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Vorabdruck aus systemagazin Vorabdruck> Birgit Spohr, Andreas Gantner, Jeanine A. Bobbink & Howard Liddle: Multidimensionale Familientherapie. Jugendliche bei Drogenmissbrauch und Verhaltensproblemen wirksam behandeln

Spohr et al.: MDFT Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011 (September)

215 S., broschiert

Preis: 24,95 €

ISBN-10: 3525402147
ISBN-13: 978-3525402146

Verlagsinformation: In diesem Buch wird, erstmals im deutschsprachigen Raum, die Multidimensionale Familientherapie (MDFT) vorgestellt. Sie ist ein Behandlungssystem für drogenmissbrauchende Jugendliche mit multiplen Verhaltensauffälligkeiten und ihre Familien. Entwickelt wurde sie seit 1985 von Prof. Howard Liddle in Miami und seitdem kontinuierlich in den USA und europäischen Ländern empirisch überprüft und erweitert. Das Buch bietet zunächst einen kompakten Überblick zur Entstehung, Arbeitsweise und Qualitätssicherung in der MDFT. Neben den bisher vorliegenden Forschungsergebnissen zur Wirksamkeit des Therapiesystems werden die wichtigsten theoretischen und wissenschaftlichen Grundlagen der MDFT dargestellt. Sie liefern die Orientierung für die parallele therapeutische Arbeit auf vier Interventionsebenen (mit dem Jugendlichen, den Eltern, der Familie und dem außerfamiliären Umfeld). Die Erläuterung der Prinzipien und Leitlinien der therapeutischen Arbeit umfasst therapeutische Basiskompetenzen und Interventionen, aber auch die Struktur und den Rahmen des therapeutischen Prozesses, wichtige Arbeitsinstrumente und die MDFT-spezifische Form von Supervision. Im Zentrum des Buches steht die Veranschaulichung der MDFT-Praxis: Anhand von Fallskizzen bzw. Therapieausschnitten wird das therapeutische Vorgehen in den einzelnen Subsystemen und Therapiephase konkret beschrieben.


Über die Autoren:
Birgit Spohr, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, ist im Therapieladen e. V. sowie freiberuflich als Trainerin, Autorin und Supervisorin in Berlin tätig.

Andreas Gantner, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, ist im Therapieladen e. V. in Berlin tätig und Geschäftsführer des Vereins.

Jeanine A. Bobbink, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, ist im Therapieladen e. V. sowie freiberuflich als Beraterin, Psychotherapeutin und Supervisorin in Berlin tätig.

Dr. Howard Liddle ist Professor für Epidemiologie und öffentliche Gesundheit. Er leitet das Zentrum zur Erforschung der Behandlung von Drogenmissbrauch bei Jugendlichen an der medizinischen Fakultät der Universität Miami.

Teil C: Grundlagen der therapeutischen Arbeit


Dieser Teil des Buches stellt die wichtigsten Prinzipien und Leitlinien der therapeutischen Arbeit nach dem MDFT-Konzept vor. Dazu gehören therapeutische Basiskompetenzen und Interventionsformen, aber auch die Struktur und der Rahmen des therapeutischen Prozesses, Arbeitsinstrumente und die MDFT-spezifische Form von Supervision.


1 Leitlinien und Therapieprinzipien der MDFT

MDFT versteht sich als zielgruppenspezifisches Therapiemodell basierend auf einem systemischen Grundverständnis, das den unterschiedlichen Ausrichtungen systemischer Therapie gemeinsam ist (von Sydow et al., 2006). MDFT hat dabei ihre Wurzeln in der »strukturell-strategischen« Tradition. Howard Liddle, der Entwickler der MDFT, ist stark von Salvador Minuchin und Jay Haley beeinflusst, deren Schüler er war.

Die folgenden zehn MDFT-Therapieprinzipien (Liddle, 2010) sind Leitlinien für die therapeutische Einstellung und das therapeutische Verhalten. Sie beinhalten sowohl generelle systemische Prinzipien als auch MDFT-spezifische Aspekte.

