Dörte Foertsch: Die Kunst, jemanden einfach in die Arme zu nehmen
Zu dem Thema des diesjährigen Adventskalenders sind mir zuallererst Klienten und nicht so sehr Kollegen eingefallen. Ich lerne viel und Unerwartetes von ihnen, spontane Ideen und kreative Alltagsbewältigung, auf die ich nicht kommen würde. Über eine solche Begegnung nun diese Geschichte für den Adventskalender.
Wer bei unserer BIF- Jubiläumstagung im April dabei war und das Glück hatte, eine Familie, die bei Klaus Lübke und mir eine Therapie gemacht hatte, im Interview mit Max Trommel zu erleben, hat die Tiefe und bewegende Begegnung von Therapeuten und ihren Klienten live miterleben können. Die Familie K., die Mutter, der Vater, die Tochter A., die Anlass für die Gespräche war, und der Sohn D. waren so mutig, sich während der Therapie und dann unserer Tagung sehr persönlich zu zeigen. Es ging in unseren Gesprächen viel darum, ob die Tochter, Mitte zwanzig, wieder in die Psychiatrie gehen würde oder es doch schaffen könnte, nach dem Abbruch ihres Studiums und einer begonnenen Berufsausbildung einen eigenen und selbständigen Weg, wie ihr erfolgreicher Bruder, finden könnte. Unser vorläufig letztes Gespräch, eine neunte Therapiesitzung, wurde abgesagt. Die Tochter war wohlgeordnet mit Sack und Pack aus Berlin zu ihren Eltern nach Norddeutschland gefahren und dort in eine psychiatrische Klinik gegangen. Ein früherer Psychiatrieaufenthalt war durch Zwangseinweisung geschehen. Erfolg oder Misserfolg für unsere Familientherapie? Wir trafen uns drei Monate später wieder. Wir durften an einer wahrlich berührenden Geschichte teilhaben. Die Tochter A. hatte sehr verrückte Zustände in der Klinik erlebt, völlige Starre ohne Kontakt, mit geschlossenen Augen tagelang im Bett gelegen, was abwechselte mit wirrsten Gesten und erschreckender Mimik und ohne Kontrolle über ihre Bewegungen. Ihre Mutter Frau K. kam sie täglich mehrere Stunden lang besuchen. Frau K. erzählte uns, sie wusste sich nicht zu helfen, fand keine Worte und war noch nie in ihrem Leben so auf sich selbst zurück geworfen. Kein Experte hätte ihr Vertrauen gefunden. Wortwörtlich sagte sie: Mir fiel nichts Besseres ein als meine Tochter einfach stundenlang in die Arme zu nehmen. A. erzählte daraufhin, dass sie sich in diesen Wochen immer gefragt hatte, warum ihre Mutter sie überhaupt so aushalten könnte, warum sie solange bleiben konnte, bis zu acht Stunden am Tag, ohne gehen zu wollen. Bis in ihr das Gefühl entstand, daß ihre Mutter sie wohl wirklich lieben würde, denn sonst wäre sie schon längst gegangen. Wortwörtlich mit viel Tränen sagte sie: Ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass meine Mutter mich bedingungslos liebt. Vorausgegangen waren Gespräche, in denen vergangene Erfahrungen und Sorgen Thema waren, aber auch ganz konkrete Fragen über die Möglichkeit, sich zu verhalten. Frau K. und A. hatten dann aber intuitiv ihre ganz eigene Lösung gefunden. Als wir Familie K. fragten, ob sie bereit wären, über ihre Therapieerfahrung während unserer Tagung zu sprechen, gab es überhaupt keine Bedenken, außer zunächst beim Sohn D., der dann aber auch spontan dabei war. Max van Trommel fragte natürlich, was wohl wichtig und auch wirksam in unseren Gesprächen war und letztendlich der Familie Entwicklung ermöglicht hätte. Beide Eltern erzählten, das Wesentliche sei gewesen, dass sie in keinem der Gespräche das Gefühl gehabt hätten, wir würden in irgendeiner Form schlecht über sie denken, hätten irgendwelche Hintergedanken über sie oder gar Unterstellungen, sie hätten irgendetwas verkehrt gemacht. Für A. war das Wichtigste, dass wir sie zu keinem Zeitpunkt für irgendwie krank oder verrückt gehalten haben. Auch während der Tagung in dem öffentlichen Gespräch hat sie ihre unkonventionelle Art des Denkens als Herausforderung an alle SeminarteilnehmerInnen weitergegeben. Es gab KollegInnen, die auch während der Veranstaltung irritiert waren und irgendwie besorgt waren, obwohl A. zu keinem Zeitpunkt sich ihrer selbst unsicher war. Für mich und hoffentlich für diejenigen, die das miterleben durften war das eine große Ermutigung, systemisch-chaotisch-unkonventionell und kreativ zu bleiben und sich von dieser Institution Psychiatrie nicht allzu mächtig beeindrucken zu lassen. Besonders hat mich bewegt, wie auf eine ehrliche und einfache Art die Familie K. unsere Tagung bereichert hat. PS. Klaus und ich waren auch mutig, sich in einer großen Öffentlichkeit zu zeigen. Insofern habe ich auch über Lernen von Klaus geschrieben, der die Art der einfachen, schlichten zwischenmenschlichen Begegnung mit Klienten zur therapeutischen Kunst gemacht hat.
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