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Vorabdruck aus Markus und Kristin Schwemmle (Hrsg.) Systemisch beraten und steuern live 3. Methoden und Best Practices in Change Management und Führungskräfteentwicklung
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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012 (Frühjahr)
271 Seiten mit 35 Abb. und 1 Tab., brosch.
Preis: 24,95 €
ISBN-10: 3525403372 ISBN-13: 978-3525403372
Verlagsinformation: Im Bereich Change Management berichten interne Personalentwickler und externe Berater von ihren Erfahrungen in Veränderungsprozessen und wie systemische Wirkmechanismen praktisch angewendet werden. Die Bandbreite reicht von der Begleitung von Mergern, also der notwendigen Umgestaltung der Organisation, bis hin zum Trennungsmanagement im Outplacement und in Transfergesellschaften. Die praxiserfahrenen Autoren zeigen, dass gerade in solch kritischen Situationen systemische Methoden und persönliche Haltung besonders wirkungsvoll sind. Im Feld der Führungskräfteentwicklung zeigen Berater verschiedene systemische Vorgehensweisen, damit Führungskräfte die täglichen Herausforderungen ihrer Arbeit besser bewältigen können. Das Spektrum reicht vom Einbezug interkultureller Kontexte über neue Möglichkeiten des Kompetenztrainings bis zur Sinnorientierung. Berater erfahren, wie systemische Personal- und Organisationsentwicklung konkret umgesetzt wird, und sie erhalten vielfältige Anregungen für Interventionen sowie Impulse für eigene Beratungsformate. Und umgekehrt lesen Personalentwickler und Führungskräfte in diesem Buch, auf welche Weise systemische Berater in der Führungskräfteentwicklung und in der professionellen Begleitung von Veränderungsprozessen einen hohen Nutzen bringen.
Beiträger: Wolfgang Engelhorn, Berlin / Manuela Grund, München / Gabriele Haas, Wels / Bettina Habbel, München / Bettina Hof, München / Bernd Janosch, Esslingen / Sonja Kalusche, Nürnberg / Uta Kaussler, München / Daniela Krug, München / Thilo Leipoldt, München / Uwe Lockenvitz, Nürnberg / Petra Mehl-Lammens, Augsburg / Marc Minor, Heroldsberg / Andreia Rotariu, Nürnberg / Petra Ruda, Ingolstadt / Maximilian Schlegel, München / Kristin Schwemmle, München / Dirk Strackbein, Wuppertal / Rita Strackbein, Wuppertal / Antje Wilmink, Berlin / Dagmar Wötzel, Assling.
Über die Herausgeber: Markus Schwemmle, Diplom-Psychologe, ist Unternehmensberater, Coach und Führungskräfteentwickler und leitet ein eigenes Beratungsunternehmen in München. Er ist Lehrtrainer am Institut für Systemische Beratung in Wiesloch. Kristin Schwemmle, Diplom-Betriebswirtin, ist als selbständiger Karriere- und Familien-Coach in München tätig.
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Uwe Lockenvitz und Antje Wilmink: Mixed Leadership – Die Erfolgspotenziale gemischter Führung (171-188)
Im Rahmen eines Workshops zu unserem Arbeitsansatz mit Personalern stellten wir uns die Frage: Wie ist ein guter Einstieg? Wir wählten Fragen aus, die eine Brücke schlagen sollten: Unser Ansatz – ihre Unternehmensrealität.
Diese Fragen stellten wir vorab:
- Nutzt Ihr Unternehmen das Potenzial seiner Mitarbeitenden beiderlei Geschlechts in vollem Umfang? In Führungsverantwortung, als Expertise, in der lateralen Führung?
- Wären alle aktuell vorhandenen Führungsfunktionen von einem kraftvollen Vertreter des anderen Geschlechts besetzt – was wäre der konstruktive Unterschied, den dieser Wechsel bewirken würde? Was würde fehlen?
- Was würde Ihr Unternehmen gewinnen, könnte es das aktuell vorhandene Potenzial weiterhin nutzen und darüber hinaus den Zugang zu ungenutzten Ressourcen erlangen?
- Wie würde sich die Kultur Ihres Unternehmens entwickeln, wenn Frauen und Männer auf der Basis ihrer bewussten Unterschiede gemeinsam in der Führung wirken könnten?
Interview von Nele Haasen mit Antje Wilmink und Uwe Lockenvitz
Warum interessiert euch das Thema?
Uwe Lockenvitz: Ich glaube, es könnte mehr Qualität in die Führung kommen, als aktuell vorhanden ist. Es herrscht ein Ungleichgewicht in der Führung, das Erlösung braucht. Das Wechselspiel fehlt. Das war der Aufhänger – das macht für mich das Thema spannend. Der Prozess, den ich vermisse, ist ein Stück weit vergleichbar mit dem gesellschaftlichen Prozess der Emanzipation vor dreißig Jahren. Dieser Prozess in die Wirtschaft umgesetzt ist mein Interesse. Den Weg zu bereiten, heraus aus dem Hamsterrad, hin zu einem ausgewogenen Miteinander, das lockt mich. Denke ich an das Bild eines Chors, dann erhöht das Zusammenspiel klarer männlicher und weiblicher Stimmen die Qualität und Vielfalt des Repertoires.
Antje Wilmink: Bei mir ist der Zugang zum Thema ein persönlicher. Ich komme aus großen Unternehmen und habe da aus eigener Erfahrung gläserne Decken kennengelernt. Ich bin mit meiner Karriere bis zu einem bestimmten Punkt gekommen, hatte aber mehr erwartet und habe das damals nicht in diesen Kontext einordnen können. Als ich aus einer großen Bank ausgeschieden bin, war auf meiner Hierarchieebene der Frauenanteil 3 %. Heute hat sich an diesen Relationen einiges geändert, das grundsätzliche Thema ist aber gleich geblieben: Frauen sind in Führungspositionen zu gering vertreten. Damals war meine Wahrnehmung, ich habe in dem Unternehmen keine Heimat gefunden. Erst später wurde mir klar, dass ich da als Frau nicht den richtigen Platz fand. Seitdem beschäftige ich mich mit dem Thema Frauen und Männer im Management und bin in ein Frauen-Netzwerk eingetreten.
