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systemagazin special: "Das erste Mal"
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Corina Ahlers: Hundeschmuggel und tierische Affektregulation
Als ich 1983 meine erste Live-Supervision im Rahmen meiner systemischen Ausbildung organisierte, arbeitete ich gerade in der städtischen Psychiatrie in Wien. Die Motivation meiner Klientin schien blendend zu sein, denn sie war gerade entlassen worden und so konnte ich ihre ganze Familie zu einem Nachfolgegespräch einladen. Ich war voller Freude, dass alles so gut klappte, denn manche meiner KollegInnen hatten schon häufig KlientInnen eingeladen, die dann nicht erschienen oder gar nicht erst bereit waren, für ein derartige Interview im Ausbildungsrahmen zu Verfügung zu stehen. Meine Ausbildungsgruppe und meine beiden Ausbildner warteten an jenem Samstag Vormittag mit mir oben auf der Station und die Familie kam und kam nicht… Wäre ich nicht auf einer intuitiven Ebene zutiefst davon überzeugt gewesen, dass diese Klientin mich nicht im Stich lassen würde, wäre ich nicht mit dem Auto bis an die Pforte gefahren: Dort, vor dem Eingang des Spitals wartete ratlos die Familie … mit einem Hund! Sie hatten ihn gerade erst erworben und der Portier liess sie nicht vorbei, weil Tiere im Spital nicht erlaubt waren. Ich fing also meine Live-Supervision an, indem ich mich mit der Familie beriet, wie wir nun vorgehen könnten. Schliesslich bog ich mit meinem Auto um die Ecke, wo uns der Portier nicht sehen konnte. Dort stieg die Familie ein, und der Hund wurde auf den Boden gedückert (er war ziemlich gross). So beladen fuhr ich dann am Portier vorbei und oben auf der Station konnten wir dann unbehindert hinein, dort warteten ja meine Komplizen (für die lang ersehnte Live-Supervision). Da das grosse Ereignis in der Bibliothek stattfand, erfuhren diensthabende Ärzte und Schwestern weiter nichts von unserem Vorhaben, das waren die guten alten Zeiten einer verschlafenen chronische Psychiatrie im „Psychiatrischen Krankenhaus Baumgartner Höhe“ , auch unter „Lemoniberg“ (wegen der goldenen Kuppel der Otto Wagner Kirche) oder „Guggelhupf“ ( der Kuchen mit dem drinnen und draussen) bekannt. Es ist dies ein wunderschönes Jugendstilspital der Stadt Wien, welches sich auf jeden Fall lohnt, auch touristisch heimzusuchen, und wenn es nur dazu ist, unter dem Schwarm der Krähen ein bisschen der modrigen Wien-Athmosphäre einzuatmen. Wir betraten die Bibliothek des Pavillon 24 und die Familie nahm mit mir Platz. Der Hund streckte sich sofort wie ein Teppich in der Mitte aus und zeigte so mit jeder seiner Pfoten auf ein Familienmitglied (Mutter, Vater und zwei Töchter). Wir hatten also eine ungewollte „Aufstellung“, die ich allerdings damals nicht weiter kommentierte, es war auch noch nicht das Hellingerfieber unter uns ausgebrochen. So lag der Hund die ganze Sitzung hindurch. Bis heute erinnere ich diese erstaunliche Metapher „tierischer“ Affektregulation. Der Hund lenkte naürlich alle Aufmerksamkeit – auch die der Lifesupervision – auf sich. Viel anderes gab es irgendwie nicht zu sagen. Die Mutter war gerade heimgekehrt, sie war jetzt gerade nüchtern und nun gab es einen Hund: Die Freude war groß. Ich konnte also eine erfolgreiche Lifesupevision veranstalten und kann mich allerdings an keine einzige systemische Frage erinnern, die ich damals gestellt hätte. Alle waren so aufgeregt und so freudig überrascht, dass diese Sitzung nun doch hatte zustande kommen können. Bis heute bin ich der Familie zutiefst dankbar. Ob ich systemisch in meiner direkten Arbeit mit der Familie viel gelernt habe, bezweifel ich. Allerdings hat mich meine soziale Kompetenz an diesem Tag gerettet und ich habe viel an der Beobachtung der Affektregulation in dieser Familie – meine Patientin war alkoholkrank – gelernt. Meine Ausbildner machten in der Pause ein paar Bemerkungen, an die ich mich nicht erinnern kann, aber ich kann mich wohl erinnern, dass ich sie gefühlsmässig überflüssig fand. Ich fand auch Jahre später ihre Bemerkungen zu meiner Abschlussarbeit überflüssig – ich habe ihnen das natürlich damals nicht gesagt – aber dieses Erlebnis bewog mich, meine Abschlussarbeit Jahre später genau so zu publizieren, wie ich sie bei meinem Abschluss vorgestellt hatte. An dem Tag meiner ersten Lifesupervision lernte ich also, meinen Umgang mit Ausbildungsautoritäten zu finden, was nicht heissen soll, dass ich in den nachfolgenden Seminaren nicht noch viel lernen konnte. Ich hatte an diesem Tag meine Beziehung zu meinen Lehrern definiert und entmystifizierte sie, weil ich selber etwas geschafft hatte, nämlich einen Hund am Portiert eines öffentlichen Spitals vorbei zu schmuggeln, eine Fähigkeit, die ich keinem meiner beiden Trainer zugestanden hätte. Seit diesem Tag war ich frei und bis heute freue ich mich über jeden Studenten, der mir widerspricht. Ich zitiere manchmal heute gegenüber meinen StudentInnen dieses Beispiel, um ihnen die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Live-Supervisionen deutlich zu machen. Damals haben 20 Leute zugeschaut, das ganze war eine Bühne, auf der „Systemisches“ inzeniert wurde. Wir haben vor allem gelernt, unsere KlientInnen auf schwierige Situationen vorzubereiten. Die meisten KlientInnen haben sich dann über die Summe von 20 positiven Feedbacks gefreut. Das war damals unsere Regel für die zuschauenden AusbildungskollegInnen. Heute sind wir viel vorsichtiger, wir akzeptieren auch Videos und sogar Tonbänder. Bei unserer Ausbildung in Wien sitzen maximal fünf Personen dabei und sie machen dann meistens ein Reflecting Team. Unsere StudentInnen fürchten sich trotzdem und wissen nicht recht, wie sie dermaßene „Action“ ihren KlientInnen gegenüber verkaufen können. Daran hat sich also bis heute nichts geändert. Ich persönlich halte die Live-Supervision immer noch für eines der ganz besonderen Lehrstücke der systemischen Ausbildung, keine andere Schule kann derartige Offenheit und Transparenz aufweisen. Dabei ist mir vollkommen bewusst, dass die Live-Supervision eine Inszenierung ist und keine echte Therapie. Als solche kann sie erlebt und reflektiert werden und man kann davon viel lernen. Was jeder Student davon mitnimmt, ist individuell und situativ, also hoch kontextuell. Über die Umwelt des jeweiligen Systems kann man später noch eine Menge reflektieren. Wie ihr seht, habe ich aus dem damaligen Erlebnis für mich eine Ressource gemacht. Ich glaube, dass „Fehler“ nie wirklich „Fehler“ sind, sondern die einzige Möglichkeit, Dinge in Frage zu stellen und darüber neue Ideen zu entwickeln.
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