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systemagazin-special: Das erste Mal
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Birgit Dorninger-Bergner: Das erste Mal in freier Praxis
Als ich das Telefonat beendet und den Termin mit meinem ersten Klienten in freier Praxis in meinem Kalender notiert hatte, zitterten mir Hände und Knie. Aus all den Anzeigen, die in einer Wiener Wochenzeitung Hilfe und Unterstützung von psychologisch und psychotherapeutisch über tantrisch bis hin zu wahrsagerisch anbieten, hatte dieser Mensch meine gewählt. Nach Monaten in Arbeitslosigkeit, in denen ich immer wieder um mein Selbstbild als Psychologin und angehende Therapeutin kämpfen musste, fruchteten meine Mühen und Anstrengungen. Der Zugang zum Feld der honorierten Klientenarbeit war wieder frei für mich. In die aufkeimende Vorfreude und Neugierde auf diesen Menschen – wer würde dieser erste Klient in freier Praxis sein? - mischten sich jedoch sofort auch Unsicherheit und Zweifel. Würde er überhaupt zum ausgemachten Termin erscheinen? Und wenn ja, würde er nach unserem Erstgespräch ein weiteres Mal kommen wollen? Würde ich „gut genug“ sein? Dabei war die Situation, eigenständig und alleine therapeutische Gespräche zu führen, keine neue für mich. In den zweieinhalb Jahren, in denen ich als Klinische Psychologin auf einer Suchttherapiestation gearbeitet hatte, war ich viele Stunden mit vielen und vielen schwierigen KlientInnen im Gespräch zusammen gesessen. An die Unsicherheit, die dabei während der ersten Monate meine treue Begleiterin war, kann ich mich gut erinnern. Sie saß dicht neben mir in Teambesprechungen, Sitzungen mit KlientInnen, informellen Gesprächen mit KollegInnen, am Mittagstisch. Mein Wunsch damals war – oh wie un-systemisch! - ein Handbuch, eine „Bibel“, die mir von Punkt A bis Punkt Z erläutern würde, was ich wie zu tun hätte, wie ich worauf zu reagieren hätte und überhaupt, welche Ansichten über SuchtpatientInnen und Suchttherapie die richtigen und wahren wären (dabei übersehend, dass es wohl kaum ein un-eindeutigeres Buch gibt als die Bibel). Die Tatsache, dass auch in der Kollegenschaft unterschiedliche Meinungen vorherrschten, war keine Erleichterung. Denn die verschiedenen Sichtweisen der KollegInnen durften kaum als einander bereichernde Perspektiven nebeneinander stehenbleiben, sondern es wurde in endlos scheinenden Teamsitzungen immer wieder – und meist vergeblich – um eine gemeinsame und natürlich „die richtige“ Haltung gerungen. So boten sich mir zwar sehr viele, aber teils widersprüchliche und gegensätzliche Markierungen in der Landschaft, nach denen ich mich orientieren und ausrichten musste. Zudem fühlte ich mich als Neue im Team oft von den verschiedenen Lagern „umworben“. Eingesponnen in ein Netz von fachlichen und persönlichen Sympathien und Animositäten im Team und in Anspruch genommen von den Schwierigkeiten im Alltag einer Suchttherapiestation, wuchs mein Bedürfnis nach eindeutigen Richtlinien und Wegweisern. Gleichzeitig wurde mir zunehmend klar, dass ich keiner der Haltungen in der Kollegenschaft vollständig zustimmen und mich ihr anschließen konnte, dass ich wohl oder übel meine eigenen passenden Richtlinien finden musste. Der Traum vom Handbuch musste, durfte und konnte verabschiedet werden. So konnte ich der Ansicht meiner damaligen Lehrtherapeutin, dass es fruchtbarer und hilfreicher sein kann, Situationen und Menschen nicht nach den Richtlinien eines Lehrbuches sondern mit Offenheit, Neugierde und Nicht-Wissen zu begegnen, nicht mehr nur im Verstand, sondern auch im Erleben folgen. Es war tatsächlich mein Erleben, das mir in der folgenden Zeit zum Wegweiser wurde. Eine bestimmte Haltung, eine bestimmte Körperwahrnehmung, ein bestimmter Geisteszustand, die mich spüren lassen, ob ich in gutem Kontakt zu meinem Gegenüber und zu mir selbst bin. Ich nenne sie für mich meine Therapeutinnen-Haltung. Sie macht sich auf emotionaler, kognitiver und körperlicher Ebene spürbar und verdrängte in meinen Gesprächen mit KlientInnen und KollegInnen auf der Suchttherapiestation zwar nicht immer aber doch zunehmend die Unsicherheit von ihrem Platz an meiner Seite. In dieser Haltung habe ich Kontakt zu meinem Wissen, meinen Erfahrungen und meinem intuitiven Gespür. In dieser Haltung bin ich neugierig und offen für den Menschen, der mir gegenüber sitzt. In dieser Haltung konzentriere ich mich auf meine Wahrnehmung, nicht auf meine Zweifel. In dieser Haltung kann ich Unsicherheit nicht als behindernde und einschränkende Barriere wahrnehmen, sondern als „Natürlichkeit“ und Normalität. Natürlich darf ich als „Newbie“ mit Unsicherheiten in neue Situationen gehen. Natürlich werden mich Klienten(systeme) heraus- und manchmal auch überfordern. Natürlich werde ich nicht so erfahren agieren wie meine LehrtherapeutInnen. Wie sollte ich auch? Meine Unsicherheit zu akzeptieren ist die beste Waffe gegen sie. Keine neue Erkenntnis, wir wissen um das Entlastende und Bewegende von Normalisierungen. Würde mein Klient überhaupt zum ausgemachten Termin erscheinen? Und wenn ja, würde er nach unserem Erstgespräch ein weiteres Mal kommen wollen? Würde ich „gut genug“ sein? Die Erinnerung an meine Erfahrungen und meinen Weg und vor allem die Erinnerung an meine erlebte Therapeutinnen-Haltung halfen, Zweifel und Unsicherheit in ihre Schranken zu weisen. Heute, wenige Tage nach dem Erstgespräch, kann ich zufrieden darauf zurückblicken. Es gelang mir, in meiner produktiven Haltung zu bleiben und mich nicht blockieren zu lassen. Es gelang mir, einen guten Kontakt zu meinem Klienten herzustellen. Auch wenn ich noch nicht weiß, ob er zu weiteren Gesprächen kommt, so weiß ich, dass dieses erste Mal in freier Praxis ein guter und ermutigender Auftakt zu vielen weiteren Malen war.
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