Gläserne Decken: Die Existenz gläserner Decken ist durch eine Accenture-Studie aus dem Jahr 2006 bestätigt worden. »Mit ›gläserne Decke‹ wird eine uneingestandene Barriere bezeichnet, die Frauen oder Minderheiten den Zugang zu bestimmten Macht- und Verantwortungspositionen in ihren Berufen verwehrt. [ …] Der Studie zufolge glauben nur knapp ein Drittel (30 %) der weiblichen Manager und 43 % ihrer männlichen Kollegen, dass Frauen heutzutage die gleichen Chancen am Arbeitsplatz haben. Damit ist ein Phänomen, das in den 80er Jahren unter dem Begriff der ›gläsernen Decke‹ bekannt wurde, trotz großer Fortschritte im vergangenen Jahrzehnt weiterhin aktuell.«
Aus meiner Sicht fristet das Thema Männer und Frauen im beruflichen Kontext am ISB unter der Überschrift »Geschlechtsidentität« ein Schattendasein. Ich denke, es ist an der Zeit, es näher ans Licht zu bringen, unsere Haltung als Systemiker und Systemikerinnen deutlich zu machen. Wir wollen einen Beitrag leisten, wie Männer und Frauen gemeinsam auf gute Weise in Führung handeln können.
Was ist denn das vorherrschende männlich geprägte Führungsverhalten?
Antje Wilmink: Läuft es gut, dann agiert die männliche Führungskraft eindeutig, die eigene Position wird nicht kleiner gemacht. An diesen Männern schätze ich ihr hohes Selbstvertrauen. Sie senden keine doppelten Botschaften: Ich will, dass du das machst, aber ich sag es nicht so klar, um nicht anzuecken … Das wäre dann eher das Frauen-Stereotyp. Männer erlebe ich oft als Ich-Es-Typen: Sie stellen Beziehungen zu ihren Mitarbeitern über die gemeinsame Sache her. Das entspricht in vielen Unternehmen, vor allem in den technisch geprägten, auch der vorherrschenden Kultur. Oft nehme ich Rangkämpfe wahr, sind sie aber einmal ausgefochten, wird die Dominanz des Mächtigeren in der Regel anerkannt. Ober sticht Unter. Die Untenstehenden suchen die Nähe des Höherstehenden, da wird dann an der Macht des Vorgesetzten Trittbrett gefahren. Die Betonung der eigenen Rangposition nimmt breiten Raum ein: Macht und Politik spielen bei Männern meines Erachtens eine große Rolle. Man könnte auch sagen, Männer haben eine ausgesprochene Karrierekompetenz. In der negativen Übertreibung kann ein männliches Führungsverhalten Ähnlichkeiten mit einem moderaten Autismus bekommen. Die weichen Elemente wie Kommunikation, Intuition, sich Einstellen auf andere kommen dann zu kurz. Ich glaube, dass das ganz tief geht. Allein die Idee von Dominanzhierarchie ist vom Ursprung her männlich. Das macht den Kern dieser Führungssysteme aus.
Uwe Lockenvitz: Massiv erlebe ich im ersten Blick die quantitative Masse, dass es nahezu nur männliche Stimmen sind, die zu hören sind. Primär geprägt von Konkurrenz und Kraft und hier eher eine körperliche Kraft, Schnelligkeit, Entscheidungsfreude … Mir begegnen dunkle Anzüge, das Poster vom Sportverein, Modelle klassischer Autos auf Schreibtischen …! Vorherrschend männlich orientierte Werte – schneller, höher, weiter – bestimmen die kulturelle Landschaft in Unternehmen. Vielfach erlebe ich Vertreter der oberen Führungsebene in enorm fordernden unternehmerischen Umwelten – zum Ausgleich betreiben sie Marathonläufe, bei denen sie sich messen – mit der Uhr und beim nächsten Meeting mit den Kollegen, die so auch an dieser Stelle zu Konkurrenten oder Leidensgenossen mutieren – auf einer anderen Bühne. Ich kann diesen Aspekten von Führung vieles abgewinnen, das Gutes bewirkt: Entscheidungsfreude, Klarheit, Sachorientierung, Kraft – dies und vieles mehr sind Kompetenzen, die fehlen würden, wenn sich das Bild um 180 Grad drehen würde.
Was entgeht Unternehmen, wenn sie auf einseitige männliche Führung setzen?
Uwe Lockenvitz: Es ist für mich keine Frage des Entweder-oder. Zweifelsfrei sind die o. g. Merkmale männlicher Führung große Qualitäten, die ausgesprochen wichtig sind und auf jeden Fall erhalten sein müssen. Was fehlt, ist die Fähigkeit zum Perspektivwechsel – gewollt, nicht erzwungen; im Sinne der Einladung, anders zu sein, anders zu denken. Ein Beispiel: Wird die Losung zum Querdenken ausgegeben, dann wird daraus oft auch gleich wieder ein Programm, das beschreibt, wie dieses Querdenken auch »richtig quer« sein sollte. Mich springt jetzt das Klischee des »Weicheren« an. Die vergangenen Versuche, Männer »emotionaler« zu machen, sind für mich nicht stimmig – es wirkt auf mich wie eine Maskerade. In diesem Sinne würden Kompetenzen, die eher zu Vielfalt einladen, bereichern. Eine andere Streitkultur: Ich glaube Frauen streiten anders als Männer – streiten heißt hier: um die beste Lösung – nicht um des Gewinnens willen. Unternehmen, die einseitig auf die Führung nur eines Geschlechts setzen, bringen sich um diese Reibung, die im guten Sinn konstruktive Wärme erzeugt! Und natürlich sehe ich hier auch den Verlust für die Männer! Ich denke wieder an den Chor: Es gibt keine schmerzfreie Version einer Oper, die auf das Zusammenspiel männlicher und weiblicher Stimmen verzichtet! Der Mehrwert ist Vielfalt, Ausdruck und Wirkung.
