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Vorabdruck von aus Lothar Krapohl, Margret Nemann, Jörg Baur & Peter Berker (Hrsg.): Supervision in Bewegung. Ansichten - Aussichten

Krapohl SV in Bewegung Verlag Barbara Budrich, Leverkusen 2008 (Juli)

350 S., broschiert

Preis: 29,90 €

ISBN-10: 3938094753
ISBN-13: 978-3938094754

Verlagsinformation: "Supervision als berufsbezogene Beratung gerät in Bewegung angesichts der enormen Veränderungen der Arbeitswelt in der Postmoderne. Die damit ausgelöste Verunsicherung und oft auch Überforderung aktualisiert auch in der Supervision die Frage nach dem Sinn von Leben und Arbeit und weckt ein verstärktes Interesse an Spiritualität. Zugleich schreitet die Akademisierung der Supervision unaufhaltsam voran und die Ausbildung von SupervisorenInnen steht in der Spannung von Anwendungs- und Forschungsbezug. Unter anderem haben auch die neuen Erkenntnisse der Neurowissenschaften zum Lernen von Erwachsenen Auswirkungen auf Didaktik und Methodik der Supervision. Wie Supervision hierauf in Theorie und Praxis reagieren kann, zeigen die AutorInnen des Bandes eindrucksvoll. Ein wichtiges Grundlagenwerk zur Supervision."


Inhalt

Vorwort

1. Supervision studieren

1.1    Baur/Krapohl: Supervision studieren? Der Masterstudiengang Supervision der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen und des Bistums Münster

1.2 Nemann: Die spirituelle Ausrichtung des Masterstudiengangs Supervision

1.3 Baur: Arbeitswelten und Bildungslandschaften im Umbruch – Auswirkungen auf die Kompetenzprofile in der Supervisionsausbildung

1.4 Baur/Janssen: Ein Forschungsbeitrag zur Kompetenzdebatte: Konstruktion und Evaluation des Kompetenzprofils des Masterstudiengangs Supervision der Katholischen Fachhochschule Nordrhein – Westfalen und des Bistums Münster


2. Supervision und Forschung

2.1.Berker: Forschung und Supervision – zu selten gestellte Fragen

2.2 Schaffner: „Wenn die Lehrer wüssten, was sie wissen...“ Wissensmanagement Schule-Supervision

2.3 Scholten: „Schon...aber    noch    nicht“  -  Die Kontraktbeziehung im Supervisionsprozess (ein Beitrag zur Praxisforschung in der Supervision

2.4 Paß/Tölle: Der supervisorische Blick und die Fragehaltung empirischer Sozialforschung


3. Systemisch- konstruktivistische Supervision

3.1 Krapohl: Systemisch - konstruktivistische Supervision – Supervision in einer veränderten Zukunft
3.2 Keil: Systemische Methoden in der Supervision

3.3 Wedding: Gesagt – getan? Supervision als Sprachhandeln

3.4 Gärtner: Mitarbeiterführung als geplante Irritation. Kleines Essay zur Führung in Sozialunternehmen.


4. Supervision und Spiritualität 

4.1 Günther: „Werden der man ist“. Überlegungen zum Verhältnis von Supervision und Spiritualität

4.2 Nemann: Von Gottes Güte begleitet sein - Supervision in Anlehnung an das Buch Tobit

4.3 Sr. Hannah Schulz: Vier Dimensionen von Sinn

4.4 Gerlach: Ohne Sinn kein Gewinn - Führungskräfteberatung im 21. Jahrhundert

4.5 Perino: Eine Symphonie der leisen Töne – Notizen einer Supervision zu einer spirituellen Reise

Lothar Krapohl


Systemisch - konstruktivistische Supervision – Supervision in einer veränderten Zukunft


Die ständig fortschreitenden gesellschaftlichen und individuellen Veränderungsprozesse der Postmoderne haben vor der Supervision nicht halt gemacht. Aber längst nicht alle SupervisorenInnen haben hinreichend auf den Paradigmenwechsel in Sozialwissenschaften und Gesellschaft reagiert. Konstruktivismus und Systemtheorie können, wie im Folgenden aufgezeigt, viele Phänomene der Postmoderne erklären, sie verstehbar - und für die Supervision nutzbar machen, aber die Luhmannsche Systemtheorie mit ihrer ‚Vernachlässigung‘ des Emotionalen und des Beziehungsaspektes stößt hier an Grenzen. Für die Supervision bedarf es einer Ergänzung durch psychodynamische Konzepte und durch die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaft, die für die Supervision brauchbare Impulse hierzu liefert und darüber hinaus das Thema Lernen in der Supervision neu belebt. Der damit gespannte thematische Bogen kann im hier vorgegebenen Rahmen nicht alle relevanten Aspekte bearbeiten, sondern versucht in der gebotenen Kürze Orientierungen für die Supervision zu geben.

