich kaum kannten und sich in 4 Sitzungen darauf vorbereiten wollten, mit psychisch kranken Menschen in einer Werkstatt für Behinderte zu arbeiten, die es noch gar nicht gab? Da nannte ich mich selber noch gar nicht Supervisorin, weder offiziell noch inoffiziell. In der 2. Sitzung ging es um die Diagnose „Depression“. Zwei Praxisanleiter, bis vor kurzem als Ingenieure in der Atomindustrie tätig, eine Ergotherapeutin und ein Sozialarbeiter versanken im Laufe der Sitzung in eine bleierne Stimmung, hingen durch, redeten immer langsamer, starrten Löcher vor sich hin. Ich dachte, was passiert hier, die haben sich quasi anstecken lassen, wenn die mir jetzt hier untergehen, so intensiv wollte ich sie in das Thema eigentlich nicht eingeführt haben, was mach ich denn jetzt? …
Oder war die erste Sitzung die mit Ludger, einem guten Bekannten. Während einer Autofahrt erzählte er eine ziemlich üble Geschichte, die gegen ihn als Redaktionsleiter eines Radiosenders im Gang war: unfähige und karrierebesessene Vorgesetzte, unangemessene Kontrollen, Störmanöver anderer Redaktionen, Angst vor Herunterstufung in der Hierarchie. Wir verabredeten eine Supervisionssitzung, die folgendes zutage brachte: Ludger war zu dem Zeitpunkt ein exzellenter und gefragter Journalist, beim Sender allerdings dafür bekannt, dass er sehr teure private Reisen als Dienstreisen deklarierte und seine Vorgesetzten moralisch unter Druck setzte, wenn sie zögerten, ihm die Spesenrechnung abzuzeichnen, dass er sich immer wieder mal über Wochen krank meldete und dann einer anderen Betätigung nachging, und zwar so öffentlich, dass jeder es jeder mitkriegen konnte, dass er in seinem phänomenalen Gedächtnis über jeden Vorgesetzten eine Art Stasiakte führte, in der alle Ärgernisse, Missverständnisse und Ungereimtheiten seines gesamten Berufslebens gespeichert waren, um sie bei passender Gelegenheit als Waffe zu verwenden. Weiteres Nachfragen brachte Ludgers feste Überzeugung zutage, dass die Arbeit in einer Organisation grundsätzlich eine herabwürdigende Knechtschaft darstellt, die einen daran hindert, das zu tun, was man wichtig und angenehm findet und deshalb jeder Betrug moralisch gerechtfertigt ist. Ich dachte: was für ein Ferkel, so habe ich ihn bisher gar nicht gekannt, und würde ihn lieber auch gar nicht kennen, aber das ist jetzt zu spät, wie soll ich denn jetzt mit ihm weiterreden, als Freundin? als Supervisorin?…
Es könnte auch folgende Sitzung die erste gewesen sein: Ich war mit der Supervisionsausbildung noch nicht fertig, da bekam ich eine Anfrage vom Stationsteam einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik. Auch die Chefärztin wollte teilnehmen. Ein fetter Brocken, ich war begeistert, großartig, ich verabredete ein Kennenlerngespräch, der Termin rückte näher. Ich hatte mich noch nie näher mit Kinder- und Jugendpsychiatrie beschäftigt, noch nicht mal eine derartige Klinik betreten, das würden die möglicherweise sofort merken …, was zieh ich denn da an, soll ich so richtig seriös oder eher leger, in welchen Kleidern laufen die wohl selber rum, nicht dass ich da so overdressed …, wahrscheinlich haben die schon jahrelang bei den mega-erfahrenen Stars der Szene Supervision gemacht und ich tauche jetzt als Anfängerin auf, Absage schon vorhersehbar quasi, im Grunde bräuchte ich gar nicht erst hinzufahren, wie muss ich denn eigentlich fahren, 60 Kilometer Autobahn und Landstraße, also eine Stunde plus eine halbe Stunde, falls ich mich verfahre, also gut, besser eindreiviertel Stunden wegen Parkplatzsuche oder noch besser 2 Stunden vorher losfahren, direkt vor dem Treffen noch was essen, damit ich nicht schon unterzuckert anfange, und bloß keinen Kaffee trinken, nicht dass ich während des Gesprächs so unter Druck gerate …