Antje Wilmink: Frauen führen in der Regel über die Gestaltung von Kooperationen, Beziehungen und über Bindungen, während Männer oft über Kraft, über Straf- und Entlohnungssysteme führen. Sie motivieren über das Eigeninteressen der Mitarbeiter. Frauen sprechen leichter auf Führung über Bindung an. Mit diesem Führungsstil werden Frauen besser entwickelt und es gibt einen höheren Nachschub von Frauen aus den unteren Ebenen nach oben.
Führungsstil: Eine Metastudie von Eagly und Carly von 45 Studien hat Führungsstile in drei Kategorien eingeteilt:
- Transformational: Die Führungskraft wird zum Vorbild, gewinnt das Vertrauen der Mitarbeiter, setzt sich für Neues ein, agiert als Mentor, motiviert die Mitarbeiter, ihr Potenzial voll auszuschöpfen (Bestehendes wird zu Neuem transformiert)
- Transaktional: Motiviert über das Eigeninteresse der Mitarbeiter, zeigt Verantwortungsbereiche auf, belohnt Leistung, bestraft Zielverfehlung, Geben und Nehmen (Ausführen von Transaktionen).
- Laisser faire: Nicht-Führung.
Weibliche Führungskräfte tendieren eher zu einem transformationalen Führungsstil – Mitarbeiter unterstützen und motivieren, kombiniert mit Belohnung aus dem transaktionalen Stil. Männliche Führungskräfte haben eher einen transaktionalen Führungsstil – insbesondere mit korrigierenden und disziplinarischen Maßnahmen. »Die meisten Studien, die bei der Meta-Analyse berücksichtigt wurden, kommen zu dem Schluss, dass der transformationale Führungsstil, kombiniert mit den Belohnungen und Anreizen des transaktionalen Führungsstils, für das Management moderner Unternehmen am besten geeignet ist« (zitiert nach Henn, 2009).
Was heißt »Führen über Beziehungen«?
Antje Wilmink: Frauen neigen zu einem Führungsverhalten, mit dem sie Menschen an sich binden, Beziehungen aufbauen. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin führt, indem sie Nachgeordnete zusammenfasst und daraus unterschiedliche Kreise bildet, mit größerer und engerer Nähe zu ihr. Wenn es gut läuft, hat das weibliche Führen über Bindungen große Vorteile: Diese Gruppen gehen dann für so eine Führungsfrau durchs Feuer. Das kann aber wegen der emotionalen Nähe auch mit großen Konflikten behaftet sein. Das wird ja Frauen auch vorgeworfen, dass sie stark emotional reagieren, und sie tun es dann oft auch!
Wie könnten weibliche Führungskräfte die Führungskultur bereichern? Was sind Schattenseiten weiblichen Führungsstils?
Antje Wilmink: Eine Schattenseite ist, dass das Konkurrenzverhalten geringer ist. Es wird unter dem Titel »Krabbenkorb« beschrieben: Stell einen Korb mit Krabben auf, den kannst du ohne Deckel stehen lassen. Wenn eine versucht herauszuklettern, wird sie von den anderen wieder in den Korb zurückgezogen. Bei einem Beharren auf Meinungsvielfalt unter Frauen wird ein Konsens erschwert und die Schlagkraft ist dann geringer! Frauen sind mit ihrer Ergebnisorientierung gegenüber den Männern klar im Vorteil – in klaren, übersichtlichen Strukturen. Frauen »ziehen durch«. Bei hoher Komplexität – Matrix-Strukturen, hoher Veränderungskomplexität, hoher Anteil von Machtpolitik – sind Frauen Männern gegenüber tendenziell im Nachteil. Meines Erachtens liegt es an einem geringer ausgebildeten Machtmotiv der Frauen. Sie fühlen sich in einem solchen Umfeld auch weniger wohl.
Uwe Lockenvitz: Frauen lassen Vielfalt leichter zu. Männer vermitteln eher: »Sei so wie ich, folge mir und meinem Ideal – dann kannst du hier was werden.« Frauen nehmen hier eher den Unterschied wahr als Dialog eines vielstimmigen Chors im Gegensatz zu: alle mit der gleichen Stimme.
Was müsste passieren, dass sich Führungsverhalten ändert, Männer wie Frauen ihre unterschiedlichen Stile abgleichen und ändern? Wie erzeugt ihr Offenheit dafür?
Antje Wilmink: Das Führungsverhalten wird insgesamt facettenreicher, wenn der Anteil der Frauen in Führung zunimmt. Ist der Frauenanteil im Management geringer als 30 %, überwiegt die alte Kultur, die ist meist männlich. Wichtig ist also eine Steigerung des Frauenanteils einerseits; andererseits muss die erste Führungsebene wollen! Und das zum eigenen Thema machen. Bei den männlichen Führungskräften im mittleren und unteren Management besteht vielfach die Überzeugung: Bei uns sind alle gleich; in unserem Unternehmen gibt es kein Geschlechterthema.
Führungsstil: McKinsey stellte in der Studie »Women Matter 2« (2008) fest, dass beim Führungsstil künftig Eigenschaften, die eher weiblich identifiziert werden, stärker gefragt sind. Es wurden vier Verhaltensweisen gefunden, mit denen Führungskräfte effektiv auf globale Herausforderungen in Zukunft reagieren können. Auf Platz 1 steht »intellektuelle Anregung«; darüber verfügen Frauen und Männer gleichermaßen. Auf den Plätzen 2 bis 4 sind »Inspiration«, »partizipative Entscheidungsfindung« sowie »Erwartungen und Belohnungen«; in diesen Führungseigenschaften sind Frauen stärker als Männer.