1. Arbeit in einer Postmodernen Gesellschaft

Kennzeichen einer postmodernen Gesellschaft sind neben der Globalisierung insbesondere ein rasches Fortschreiten von Individualisierungsprozessen und die Pluralisierung von Lebenswelten wie sie Beck in seinem Buch „Risikogesellschaft“ beschrieben hat (Beck 1986). Aus ökonomischer Sicht meint Globalisierung das Entstehen weltweiter Märkte für Finanzkapital, Handel, Produkte, Arbeitsangebote und Dienstleistungen. Auf der einen Seite stehen die Chancen für Wirtschaftswachstum, Wohlstand und kulturelle Bereicherung auf der anderen Seite vielfältige Exklusionsgefahren und die Entmachtung des Nationalstaates. Problematisch erscheint mir insbesondere, dass dieser wirtschaftlichen Globalität keine politische oder gesetzgebende gegenübersteht. Es fehlt eine grenzüberschreitende  demokratisch legitimierte Kontrollinstanz als Gegengewicht zu diesen Einflüssen. Die Intensivierung des Überschreitens nationalstaatlicher Grenzen und zunehmende internationale Vernetzungen führen nicht nur auf ökonomischer Ebene zu gravierenden Veränderungen sondern auch auf politischer, kultureller und sozialer.  Es versteht sich von selbst, dass dies massive strukturelle Veränderungen der Arbeitswelt zur Folge hat. Arbeit ist wieder zu einem umkämpften Gut geworden – auch die supervisorische Arbeit. Zukünftiges Erwerbsleben wird sich häufig aus Phasen von Voll- oder Teilzeitbeschäftigung unterschiedlicher Dauer und sozialer Absicherung, eventuell unterbrochen durch Phasen der Erwerbslosigkeit zusammensetzen. Pongratz und Voß (2001) sprechen vom „Arbeitskraftunternehmer“ als möglichen neuen Leittypus des „idealen“ Erwerbstätigen. Dieser muss sich auf Arbeitgeberwechsel, Projekt gebundenes Arbeiten, leistungsorientierte Bezahlung und auftragsabhängige Beschäftigungsdauer einstellen und wird konfrontiert sein mit Selbstkontrolle, Ökonomisierung und Rationalisierung der eigenen Arbeitskraft. Steuerung, Gestaltung und Kontrolle von Arbeit – ursprünglich originär betriebliche Aufgaben- werden auf den „Arbeitskraftunternehmer“ verlagert. Von diesem wird darüber hinaus erwartet, dass er sein individuelles Handeln an den Interessen des Unternehmens ausrichtetet oder diese gar zu seinen persönlichen macht, was ethisch fragwürdig – also mehrerer Fragen würdig erscheint. Einer Verringerung unmittelbarer betrieblicher Kontrollen steht häufig eine enorme Steigerung des Leistungsdrucks gegenüber und die Zunahme vielfältiger Strategien indirekter betrieblicher Steuerung und Kontrolle (Ebringhoff/Voß 2004 ). Beide Autoren verweisen denn auch auf die weitreichenden Konsequenzen, die diese Tendenzen zur Entgrenzung, Autonomisierung und Subjektivierung von Arbeit zur Folge haben. In Deutschland zeichnet sich ein wirtschaftlicher Paradigmenwechsel ab: von einer sozialen Marktwirtschaft zu einer neoliberalen, von sozialen zu ökonomischen Prämissen. Der spannenden Frage, inwieweit dieser Prozess sich auch auf dem Supervisionsmarkt widerspiegelt und welche Konsequenzen eine Anpassung der Supervision an die Marktlogik für die Supervision selbst und ihre Wertorientierung hat, kann an dieser Stelle leider nicht nachgegangen werden. Mit Blick auf den Gegenstand von Supervision ist der genannte Paradigmenwechsel äußerst relevant, da in seiner Folge massive Veränderungen im Arbeitsverhalten und der eigenen Haltung zur Arbeitskraft als Ware stehen. Hinzu kommen die deutlich erweiterten und neuartigen Anforderungen an Führungskräfte. Organisational sind davon alle Ebenen betroffen, Führung, Mitarbeiter, Personalentwicklung und Betriebsorganisation. Supervision muss auf diese neuen Arbeits- und Betriebsverhältnisse vorbereiten können, sie erläutern, reflektieren und die damit verbundenen Ambivalenzen bewusst machen und Strukturen und Lösungshilfen für die Betroffenen anbieten. Hier liefert die Systemtheorie und insbesondere die Theorie Sozialer Systeme, wie später noch aufgezeigt wird, der Supervision geeignete Erklärungsmodelle. Noch überwiegen klassische Arbeitsverhältnisse mit sozial abgesicherten und vertraglich geregelten Arbeits- und Entlohnungsbedingungen. So genannte `prekäre` Beschäftigungsverhältnisse lassen sich signifikant häufiger in der IT-Branche, bei Versicherungen und Banken, im Handel und auf dem Kultur-, Kunst und Weiterbildungsmarkt finden. Diese Veränderungen finden wir insbesondere im Bereich neu entstehender Arbeitsplätze sowohl für gering- als auch für hochqualifizierte Mitarbeiter, die befristet oder projektgebunden beschäftigt werden. „...die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse