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Familiendynamik Heft 4/2004
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1/2004 - 2/2004 - 3/2004 - 4/2004 - Überblick
Heintel, Peter und Kurt Broer (2004): Welche Gehirnforschung für die
Familientherapie? Einige systematische Perspektiven und Fragen zu
einer »Hirnforschung als dialektische Sozialwissenschaft«. In:
Familiendynamik 29(4): S. 309-328.
abstract:
Der naturwissenschaftliche Realitätsbegriff der Hirnforschung
erfasst nicht das synthetisch Lebendige und nicht das Denken des
Gehirns als unermessliches Widerspruchsfeld. Als historisches Organ ist
das Gehirn nur organisch nicht begreifbar. Für eine Hirnforschung als
dialektische Sozialwissenschaft steht die Rückkopplung zwischen dem
Hirn als Werk und Denkwerkzeug im argumentativen Zentrum, eine noch
immer für Forscher - die dem naturwissenschaftlichen Realitätsbegriffe
anhängen - provokante »Top-down«-These. Es wird für eine
Paradigmenkorrektur plädiert. Immerhin, Psychotherapie
(Familientherapie) argumentiert und operiert weitgehend wie die
kritische Philosophie, denn jede psychotherapeutische Intervention
weist unvermeidlich derartige Rückwirkungseffekte auf. Als konkrete
dialektische Problemfelder werden diskutiert: die Risiken der heutigen
Beschleunigungsgesellschaften, die Bedeutung von Mehrfachidentitäten,
die emotionelle Polarität zwischen positiv besetzter Kleingruppe
(Familie) und negativ besetzter Organisation, die Widersprüche bzw.
Ambivalenzen von Bewahren und Verändern, der Kampf um Deutungsmacht,
die Reflexionsverweigerung.
Kurthen, Martin (2004): Kognitive Neurowissenschaft und Psychotherapie. In: Familiendynamik 29(4): S. 329-347.
abstract:
Wird der Aufstieg der Neurowissenschaften die Psychotherapie
unterstützen oder in wissenschaflticher und klinischer Hinsicht in
Bedrängnis bringen? Der vorliegende Artikel argumentiert trotz des
vorherrschenden Reduktionismus in der Neurowissenschaft für eine
Ko-Evolution von Psychotherapie und Neurowissenschaft zu einer
Neuro-Psychotherapie, die das wachsende neurowissenschaftliche Wissen
für die Verbesserung psychotherapeutischer Verfahren nutzt. Beide
Disziplinen konvergieren über die Themen der Verkörperung, der sozialen
Kognition und der Emotion. Der Artikel diskutiert diese Konvergenz und
beleuchtet den neurowissenschaftlichen Zugang zu verkörperter Kognition
anhand der »Theory of mind«-Fähigkeit und der Neurobiologie sozialer
Normen.
Bonney, Helmut (2004): Neurobiologie - Ende der Psychotherapie?
Was kann die Neurobiologie zur Rettung der Psychotherapie leisten. In:
Familiendynamik 29(4): S. 348-362.
abstract:
Die heute gültigen Diagnose- und Klassifikationssysteme
psychischer Störungen verzichten im Wesentlichen auf
psychopathogenetische oder -logische Einordnung und ermöglichen durch
reine Verhaltensbeschreibung eine Offenheit für verschiedene psycho-
oder auch pharmakotherapeutische Ansätze. Die Beschränkung auf
phänomenologische Aspekte der Störungsbilder birgt die Gefahr, allein
auf die Wiederherstellung der Funktionalität zu fokussieren, ohne die
Entwicklungs- und Lebensumstände des betroffenen Menschen zu
berücksichtigen. Zudem fasziniert die neurobiologische Forschung mit
neuen Techniken, das Gehirn gleichsam bei der Arbeit zu beobachten und
nährt damit die Illusion, mit diesen Beobachtungen zugleich das
zentrale Geschehen im Fall von Gesundheit oder Kranksein erfasst zu
haben. Damit einher geht die Neigung zu einem neurobiologischen
Reduktionismus, dem die pharmazeutische Industrie mit der Entwicklung
von Substanzen entspricht, die anscheinend ein gezieltes Eingreifen in
den Hirnmetabolismus ermöglichen. Schnelle Wirksamkeit innerhalb der
»black box« zu erreichen korrespondiert mit einer Intention der
»Schnellfeuerkultur«, die der chemischen Intervention gegenüber
besonders aufgeschlossen scheint. Der Umgang mit dem ADHS-Konstrukt
liefert ein anschauliches Beispiel für eine moderne therapeutische
Haltung, die der Arzneianwendung größeres Vertrauen einräumt, als einem
komplexeren psychotherapeutischen Handeln. Die therapeutische Zukunft
tut gut daran, biologische und psychotherapeutische Sichtweisen zu
integrieren.
Fischer, Hans Rudi (2004): Neurobiologie und Psychotherapie - Lost in
Translation? Ein kritischer Überblick zur neueren Literatur. In:
Familiendynamik 29(4): S. 363-403.
abstract:
In den letzten Jahren sind viele Publikationen erschienen, die
sich mit den Ergebnissen und Fragestellungen der durch die bildgebenden
Verfahren bereicherten Hirnforschung beschäftigten. Die von der
Hirnforschung aufgeworfenen Fragen haben inzwischen auch den
psychotherapeutischen Diskurs erreicht. Was sind die Konsequenzen für
Psychologie und Psychotherapie? Der Artikel gibt einen Überblick über
die Geschichte der Psychologie, die immer Naturwissenschaft sein
wollte, und sieht die Psychologie in der reduktionistischen
Hirnforschung (»alles Neuro«) auf ihre Ursprünge zurückkommen. In einer
kritischen Würdigung bespricht der Autor ausführlich fünf aktuelle
Bücher daraufhin, welche Fragen sie offen lassen, mit welchen
Inkonsistenzen sie argumentieren und ob sie der Psychotherapie etwas zu
sagen haben. Fischer bezweifelt die Kommensurabilität beider Paradigmen
und wirft anhand der besprochenen Bücher und Bilder des Mentalen die
Frage auf, ob die vorschnelle Übersetzung neurowissenschaftlicher
Hypothesen in die Psychotherapie nicht zu einem »lost in translation«
zwischen beiden führt. Eine Psychotherapie, die die
Beobachtungskriterien - die Unterscheidungen, mittels derer beobachtet
wird - für Erfolg oder Misserfolg aus der Hirnforschung übernähme, wäre
zur Hirntherapie geworden, die ihr Selbstverständnis und ihre Identität
als Psychotherapie aufgegeben hätte.
Fischer, Hans Rudi und Detlef B. Linke (2004): An den Abhängen des
Wissens. Ein Gespräch mit dem Hirnforscher Detlef B. Linke. In:
Familiendynamik 29(4): S. 404-418 (online hier)
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