  1. Jugendlicher Drogenmissbrauch ist ein multidimensionales Phänomen. Drogenprobleme werden aus einer ökologischen und entwicklungspsychologischen Perspektive verstanden und behandelt. Die Interventionen basieren auf dem Wissen, dass hierbei intra- und interpersonelle Faktoren sowie die Interaktionen von multiplen Systemen auf verschiedenen Einflussebenen wirksam sind.
  2. Krisen liefern dem Therapeuten Information und Chancen zum Handeln. Krisen und aktuelle Symptome von Jugendlichen und anderen Familienmitgliedern sind nicht nur diagnostisch wichtig, sondern gleichzeitig wichtige Ansatzpunkte für Intervention (»Krise als Chance für Veränderung«).
  3. Veränderungsprozesse sind multideterminiert und vielschichtig. Veränderung entsteht durch Interaktion innerhalb von und zwischen Systemen, Personen, Funktionsebenen, intrapersonalen und interpersonellen Prozessen. Diagnostik und Intervention machen deutlich, was im jeweiligen Fall angemessen und möglich ist: welches Timing, welche Zugänge, welche Veränderung, welche Ziele. Diese multivariate Konzeption von Veränderung verlangt vom Therapeuten ein koordiniertes und strukturiertes Arbeiten entlang verschiedener Veränderungspfade und mittels verschiedener Methoden.
  4. Motivation ist beeinflussbar. Behandlungs- und/oder Veränderungsmotivation kann nicht per se vorausgesetzt werden, weder bei Jugendlichen noch bei Eltern. Die Behandlungsbereitschaft und Motivation variiert bei Familienmitgliedern und außerfamiliären Bezugspersonen. Die Therapieunwilligkeit von Jugendlichen und Eltern wird als normal angesehen, zumal viele Klienten in anderen Behandlungsprogrammen bereits Enttäuschungen oder Fehlschläge erlebt haben. Mangelnde Behandlungsmotivation ist eine große Hürde für eine gelingende Therapie und erfordert genau darauf ausgerichtete therapeutische Bemühungen. Deshalb gehört es zu den wichtigsten Aufgaben des Therapeuten in Phase 1, bei Jugendlichen und Eltern Behandlungsmotivation herzustellen bzw. zu stärken.
  5. Das therapeutische Arbeitsbündnis ist zentral. Therapeuten ermöglichen Veränderung auf der Grundlage von praktisch ausgerichteten und ergebnisorientierten Arbeitsbeziehungen mit den Jugendlichen, den Eltern oder relevanten Bezugspersonen außerhalb der Familie, in denen individuell bedeutsame Beziehungs- und Lebensthemen bearbeitet werden.
  6. Interventionen werden individuell zugeschnitten und fördern vor allem Entwicklungskompetenz. Therapeutische Interventionen orientieren sich einerseits an allgemeinen Grundsätzen der Entwicklungsförderung (z. B. Ausweitung elterlicher Kompetenz innerhalb und außerhalb der Familie), werden andererseits für die individuellen Familien, Einzelpersonen und Kontexte maßgeschneidert. Sie zielen auf bekannte Risikofaktoren für die Entstehung von Drogen- und Verhaltensproblemen und fördern alles, was positive Entwicklungsverläufe begünstigt, das heißt protektiv wirkt.
  7. Planung und Flexibilität sind zwei Seiten der therapeutischen Medaille. Fallkonzeption und Behandlungsplanung sind Grundlage der Therapie, werden aber im Therapieprozess fortlaufend modifiziert und angepasst. Dazu erfolgt eine kontinuierliche Evaluation der Interventionsergebnisse in Kooperation mit allen Beteiligten.
  8. Behandlung ist phasisch und Kontinuität wird betont. Spezielle Standardinterventionen (z. B. Motivierung des Jugendlichen), aber auch Teile von Sitzungen, ganze Sitzungen, die Therapie insgesamt werden in Phasen verstanden und organisiert. Es ist wichtig, Kontinuität herzustellen, das heißt, Verbindungen zwischen einzelnen Aspekten und Arbeitsschritten der Therapie werden in Abschnitten geplant und dann zu einem nahtlosen Ganzen verwoben. Gleichermaßen werden Einzelaspekte oder Phasen der Therapie durch den Therapeuten aktiv zusammen gefügt, um einen roten Faden herzustellen.
  9. Die Verantwortung des Therapeuten wird hervorgehoben. Therapeuten sind verantwortlich für a) die Förderung der Teilnahme und Stärkung der Motivation aller relevanten Beteiligten, b) das Arbeitsprogramm und den klinischen Fokus, c) die Erarbeitung von multidimensionalen und multisystemischen Alternativen, d) den roten Faden der Behandlung, e) die Initiierung von Verhaltensänderung, f) die kontinuierliche Evaluation des Behandlungserfolgs mit der Familie und anderen Beteiligten und g) die Anpassung von Interventionen, wenn erforderlich.
  10. Die Einstellung des Therapeuten ist grundlegend für den Erfolg. Therapeuten sind Anwälte für Jugendliche und Eltern. Sie sind weder »Kinderretter« noch Propheten der »harten Hand«. Therapeuten sind optimistisch, aber nicht naiv in Bezug auf Veränderungsmöglichkeiten. Ihre Sensibilität für Einflüsse der sozialen Umwelt mündet eher in Ideen für hilfreiche Interventionen als in die Suche nach Gründen, warum Probleme entstanden sind oder Veränderung nicht gelingt. Therapeuten wissen, dass ihre Wirkung als Instrument für Entwicklung davon beeinflusst wird, wie sie sich einbringen: im Positiven wie im Negativen.

2 Therapeutische Basiskompetenzen der MDFT

Die Durchführung der MDFT im Sinne der beschriebenen Leitprinzipien erfordert allgemeine therapeutische Basiskompetenzen, die in einer vorausgegangenen therapeutischen Qualifikation bzw. Berufserfahrung erworben wurden und vorausgesetzt werden. Dies können Verfahren der Familientherapie, (Kinder- und Jugend-)Psychotherapie oder Suchttherapie sein. Je nach Grundqualifikation werden in einer Weiterbildung zum MDFT-Therapeuten die Kompetenzen erweitert bzw. ergänzt im Sinne einer »MDFT-Kompetenz«.