ist deutlich gestiegen, weshalb insgesamt der Anteil von Normalarbeitsverhältnissen zurückgegangen ist ....Diese Befunde zeigen, dass sich neben den ‚normalen‘ Formen abhängiger Erwerbstätigkeit ... verschiedenen Varianten befristeter Voll- und Teilzeitbeschäftigungen sowie eine Vielzahl prekärer Arbeitsverhältnisse, insbesondere an den ‚Rändern‘ der Erwerbsgesellschaft entwickelt haben“ (Mutz 2002: 21). Da Berufsanfänger zunehmend in Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, die den Typus des „Arbeitskraftunternehmers“ erfordern, wird dessen Bedeutung kontinuierlich zunehmen. Laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB 2005) waren im Jahre 2004 knapp 13 Prozent der Beschäftigten befristet angestellt. Von den unter 20-jährigen waren es aber schon 40%. Es wird ersichtlich, dass postmoderne Erwerbsbiografien gegenüber klassischen durch weniger Planbarkeit und weniger Kontinuität gekennzeichnet sind. Die zu erwartende Zunahme an Diskontinuität der Erwerbsbiografien führt dazu, dass das Erwerbsleben seine normierende Funktion für das Privatleben verliert. Die Identitätsbildung wird sich nicht mehr so ausschließlich um Erwerbsarbeit zentrieren, Arbeit wird dann ein Lebensbereich neben anderen. Arbeit an der Work-Life-Balance (Kastner 2004) und auch Coaching bzw. „Karriereplanung“ werden dann auch eine zunehmend wichtigere Aufgabenstellung für Supervision werden. Der Wunsch nach Arbeit und nach Arbeit als einer sinnerfüllenden Tätigkeit wird darüber hinaus bleiben; Wünsche, die in Supervision Thema sein müssen.
Definierte Kersting 1996 Supervision noch als „...Beratung von Menschen in ihrer Arbeit...“ (Kersting/Neumann-Wirsig 1996: 22) zeigt sich heute angesichts solcher Veränderungen in der Postmoderne, dass dieses Verständnis von Supervision erweiterungsbedürftig ist. Arbeit ist ein Existential und Supervision hat heute zur Aufgabe, Menschen beratend in ihrer Arbeit, dem permanenten Wandel von Arbeit und den Prozessen in und um Arbeit herum zu begleiten. Mein Verständnis von Supervision ist also weiter gefasst, da es nicht mehr nur Menschen in Arbeit sind, die um Supervision nachsuchen, sondern zunehmend auch solche Menschen, die von serieller Arbeitslosigkeit betroffen sind und versuchen, wieder in Arbeit zu kommen sowie Menschen, die berufliche Veränderungen anstreben oder anstreben müssen. Hierzu gehört auch der Bereich der Existenzgründungsberatung. Bei einigen dieser Anliegen würden manche vom Format des Coaching sprechen (Buer 2005).
Die Menschen stehen den Phänomenen der Postmoderne mit widersprüchlichsten Gefühlen gegenüber; sie lösen Hoffnungen aus aber auch Unsicherheit und Angst. „Alles deutet darauf hin, dass das Kennzeichen unserer heutigen Gesellschaft ‚ständige Veränderung‘ ist und dazu führt, dass alles fließt – panta rei, wie es Heraklit schon vor über zweitausend Jahren formuliert hat (Hernandez 2007). Die Welt scheint zusammenzuwachsen (global village) und andererseits auseinander zu driften. Enormen Unternehmensgewinnen, Reichtum und Überproduktion stehen Massenentlassungen – neoliberalistisch heißt das heuchlerisch „frei-“- setzen (!) von Arbeitskräften – zunehmende Armut und Raubbau an Ressourcen gegenüber. Einerseits gibt es Möglichkeiten multikultureller Begegnungen mit ihren bereichernden Lern- und Lebenserfahrungen und Möglichkeitserweiterungen durch Mischung von Lebensmustern und erweiterten Informationszugängen, und andererseits gibt es die Angst vor Identitätsverlust, kultureller Bevormundung, Orientierungslosigkeit und Überforderung. Das Bewusstsein von stetig steigender Komplexität und darüber, dass alles zusammenhängt und sich gegenseitig bedingt, relativiert die Möglichkeiten eigener Einflussnahme auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Den bedenklichen und bedrohlichen Auswirkungen einer entfesselten Weltwirtschaft scheinen die meisten wehrlos gegenüber zu stehen. Für manche ist es Anlass zu Resignation und Ohnmachtgefühlen.
In jedem Falle aber hat die Postmoderne Auswirkungen auf Wahrnehmungen und Einstellungen und das wird sich in der Supervision spiegeln. Das ist vielleicht auch eine Erklärung dafür, warum schon länger vorhandenes konstruktivistisches Gedankengut plötzlich in der Postmoderne den Durchbruch erlebt, und in unterschiedlichen Ländern und Kontinenten Wissenschaftler aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen in etwa zeitgleich eine Erkenntnistheorie für kognitive Systeme erarbeiten, die davon ausgeht, dass Wissen und Wahrnehmung kognitive Konstrukte sind.
 

