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systemagazin special: "Das erste Mal"
Ulrich Sollmann: Ausbruch und Einbruch. Zur Wechselwirkung von Person und Professionalisierung als Psychotherapeut

Es begann damit, daß ich nicht mehr morgens um 8 Uhr zur Vorlesung ging. Es begann auch damit, daß ich nicht mehr mit Krawatte die Universität besuchte. Anfangs war mir gar nicht klar, worum es ging. Anfangs spürte ich noch nicht, was ich tat. Ich machte die Dinge anders. Ich registrierte, dass meine KommilitonInnen auch Dinge anders machten. Und ich merkte schließlich, dass ich mich damit wohl fühlte. Irgendwann, ich weiß nicht mehr genau, wie mir geschah, saß ich in einer SDS-Veranstaltung. Es ging um Politik. Es ging um Hochschulpolitik. Aber es ging auch um ein fundamental neues Selbstgefühl. Ohne es anfangs bewusst wahrgenommen zu haben, hatte ich begonnen, emotionale „Defizite“ meiner Schulzeit „aufzufüllen“. Ich fühlte mich angesprochen. Ich fühlte mich freier. Ich fühlte mich nicht mehr herkömmlichen Konventionen gegenüber verpflichtet. Ich genoss meinen Freiraum. Und ich war erfüllt von Selbstüberzeugung, Tatkraft, Experimentierfreude und Neugier.
Ich wechselte mein Studium, verließ die rechtswissenschaftliche Fakultät, ging für ein Semester nach Wien, in der Hoffnung Freud zu treffen oder wenigstens einen seinen Schüler zu erleben. Wieder zurück und wissenschaftlich bekehrt gelang es mir, bei den Sozialwissenschaften Unterschlupf zu finden. Gerade das Neue, gerade das Ungewisse lockte mich.
Auf einmal verstand ich die Dinge, die ich studierte. Auf einmal machten Seminarthemen, die ich in einer Hausarbeit bearbeitete, Sinn. Einen Sinn, der sich in eine praktisch - kritische und provozierende Haltung den Geschehnissen des gesellschaftlichen Alltags gegenüber erweiterte. Zusammen mit Anderen.
Einige Zeit später lernte ich emotional fliegen, als ich nämlich dem Geist von Esalen, der sich zunehmend in den Selbsterfahrungsgruppen ausbreitete, begegnete (Esalen ist ein Growth Center in Californien, das Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre mit seinem Workshop- und Lebensprogramm den Siegeszug der Verfahren der Humanistischen Psychologie begründete).
Auf  einmal fühlte ich mich. Auf einmal war mir bewusst, dass ich Sinne und Spaß an diesen Sinnen hatte. Auf einmal war ich voller Glück und Lust, wenn ich anderen Menschen begegnete. Zeit und Raum schienen keine Bedeutung mehr zu haben.
Inzwischen hatte ich mein Diplom in Sozialwissenschaften und konnte mir aus der breiten Palette von beruflichen Möglichkeiten das aussuchen, was mir behagte. Da ich schon während des Studiums in der Drogenberatung tätig war, verfolgte ich diese Spur.
Gestärkt durch den 68er-Ausbruch, emotional aufgefüllt und überzeugt durch die diversen Selbsterfahrungsgruppen, genoß ich das spannende Experimentierfeld der beruflichen Anwendung. Gab es damals doch Jobs ohne Ende. Und war man doch gerade hierdurch für viele Arbeitgeber eine willkommene Abwechslung, die frischen Wind in die Büros brachte.
Inzwischen hatte ich gelernt, psychoanalytisch mit Gruppen und größeren Systemen zu arbeiten. Ebenso hatte ich eine Psychotherapie-Ausbildung in humanistischen Verfahren (Gestaltpsychotherapie, Bioenergetische Analyse) begonnen. Alles paßte. Alles schien einem noch unentdeckten, geheimen Plan zu entsprechen.
Bis ich Mitte der 70er Jahre radikal ernüchtert wurde. Gestärkt durch den 68er-Ausbruch, die gute Sensitivity-Füllung und die Verführung durch eigene Omnipotenzphantasien, hatte ich zusammen mit Kollegen ein Weiterbildungs-Institut gegründet, um genau das, was wir selbst als so toll und überzeugend erlebt hatten, weiter zu tragen. Natürlich wollten wir auch eine schöne Mark damit verdienen. Aber bereits der Anfang unserer Unternehmung zeigte, wie blind wir für unsere eigene Allmachtsphantasie waren. Ein stattliches Institut musste her, bevor überhaupt der erste Praxisschritt getan war. Ein Institut verschafft einem ja schließlich Geltung oder zumindest gefühlte Macht. Hatten wir zumindest so geglaubt!
Im Rahmen unseres Instituts wollten wir Seminare und Workshops zu unterschiedlichen Themen aus dem Bereich der humanistischen Psychologie anbieten. Im Glauben, dass das, was uns gut getan hatte, auch anderen Menschen gut tun würde. Müsste?
Jetzt, selbst in der Rolle als Seminarleiter tätig zu sein, hieß: Für eine schöne Erfahrung nicht Geld zu bezahlen, sondern selbst über die Bestimmung der Honorarhöhe im eigenen Geldsäckel verfügen zu können. Wir bestimmten einfach einen Teilnehmerbeitrag. Dabei ließen wir uns wohl eher von einem damals noch nicht entdeckten Größen-Selbst leiten als durch marktgerechte Einschätzung der Situation. Wir suchten überschlägig nach einem Preis. Ohne im entferntesten darüber nachzudenken, worin der Wert unserer Arbeit überhaupt bestehen würde, für den dieser Preis bezahlt werden sollte. Unerfahren in Bezug auf den Geldwert unserer Arbeit. Den Geldwert unserer Kompetenz.