Liechti (2009) hat Kompetenzen zusammengefasst, die in der therapeutischen Arbeit mit jugendlichen Multiproblemklienten und ihren Familien gefordert sind:
  • professionelles Handeln unter den Bedingungen von Prozesshaftigkeit, Komplexität, Vernetztheit, Transparenz, begrenzter Vorhersehbarkeit, Ambiguität, offener und nicht selten widersprüchlicher Zielzustände;
  • ein multilateral anschlussfähiger Kommunikationsstil;
  • die Fähigkeit, die subjektiven Krankheits- und Störungstheorien der Hilfesuchenden mit wissenschaftlichen Fakten sowie Erklärungsmodellen mit einem Veränderungsfokus zu verbinden;
  • die Bereitschaft, Verantwortung für die initiierten Prozesse zu übernehmen;
  • die Fähigkeit, unter erheblichen Spannungen kooperative Beziehungen zu stiften und aufrechtzuerhalten;
  • der Umgang mit Situationen gemischter Motivation (Nichtmotivation, extrinsischer, intrinsischer, Fremd- und Eigenmotivation, Reaktanz).
Des Weiteren finden sich in der MDFT therapeutische Grundhaltungen, wie sie in der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie von Carl R. Rogers (1981) formuliert wurden:
  • unbedingte Wertschätzung des Klienten,
  • aktives Zuhören und Bestätigen,
  • empathisches Verstehen des Erlebens und der subjektiven Sicht der Klienten,
  • authentisches Verhalten des Therapeuten im Kontakt mit dem Klienten.

Diese klientenzentrierte Grundhaltung charakterisiert auch den Ansatz der Motivierenden Gesprächsführung (Motivational Interviewing – MI; Miller u. Rollnick, 1999). Bei diesem Ansatz handelt es sich um ein direktives, klientenzentriertes Beratungskonzept für die Arbeit an ambivalenten Einstellungen gegenüber Verhaltensänderungen und hat vor allem in der Arbeit mit Suchtklienten weite Verbreitung gefunden.

Es werden fünf Prinzipien der Motivierenden Gesprächsführung benannt:
  • Empathie ausdrücken,
  • Diskrepanz entwickeln,
  • Beweisführung vermeiden,
  • den Widerstand aufnehmen,
  • Selbstwirksamkeit fördern.

Hier besteht eine hohe Übereinstimmung mit der MDFT, vor allem in der therapeutischen Arbeit im Subsystem Jugendlicher. Denn hier ist die Motivierung von überwiegend schlecht oder fremdmotivierten Klienten zur Mitwirkung in der Therapie und zur konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Drogenkonsum zentral. Aber auch für die motivierende Arbeit in den anderen Subsystemen der Familie, insbesondere in der ersten Phase der Behandlung, ist das Konzept der MI sehr nützlich.

Da MDFT im Vergleich zu anderen systemischen Ansätzen eine deutlich pragmatisch bzw. verhaltensbetonte Ausrichtung hat, sind auch verhaltenstherapeutische Techniken, die gezielt auf konkrete und machbare Verhaltensänderungen im Alltag abzielen, hilfreich und gut in die MDFT integrierbar.

Ebenfalls fester Bestandteil ist Psychoedukation. Konkrete Wissensvermittlung, zum Beispiel zu typischen Problemen der Adoleszenzphase, zu Drogen und ihren Risiken oder zu anderen Entwicklungsstörungen, erfolgt insbesondere in der Arbeit mit Eltern und anderen erwachsenen Bezugspersonen bei Bedarf. Aktuelle Grundkenntnisse zu den genannten Themenfeldern (zum Teil ausgearbeitet in Form von »Fact Sheets«) gehören deshalb zum Expertenrepertoire der MDFT.


3 Exkurs: Enactment als Schlüsselmethode in Familiensitzungen

Die aus der familientherapeutischen Tradition stammende Schlüsselmethode für die MDFT-typische Arbeit in Familiensitzungen ist das Enactment. Das Grundprinzip des Enactment lautet: »Über etwas reden ist gut, aber direktes Erfahren und Erleben ist besser.« Enactment wird von Minuchin (1984) auch das Inszenieren von Transaktionen genannt, eine »Technik, bei der der Therapeut die Familie bittet, in seiner Anwesenheit zu tanzen«.

Enactment kennt drei Formen:
  • die spontanen Transaktionen, wie sie häufig zwischen Familienmitgliedern vorkommen (und die der Therapeut geschehen lässt, um beobachten zu können);
  • Transaktionen, die der Therapeut hervorlockt, um mehr Informationen zu erlangen und einen Blick dafür zu bekommen, womit die Familie umgehen kann;
  • alternative Transaktionen, die der Therapeut anbietet und leitet, mit dem Ziel, eine Verbesserung der Kommunikation herbeizuführen.
Enactment hat die Schaffung einer alternativen Realität in der Kommunikation zwischen Eltern und Jugendlichem zum Ziel, das heißt:
  • eine andere Art und Weise, miteinander zu reden, ohne dass man einander Vorwürfe macht und andere beschuldigt;
  • eine andere Art und Weise, miteinander umzugehen, eine Neubestimmung der Beziehung zwischen Eltern und Kind;
  • eine andere Art und Weise, wie man übereinander denkt.
Um Enactment zu ermöglichen, müssen die Familienmitglieder ermutigt werden, direkt miteinander zu sprechen, weder gespielt noch gezwungen, sondern so, wie sie es immer tun. So bekommt der Therapeut einen Einblick in die (dysfunktionalen) Transaktionsmuster in dieser Familie.