2. Grundlagen und Strömungen des Konstruktivismus

Die weltweite Vermischung von Kulturen und die neuen Möglichkeiten der Kommunikationstechnologie wie Internet etc. haben zur Folge, dass es so etwas wie eine konsensuelle Norm in unserer Gesellschaft nicht mehr gibt. Mit der Postmoderne geht der Einheitskonsens verloren; so sind Kultur und Religion keine Einheitsgebilde mehr, sondern es gibt eine Vielfalt von Religionen und Kulturen sowie Sichtweisen von Wirklichkeit innerhalb und außerhalb unserer Gesellschaft. „Die Menschen erleben ihre gesellschaftlichen, kulturellen, religiösen oder familiären Systeme als mögliche unter sehr vielen anderen möglichen Mustern der Realitätsdefinition mit den damit verbundenen Normen, Sitten und Gebräuchen“ (Kleve 2003: 35). Um damit umgehen zu können und passende Handlungsweisen zu finden braucht es eine Theorie, die diesen Umstand berücksichtigt und nicht mehr ontologisch ausgerichtet ist. Eine solche ist der Konstruktivismus, der denn auch aus der Kritik an der realistischen – oder objektivistischen -  Konzeption vom menschlichen Erkennen und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für wissenschaftliches Forschen hervorgegangen ist. Dabei handelt es sich nicht um eine einheitliche Denkschule oder ausformulierte Konzeption sondern im Konstruktivismus treffen sich unterschiedliche Ansätze aus Natur- und Sozialwissenschaft, deren Gemeinsamkeit der Zweifel an der Objektivität von Erkenntnis ist, ohne den Anspruch zu haben, eine neue Weltanschauung zu sein. Es werden frühere kritische Ansätze zum Realismus aufgegriffen, so die der Skeptiker in der klassischen Philosophie oder auch die von Emanuel Kant, Friedrich Nietzsche oder Ludwig Wittgenstein, die ähnliche Positionen vertreten haben und die Übereinstimmung von Wissen und Wirklichkeit in Frage stellten, und in den Stand einer „wissenschaftlichen Theorie (im methodologischen Sinne ein neues Paradigma)“ erhoben (Fried 2005: 34). Der Konstruktivismus versteht sich als Kognitions- oder Erkenntnistheorie – also als eine Theorie darüber, wie Menschen zu Erkenntnis gelangen. Anders als Schiepek (1991) trennt Luhmann Kognition von Emotion, und nennt als Komponenten des Bewusstseins nur Gedanken und Vorstellungen. Gefühle hingegen übernehmen die Selektionsfunktion eines Kommunikationsmediums. (Schiepek schlägt als Komponenten psychischer Systeme Kognitions-Emotions-Einheiten als Äquivalenz zum Begriff des „Gedankens“ bei Luhmann vor.) Von Glaserfeld, einer der Hautvertreter des Konstruktivismus, bezeichnet den Konstruktivismus treffend als Wirklichkeitsforschung. Wissen und Wahrnehmung sind kognitive Konstrukte, folglich wird davon ausgegangen, dass es keine objektive Wirklichkeit, keine allgemeingültige Struktur der Wirklichkeit bzw. der Welt gibt, sondern nur eine von jedem Menschen durch seine kognitiven Leistungen selbst erzeugte Welt, in der er lebt. Wissen ist auch Bestätigung des Erfundenen (biografisches Wissen). Wahrnehmen, Verstehen und Erinnern – zentrale Begriffe in der Supervision – sind einerseits als Informationsverarbeitung des kognitiven Systems zu begreifen und andererseits erzeugt der Mensch via kognitivem System die Inhalte selbst durch aktive Konstruktion und weist ihnen auf der Grundlage äußerer oder innerer Reize selbsttätig Bedeutung zu auf der Basis bestehender Bedeutungsschemata. Wie später noch aufgezeigt wird, sind nach den jüngsten Erkenntnissen der Neurowissenschaften, insbesondere der Bindungsforschung (Säuglingsforschung) und der Gehirnforschung, Emotionen hierbei viel stärker an Konstruktionsprozessen beteiligt, als bisher angenommen.
Im Konstruktivismus ist sie, die „(…) Welt, wie wir sie sehen, sie ist Erfahrungswirklichkeit“ (Schmidt 1996: 43). Wenn wir also eine unabhängig von unserem Erleben existierende Realität niemals anders als eben über unser Erleben erfahren können, dann ist der Zweifel an der Möglichkeit objektiver Erkenntnis die einzig logisch haltbare Antwort auf das Erkenntnisproblem. Wissen ist nicht das Ergebnis eines Abbildens im Sinne eines Entdeckens der äußeren Wirklichkeit sondern das Ergebnis eines Erfindens von Wirklichkeit. Menschliche Erkenntnis ist immer subjektiv, da sie nur mittels eines selbstreferentiellen Nervensystems hergestellt werden kann. „Folglich gibt es keine Wahrheit menschlichen Wissens, denn um die absolute Gültigkeit einer Aussage nachweisen zu können, müsste es Menschen möglich sein, diese mit der Realität (also einer ontologischen Welt) zu vergleichen. Menschen können in diesem Verständnis aber nur Vorstellungen mit Vorstellungen vergleichen, da sie nicht in einer Welt, sondern mit ihr leben und sich so die Welt in ihren Vorstellungen konstruieren.“ (Weik,/Lang 2005:33). Das bedeutet auch, wenn wir über Wahrheit reden, dann unterhalten, wir uns lediglich über unsere Sichtweisen von Wahrheit, die mehr oder weniger viabel sind. Wahrheit kann es ja geben, aber sie ist für Menschen nicht erfassbar.  
Diese Erkenntnis führte zum Paradigmenwechsel in den Wissenschaften. Der Konstruktivismus stellte das herkömmliche Wissenschaftsverständnis radikal in Frage, denn Wissenschaftler sind Beobachter und Beobachtungen werden von Menschen im Selbstkontakt relativ konstruiert. Wirklichkeit ist also eine relative Kategorie- relativ zu denjenigen, die sie konstruieren. Sie ist darüber hinaus ein konsensuelles Phänomen. In sozialen Systemen werden gemeinsame Wirklichkeiten konsensuell ausgehandelt. Insofern sind Wirklichkeit und Wahrheit auf Kommunikation angewiesen.
Die ‚objektive‘ Welt wird vom Beobachter also nicht entdeckt sondern erfunden. Objektivität ist nach Heinz von Foerster:.„...der Glaube, dass die Eigenheiten des Beobachters keinen Eingang in die Beschreibung seiner Beobachtungen findet.“ (Von Foerster 1993a: 73) Nur dort, wo man den Beobachter ausblendet, gibt es ‚Objektivität‘. Beobachtung ist konstruktivistisch gesehen ein anderes Wort für Diagnostizieren - ein zentrales Thema für Supervisoren; deshalb werde ich weiter hinten diese Thematik noch Mals aufgreifen.