Wie kann denn etwas Gemeinsames aus den unterschiedlichen Führungsstilen entstehen? Wo ist der Mehrwert?
Uwe Lockenvitz: Ein Schritt zurück: Aktuell werden Frauen, die in den obersten Managementpositionen zu finden sind, bei näherer Betrachtung oftmals als »die besseren Männer« bezeichnet! O-Ton eines Coachees: »Wir haben in unserer ersten Führungsebene sechs Männer und eine Frau. Die ist aber die männlichste von allen! Das Weibliche – auch das optisch weibliche: die Frisur, die Kleidung –, das wahrnehmbar Weibliche wird verleugnet oder unterdrückt. Es scheint aktuell notwendig, eben in diesem Stück die gleiche Rolle, die gleiche Stimme zu spielen, um bestehen zu können.« Der Weg der weiblichen, selbstbewussten Frau in Führung scheint verbaut. Dies hat eine unstimmige Frau zur Folge im Sinne einer Leugnung. Die gelebte Unterschiedlichkeit zieht auch so nicht ein. Der Mehrwert, der erzielbar wäre, wäre der Dialog im Gegensatz zur Mischmenge. Das Ziel: Austausch von Unterschieden auf Augenhöhe, gleichwertig, gleichrangig aber eben nicht gleichartig! Nicht Mischmenge im Sinne von: ein bisschen Mann, ein bisschen Frau und das zusammen gibt dann das Ideal, sondern: Ich bin ein stimmiger Mann/eine stimmige Frau und erhalte Ansprache und Resonanz auf Augenhöhe, die mich lockt, bestimmte Aspekte meiner Persönlichkeit ins Licht zu bringen, die sonst ein Schattendasein führen würden, und andere, die betont laut durchtönen, etwas zu drosseln. Das macht mein Führungsverhalten klarer. Der Output auf beiden Seiten schafft für die geführten Mitarbeiter eine Ausgewogenheit und Ankoppelung an beide Geschlechter. Das sehe ich als den klaren und berechenbaren Mehrwert. In meinem Bild des Chors: Sängerin und Sänger werden sich ihrer individuellen Stimme bewusst, wissen um die eigene Tonlage, Lautstärke, Einsatz, Resonanz und Emotion.
Antje Wilmink: Der Dialog zwischen den Geschlechtern wird derzeit erschwert, weil Frauen in Quantität und in Qualität so wenig in Führungspositionen vorhanden sind. Die Studien »Women Matter« haben festgestellt, dass es für das Hereintragen von weiblicher Qualität ein Minimum an weiblicher Quantität braucht von rund 30 % Frauen im Top-Management. Dann können sich Frauen als Frauen und nicht als bessere oder schlechtere Männer verhalten. Dann verschwinden sie nicht als graue Maus von einer grauen Mäuserich-Versammlung. Weiche Verhaltensqualitäten verlieren sich in solch einem Umfeld auch bei den Männern, zum Beispiel ein eher väterliches Verhalten oder sich offener emotional zu zeigen. Dieses Verhaltensrepertoire haben Männer ja in großem Maße im familiären Bereich. Es verschwindet, sobald sie ein Unternehmen betreten. Ich glaube, dass allein die quantitative Zahl von Frauen im Management auch für Männer nicht als Bedrohung erlebt werden muss, sondern primär als Öffnung, als Chance zur Erweiterung ihres eigenen Spektrums an Möglichkeiten verstanden werden kann.
Kann es sein, dass dieser Dialog einlädt, aktuell zurückgehaltene Eigenschaften zu zeigen und zu aktivieren?
Uwe Lockenvitz: Absolut! Genau das ist die Einladung zu Vielfältigkeit, die zweifelsfrei beiderseits vorhanden ist, nur vielfach nicht gezeigt ist. Das geprägte Führungsbild der Gleichmacherei, das Bild des Uniformierten: gleicher Haarschnitt, gleiche Kleidung, gleiches Grußverhalten, Individualität ist nicht zugelassen und unerwünscht. Dahinter verbirgt sich genau die gleiche Vielfalt wie bei Frauen, aber das vordergründige Bild definiert, dass »Mann« so ist! Ich glaube, Männer sind genauso vielfältig wie Frauen, wenn sie es sich zum einen selber erlauben und es zum anderen ein System gibt, dass dies fördert und glaubhaft dazu einlädt.
Was macht ihr in euren Workshops, um Frauen und Männer zum Nachdenken über ihren Führungsstil zu bewegen? Und was hat das Ganze mit seelischen Leitbildern zu tun?
Uwe Lockenvitz: Jeder Mensch hat im seinem Leben eine ganze Reihe von Erfahrungsbildern zu unterschiedlichen Themen gesammelt. Bilder, die ihn steuern, die sein Verhalten prägen; meist ohne dass diese Steuerung wissentlich wahrgenommen wird und die getroffenen Entscheidungen bewusst diese Bilder als Einflussfaktoren mit einbeziehen. So auch zum Thema Geschlecht und der eigenen Identität. Ein Beispiel von mir: Ein streng gebundener schwarzer Haarzopf einer Frau hat für mich lange Zeit ein Gefühl wachgerufen, das ich mit Unwohlsein verbunden habe. Ich habe darauf mit Abwehr und Rückzug reagiert. Es hatte etwas von Oberschwester, Oberlehrerin, Nonne … – ich konnte es nicht erklären, aber ich spürte, dass ich darauf reagiere. Zur Erklärung: Ich habe meines Wissens in meinem Leben keinerlei Begegnung mit einer Frau, die diesem Bild entspricht, das ich negativ verankert habe. Daher konnte ich mir Ursprung und Hintergrund dieses Bildes nicht erklären – wirksam war es unabhängig davon trotzdem. Unser Ansatz sagt, solche oder ähnliche Bilder sind bei jedem Menschen vorhanden und wirksam, und es ist wichtig, dass diese Bilder betrachtet werden.