Dabei geht es hier eigentlich um drei Schritte: vom Spontanen über das Stimulierte zum Alter nativen. Die Schritte müssen deutlich voneinander unterschieden werden, um Fortschritte sichtbar zu machen.

Die folgenden Punkte sind zu berücksichtigen, wenn man von Enactment Gebrauch macht:
  • Enactment ist ein Mittel sowohl bei der Fallanalyse (Phase 1) als auch bei Interventionen.
  • Es geht hierbei um etwas zwischen dem Jugendlichen und den Eltern. Der Inhalt ist letztlich nicht wichtig, sondern die (Kommunikations-)Form.
  • Der Therapeut sollte sich daher nicht dazu verführen lassen, mitzureden. Seine Rolle ist es ausschließlich, den Familienmitgliedern dabei zu helfen, besser miteinander zu kommunizieren.
  • Enactment kann bei großen und kleineren, eher praktischen Angelegenheiten eingesetzt werden: Problemverhalten, Emotionen, schmerzhafte Erfahrungen aus der Vergangenheit, Taschengeld, Hausregeln usw.
Enactment ist keine Technik, die der Therapeut nur dann anwendet, wenn es gerade am besten passt. Es ist eine Haltung, eine konstante Arbeitsweise, die sich auf das Hier und Jetzt richtet (Beispiele finden sich in Teil D).


4 Struktur und Rahmen des therapeutischen Prozesses

Die Auflistung der therapeutischen Basiskompetenzen in der MDFT macht deutlich, dass es sich dabei um eine Methodenintegration aus unterschiedlichen therapeutischen Traditionen handelt, wie sie auch in anderen integrativen Therapieansätzen anzutreffen ist. Spezifisch für MDFT ist daher weniger die Anwendung spezieller Techniken als die Art und Weise, wie der therapeutische Prozess verstanden und strukturiert wird.

Der Ablauf eines MDFT-Therapieprozesses ist charakterisiert durch Multidimensionalität und Intensität.

Das Prinzip der Multidimensionalität ist die Kernphilosophie der MDFT. MDFT-Therapeuten denken und handeln in unterschiedlichen Ebenen und Dimensionen. Hiermit ist zum einen das Pendeln zwischen Subsystemen gemeint, also die gleich zeitige Arbeit mit dem Jugendlichen, mit den Eltern, mit der gesamten Familie und mit außer familiären Kooperationspartnern. Zum anderen sind auch unter schiedliche Dimensionen auf intraindividueller oder interindividueller Ebene angesprochen. So ist jeweils zu entscheiden, ob kognitionsbezogene, emotionsbezogene oder verhaltensbezogene Schwerpunkte bei den jeweiligen therapeutischen Prozessen im Fokus stehen sollen. Beide Aspekte erfordern ein Denken in komplexen Zusammenhängen sowie einen flexiblen therapeutischen Stil.

Um dieses für die Qualität der Therapie unverzichtbare, für den Therapeuten jedoch anspruchsvolle Vorgehen zu gewährleisten, wird die Arbeit in den jeweiligen Subsystemen im Kontaktprotokoll dokumentiert und in gemeinsamen Videoanalysen und Live-Supervisionen überprüft und gesichert.

Das Prinzip der Intensität bezieht sich auf verschiedene Aspekte: MDFT ist grundsätzlich eine auf wenige Monate angelegte Therapie, kein Langzeit verfahren. Dementsprechend ist eine intensive Arbeitsweise erforderlich, soll die Therapie effektiv sein. Das bedeutet dichte und hochfrequente therapeutische Arbeit in und mit den verschiedenen Subsystemen. So ist insbesondere in der ersten Therapiephase eine hohe Kontaktfrequenz erforderlich, um ein Arbeitsbündnis und die entsprechende Motivation herzustellen. Hierzu wird nicht nur in der Einrichtung, sondern auch aufsuchend gearbeitet und es werden zusätzlich regelmäßige telefonische Kontakte, Mails oder SMS-Mitteilungen genutzt. Außerdem bezieht sich die Intensität auch auf die Fokussierung von Handeln und Emotionen in der MDFT. Ungelöste emotionale Konflikte behindern Entwicklung und Veränderung auf der Handlungs- bzw. Verhaltensebene. Deshalb bearbeiten der MDFT-Therapeuten vorhandene Konflikte in der Familie offensiv, was mit hoher emotionaler Beteiligung der Therapeuten einhergeht.

Wichtige strukturierende Elemente für die Gestaltung der Therapie sind:
  • die Phasen der einzelnen Sitzungen ebenso wie des Gesamtprozesses,
  • die Fallkonzeption und Behandlungsplanung sowie deren fortlaufende Überprüfung und Aktualisierung mit Hilfe der Zwischenanalyse,
  • die Planung einzelner Sitzungen anhand der Ziele in der jeweiligen Fallkonzeption und Behandlungsplanung,
  • die Begleitung des Therapeuten im Prozess durch den Supervisor.