2.1 Neurophysiologischer Konstruktivismus

Für die naturwissenschaftliche Begründung des Konstruktivismus stehen vor allem die beiden chilenischen Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela. Experimentelle Studien an Tauben und deren Ganglienzellen – das sind die Nervenzellen, die hinter den lichtempfindlichen Rezeptorneuronen der Netzhaut sitzen – führten zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass zwischen einem Reizauslöser (Licht) und den Aktivitäten der Nervenzellen keine Korrelation besteht. Weitere Forschungen mit lebenden (biologischen) Systemen bestätigten, dass das Nervensystem ein selbstorganisierendes, autopoietisches, System ist, und es keinen direkten Kontakt zur Umwelt hat. Dies ließ sich auch durch Forschungen mit dem menschlichen Gehirn und Nervensystem belegen, die ebenfalls selbstreferentiell geschlossen operieren (Maturana/Varela 1987). Die herkömmliche Vorstellung, dass mit Hilfe unserer Sinnesorgane und des Nervensystems quasi Fotos der Außenwelt angefertigt werden, ist damit widerlegt. Unser Gehirn steht in keinem direkten Kontakt mit der Außenwelt. Unterschiedliche Umweltereignisse haben somit keinen spezifischen Charakter, sondern werden ausnahmslos umgewandelt in elektrische Nervenpotentiale, in eine Art “Einheitssprache“ (Roth 1987: 256 ff). Die verschiedenen Formen der Sinneswahrnehmung wie Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken werden in einer einzigen, gleichen systemeigenen Sprache in Form von neuronalen Aktivitäten ausgedrückt. Der neuronalen Erregung ist also nicht anzumerken, welcher Sinneswahrnehmung sie entstammt bzw. durch welche Art von Signalen (optisch, akustisch, sensorisch, gustatorisch oder olfaktorisch) sie hervorgerufen wurde. Das bedeutet, dass ihre Unterscheidung nicht von den Sinnesorganen erzeugt wird, sondern vom Gehirn als Teil des menschlichen Nervensystems. Das menschliche Gehirn ist also letztlich für die Wahrnehmung verantwortlich – nicht zuvorderst die Sinnesorgane. Wahrnehmung ist nicht die adäquate Wiedergabe der äußeren Welt sondern sie ist die systeminterne Konstruktion einer systemexternen Welt (Kneer/Nassehi 1993: 52 ff). Für die Supervision ist dabei wichtig, dass jedes Individuum durch komplexe Interpretationen und Bedeutungszuschreibungen der sensomotorisch empfangenen Schwingungen eine Wirklichkeit aufbaut, die zunächst einmal eine rein individuelle, von der Außenwelt unabhängige ist. Es ist für das Individuum dabei nicht bedeutsam, ob die eigene Vorstellung von der Umwelt ein ‚wahres‘ Bild der Wirklichkeit darstellt; was es benötigt, ist eine Vorstellung, die es ihm erlaubt sein Leben erfolgreich zu leben und brauchbare Handlungen zu generieren. Dazu werden die individuellen Konstruktionen einer Prüfung auf Brauchbarkeit – von Glasersfeld spricht von ‚Viabilität‘ (von Glasersfeld 1987: 284) – unterzogen. Sie werden mit den bereits vorhandenen Wirklichkeitskonstruktionen abgeglichen, in Übereinstimmung gebracht oder aber verworfen. Aus der Komplexität des Geschehens wählen Menschen bevorzugt das heraus, was zu ihren präferierten Sinnkonstruktionsmustern (Persönlichkeit, Lebensstil, Weltanschauung etc.) passt. Dies verdeutlicht , dass Wissen selbstreferentiell ist und abhängig von der eigenen Struktur des Rezipienten. Diese Strukturdeterminiertheit setzt den Veränderungsmöglichkeiten auf supervisorischer Seite deutliche Grenzen. Supervisoren können demnach nicht ‚intervenieren‘ also dazwischen-kommen sondern lediglich irritieren oder perturbieren. Lebende Systeme sind autopoietische, strukturell geschlossene Systeme, die zwar Umweltreize aufnehmen, diese können aber, wie schon erwähnt, höchstens irritierende oder perturbierende Wirkungen haben, keine determinierenden. Das Nervensystem reagiert also andauernd auf die Umwelt, doch wie es mit diesen Veränderungen umgeht, ist nicht von außen determinierbar oder instruktiv steuerbar sondern hängt von seiner inneren Struktur ab. Diese ist durchaus plastisch veränderbar. „ Die jeweils aktuelle Struktur determiniert, in welchen Grenzen sich ein Lebewesen verändern kann, ohne seine autopoietische Organisation zu verlieren, also zu sterben“ (Neumeyer 2004: 51). Autopoietische Systeme sind also strukturdeterminiert und darüber hinaus sind autopoietische Systeme – wie ihre Bezeichnung schon andeutet (autos = selbst, poiein = (er)schaffen) lebende Gebilde, die sich ständig selbst herstellen, regulieren und erhalten (Kneer/Nassehi 1997: 48). Sie produzieren die Elemente aus denen sie bestehen selbst und erzeugen durch diese Operation fortlaufend ihre eigene Organisation. Dabei interagieren diese Elemente in einem zirkulären Prozess miteinander. Dieser zirkuläre Produktionsprozess der Komponenten ist invariant. Die Struktur des Systems, d. h. die jeweilige Abfolge und das Verhalten der Bestandteile im Produktionsprozess, ist hingegen veränderbar. Dies lässt sich auch am Beispiel der Zelle verdeutlichen: Die Zelle als autopoietisches System erzeugt auf molekularer Ebene fortlaufend die Bestandteile (Proteine, Lipide, Nukleinsäuren u.a.) die sie zur Aufrechterhaltung ihrer Organisation braucht.  Diese Bestandteile  (Elemente) sind in einem Netzwerk miteinander verknüpft und interagieren, so dass sie durch diese Operation – ohne Unterlass – das Netzwerk hervorbringen, durch  das sie selbst hervorgebracht wurden; insofern sind sie geschlossene Systeme. Ihre organisationale Geschlossenheit, macht sie autonom gegenüber ihrer Umwelt. Das heißt, sie sind durch äußere Einflüsse nicht instruktiv steuerbar wohl aber irritierbar. Im Prozess der Aufrechterhaltung ihrer Organisation nehmen sie ausschließlich auf sich selbst Bezug, sind also selbstreferentiell. Die Produkte und Ergebnisse ihrer Operationen werden immer wieder als Grundlage für weitere Operationen gebraucht. In diesem Sinne sind autopoietische Systeme rekursiv. Es steht jedoch außer Zweifel, dass eine Zelle ohne Umwelt nicht leben kann sondern materiellen und energetischen Austausch braucht. Sie ist also auf der einen Seite organisational geschlossen und gerade deswegen andererseits umweltoffen. Die Steuerung der Umweltoffenheit, der Austausch mit der Umwelt, erfolgt einzig und allein durch das autopoietische System. Es selbst und es allein regelt diesen Austausch. Durch strukturelle Kopplung sind sie in der Lage mit anderen interagierenden lebenden Systemen in Verbindung zu treten. Mit der Entwicklung dieser Theorie autopoietischer Systeme erfolgte die neurophysiologische Begründung des Konstruktivismus. Es blieb Luhmann vorbehalten, die Theorie autopoietischer Systeme auf Soziale Systeme zu übertragen und damit seine System-Umwelt Theorie ins Leben zu rufen. Hierzu später mehr.