Seelische Hintergrundbilder (entwickelt von Bernd Schmid). »Im Hintergrund professioneller Arbeit und beruflicher Identität wirken seelische Bilder. Sie bestimmen mit, welche Rollen und beruflichen Szenarien wir aufsuchen, mitgestalten und als schicksalhaft oder sinnvoll empfinden. Um zu verstehen, zu welchen Rollen wir neigen, auf welche Bühnen und in welche Aufführungen es uns zieht, ist es gut, den Vorrat an seelischen Bildern zu erkunden. Professionalität ohne die Kraft der im Hintergrund wirkenden seelischen Bilder kommt nicht in Fluss. [ …] Manche dieser inneren Bilder können als Kraftquellen verschüttet sein. Dann sollten sie freigelegt und integriert werden, damit sie Sinn bringend bei der Organisation beruflicher Arbeit mitwirken können. Für manche beruflichen [ …] Aufgaben muss das Spektrum an seelischen Bildern ergänzt aktualisiert oder neu zusammengefügt werden« (Schmid, 2004).
In unserer Arbeit machen wir mit den seelischen Hintergrundsbildern zu den Eckpunkten positiv weiblich – positiv männlich, negativ weiblich – negativ männlich den Raum auf, wie männliches und weibliches Führungsverhalten wahrgenommen und abgebildet wird. Der Kontakt und die Reflexion dieser Bildern schaffen die Klarheit, bewusst zu entscheiden: Ich möchte gerade jetzt zurückrutschen, weil eben jener streng gebundene Zopf den Raum betritt. Oder ich kann mich davon frei machen und mich frei entscheiden, wie ich mich verhalte. Klarheit zu schaffen, was ist der Ursprung – Erfahrungen und Wirkmechanismen, die diesen Bildern zugrunde liegen – und was braucht es, um diese positiv in mein Leben zu integrieren. Wenn die Integration dieser Bilder gelingt, dann kann ich zu den Fragen, denen ich heute begegne, eine sachliche, bewusste und aktiv von mir gesteuerte Haltung beziehen.
Antje Wilmink: Der entscheidende Punkt ist für mich – so habe ich das bei mir selbst und in Coachings erlebt –, dass uns diese Bilder auf eine unbewusste Art steuern, solange sie uns nicht bekannt sind. Wenn ich zu diesen Bildern in meinem inneren Fotoalbum in Kontakt komme, wenn ich erkenne, was mich an Erfahrungen aus Kindheit, Jugendzeit, Erwachsenenzeit oder auch an Bildern aus meinem Milieu, aus der Geschichte, aus kulturellen Quellen oder auch aus eigenen Träumen mitgeprägt hat, dann ist da sehr viel gewonnen. Die Arbeit mit seelischen Bildern habe ich als eines der tragfähigsten Konzepte kennengelernt, wenn es darum geht, Verhalten zu ändern. Zum Beispiel indem neue Bilder eines gewünschten Verhaltens gestaltet werden oder ich mich bewusst entscheide, ein bestehendes Verhalten beizubehalten, aber die eigene Bewertung zu verändern. Für die Frage, was steuert mich als Frau, was steuert mein Gegenüber als Mann und wie lässt sich Verhalten gegebenenfalls auch ändern, ist die Arbeit mit den seelischen Hintergrundbildern höchst effektiv, weil sie uns an unsere inneren Kraftquellen als Frau, als Mann anschließen lässt.
Ihr arbeitet mit Defiziten: Männer sollen ihr Führungsverhalten ändern. Wie wollt ihr mit den Widerständen umgehen? Wie wollt ihr Männer davon überzeugen?
Antje Wilmink: Wenn das so rübergekommen ist, dass wir männliches Verhalten als defizitär wahrnehmen, das zu ändern ist, dann müssen wir an unserer Kommunikation etwas tun. Verhalten zu verändern, verstehen wir als Repertoire zu erweitern. Eine größere Klarheit darüber zu haben, wenn ich in einer spezifischen Situation reflexhaft in ein bestimmtes Verhalten gehe, was steuert mich da und was könnte es möglicherweise auch als Ergänzungen oder als Alternative geben.
Positive Leadership ist eine Grundlage unseres Ansatzes. Positive Leadership verstehen wir als Führen mit Freude, Führen mit Sinn und Stärken-fokussiertes Führen. Führen mit Freude bedeutet Führen aus einer Haltung von Zuversicht, Vertrauen und Leichtigkeit heraus. Führen mit Sinn bedeutet, Führung in den Sinnzusammenhang von Bedeutung für das Unternehmen, für Mitarbeiter, letztlich für die Gesellschaft zu stellen und Verantwortung für das Wirken zu erkennen. Stärken-fokussiertes Führen heißt, die Aufmerksamkeit konsequent auf die Stärken, Potentiale und Chancen von Menschen und Organisationen zu richten (nach Seliger, 2008).
Es geht darum, die spezifischen Qualitäten des anderen Geschlechts sehen zu können. Das gilt für die Frauen und für die Männer. Beide Seiten – Männer und Frauen – neigen dazu, das geschlechtsspezifische Verhalten auf der anderen Seite als defizitär wahrzunehmen. Man erkennt in der Qualität des anderen Geschlechts nicht die Qualität, sondern eher das Unterentwickelte, das weniger Wertvolle. Es ist ja nun auch nicht so, dass Frauen an dieser Stelle so sehr divers denken würden, während Männer völlig eindimensional sind. Beide Seiten suchen nicht nach dem Komplementären, sondern nach Gleichem. Und dass das Andere eine gute und wichtige Ergänzung zum eigenen Verhaltensrepertoire, als Ergänzung zum Führungsteam und zur Unternehmenskultur sein könnte, das ist bei beiden Geschlechtern nicht sehr verbreitet. Diese Lücke will unser Seminar schließen.