5 Die drei Phasen der MDFT

Eine MDFT beinhaltet drei Therapiephasen:
  1. 1. Motivation und Aufbau von therapeutischen Arbeitsbündnissen,
  2. 2. Bearbeitung der wichtigen Themen, Entwicklung von Problemlösungen,
  3. 3. Konsolidierung und Abschluss.
Die einzelnen Therapiephasen beschreiben eher inhaltliche und prozesshafte Schwerpunkte der therapeutischen Arbeit als eine zeitliche Abfolge. So begleiten motivierende Aspekte, die zur ersten Phase gehören, oft den ganzen Behandlungsablauf. Ohnehin ist eine rigide Zeitbegrenzung oder eine vorgeschriebene Anzahl von Sitzungen innerhalb einzelner Therapiephasen nicht adäquat, da diese aus unter schiedlichen Gründen variieren können: durch Vorgaben von Kostenträgern, Rahmenbedingungen in einem Studiendesign, insbesondere jedoch durch die Gegebenheiten des individuellen Falles und seines jeweiligen Tempos.

Phasentypische Interventionen finden sich in allen vier Systemebenen (Jugendliche/ Eltern/Familie/außerfamiliärer Kontext). Hier werden die Therapiephasen in ihren für die Gesamttherapie wichtigen Aspekten skizziert, das konkrete methodische Vorgehen in den einzelnen Subsystemen wird im Teil D erläutert.

Innerhalb der einzelnen Subsysteme können die Therapiephasen in sehr unterschiedlichem Tempo verlaufen. So ist nicht selten mit einzelnen Eltern oder Jugendlichen eine gute Arbeitsbeziehung hergestellt, während dies mit einem anderen Familienmitglied deutlich schwieriger ist bzw. mehr Zeit braucht. Phasen spezifisches Vor gehen ist deshalb an das jeweilige Subsystem anzupassen und Ungleichzeitigkeiten im therapeutischen Prozess innerhalb der Familie sind zu berücksichtigen.

Allenfalls als grobe Richtschnur ließe sich bei einer geplanten sechsmonatigen Behandlungsdauer folgende zeitliche Orientierung angeben:
  • Phase 1: ca. vier bis sechs Wochen,
  • Phase 2: ca. drei bis vier Monate,
  • Phase 3: ca. vier Wochen.

6 Fallkonzeption und Behandlungsplanung

Die Ziele einer MDFT-Behandlung verteilen sich auf verschiedene Zielbereiche (jugendliches Problemverhalten, elterliche Erziehung, familiäre Kommunikation, außerfamiliärer Kontext) und Systemebenen. Das jugendliche Problemverhalten bildet einerseits den Anlass der Therapie, anderseits verweist es als Symptom auf ein komplexes Geschehen innerhalb und außerhalb der Familie und muss entsprechend kontextualisiert werden. Das »In-Beziehung-Setzen« des jugendlichen Problemverhaltens zu dem familiären und außer familiären Kontext führt zu einer multidimensionalen Zielsetzung und Behandlungsplanung, die von Anfang an den beteiligten Klienten und Kooperationspartnern vermittelt wird.

Mit dem Beginn der ersten Sitzung wird das vorhandene Problemsystem in ein »therapeutisches System« transformiert. In diesem erweiterten System greift der Therapeut die Veränderungswünsche (und Nichtveränderungswünsche) und Ziele der am Problem Beteiligten auf und erarbeitet in einem kooperativen Prozess mit dem Jugendlichen und den Eltern gemeinsam verbindliche Behandlungsziele. Da die Sichtweisen und subjektiven Problemdefinitionen zwischen Eltern und Jugendlichen unterschiedlich sind (und oft auch zwischen den beiden Eltern), müssen Ziele je bereichsspezifisch »heruntergebrochen« und auf die an der Therapie beteiligten Personen formuliert und zugeschnitten werden (siehe Teil D). Hinzu kommen mögliche Zielvorstellungen oder Aufträge aus dem außerfamiliären Bereich bzw. dem Überweisungskontext wie eventuell bestehende Vorgaben im Rahmen eines bestehenden Hilfeplans der Jugendhilfe, aus der Schule oder jugendgerichtliche Auflagen.

Für die Erstellung der Fallkonzeption gibt es einen Leitfaden (…), anhand dessen die erkennbaren Risiko- und Schutzfaktoren nach den jeweiligen Subsystemen sortiert und aufgelistet werden. Daraus ergeben sich Behandlungsziele für das therapeutische Vorgehen. Die Fallkonzeption ist dabei nicht als reine Eingangsdiagnostik zu verstehen, sondern wird im Verlauf der Therapie durch weitere Informationen ergänzt bzw. spezifiziert.

Typische übergeordnete Therapieziele der MDFT sind:
  • Reduktion bzw. Abstinenz von Drogen/Alkohol;
  • Verbesserung der damit verbundenen psychischen/sozialen Probleme;
  • Verbesserung der schulischen Leistung/Bildungschancen;
  • Neugestaltung des Freizeitverhaltens, prosoziales Verhalten;
  • Verbesserung der elterlichen Erziehungskompetenz;
  • Verbesserung des affektiven Klimas bzw. der Bindungen in der Familie;
  • Reduktion dysfunktionaler familiärer Kommunikationsmuster;
  • Mobilisierung sozialer Ressourcen.
Die Ziele sind für jeden Fall zu konkretisieren und mit den von den Beteiligten explizit geäußerten Veränderungswünschen zu verbinden. Ohne immer wieder erfolgende Rückbesinnung auf die Wünsche und Aufträge der Klienten besteht die Gefahr eines Abdriftens des Therapeuten in eigene, vom Klientensystem abgekoppelte Zielvorstellungen. Außerdem ist das Eintauchen des Therapeuten in die spezifische Geschichte der Familie von großer Relevanz sowohl für die therapeutische Arbeitsbeziehung als auch für das Aufgreifen der zu bearbeitenden Themen im Laufe der Therapie.