2.2 Kommunikationstheoretischer Konstruktivismus

Eine weitere wichtige Strömung des Konstruktivismus kommt aus der Kommunikationstheorie. Der wohl bekannteste Vertreter dieser Richtung ist Paul Watzlawick, dem wir die 5 klassischen Axiome der Kommunikation verdanken, was heute Grundlagenwissen helfender Professionen und insbesondere von Beratung ist. Er machte die Ideen von Gregory Bateson und der Palo Alto-Gruppe in Deutschland bekannt und verhalf auch der Supervision zu neuen Sichtweisen. So verdanken wir ihm z.B. die wichtige Unterscheidung zwischen Inhalts- und Beziehungsebene in der Kommunikation mit der er auffordert, nicht nur auf die Inhalte der Kommunikation zu achten sondern auch auf die Beziehungen zwischen den Kommunikationspartnern, die mit den Inhalten transportiert werden. Eine daraus abgeleitete – für Supervision eminent wichtige – Erkenntnis ist, dass Inhaltskonflikte nur auf der Inhaltebene und Beziehungskonflikte nur auf der Beziehungsebene lösbar sind (Watzlawick/Beavin/Jackson: 1971). Watzlawick lenkte den Blick auf die Kreisförmigkeit der Kommunikation, also auf ihre Zirkularität und darauf, dass Diagnosen Interpunktionen sind. Eine für die Supervision Bahnbrechende diagnostische Erweiterung ist der Blick auf das System und dessen Regeln, nach denen es kommuniziert. Betrachtet man Verhalten im Kontext der Systemregeln – offene wie geheime – so kann die Sinnhaftigkeit eines ansonsten verrückt erscheinenden Verhaltens und Handelns erkennbar werden. Bereits in den 70 iger Jahren vertrat er die konstruktivistische These, dass die so genannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist (Watzlawick 1976 )und er entwickelte die Kommunikationstechnik der ‚sanften Kunst des Umdeutens‘, bei der die Selbstwahrnehmung des Gegenübers verändert wird und die unter dem Begriff ‚Reframing‘ Eingang in die systemische Familientherapie fand. (Zu Reframing in der Supervision siehe Krapohl 1992) In seinem 1981 erschienenen Buch: „Die erfundene Wirklichkeit“ stellte Watzlawick eine Reihe konstruktivistischer Beiträge vor und kommentierte sie. Darunter auch ein äußerst bedeutsamer Beitrag von Heinz von Foerster zur Konstruktion von Wirklichkeit und der Kybernetik zweiter Ordnung, der Beobachtung der Beobachtung.