Welche Sichtweisen auf Führung und Führungsaufgaben liegen dem unterschiedlichen Führungsverhalten von Männern und Frauen zugrunde?
Antje Wilmink: Geht man aus von einem Modell, dass Führung versteht in den Kategorien »sich selbst führen«, die »Organisation führen« und »Mitarbeiter führen«, dann erlebe ich, dass Männer eine höhere Kompetenz für die Führung von sich selbst haben. Sie haben eine höhere Karrierekompetenz. Für Männer hat Hierarchie an sich eine höhere Wichtigkeit. Frauen orientieren nach meiner Wahrnehmung stärker darauf, sachbezogene Organisationsziele zu erreichen. Und ich vermute, dass sie Führung eher verstehen als das Führen von Mitarbeitern.
Uwe Lockenvitz: Wichtig ist, dass deutlich wird, dass es nicht darum geht, das aktuell gelebte Führungsverhalten zu bewerten, sondern bewusst zu machen: Der Mehrwert ist das Erkennen und Verstehen: (Auch) aus diesem Grund heraus reagiere ich so – und wenn ich mag, dann könnte dieses oder jenes mich sinnvoll ergänzen. Es kann gut sein, dass jemand bewusst sagt: Ich möchte weiterhin so führen wie bisher. Den Unterschied macht, dass ich heute weiß, warum ich so führe! Im Sinne von: Wenn jemand auf den Tisch haut, weiß ich nun, dass mich das an meinen Vater erinnert, aber ich kann mich frei entscheiden, ob ich nun in eine (möglicherweise aus Kindheitstagen genährte) Protesthaltung rutsche oder mich sachlich mit der Aussage auseinandersetze. Es gibt hier kein richtig oder falsch. Das männliche wie das weibliche Führungsverhalten hat hohe Qualitäten, aber aktuell läuft es unter Wert, weil die Ansprache und Resonanz der anderen Seite fehlen. Das bedeutet, aktuell schöpfen Männer und Frauen ihr Führungspotenzial nicht im Vollen aus, weil bestimmte Saiten nicht zum klingen gebracht werden. Die vorhandenen Kompetenzen sind wirksam und wertvoll – und sicher gibt es auch eine Schnittmenge, die Männer und Frauen gemeinsam abdecken. Darüber hinaus gilt es, geschlechtsspezifische Anteile, wertfrei als Eigenart des jeweiligen Geschlechts im besten Sinne, wahrzunehmen. Entscheidend ist nicht, es anders zu machen, sondern mir über das, was ich tue, klar zu sein, warum ich es so mache, wie ich es mache.
Was sind es für Unternehmen, die euch buchen, welche Zielgruppe?
Uwe Lockenvitz: In einem ersten Schritt ist da natürlich die Konzernlandschaft, die ja auch einen Vorstoß in der aktuellen Diskussion getan hat. Hier ist sicher der klarste Ansatzpunkt, eingebettet in die Themenfelder Diversity und Familie und Beruf. Spätestens hier komme ich aber auch an den Mittelständler, der heute seine Strategie für die anstehenden Aufgaben von Fachkräftemangel, Familie und Beruf und den demografischen Wandel entwirft. Ich kann mit schwer vorstellen, dass ich als Personalentwicklung für meine Belegschaft einerseits Konzepte für die Integration »Familie und Beruf« entwerfe, auch um Frauen in Unternehmen zu binden und dauerhaft Perspektiven zu bieten, und diese sich dann andererseits in hoher Zahl in die dritte Reihe stelle und den Herren das Feld der Führung überlasse. Hier sehe ich den Ansatzpunkt, schon frühzeitig Zeichen zu setzen.
Wo ist das Seminar angebunden?
Antje Wilmink: Das Seminar sehen wir als Inhouse-Seminar. Es sollte ein klares Commitment der ersten Ebene geben, am Führungsstil etwas ändern zu wollen; dafür den quantitativen Anteilen von Frauen in Führungspositionen erhöhen und das Management darauf vorbereiten zu wollen. Das Seminar sollte an ein Gesamtkonzept zur Kulturveränderung im Unternehmen angebunden sein. Im Moment ist in allen großen Unternehmen erkennbar, dass das Thema Frauen in Führungspositionen an zentraler Stelle in die Strategie eingebunden wird, Teil der Konzernstrategie wird, wenn es das nicht schon ist. Damit kommt das Thema heraus aus der Ecke, »wir haben da eine Frau, die kümmert sich um Diversity«. Dafür gibt es meines Erachtens ganz handfeste ökonomische Gründe: Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil im Management machen es einfach besser; sie sind schlicht erfolgreicher.
Performance: Die Catalyst-Studie »The Bottom Line: Connecting Corporate Performance and Gender Diversity« entdeckte bei rund 350 Unternehmen aus dem Fortune-500-Index einen Zusammenhang zwischen dem Anteil von Frauen im Management und dem Unternehmenserfolg: Firmen mit einem starken Frauenanteil im Top-Management erzielten zwischen 1996 und 2000 höhere Aktien- und Eigenkapitalrenditen. Eine McKinsey-Analyse von Catalyst-Unternehmensdaten bestätigte diese Beziehung 2007 mit der Studie »Women Matter« erneut: Die deutlich besten Resultate erzielten Firmen mit drei oder mehr weiblichen Vorständen. McKinsey stellte fest, dass diese Unternehmen in McKinsey-spezifischen Kennzahlen zu »Organizational Excellence« in allen Kriterien besser abschnitten als Unternehmen mit geringerer oder keiner Frauenbeteiligung. Besonders hoch ist der Einfluss auf die Kriterien »Work Environment and Values« (»den Mitarbeiteraustausch gestalten und ein geteiltes Verständnis von Werten unterstützen«) und »Direction« (»Richtung vorgeben und Mitarbeiter dafür aufstellen«).