Dabei verändern sich Inhalte und Ziele im Laufe des Therapieprozesses entsprechend den bisherigen Entwicklungen bzw. Veränderungsversuchen. Für die Anfangsphase ist zunächst ein Minimalkonsens von Zielen für die Beteiligten in der Familie ausreichend. Jedes Familienmitglied sollte innerhalb der ersten Sitzungen das Gefühl haben, etwas für sich erreichen und verbessern zu können. Nützlich kann dabei ein erstes leicht zu erreichendes praktisches Ziel sein, welches als Anfangserfolg die Allianzbildung mit der Familie verbessern kann. Wesentliche Veränderungen können jedoch erst in der zweiten Behandlungsphase nach Etablierung einer hinreichend stabilen Arbeitsbeziehung anvisiert werden.


7 Wochen- und Sitzungsplanung

Planmäßiges und zielorientiertes Vorgehen in jeder Sitzung ist ein Kernmerkmal der MDFT. Die MDFT-Entwickler haben hierzu detaillierte Sessionscripts für sogenannte Kernsitzungen entwickelt. In diesen Sessionscripts werden sehr ausführlich Planung und konkrete Umsetzung spezifischer Sitzungen insbesondere der ersten Therapiephase beschrieben. Im Weiteren wurde ein zusammenfassender Interventionsleitfaden entwickelt, der Therapeuten dabei unterstützen soll, die not wendigen und geeigneten Interventionsformen für den jeweiligen Fall auszuwählen.

Auch jede Sitzung ist unterteilt in Phasen und Bausteine. Es gibt eine Begrüßungsphase, in der Kontakt hergestellt wird und die Ziele der aktuellen Sitzung vom Therapeuten vorgeschlagen werden. Der Hauptteil der Sitzung ist der Bearbeitung der Themen gewidmet und in der Abschlussphase werden die Ergebnisse der Sitzung zusammengefasst, gewürdigt und die nächsten Schritte skizziert.

Die inhaltliche Planung jeder Sitzung erfolgt anhand des folgenden Schemas:

Sitzungsparameter/Setting: Wer soll teilnehmen? In welche Abschnitte soll die Sitzung unterteilt sein? (mit dem Jugendlicher/den Eltern/der Familie). Wie lange soll die Sitzung bzw. einzelne Teile dauern?

Ziele der Sitzung/therapeutische Ziele: Hier werden die konkreten Ziele, die in dieser Sitzung erreicht werden sollen, beschrieben. Dabei werden diese Ziele möglichst genau auf die beteiligten Personen und deren Handlungen bezogen. Sitzungsziele werden in der Regel in verschiedene Akte bzw. Teilziele während einer Sitzung aufgeteilt.

Therapeutische Handlungen/Interventionen: Hier werden für die Erreichung der Ziele anvisierten Interventionen konkret beschrieben. In den Sitzungsprotokollen bzw. dem MDFT-Interventionsleitfaden sind die phasen- und bereichsspezifischen therapeutischen Interventionen aufgelistet.

Ergebnisprotokoll: Diese ergebnisorientierte Zusammenfassung dient der Überprüfung des Vorgehens und bildet die Grundlage für die weitere Planung der nächsten Sitzungen bzw. therapeutischen Schritte.

Sitzungsplanungen und deren Auswertungen sind Bestandteil regelmäßiger MDFT-Supervision im Team oder in der Einzelsupervision. Die kontinuierliche Überprüfung der Ziele und des Vorgehens erfolgt anhand der Wochenplanung, die vom Therapeuten als Vorbereitung für die Fallbesprechung mit seinem Supervisor genutzt und dort gemeinsam ausgewertet wird.


8 Exkurs: Strukturieren und Unterteilen von Sitzungsbausteinen

Inhalte von Therapiesitzungen und den Prozessverlauf zu strukturieren und zu unterteilen, ist äußerst wichtig und eine zu wenig beachtete oder verkannte therapeutische Fähigkeit. Das Unterteilen einer Sitzung kann Verschiedenes bedeuten.

Inhalt: Häufig wird eine Geschichte erzählt, bei der so viele Leute beteiligt waren und so viele Aspekte zur Sprache kommen, dass es für den Therapeuten schwierig ist festzustellen, wo man anfangen könnte, oder sogar, worum es eigentlich geht. Das Unterteilen inhaltlicher Bestandteile einer Geschichte in handliche Komponenten ist deshalb notwendig.

Prozess: Der Prozess bezieht sich auf den Fluss der Ereignisse, des Gespräches im Raum, während man der Schilderung eines Problems, einer Geschichte über etwas, das schief ging, oder was einem Sorgen macht, zuhört. Um einen Überblick über das Geschehene zu bekommen, sollte bereits in frühen Stadien des Verstehens der transaktionalen Muster einer Familie oder von Familienmitgliedern mit wichtigen Personen außerhalb der Familie darauf geachtet werden, das »große Bild« nach Themen und Sequenzen zu unterteilen. Um den Inhalt und den Prozess – die Interaktion – zu verstehen, bedarf es handlicher und formbarer statt (viel zu) großer Einheiten. Häufig muss der Ablauf einer Sitzung dahingehend gesteuert werden, dass Themen benannt, bestätigt oder als veränderungswürdig identifiziert werden können, bevor der Strom der Ereignisse weiterfließt.

