Tom Levold: Liebeserklärung an meinen Analytiker
Gestern habe ich an dieser Stelle über meine erste Selbsterfahrung-Erfahrung auf der 2. DAF-Tagung 1980 in Erlangen berichtet. Kurz vorher hatte ich in Köln einen Analytiker gefunden, bei dem ich eine Psychoanalyse machen wollte, die der Selbsterfahrungsteil meiner familientherapeutischen Weiterbildung bei der APF sein sollte. Als wir die Arbeitsgemeinschaft für psychoanalytisch-systemische Forschung und Therapie 1980 gründeten, fanden wir, dass eine persönliche Psychoanalyse die geeignete Form der Selbsterfahrung sei. Hätte es diese Festlegung nicht gegeben, hätte ich diesen Schritt wohl nicht zu diesem Zeitpunkt gewagt, auch wenn - oder gerade weil - ich der Überzeugung war, dass ich es bitter nötig hatte. Zwar war ich schon sehr mit der familientherapeutischen Bewegung identifiziert, hatte aber größte Zweifel, ob ich selbst überhaupt die persönliche Eignung dafür hatte. Zudem fühlte ich mich mit meinen 27 Jahren nicht gerade lebenserfahren. Vor einer Psychoanalyse, mit der ich mich intensiv theoretisch auseinandergesetzt hatte, fürchtete ich mich deshalb eher. Was würde dabei herauskommen? Würde aus mir einer werden, der ich selbst nicht sein wollte? Würden schreckliche Wahrheiten über mich zutage treten? Solche und ähnliche Fragen verunsicherten mich erheblich. Meine Unsicherheit wurde noch dadurch verstärkt, dass ich zur Psychoanalyse längst ein ausgesprochen kritisches Verhältnis hatte. In meinem sozialwissenschaftlichen Studium und meiner Diplomarbeit hatte ich mich intensiv mit Luhmann beschäftigt, die kybernetischen Arbeiten von Gregory Bateson begeisterten mich. Was, wenn ich in Streit mit meinem Analytiker geriete oder meine Meinung als nur als Widerstand gedeutet würde? Meine erste Stunde fand kurz nach der DAF-Tagung und meinem genogrammbezogenen Schlüsselerlebnis statt. Mit mulmigen Gefühl war ich hingefahren, als ob ich schon fremdgegangen sei, bevor überhaupt das erste Date stattgefunden hatte. Etwas trotzig schwärmte ich also von der Tagung, der Familientherapie, davon, was ich alles schon über mich herausgefunden hatte - und fand zu meiner Überraschung einen gelassenen, wohlwollenden, interessierten Zuhörer, der weder beleidigt noch verärgert war, noch sich bemüßigt fühlte, mich zu korrigieren oder zu belehren! Darauf war ich nicht gefasst. Ich konnte mich zwar in allen möglichen Debatten gut schlagen, aber mit einem ruhigen, freundlichen, zugewandten und wohlgesinnten Zuhörer hatte ich nicht gerechnet. So begann meine dreijährige, 400 Stunden dauernde Psychoanalyse. Insofern kann man eigentlich nicht von einer bloßen „Begegnung“ sprechen, die für meine Entwicklung bedeutsam war. Es war eine Beziehungserfahrung, die weit über die Analyse hinaus Bestand hatte, und in der sich mein Leben dramatisch veränderte. Mein größter Widersacher auf diesem Wege war ich selbst. Bis ich mich selbst halbwegs akzeptieren konnte, dauerte es eine Weile. Das geduldige und ausdauernde Insistieren auf meinen Fähigkeiten und Ressourcen, das mein Analytiker für mich aufbrachte, half mir dabei und zeigte mir, dass Ressourcenorientierung nicht schulengebunden ist. Glauben konnte ich ihm das lange nicht. Auch dann noch nicht, als er begann, Paare und Familien zur Therapie an mein Familientherapie-Team zu überweisen. Zumindest er schien