Heiko Kleve: Ein Lehrender mit Kopf und Bauch
Als ich Anfang der 1990er Jahre anfing, Sozialarbeit zu studieren, begann ich ebenfalls, mein bereits in meiner Jugend durch einen Bruder meiner Mutter (meinem Onkel Udo) gewecktes Interesse für sozialwissenschaftliche, -philosophische und -psychologische Theorien, die sich abseits des Mainstreams befinden, intensiver zu befriedigen. So kam ich übrigens auch zur Systemtheorie, die ich zunächst durch die Lektüre von Fritjof Capras „Wendezeit“ kennen lernte. Zur gleichen Zeit stieß ich auf eine Vorlesungsreihe an der Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) in Berlin, die mich nicht nur inhaltlich begeisterte, sondern zudem durch den engagierten, mitreißenden und didaktisch äußerst anschaulichen Vortragsstil des Referenten: Bernd Senf, Professor für Volkswirtschaftslehre an der FHW, führte in die Arbeiten von Wilhelm Reich ein. Sicherlich kann man über die Erkenntnisse von Reich streiten, ich jedenfalls lernte durch die Art und Weise, wie Bernd Senf Reich vermittelte, die Welt systemischer zu sehen, d.h. in bio-psycho-sozialen Zusammenhängen zu denken, die mir äußerst brauchbar und anregend erschienen. Erst in Senfs Vorlesungen wurde mir klar, was es heißen kann, mit Gregory Bateson gesprochen: mit Hilfe von Mustern zu denken, die verbinden, etwa den Krebs mit dem Hummer und die Orchidee mit der Primel und all diese vier mit mir. Und uns alle zusammen - und uns alle „mit den Amöben in einer Richtung und mit dem eingeschüchterten Schizophrenen in einer anderen“ (Bateson, Geist und Natur, FfM 1982, S. 15). Zudem nutzte ich Senfs Angebote der bioenergetischen Selbsterfahrung, um zu spüren, wie es sich anfühlt, wenn er mit Reich postuliert: „Die Lösung der Blockierung ist die Lösung!“. Aber gut - ich will hier nicht weiter über Bioenergetik und Wilhelm Reich berichten; denn dadurch könnte womöglich meine Charakterisierung als systemisch-konstruktivistischer Sozialarbeiter Schaden erleiden. ;-) Vielmehr möchte ich auf Bernd Senf zurückkommen, der mir, der ich inzwischen selbst an einer Hochschule lehre, ein großes Vorbild ist: Er ist Lehrender mit Kopf und Bauch, der es versteht, komplexe Zusammenhänge auf diversen Kanälen für unterschiedliche Sinne anschaulich, ja be-greifbar zu machen. Besonders beeindruckend und passend ist in diesen Wochen und Monaten der Banken und Finanzkrise seine gekonnte Darstellung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge. Was Senf, etwa mit Bezug auf die Theorie von Silvio Gesell, in mehreren Büchern, in Vorträgen und Interviews plastisch zu zeigen vermag, ist beispielsweise die krebsgeschwürartige „Funktion“ des Zinseszinses in unserem ökonomischen System. Wenn es systemische Wirtschaftstheorien gibt, dann gehört meines Erachtens auch der Ansatz von Bernd Senf dazu, der zudem noch originell, ja brillant vermittelt wird. Wer sich selbst davon überzeugen will, der verfolge einen Vortrag von Senf (siehe ) oder vertiefe sich in ein Interview mit ihm.
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