Ergebnis: Das Unterteilen steht wie folgt in Bezug zum Ergebnis: Die Arbeit läuft schlecht, wenn der Therapeut nicht hinreichend und mit einem Blick für die nötigen Details darüber nachgedacht hat, wie man von A nach B kommt. Womöglich ist zwar deutlich geworden, dass sich das Verhältnis zwischen den Eltern und dem Jugendlichen verbessern muss, aber es wurde nicht ausreichend überlegt, welche Schritte nötig wären, um das zu erreichen. Warum sollte sich die Beziehung verbessern? Ist dies den Eltern verdeutlicht worden? Was sind die nächsten Schritte, wenn das bereits getan wurde? Wurde in den Sitzungen die Möglichkeit gegeben, alltägliche Dinge zu besprechen? Wie sieht es mit den Elementen des Gespräches aus? Wurden diese analysiert und dabei über die Sicht jeder Person nachgedacht, ihre Haltung in den Gesprächen und was einem gut funktionierenden Gespräch im Wege steht? Wurden diese Dinge in Einzel- oder Familiensitzungen angesprochen und direkt vorgebracht (Unmut, Hoffnungslosigkeit, ein traumatisches Ereignis, wiederholt gescheiterte Bemühungen in der Vergangenheit etc.)?


9 Das MDFT-Supervisionskonzept: Fallbesprechung, Videoanalyse und Live-Supervision

Eine zentrale Voraussetzung für MDFT ist das Arbeiten in einem Behandlungsteam. Es sollte aus mindestens zwei MDFT-Therapeuten und einem MDFT-Supervisor zusammengesetzt sein. Die Komplexität und Intensität der Behandlungsmethode erfordert eine sorgfältige Planung und Vorbereitung von Sitzungen, die ein einzelner Therapeut nicht leisten kann und soll, daher beinhaltet MDFT das Konzept einer systematisch begleitenden kotherapeutischen Supervision. Die MDFT-Supervision unterstützt die in den Sitzungen allein arbeitenden Therapeuten durch das Beisteuern einer Außenperspektive sowohl bei der Planung des Gesamtprozesses wie der Vor- und Nachbereitung von Sitzungen sowie mit Live- Supervision. Gleichzeitig wird dafür gesorgt, dem multidimensionalen »MDFT-Kurs« treu zu bleiben. MDFT-Supervision ist ein zentraler und unverzichtbarer Bestandteil der Qualitätssicherung. Dabei versteht sich der MDFT-Supervisor eher als »Coach« denn als Supervisor im klassischen Sinne.

Die supervisorische Unterstützung eines Therapeuten findet in drei verschiedenen Formaten statt, die jeweils unterschiedliche Ziele haben:
  • Die Fallbesprechung dient der gemeinsamen Fallanalyse und der Entwicklung von Interventionsstrategien mit dem Ziel der Planung von Sitzungen bzw. bevorstehenden Therapie ab schnitten.
  • Die Videoanalyse dient der Selbstreflexion und gemeinsamen Analyse der Interventionen des Therapeuten mit dem Ziel einer Erweiterung der therapeutischen Kompetenz.
  • Die Live-Supervision dient sowohl der Unterstützung des Therapeuten in der Sitzung durch die Außenperspektive des Supervisors als auch der Anwendung und Einübung neu gelernter therapeutischer Strategien durch den Therapeuten unter Anleitung.
Dabei findet sich eine Isomorphie zwischen den einzelnen Ebenen der Arbeit mit MDFT: Es tauchen hier wie dort gleiche oder ähnliche Themen, Muster und Interaktionen auf.

So ist zum Beispiel die Live-Supervision einer Sitzung und die Unterstützung durch Anrufe des Supervisors vergleichbar mit dem Einsatz von Enactment in den Familiensitzungen. In beiden Fällen geht es darum, das verfügbare Repertoire an Interventionen (Therapeut) bzw. Kommunikationsmustern (Familie) durch Anregung und Strukturierung von außen zu erweitern, Neues auszuprobieren und direkt in der Sitzung zu üben, das heißt durch Erfahrung zu lernen.

Ebenso wie der Therapeut seine Arbeit mit dem Supervisor reflektiert, erhält der Supervisor von seinem Trainer oder später von einem anderen Supervisor Feedback zu seinem Vorgehen in der Supervision. Auf allen Ebenen finden sich die typischen Merkmale von MDFT:
  • Balance von Planung/Struktur und Flexibilität,
  • Balance von Information und Input geben und Fragen stellen bzw. Ideen entwickeln lassen,
  • Zielorientierung und Transparenz etc.

Voraussetzung für eine sorgfältige supervisorische Begleitung ist die Videoaufnahme der Therapiesitzungen. Der damit verbundene Aufwand lohnt sich, da nur so eine wirkliche gezielte, auf den einzelnen Therapeuten (bzw. die einzelne Familie) zugeschnittene, effektive Analyse und Unterstützung erfolgen kann.