an mich zu glauben (Wie konnte er das tun, wo er doch einigen Einblick in mein psychisches System hatte? Oder tat er es gerade deshalb? Musste ich ihm womöglich nun etwas beweisen?). Mit einer lösungsorientierten Kurztherapie hätte ich wohl meine Schwierigkeiten gehabt. Ich brauchte einfach Zeit - und unter der fehlenden präzisen Auftragsklärung habe ich auch - offen gestanden - nicht gelitten. Unterdessen merkte ich aber, wie mein Selbstvertrauen wuchs. Beruflich und privat hatte ich nicht nur Erfolgserlebnisse, sondern konnte sie mir auch selbst zurechnen anstatt dem Zufall oder der Freundlichkeit anderer Menschen. Meine Angst, mich nicht bewähren zu können, ließ nach und ich fing an, Freude an der Übernahme von Verantwortung zu empfinden, für mich selbst wie für andere. Eine Psychoanalyse, wie ich sie aus den Lehrbüchern erwartet hatte, war es freilich nicht. Ich fühlte mich viel zu gehemmt, frei zu assoziieren. Nachdem ich seit Kindertagen unter ständigen Alpträumen gelitten hatte, hatte ich nach einigen Monaten einen Traum, in dem ich mich auf etwas unsanfte Art und mit Genuss eines Peinigers (mein ehemaliger Sport- und Mathelehrer) entledigt hatte, danach träumte ich erst einmal fast zwei Jahre gar nichts mehr, danach bis heute nie wieder einen Alptraum. Dass das ein Erfolg war, war angesichts der zentralen Bedeutung der Traumdeutung in der Psychoanalyse für mich zunächst schwer zu akzeptieren, mein Analytiker half mir dabei. Dass ich meine Flugangst verlor, weil er Segelflieger war und mir viel über das Fliegen erzählte und beibrachte, machte mir natürlich (!) zunächst aus Gründen der Abstinenz Sorgen, später liebte ich ihn dafür. Endre Mohos hat mir etwas geschenkt, das ich vorher nicht gekannt hatte: ungeteilte Aufmerksamkeit, Interesse, Wohlwollen, Zutrauen und Zuspruch, all das, ohne das ich als frühreifer intellektueller Selbstversorger glaubte auskommen zu können. Also das, was man so landläufig Nachbeelterung nennt. Und: er konnte es nicht nur ertragen, sondern auch mit Freude unterstützen, dass ich meine eigene (mit Kritik an der Psychoanalyse verbundene) systemische Entwicklung vorantrieb. In einem Traum kurz vor Beendigung meiner Analyse träumte ich, ich würde ihm Grießbrei mit Kirschen kochen (ja, da träumte ich wieder). Ein paar Jahre nach Beendigung der Analyse hatte ich dann das Vergnügen, ihm vor dem Grießflammerie noch ein paar ausgefeiltere Gänge vorsetzen zu können. Er besuchte mich zu meiner Praxiseröffnung und nahm als Gast an meiner Hochzeit teil, wo er sich freute, mit der Großmutter meiner Frau ungarisch sprechen zu können. Als er starb, habe ich einen väterlichen Freund verloren. Als innerer Begleiter ist er so lebendig wie eh und je. Warum ich heute hier darüber schreibe? Nun, zum einen ist es natürlich eine Liebeserklärung an meinen Analytiker und Freund, die gut zum Adventskalender-Türchen vom 24.12. passt. Darüber hinaus aber soll es aber auch den Blick darauf lenken, dass das Gelingen von Psychotherapien ungeachtet aller theoretischen und konzeptuellen Präferenzen ganz wesentlich von der Qualität der therapeutischen Beziehung und der gelingenden affektiven Rahmung durch die TherapeutInnen abhängt. Ich freue mich immer, wenn ich davon etwas in meiner eigenen Praxis wiederfinden kann.
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