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systemagazin-special: "Besondere Begegnungen"

Stephan Baerwolff: Eine segensreiche Enttäuschung


Die „besondere Begegnung“, von der ich hier erzähle, fand im Jahre 1985 statt. Ich hatte eine Weiterbildung in struktureller und wachstumsorientierter Familientherapie hinter mir, in der ich mich allerdings nie so ganz „zuhause“ fühlte, da die Normen und Werten der humanistischen Psychotherapie-Szene der 70er Jahre und ihre Vorliebe für „große Gefühle“ mich eher unter Druck setzten als dass sie befreiend wirkten.
Für eine Team-Supervision in unserer Erziehungsberatungsstelle hatten wir dann Kurt Ludewig gewinnen können, dessen verstörende Ansichten ich zwar spannend, aber damals schwer verdaulich fand und mich daher innerlich gegen eine allzu rasche Übernahme wehrte. Zwischen allen Stühlen sitzend fühlte ich mich bezüglich meiner beruflichen Identität also ziemlich in der Krise.
Just in diesem Moment lud mich Kurt zu einem Vortrag ein, den Humberto Maturana höchst selbst in den Räumen des neu gegründeten Instituts für systemische Studien Hamburg halten sollte. „Vielleicht kann der Star des neuen Denkens Licht in mein erkenntnistheoretisches Dunkel bringen“, dachte ich mir und machte mich auf den Weg. Gewöhnt an die studentische Lockerheit der familientherapeutischen Szene war ich zunächst sehr erstaunt, dass sich hier alle Anwesenden siezten und auch sonst eher förmlich-distanziert begegneten. Mit noch größerem Befremden nahm ich aber Maturanas Vortrag wahr, dessen Inhalt ich wegen meiner geringen Vorkenntnisse nur ansatzweise folgen konnte. Immerhin war mir klar, dass mein Eindruck eines strengen und keinen Zweifel duldenden Referenten nicht recht zu den referierten Annahmen der biologischen Erkenntnistheorie passte, die doch gerade einen privilegierten Zugang zu der Wirklichkeit infrage stellte. Spiegelte sich hier nur meine Angst wider, als dumm entlarvt zu werden, sobald ich den Mund aufmachen würde? Merkwürdig nur, dass sich in der anschließenden „Diskussion“ auch sonst kaum jemand zu Wort meldete. Ich erinnere mich, dass ein Teilnehmer nach Maturanas Verständnis von Sprache fragte und danach, ob deren Charakter konnotativ oder denotativ sei, eine Frage, die ich damals - wie heute - nicht verstand und die mir daher klug erschien. Maturanas Antwort erinnere ich nicht, wohl aber, dass er bereits nonverbal klar machte, dass es ungehörig sei, diese Frage überhaupt zu stellen, was weder die Spannung im Raum verminderte noch die Lust auf weitere Fragen förderte.
Natürlich ist dies die Beschreibung einer höchst subjektiven Wahrnehmung und vielleicht fanden andere die Veranstaltung spannend und anregend. Bei allen persönlichen Zweifeln war mir jedoch klar: So mag ich es nicht!
Dieses Erlebnis hat meine wachsende Begeisterung für die systemische Theorie und Praxis in den folgenden Jahren nicht verhindert. Prägender war die Begegnung mit spannenden Gedanken und vielen SystemikerInnen, die erkenntnistheoretische Bescheidenheit und Respekt vor abweichenden Sichtweisen tatsächlich in der Beziehung zu anderen lebten. Als Konsequenz des konstruktivistischen Denkens hört man gelegentlich aus Systemikermunde die Empfehlung, sich nicht zu sehr in die eigenen Theorien zu verlieben (Oder mit Van Morrison: „No Guru, No Method, No Teacher“). Vielleicht hat mir die Begegnung mit Maturana genau dabei geholfen. Manchmal denke ich heute, dass der Platz zwischen den Stühlen doch nicht der Schlechteste ist …



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