»Whether they are uneasy or not, trainees should realize that the benefit of improving their interview skills is so valuable that the discomfort of being observed is worth it. After all, clinical skill is what therapy is all about« (Haley, 1996, S. 11).

Die Fallbesprechung findet wöchentlich statt, und dafür sollten je nach der Anzahl laufender Fälle ein bis zwei Stunden reserviert werden. Als Vorbereitung dafür trägt der Therapeut die Ereignisse und Ergebnisse der letzten Therapiewoche in die wöchentliche Zwischenanalyse (Wochenplan) ein und stellt diese rechtzeitig dem Supervisor zur Verfügung, so dass beide vorbereitet in die Sitzung gehen: Der Supervisor ist durch das Lesen des Wochenplans und das Anschauen der Videos von Sitzungen auf dem Laufenden. Der Therapeut hat durch das Schreiben des Wochenplans schon die Ereignisse und ihre Details sortiert und Ideen für die weitere Planung bzw. Fragen dazu entwickelt.

Die Videoanalyse sollte etwa monatlich stattfinden und dient nicht in erster Linie der Arbeit am Fall, sondern vielmehr der professionellen Entwicklung des MDFT-Therapeuten. Um spezifische therapeutische Fähigkeiten zu entwickeln oder zu vertiefen, werden hier ohne Zeitdruck einzelne Passagen zusammen angesehen, die schwierig oder unklar waren oder nicht gut gelungen sind. Im konstruktiven und unterstützenden Dialog werden alternative Interventionen entdeckt und auch einmal in Form eines Rollenspiels ausprobiert oder geübt.

In beiden Formaten arbeitet der MDFT-Supervisor ebenso strukturiert und ziel-/auftragsorientiert wie der MDFT-Therapeut in den Therapiesitzungen und hier wie dort werden die Ziele und Absichten transparent gemacht, so oft dies sinnvoll und hilfreich ist. Dabei erfolgt immer wieder der Rückbezug zu den theoretischen Grundlagen und dem therapeutischen Konzept, so dass der Therapeut zunehmend Sicherheit in der Anwendung des MDFT-Modells gewinnt und sich seines therapeutischen Handelns immer mehr bewusst ist.

Live-Supervision
findet ebenfalls einmal monatlich oder bei Bedarf statt. Daran können neben dem zuständigen Therapeuten auch weitere Kollegen teilnehmen, um den Lerneffekt zu vergrößern. Sie beinhaltet drei Teile: die Vorbesprechung, die Therapiesitzung, die Nachbesprechung. In der Vorbesprechung präsentiert der Therapeut eine knappe Skizze vom »Stand der Dinge« in der Familie und seinen Plan bzw. seine Fragen zur bevorstehenden Sitzung, die dann zusammen mit dem Team und dem Supervisor geklärt werden. Der Therapeut benennt auch, was er sich für die Sitzung vorgenommen hat, zum Beispiel eine neu gelernte Intervention auszuprobieren, zu üben oder zu vertiefen oder auch alte »Fehler« zu vermeiden.

Während der Sitzung, die vom Supervisor per Kameraübertragung live gesehen wird, meldet dieser sich telefonisch beim Therapeuten, wenn er einen Vorschlag hat, wie die Interventionen noch besser oder zielführender gestaltet werden können. Die Vorschläge werden dabei sehr kurz und knapp formuliert und am Telefon im Beisein der Familie nicht diskutiert. Falls Absprachen erforderlich sind, unterbricht der Therapeut die Sitzung und bespricht sich kurz mit dem Supervisor.

In der Nachbesprechung berichtet zunächst der Therapeut von seinen Gedanken und Gefühlen während der Sitzung. Dann werden die positiven Ergebnisse der Sitzung benannt und besprochen, welche Fortschritte der Therapeut gemacht hat und was nächste Ziele für die Familie, aber auch für die Weiterentwicklung des Therapeuten sein können.

Dieses Konzept von Supervision, in dem Fallbesprechung, Qualitätssicherung sowie Coaching und Training des Therapeuten parallel laufen, ist bisher in Deutschland kaum bekannt, jedoch sehr effektiv. Auf den ersten Blick mag dieses Vorgehen zeit- und kostenaufwändig erscheinen. Verglichen mit einem kotherapeutischen Vorgehen, in dem jegliche Zeit doppelt investiert ist und zusätzliche Supervision und Training erforderlich sind, relativiert sich der Aufwand jedoch wieder. Voraussetzung für diese Art der Arbeit im Team ist ebenso wie in der Arbeit mit den Familien eine konstruktive, kooperative Atmosphäre, die von Wertschätzung, wechselseitigem Vertrauen und Offenheit geprägt ist.


Literatur

Liddle, H. A. (2010). Treating Adolescent Substance Abuse. Using Multidimensional Family Therapy. In J. Weisz, A. Kazdin (Eds.), Evidence-based psychotherapies for Children and Adolescents (pp. 416–432). New York: Guilford Press.
Liechti, J. (2009). Dann komm ich halt, sag aber nichts. Motivierung Jugendlicher in Therapie und Beratung. Heidelberg. Carl-Auer.
Minuchin, S. (1984). Familie und Familientherapie. Freiburg: Lambertus (Original: Families and Family Th erapy. Harvard: Harvard University Press, 1974).
Miller, W. M., Rollnick, S. (1999). Motivierende Gesprächsführung. Freiburg: Lambertus.
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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht



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