Uwe Lockenvitz: Ein klassisches Top-down-Thema, Unternehmen müssen den Wandel in der Führungskultur ernsthaft wollen und glaubhaft vertreten. Der wirksame Personenkreis ist ausgestattet mit Verantwortung für Personal und ist kulturschaffend wirksam. Die persönlichen Berührungspunkte der Teilnehmenden werden eher in Führungspositionen oder Stabsstellen als in der inhaltlichen und operativen Arbeit zu finden sein.
Der Vorstand wäre also der erste Adressat?
Uwe Lockenvitz: Er müsste es ausrufen und den Weg vorgeben – die zweite bzw. zweite und dritte Ebene in Unternehmen ist der passende Personenkreis. Die Menschen, die kulturschaffend sind. Es macht aus meiner Sicht wenig Sinn, Frauen und Männer auf eine neue Kultur hin auszurichten und zu motivieren, sich in voller Größe aufzurichten, um dann zuzusehen, wie sie mit dem Kopf an der Decke anstoßen. Diese Tür muss von oben her geöffnet werden.
Dieser Workshop basiert ja auf dem Austausch zwischen Männern und Frauen. Nun sind aber aktuell auf dieser Hierarchieebene extrem wenige Frauen. Wie kann denn da dieser Austausch überhaupt stattfinden?
Uwe Lockenvitz: Jeder hat ja Bilder von guter und schlechter männlicher und weiblicher Führung in sich. Um diese Perspektiven bewusst zu machen, brauche ich als Mann nicht zwingend ein weibliches Gegenüber, sondern den Dialog mit mir selber. Ob ich die Merkmale von Führung in meiner alltäglichen Praxis aktuell erlebe, ist noch mal etwas anderes. Wirksam in mir sind diese trotzdem. Daher braucht jeder Mann in einem ersten Schritt kein weibliches Pendant, um sich mit seinen Bildern zu klären. Im weiteren Verlauf ist es wichtig, den Dialog zu ermöglichen. Hier sind dann natürlich die geklärten Vertreter beider Geschlechter notwendig. Eine aktuelle Überlegung, angestoßen durch Thomas Sattelberger und auch die EU, die eine Quote fordern bzw. einführen, wird eine Veränderung bringen. Es ist klar: Es wird in naher Zukunft Frauen in größerer Zahl in Führung geben. Männer, ihr habt zwei Möglichkeiten: Ihr könnt den Kopf in den Sand stecken und abwarten, was passieren wird! Oder ihr könnt euch aktiv mit der Situation, den Anforderungen und Veränderungen auseinandersetzen und so einen sinnvollen Beitrag zu einem guten Übergang und einem kraftvollen Dialog leisten. Dieses Auseinandersetzen braucht im ersten Schritt keine Frau, die gar nicht da ist, sondern braucht das Auseinandersetzen mit sich und seinen Prägungen und Erfahrungen: Was ist für mich denn weibliches und männliches Führungsverhalten? Noch einmal zurück zum Erleben im Seminar: Ich habe das Bild einer Bildergalerie. Nachdem ich mich mit meinen Bildern in dem beschriebenen Spannungsfeld auseinandergesetzt habe und meine persönliche Klarheit dazu erlangt habe, ist speziell der Austausch der Teilnehmer miteinander von Bedeutung. Hier kann ich erkennen, dass es neben meinen Bildern bei jeder/jedem eine breite Palette weiterer Bilder gibt, die Führung im Guten wie im Schlechten beschreiben. Es wird ein Austausch von Perspektiven und Wirklichkeiten, die jede für sich gleichwertig im Raum sind. Vielleicht gibt es Überschneidungen, vielleicht Widersprüche, in jedem Fall aber eine Vielzahl von Möglichkeiten, Führung zu verstehen, und eine Vielzahl von individuellen Wertungen von geschlechtlichem Führungsverhalten. Schon hier setzt ein Stück weit der Transfer ein, weil der Blick in den unternehmerischen Alltag gelenkt wird: Gibt es mit dieser Sammlung von Bildern Erklärungsansätze für bisher unerklärbare Störungen und unerkannte Potenziale? Es wird erkennbar, nicht nur hier im Raum hat jeder/jede sein/ihr individuelles Bild von gelungener bzw. misslungener Führung, sondern natürlich jeder/jede Mitarbeitende daheim im Unternehmen auch. So wird hier noch mal deutlich, dass jeder eine Vielzahl von Möglichkeiten hat, Führung vor dem persönlichen Hintergrund wahrzunehmen und als Folge daraus auch eine Vielzahl von Möglichkeiten, die erlangte Klarheit dann umzusetzen.
Antje Wilmink: Die Arbeit mit den inneren Bildern ist eine Arbeit mit sich selbst, dafür braucht es Resonanzgeber. Geht es um weibliches und männliches Führungsverhalten, ist ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen sicher gut. Aber das ist nicht zwingend. Es kann über eine aufmerksame Steuerung durch die Trainer auch gut gestaltet werden. Für den Dialog zwischen Männern und Frauen, zum Beispiel wie erlebe ich denn mein Gegenüber im Alltag, was beschwert mich möglicherweise im Kontakt mit dem anderen Geschlecht, was ist vielleicht auch nur anders, was geht vielleicht auch leichter als mit dem eigenen Geschlecht, wäre eine ausgewogene Zahl von Männern und Frauen natürlich gut. Aber es ist unseres Erachtens nicht zwingend für das Seminar: Die Arbeit mit den seelischen Bildern ist der Dialog mit sich selbst. Für die Arbeit daran braucht es den Austausch mit anderen – Seminarteilnehmern oder den Trainern. Für notwendig halten wir aber, dass wir das Seminar als Trainer im gemischten Doppel gestalten, um beide Qualitäten in kräftiger Weise im Raum zu haben.