2.3 Kybernetik zweiter Ordnung

Die Kybernetik zweiter Ordnung stellt eine weitere wichtige Strömung des Konstruktivismus dar. Kybernetik bezeichnet ein wissenschaftliches Programm zur Beschreibung der Regelung und Steuerung von komplexen Systemen. Die Kybernetik erster Ordnung verstand sich als Steuerungstechnik, die sich mit der Betrachtung von Rückkopplungsprozessen beschäftigt und diese objektiv beschreiben will. Hier herrschte noch der Glaube vor, Aussagen über ein System machen zu können, wie es ‚wirklich‘ ist. Die Leitfragen sind: was wird gesehen oder beobachtet, wenn man ein System beobachtet? Wie können diese Beobachtungen mitgeteilt, kommuniziert werden. Von der Theorie über beobachtete Systeme führte der Entwicklungsprozess hin zur Kybernetik 2. Ordnung, einer Theorie über Beobachter, die Systeme beobachten.  Im Mittelpunkt forscherischen Interesses stand nun nicht mehr so sehr der Gegenstand der Beobachtung sondern der Prozess, die innere autonome Selbstorganisationslogik lebender Systeme und ihre operationale Geschlossenheit. Die Grenzen externer Beeinflussung werden thematisiert und die diagnostische Objektivität von Beratern und Therapeuten kritisiert. Die Kybernetik 2. Ordnung geht nicht mehr von der planbaren Steuerung und Kontrolle von Systemen aus und sucht damit nicht mehr nach objektiven Ergebnissen sondern beobachtet, wie Beobachter beobachten und wie sich – oder genauer er/sie - das System verändert durch die Tatsache des Vorhandenseins eines Beobachters. Sie wendet die kybernetischen Prinzipien also auf sich selbst an. Im Zuge dieser Entwicklung ergab sich auch eine bessere Differenzierung zwischen technischer Kommunikation und menschlicher Kommunikation. In ersterer werden Informationen gesendet, übermittelt und empfangen in der zweiten werden Informationen vom Empfänger erzeugt oder konstruiert. Insbesondere Heinz von Foerster ging der Frage nach, ob bzw. wie menschliche Erkenntnis kybernetisch organisiert ist. Er fand heraus, dass das Nervensystem des Menschen ein sich selbst organisierendes System ist, das eine stabile Wirklichkeit errechnet. Die Umwelt ist in dauernder Veränderung und dennoch können wir durch unser Nervensystem eine stabile Welt für uns wahrnehmen.
Zur praktischen Relevanz dieses Postulats meint von Foerster (1993c: 47): „Dieses Postulat fordert ‚Autonomie‘, das heißt ‚Selbst-Regelung‘ für den lebenden Organismus. Da die semantische Struktur von Substantiven mit dem Präfix ‚selbst-‚ transparenter wird, wenn dieses Präfix durch ein Substantiv ersetzt wird, wird der Ausdruck ‚Autonomie‘ synonym mit dem Ausdruck ‚Regelung der Regelung‘. Und genau dies leistete der doppelt geschlossene, rekursiv rechnende Torus. Er regelt seine eigene Regelung. Es mag in einer Zeit wie der unseren seltsam anmuten, Autonomie zu fordern, denn Autonomie bedeutet Verantwortung. Wenn ich selbst der einzige bin, der entscheidet , wie ich handele, dann bin ich für meine Handlungen verantwortlich. Da die Regel eine der heute populärsten Spiele, das man heute spielt, darin besteht, jemand anderen für meine Handlungen verantwortlich zu machen – der Name dieses Spiels lautet ‚Heteronomie‘ -, führen meine Überlegungen, soweit ich sehe, zu einer höchst unpopulären Auffassung“. Hieraus leitet Heinz von Foerster zwei Imperative ab, einen ästhetischen und einen ethischen: „Der ästhetische Imperativ: Willst Du erkennen, lerne zu handeln. Der ethische Imperativ: Handle stets so, dass (sic!) die Anzahl der Möglichkeiten wächst. So konstruieren wir aus unserer Wirklichkeit in Zusammenwirkung unsere Wirklichkeit „ (von Foerster 1993c: 49). Sieht man einmal von einigen impliziten ethischen Aspekten ab, dann ist dies eine der wenigen ethischen Aussagen, die sich im Konstruktivismus finden lassen. „ Eine implizite Ethik fällt schwer in einer Welt der Worte. Das Handwerkszeug der Praktiker der Sozialen Arbeit und der Supervision besteht weitgehend aus Worten. Wobei die Worte in der Beratung als Zuspruch in und für Situationen oder zur Reflexion gebraucht werden.“ (Kersting 2002: 80-81) Nicht alle Konstruktivisten würden die Brauchbarkeit von Ethik in Abrede stellen, es wird aber bewusst keine ausdifferenzierte Ethik vorgegeben, sondern das ist in die Verantwortung eines jeden einzelnen gestellt. Radikale Konstruktivisten enthalten sich der Entscheidung darüber, was richtig oder falsch ist. Sie bedienen sich stattdessen höchstens der Vokabel ‚Viabilität‘ also Brauchbarkeit. Dieser Begriff vertritt eben keinen ontologischen Anspruch, sondern verweist auf die Relativität und Kontingenz der normativen Entscheidung ihres Benutzers. Wenngleich Konstruktivisten damit eine gewisse a-moralische (nicht unmoralische) Haltung aufweisen, so bedeutet das nicht, dass sie sich ethischen Fragen nicht stellen. Ich rechne mich zwar dem Konstruktivismus zu – wenn auch nicht dem radikalen – bin aber der Auffassung, dass ich für mein Handeln als Supervisor eine Ethik brauche; denn Supervisoren entscheiden, unterscheiden, handeln. In ihrem Handeln äußert sich implizit ihre Ethik und sie müssen ihr Handeln – sich und anderen gegenüber - begründen und legitimieren können. Betrachtet man Supervision als ein spezifisches andragogisches Geschehen, in dem Lernen und Bildung geschieht, dann ist das Normative evident. Außerdem ist zu bedenken, dass wir als Supervisoren für unsere Konstrukte verantwortlich sind. Für die Ethik, für die sich ein Supervisor entscheidet gilt: „Nur die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, können wir entscheiden“ ( von Foerster 1993d: 351).