Vielleicht war die erste Sitzung aber auch die im Team einer offenen Jugendhilfeeinrichtung. Die Sitzung fand in der Sofaecke eines Freizeitraums der Einrichtung statt, in der an diesem Nachmittag nichts los zu sein schien. Ein Mitarbeiter berichtete von seinen Schwierigkeiten, den Beginn einer Kochgruppe mit Jungs zwischen 13 und 15 Jahren so zu gestalten, dass alle gemeinsam anfangen. Gleich zu Anfang seiner Erzählung klopft es, zwei Mädchen stehen im Raum: wir dachten, heute wäre Video … gucken sich um und gehen wieder. Der Mitarbeiter fährt fort und wird wenig später unterbrochen von drei älteren Jugendlichen, die ohne anzuklopfen: Tschuldigung! den Raum durchqueren: wir müssen mal hier durch. Als sie durch eine Tür am anderen Ende des Raums verschwunden sind, konzentriert sich das Team wieder auf die Kochgruppe, zu der die meisten nicht pünktlich kommen, wie der Mitarbeiter schildert, sie kommen nacheinander in die Küche, setzen sich erstmal nebeneinander auf die Arbeitsplatte, zünden sich Zigaretten an und fragen, wann es was zu essen gibt. Im Nebenraum wird jetzt die Anlage so laut gestellt, dass eine Mitarbeiterin aufsteht und einschreitet, laute Stimmen sind durch die Tür zu hören, eine Jugendliche dreht offensichtlich durch. Der Teamleiter springt auf und verschwindet in Richtung Tumult, die restlichen Teammitglieder rutschen tiefer in die Sessel, schnaufen und gucken sich um. Der Mitarbeiter setzt seine Erzählung nicht fort und schlägt eine Pause vor. 20 Minuten Supervision sind um, ich denke: wo sind wir denn hier, im Jugendzentrum oder was!? ist das Fallschilderung in vivo? ich bin doch keine Dompteurin, am liebsten würde ich auch einfach gehen, …
Im Nachhinein würde ich sagen:
  1. Es nutzt wenig, sich eine allzu präzise Vorstellung von Beratung zuzulegen. Da halte ich es ausnahmsweise mit Helmut Kohl, dem folgender bewundernswerter Satz zugeschrieben wird: In der Wirklichkeit ist die Realität ganz anders.
  2. In Momenten von Unsicherheit, gefühlter Unprofessionalität und Blockade hat es selten geholfen, mir meine Vorbilder in Sachen Supervision vorzustellen. Besser funktioniert es, wenn ich kurz so tue, als wäre ich als unerfahrene und verwirrte  Supervisorin unterwegs mit mir selbst als vollständig unerfahrener und vollständig verwirrter Supervisorin. Diese vollständig unerfahrene Kollegin berate ich dann kurz mal und versuche, sie ein bisschen auf Distanz bringen zu ihren Affekten. Und meistens entdecke in ihren verwirrenden Gefühlen und Gedanken eine brauchbare Idee. „Hör mal, das mit der Ansteckung und den psychischen Krankheiten ist eigentlich sogar ein gutes Stichwort. Mach doch was damit!“ (In dem Team stellte sich heraus, dass sich die beiden Ingenieure Sorgen machten, sie könnten auf die Dauer selber verrückt werden, wenn sie mit psychisch kranken Menschen arbeiten, etwa so, wie man es im Volksmund von Psychiatern sagt, die im Laufe der Jahre angeblich immer komischer werden. Das wiederum brachte den Sozialarbeiter und die Ergotherapeutin als erfahrene Psychiatrieleute ins Geschäft, die beide von den anderen sofort wissen wollten, ob bei ihnen schon was zu merken sei …)
  3. Das 1. Mal ist manchmal gar nicht das 1. Mal.



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