Arist von Schlippe: Werde Du!
Die Frage nach Personen, die jemanden auf dem eigenen beruflichen Lebensweg besonders geprägt haben, ist genau betrachtet, sehr persönlich. Sie wirft ein Licht darauf, was vielleicht besondere eigene Defizite, „Leerstellen“ waren, die durch diese Menschen „gefüllt“ worden sind.
Spontan fallen mir zwei Persönlichkeiten ein. Die eine ist Alfred Dürkop. Er war noch bei Schultz-Hencke ausgebildet worden und lehrte am Fritz-Perls-Institut gestalttherapeutische Traumarbeit. Ich bearbeitete bei ihm einen sehr wichtigen Traum, der sich um die Auseinandersetzung mit meinem als übermächtig und in allen Bereichen kompetenten erlebten Vater drehte. Mein Gefühl, diesem nie ebenbürtig werden zu können, konterte er mit einem trockenen Satz, der mich sehr beschäftigte, - eben weil er einen wirklichen Unterschied zu meinem bisherigen Erleben herstellte: „Es ist allemal besser, ein Original zu sein - und sei es ein kleines, als ein Abziehbild - und sei es ein großes!“
Ich weiß gar nicht, ob meine erste Begegnung mit Virginia Satir vor diesem Ereignis stattgefunden hat oder später. Ich besuchte ein Seminar bei ihr, war auf den ersten Blick etwas enttäuscht, - eine „amerikanische Mutti“, sehr nett, aber das war die berühmte „Virginia“? Später, als ich sie arbeiten sah, änderte sich das schnell. Ich sah verhärtete und verschlossene Menschen, die in kurzer Zeit im Gefolge von methodisch sorgsamen und zugleich sehr wertschätzend-respektvollen Interventionen weich wurden, zugänglich, für sich und andere. Wieder geriet ich an das bekannte Gefühl: ‚So lange du nicht auch so arbeiten kannst, ist alles, was du tust, nix wert!’ (ich habe ja gesagt, es wird sehr persönlich!).
Vielleicht im Zusammenhang mit dem Wort von Alfred, sicher aber auch durch Virginia selbst vermittelt, wurde mir immer klarer, dass das ständige Denken und vor allem Fühlen in Konkurrenzen eine Falle ist. Denn wie auch immer die großen Köpfe der Psychotherapie (oder auch anderswo) heißen, ihre zentrale Botschaft sollte nicht so verstanden werden, als müsse man es ihnen nachtun und so werden wie sie. Statt: „Werde wie ich!“ vermittelt ein guter Lehrer nämlich: „Werde du und entwickle dein eigenes Potential! Nichts anderes habe ich getan!“ So habe ich im Rahmen meiner psychotherapeutischen Ausbildung zwei für mich sehr wichtige Personen kennen gelernt – und erlebt, dass sie mich etwas ganz Ähnliches gelehrt haben, etwas, das mich bis heute begleitet. |