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systemagazin-special: "Besondere Begegnungen"
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Rosmarie Welter-Enderlin: Die verlorene Kunst des Heilens
Ein gutes Erlebnis für mich ist die Begegnung mit meinem Physiotherapeuten im Gesundheitszentrum auf der anderen Seeseite. Herr Müller verfügt über alle Fähigkeiten eines guten HEILERS, wie beschrieben im Buch von Bernard Lown, dem Kardiologen und Träger des internationalen Friedensnobelpreises: „Die verlorene Kunst des Heilens“. Wie kam es zu dieser Begegnung? Vor bald drei Jahren brach ich mir den rechten Fuss. Im Spital in unserer Nähe steckte ein unbedarfter Assistent mich in einen viel zu engen Gips, der sofort höllische Schmerzen machte. Leider hatte der Assistent kein Gehör für meine Klagen. Das Schicksal schlug darauf heftig zu mit einer peroneus parese, einer Lähmung meines rechten Beines. Alle deutschen Kollegen sagen mir seither, dass diese Behandlung dunkles Mittelalter sei und in Deutschland nicht mehr gemacht werde. Zum Schaden kam mein Zorn! Ich weiß heute, dass ich hätte schreien müssen und den Chefarzt herausfordern. Aber zu jener Zeit war ich ein braves Schaf, Folge typischer weiblicher Sozialisation! Gelernt habe ich: Es gibt keine Operation für meine Lähmung, nur höchste Aufmerksamkeit, damit ich nicht über meinen „Fallfuss“ stolpere, sowie ständige Physiotherapie. So fahren mein Mann und ich zweimal jede Woche mit der Autofähre über den See ins Gesundheitszentrum! Was ich mittlerweile sicher weiss, ist dass es keine Operation für mein Bein gibt – allerhöchstens Physiotherapie. Und da kommt mein Heiler, Herr Müller ins Spiel. Er ist freundlich und jung, etwa im Alter unseres Sohnes, und weiss, dass ich die grau gestrichenen Trainingsmaschinen in seinem Zentrum hasse, oder mindestens fürchte… Wenn die Maschinen ächzen und stöhnen, fürchte ich, dass sie mich zu Boden werfen wollen. Das wollen sie auch! Aber ich lasse mir das nicht gefallen, und dabei hilft mir Herr Müller. Er ist hell wach und merkt immer, wenn ich seine Hilfe brauche. Und er redet mir zu! Sagt „super“, wenn ich brav übe – halt wie ein guter Heiler – und stellt auch einmal eine der scheusslichen Maschinen richtig ein für mich. Ich lerne viel von Herrn Müller, seine frei schwebende Aufmerksamkeit zum Beispiel, wie Herr Freud sie beschrieben hat, und Physiotherapie „mit menschlichem Antlitz“. In einer Zeit, da unser Feld als grauslich technizistisch beschreibbar ist, finde ich das menschliche Antlitz in der Physiotherapie wunderbar! Ich praktiziere es mit Wonne als Therapeutin und weiss von der Erfahrung am eigenen Leib, wie motivierend das für die Mühsamen und Beladenen ist. Die verlorene Kunst des Heilens!
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