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systemagazin-special: "Besondere Begegnungen"
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Corina Ahlers: Ein Brief an Harry Goolishian
1987, nach dem Ende meiner familientherapeutischen Ausbildung, plante ich eine professionelle Reise in die U.S.A. zu den Orten, die für die Entwicklung meiner psychotherapeutischen Methode wichtig gewesen waren. Ich hatte zwar Partner aber noch keine Kinder, also hiess es für mich: Jetzt oder nie! Ich hatte Gelegenheit, Harry Goolishian bei einem Workshop in Heidelberg kennen zu lernen. Er beeindruckte mich damals deshalb, weil er es auf einem Video schaffte, eine 15-jährige Klientin während einer Familiensitzung so wohlwollend zu ignorieren, dass sie sich auf der unsichtbare E-Gitarre spielend ohne Worte in alle möglichen Dialoge mischen konnte, ohne den Prozess zu stören. Er schaute an ihr vorbei oder über sie drüber, … und sie spielte Rock in der Luft. Diese therapeutische Sitzung auf Video ist mir bis heute sehr präsent geblieben. Ich schrieb spontan einen Brief an ihn, wo ich mein Interesse bekundete, sein Institut kennen zu lernen. Es folgte ein halbes Jahr keine Antwort. Im Frühling versuchte ich es nochmal: Ich fragte nach, vorsichtig, ob der Brief vielleicht verlorengegangen sei… Er lud mich spontan ein – wie sich später herausstellte - in sein Haus nach Galveston. Nachher erfuhr ich, dass er knapp vorher seine erste Krebsoperation überstanden hatte und deshalb nicht berufstätig war. Fünf Jahre später starb er, wohl an derselben Krankheit. In dieser relativ kurzen Zeitspanne wurde er zu einem der wichtigsten Menschen in meinem professionellen Leben. Nach einem Kurzurlaub in Mexiko lande ich am Houston Airport. Harry holt mich vom Flugplatz ab. Vielleicht hatte er meinen Brief nie bekommen. Vielleicht kennt er nur meinen letzten verzweifelten Telefonanruf aus Mexico. Dass er kreativ und sehr chaotisch ist, stelle ich im Laufe der Zeit fest. Wir fahren zu ihm nach Hause, aus dem Auto purzelt ein leerer Wäschekorb, darin liegen lose ca. zehn Kreditkarten. Das ist momentan seine Aktentasche, mehr braucht er nicht, sagt er. Ich beziehe das Gästezimmer des kleinen Bungalows an der Bucht von Galveston, von hier strömt der Golfstrom direkt bis zu meiner Heimatinsel Tenerife auf der andere Seite des atlantischen Ozeans. Komischerweise verbindet uns das sofort. Ab nun habe ich zehn Tage lang die Gelegenheit, mit diesem Menschen zusammen zu sein. Er zeigt mir sein Leben – jetzt – und ich spüre seine Neugierde und seine Lebenshungrigkeit. Aus mir wird in zehn Tagen all dieser Mensch, der sonst in mir schlummert. Wir erzählen uns den ganzen Tag Geschichten, KlientInnengeschichten, eigene Erfahrungen, theoretische Konzepte…, der Tag ist nie lang genug. Es hört nicht auf, interessant für mich zu sein, offensichtlich auch für ihn nicht, zumindest erlebe ich es so. Nebenbei lerne ich sein Institut in Houston kennen und einige seiner KollegInnen dort. Im Beobachten ihrer Arbeit bekomme ich eine Ahnung davon, wie das mit dem Problemsystem gemein ist. Harry selbst sagt, dass alle anderen didaktisch besser seien als er. Dennoch profitiere ich von ihm am meisten: Seine Lebensgier und seine Fähigkeit, Menschen durch Erzählungen in Beziehung zu bringen. Es ist ein Kunstwerk des „im Gespräch seins“ ohne Zeitgefühl und Horizont. Wenn man mich fragt, wass ich dort, speziell von ihm gelernt habe, könnte ich nichts Konzeptuelles wiedergeben, ausser dem, dass er damals schon mit Ken Gergen, Tom Andersen und Harlene Anderson in einer regen Diskussion über das nicht vorhandene Selbst, die Erzählung, das kommunikative Zwischen und „Selbstagens“ (agency) war. Er überhäufte mich mit unveröffentlichten Texten, die ich noch heute wie Juwele in manch einem Ordner aufbewahre. Er liess mich seine Therapiesitzungen auf Video anschauen und ich verstand garnichts: Es schienen Kaffeehausgespräche zu sein, man merkte keine großen Interventionen. Ich war jedoch von unseren Dialogen so fasziniert, dass ich nachher folgendes umsetzen konnte: Meine Analyse eines Traums mit Harry bewirkte , dass ich – damals noch in Analyse – meinen ersten großen Streit mit meinem Lehranalytiker über das Ende meiner Analyse anzettelte. Meine Liebe für die Theorie der Psychoanalyse und gleichzeitige Kritik am psychoanalytischen Setting hat in der Auseinandersetzung mit Harry Goolishian Festigkeit erlangt. Er selbst wurde von Donald Spence ausgebildet, war aber der Meinung, dass eine „konsensuale Deutung“ zwar eine gute Sache sei, allerdings die Psychoanalyse nicht ohne ihre Metaheorie überleben könne. Die Systemische Therapie habe sich davon entkleidet und das sei ihre grosse Stärke. Heute bin ich anderer Meinung, aber damals hat mir seine Idee sehr geholfen. Seine Faszination für Vielseitigkeit bewirkte, dass ich bis heute bei einem Hauch von Dogmatismus (gerade in unserem Feld) sofort auf die Barrikaden steige. Ich lud ihn zwei Jahre später nach Österreich ein, wo er die Geburt einer „Konferenz aller systemischer Ausbildungsinstitutionen in Österreich“ moderierte (sie trifft sich bis heute jährlich). Durch ihn wurde mir klar, dass man als Therapeutin die eigene Lebensqualität nicht vernachlässigen darf (er war lebenshungrig und durstig, – Fünf-Liter-Flaschen Whiskey sind in Texas keine Seltenheit, er war ein sehr guter Gastgeber). Ich trinke weniger als er, aber ich mache viel Sport und ich kompensiere therapeutische Tätigkeit durch eine „ganz andere“ Freizeit. In der Therapie und in der Ausbildung sehe ich meine Rolle oft als „sinnbringende“ Gastgeberin. Er half mir, jeden Menschen - in und ausserhalb der Therapie - so zu nehmen wie er sich erzählt, der Erzählung mit Neugierde und Berührung zuzuhören und immer neue Fragen zu finden: Ich möchte alles kennenlernen, was zu diesem Menschen gehört. Das alles zu entdecken macht großen Spaß. Und das ist auch schon: Gar nicht kompliziert und doch so komplex. Harry Goolishian hat viele Menschen berührt, seine Person bzw. seine Fiktion wanderte noch lange bei Kongressen im Raum umher. Tom Andersen war ihm ein freunschaftlicher Gralshüter, er erinnerte uns an ihn, und dann machte sich wohlwollendes Schweigen breit in der Gruppe derjenigen, die ihn gekannt hatten. Ich kann es nicht erklären, und ich bin eigentlich überhaupt nicht esoterisch, aber es gibt ganz offensichtlich etwas, was sich theorie- und konzeptlos als Haltung ins Selbst einschleicht, sich dort festsetzt und dort leitgebend bleibt. Harry Goolishian war der Künstler der leitgebenden Geschichten über uns selbst. Ich wünsche ihm – wieder einmal - frohe Weihnachten!
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