Was, wenn sich größere Baustellen auftun?
Uwe Lockenvitz: Wenn ersichtlich wird, dass jemand im Rahmen des Seminars an größere individuelle Stolperstellen stößt, dann können wir ein flankierendes Coaching anbieten. Die notwendige Kompetenz hierzu ist auf beiden Seiten vorhanden.
Was hätten Unternehmen, aber auch männliche wie weibliche Führungskräfte davon, wie würden die Mitarbeiter profitieren?
Antje Wilmink: Unternehmen steht ein größeres Potenzial zur Verfügung, aus dem Führungskräfte rekrutiert werden können. Damit wird die Qualität in der Führungsmannschaft verbessert. Zudem ist der Führungsstil im Umbruch; der weibliche Stil der Mitarbeiterführung ist für zukünftige Herausforderungen im Vorteil. Unser Seminar ist ein Beitrag, eine Kulturveränderung in Unternehmen zu unterstützen, die bewirkt, dass Frauen in höherer Quantität in Führungspositionen vertreten sind und ein weiblicher Führungsstil neben dem männlichen Stil Platz findet. Wozu? Es macht sich bezahlt! Die Performance der Unternehmen steigt!
Uwe Lockenvitz: Wie eingangs erwähnt: Es braucht ein ernsthaft verfolgtes Unternehmensziel, die Führungskultur um die klaren Stimmen beiderlei Geschlechts zu bereichern. Dann gilt es, das Seminar wie ein Puzzleteil in ein Gesamtbild von Führungs- und Unternehmenskultur anzuschließen bzw. einzubetten, in ein vorhandenes oder geplantes Gesamtkonzept. Der Transfer und die Ankoppelung sind eine individuelle Maßschneiderei zwischen der Organisations-/Personalentwicklung vor Ort und uns. Die Teilnehmer/-innen werden schon im Training konkrete Umsetzungen erarbeiten, die in den individuellen Verantwortungsbereichen umgesetzt werden. Reflexion und Zielüberprüfung werden im Rahmen von kollegialer Beratung und Lernpatenschaften sichergestellt. Darüber hinaus wird sich der Teilnehmerkreis als Kulturkreis verstehen, der den Projektcharakter weiter voranträgt und hier die Fortschreibung sicherstellt. Im Bild des Chors verhilft die eigene Klarheit, Disharmonien und Störungen im Umfeld wahrzunehmen. Sie vermittelt anderen Sängern Sicherheit und Orientierung.
Unser herzlicher Dank geht an unseren gemeinsamen Freund und Sparringspartner Joachim – seine Impulse waren für unsere Arbeit wegweisend – und an Nele Haasen, die uns mit den richtigen Fragen beflügelt hat.
Literatur
Accenture (2006). The anatomy of the glass ceiling. Henn, M. (2009). Die Kunst des Aufstiegs. Frankfurt a. M. McKinsey (2007). Women matter. McKinsey (2008). Women matter 2. Schmid, B. (2004). Sinn stiftende Hintergrundbilder professioneller Szenen. In C. Rauen (Hrsg.), Coaching-Tools. Bonn: ManagerSeminare-Verlag. Seliger, R. (2008). Das Dschungelbuch der Führung. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme-Verlag.
Die Autoren
Uwe Lockenvitz (Jg. 1964) ist systemischer Organisationsberater und Coach, Master am ISB Wiesloch und Partner in der ISB Professional Group. Er leitet seit 1999 das Beratungsunternehmen consense plus – be-greifbare Organisations- und Personalentwicklung. Seine Aufgaben sind hier Organisations- und Führungskräfteentwicklung und Coachings sowie Train-the-Trainer-Seminare. Seine Arbeit ist geprägt von der lebendigen und kraftvollen Verbindung intuitiver und methodisch-didaktischer Beratungsansätze. Wesentliche Arbeitsschwerpunkte sind die Begleitung und Gestaltung von Veränderungsprozessen, Kulturentwicklung und die Begleitung von Menschen in Führungsverantwortung. Speziell die Arbeit mit Unternehmen zum Thema Mixed Leadership und verbunden damit spezielle Coachings für männliche und weibliche Führungskräfte bilden aktuelle Schwerpunkte seiner Arbeit. Darüber hinaus beschäftigt er sich aktuell neben der klassischen Beratungsarbeit mit den Themen Work-Life-Competence sowie der Arbeit in seiner Führungswerkstatt. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Gräfenberg bei Nürnberg. Er leitet gemeinsam mit seiner Frau eine Erziehungsstelle, die zwei jungen Menschen bei einem zweiten Start ins Leben Begleitung und Erziehung bietet. Website: www.consenseplus.de
Antje Wilmink (Jg. 1956) gründete 2006 ihr eigenes Beratungsunternehmen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Begleitung von Veränderungsprozessen, Unternehmer-Coaching und Coaching von Führungskräften. Sie ist Lehrbeauftragte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Das Thema Mixed Leadership ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit – mit Unternehmen und im Coaching mit weiblichen und männlichen Führungskräften. Sie verfügt über fast zwei Jahrzehnte Erfahrung in Management und Führung in Banken und Mittelstand, davon fünf Jahre als CFO. Antje Wilmink ist Master am Institut für systemische Beratung und Partner in der ISB Professional Group. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin und ist Vorstand im Frauen-Netzwerk EWMD Berlin-Brandenburg e. V. E-Mail-Kontakt: kontakt@antje-wilmink.de Website: www.antje-wilmink.de
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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht
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