Um ehrlich zu sein, wir hatten nie richtig im Workshop-Geschäft angefangen zu arbeiten. Zwar gab es  schöne Flyer und das ein oder andere Seminar. Zwar gab es lange Gesprächsrunden, in denen wir alle möglichen interessanten Konzepte entwickelten, ohne aber letztendlich genügend Bodenhaftung zu haben, sie realitätstauglich umzusetzen. Dies wäre aber nötig gewesen, um realistischer Weise auch das einschätzen zu können, was eine berufliche Zunft ausmacht. Um in der späteren eigenen beruflichen Praxis sicher zu sein. Wir hatten keine genaue Kenntnis von unserer Zielgruppe. Waren uns nicht sicher, worin unsere eigene Kompetenz bestand, glaubten sie zu besitzen, daher auch verkaufen zu können.
Natürlich führte diese Traumtänzerei schnell zu den diversen Rivalitäten und Konkurrenzen.  Natürlich ging es dabei um Einfluss, Macht und Geld.
Kollegial und emotional vor die Wand gefahren, trennten wir uns schließlich im Streit. Ich erlebte meinen ersten ernüchternden beruflichen Einbruch!
Glücklicherweise hatte ich meine beiden lehranalytischen Väter. Als ich bei einem meiner nächsten Workshops im Rahmen der Gestalttherapie-Ausbildung Hilarion traf, hatte dieser bereits über den kollegialen Flurfunk von allem erfahren. Ohne viel Worte zu verlieren forderte er mich, mit einem leichten vorwurfsvollen Unterton in seiner Stimme, auf, doch etwa Seriöses zu machen. Ich hätte es doch nicht nötig, mich auf das Niveau von Schaumschlägern zu begeben.
Das traf! Das wollte ich nicht hören! Das führte mir unerbittlich vor Augen, daß ich mich auch mit Hilarion in Rivalität befunden hatte.
Jan, bei dem ich meine Lehranalyse in Bioenergetischer Analyse machte, erfüllte weiterhin meine Projektion vom wohlwollend akzeptierenden, gewährenden aber auch hochkompetenten Vater. Ich solle etwas Solides machen, betonte er und meinte damit, meine Ausbildung in Körperpsychotherapie zu Ende zu machen. Dann eine kleine Einzeltherapiepraxis aufzubauen. Und nicht mehr mit anderen Kollegen zusammen die Dinge hoch zu puschen. Wenn ich schließlich eine gutgehende Praxis hätte, dann könnte ich ja jemanden einladen, mitzumachen. Dann könnte ich ja das eine oder andere gemeinsame Projekt starten.
Ich fühlte mich damals fast professionell amputiert, zumindest natürlich völlig mißverstanden. Innerlich in so manchem Zwiegespräch mit Hilarion und Jan verstrickt, suchte ich noch nach beschönigenden Erklärungsversuchen, um weiterhin an meiner Allmachtsphantasie festhalten zu können. Sie doch noch so umzudeuten, so dass ich es nicht als Scheitern erleben musste. Als Scheitern von mir als Person.
Letztendlich hatte die Lehranalyse nun doch etwas wirklich pragmatisch Gutes, war also nicht nur ein Pflichtbestandteil der Ausbildung. Nach einiger Zeit ernüchtert und jetzt wirklich bemüht, eine solide Ausbildung auch zu Ende zu bringen, begann ich, mich mit meiner Berufsrolle auseinanderzusetzen. Natürlich wurde mir meine Allmachtsphantasie schmerzhaft vor Augen geführt und ich lernte die Desillusionierung als einen Prozess des Ent-Lernens zu erfahren. Dinge gehen anders, als man denkt, und als man es will. Psychotherapeutisch tätig zu sein heißt: Nicht nur das emotionale Fliegen aus den Sensitivity-Gruppen weiterzutragen. Im Glauben, andere würden auch so fühlen wie man selbst. Sondern professionell Verantwortung zu übernehmen, Bodenhaftung in der Beziehung zu behalten. Allmählich lernte ich den kollegialen Seitenhieb von Hilarion zu schätzen. Auf einmal schien mir seriöses und solides berufliches Handeln als eine Notwendigkeit und sogar als eine verschüttete Chance. Als unentdeckte Chance zu mir selbst zu finden, mich beruflich professionell zu identifizieren, mich mit meinem Profil, mit meinen Sonnen- und Schattenseiten anzufreunden, um einen emotionalen Boden für mein berufliches Ich zu haben.
Aus heutiger Sicht bin ich froh, nach dem 68er-Ausbruch, der emotionalen Füllung und der zeitweisen omnipotenten Anwendung gerade diesen Einbruch erlebt zu haben.  Aus heutiger Sicht erlebe ich mich auch manchmal als mein eigenes, gefühltes Referenzsystem. Ich erlebe mich auf meinem emotionalen Boden gesichert, um die nötige Bereitschaft zu haben, überraschende Spannungen die im therapeutischen Prozess und im professionellen Feld ja zum Tagesgeschäft gehören, halten zu können. Ohne sie vorschnell, methodisch geschickt, theoretisch gut begründet zu bemächtigen.




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