Copyright © 2013
levold system design Alle Rechte vorbehalten. |
|
|
systemagazin-special: "Besondere Begegnungen"
|
Guido Strunk: Chaos im Uhrwerkuniversum
(In Erinnerung an meinen Vater, Willy Strunk, Uhrmachermeister, 27.09.1939 bis 20.04.2001)
Noch bevor ich lesen konnte, war ich in der Lage die Teile einer Uhr zu benennen. Mein Vater der Uhrmacher hatte sie mir vertraut gemacht. Das Unterbodenrad, ganz dicht am Gehäuseboden der Uhr. Und auf der Vorderseite, das Stunden- und Minutenrad. Nicht zu vergessen das Wechselrad, welches den Trieb auf die beiden Zeigerräder verteilt. Viel spannender jedoch das Ankerrad mit Anker und Unruhe, das Herz der Uhr, die Hemmung. Mein Vater wurde nicht müde, mir an diesen wenigen Teilen den Aufbau des Universums zu verdeutlichen. Alles greift ineinander, alles folgt einem Plan und alles macht irgendwie Sinn. Die Welt und auch die Menschen funktionieren im Prinzip wie eine Uhr und alles ist irgendwann verstehbar und jedes Problem lässt sich reparieren, wenn man erst die Ursache erkannt hat. Verschmitzt pflegte er zu sagen: „Uhrmacher sind die schlauesten Menschen“. Und meine Helden waren Galilei, der die Pendeluhr erfand, später dann Newton – aber auch Einstein, der ausruft: „Der liebe Gott würfelt nicht!“ Es kam die Zeit des Zweifels und der Rebellion. Das Weltbild wurde mir zu eng. Prigogine hatte bereits 1955 die Theorie dissipativer Systeme entworfen und ich staunte nicht schlecht, als ich merkte, dass die Hemmung einer Uhr ein dissipatives System darstellt. Die Bewegung des Pendels, der Unruh ist nichts anderes als ein selbstorganisiertes Verhalten. Das hatte schon Galilei erkannt. Und der „Rest“ der Uhr dient der Energieversorgung. Ganz so, wie es Prigogine oder Hermann Haken beschreiben. Erstaunliche Dinge können diese selbstorganisierten Systeme vollbringen. Sie sind unter bestimmten Bedingungen in der Lage deterministisches Chaos zu zeigen. Chaos ist die Quadratur des Kreises, es ist ein Verhalten eines deterministischen Systems und dennoch nicht in Detail vorhersagbar. Chaos stellt die Uhrmacher nicht in Frage, zeigt aber, dass im Detail kaum etwas vorhergesagt oder vorherberechnet werden kann. Es war mein Vater, der mir die Schönheit von Physik und Mathematik eröffnete und es gefiel mir, nun in Physikbüchern von Hermann Haken zu lesen, wie wenig Ursache und Wirkung in komplexen Systemen auseinander gehalten werden können. Der Konstruktivismus erscheint mir nach wie vor als nicht viel mehr als eine intellektuelle Spielerei. Operational geschlossen und energetisch offen ist auch eine Uhr. Das hindert sie nicht daran, sich vorhersagbar zu verhalten. Ich beweise mir viel lieber mit der Logik meines Vaters, dass organisierte Komplexität in nichtlinearen dynamischen Systemen selbstorganisiert entstehen kann – ganz ohne Bauplan. Mein Vater hat sich vom Chaos fasziniert gezeigt, wollte an der Weisheit der Uhrmacher jedoch nicht gerüttelt wissen. Recht hatte er.
|
|
|