2.4 Differenztheorie

Einen weiteren grundlegenden Zweig des Konstruktivismus lieferte der englische Logiker George Spencer Brown mit seiner Differenztheorie. In seinem Buch „Laws of Form“, Gesetze der Form, vertritt er die These, dass allen Formen der Welt als wichtigste Form eine Unterscheidung zugrunde liegt, gleich ob es um Formen des Erkennens, Wissens oder Glaubens geht. Die Form der Unterscheidung ist die Form aller Formen. Auf Supervision bezogen bedeutet das, dass auch allen Beobachtungen, Diagnosen, Beschreibungen und Erzählungen ein Formenkalkül als methodologische Prämisse zugrunde liegt. Denken, sprechen supervisieren ist ohne zu unterscheiden nicht möglich (vergleiche hierzu auch: Simon 1988 und Kersting 2002). Wer beobachtet, unterscheidet, wer unt-erscheidet, scheidet damit immer etwas anderes, das auch hätte beobachtet werden können, ab. Alles Gesagte wird von einem Beobachter gesagt. Indem wir benennen oder beschreiben, wählen wir bestimmte Worte aus, wir machen also Unterschiede. Eine Information ist eine Unterscheidung, die Unterschiede macht. Um mit George Spencer Brown zu sprechen: ‚Draw a distinction ... and you create a univers!‘ Der Begriff ‚Unterscheiden‘ verweist auf das Vorhandensein von mindestens zwei Seiten; also mit anderen Worten auf eine Zwei-Seiten-Form. Die Entstehung biologischer, psychischer und sozialer Systeme – auf diese Unterscheidung Luhmanns werde ich später noch eingehen- kann diesbezüglich verstanden werden als das Setzen und Aufrechterhalten von System/Umwelt Unterscheidungen und die Autopoiese ist dann der systeminterne Prozess, der diese System/Umwelt-Grenzen andauernd aufrechterhält. Es bedarf also der Zwei-Seiten-Form, damit sozusagen systemintern überhaupt etwas beobachtet, erkannt werden kann. Bevor erkannt werden kann, müssen sich diejenigen, die erkennen wollen, von dem Gegenstand unterscheiden, den es zu erkennen gilt. Erst dann können weitere Unterscheidungen erfolgen.

So unterschiedlich die vier vorgestellten Ansätze des Konstruktivismus auch sein mögen, sie haben gemeinsam:

  • Komplexität nicht reduktionistisch, sondern in ihrer Gesamtheit zu betrachten,
  • die Übereinstimmung von Wissen und Wirklichkeit in Frage zu stellen
  • und die - Subjektabhängigkeit unserer Konstruktionen zu betonen,
  • die Relation von Elementen oder Variablen von Systemen nicht linear-kausal zu begreifen sondern zirkulär.

Als Supervisor schätze ich am Konstruktivismus besonders die Betonung der autonomen Seite des Menschen, seiner Lernfähigkeit und damit die Betonung der Spielräume, die wir haben. Diese sichtbar oder wieder sichtbar zu machen, um dann mit den Supervisanden neue, vielleicht brauchbarere Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten, dafür ist Supervision da. Natürlich gibt es so etwas wie Prägungen und Chancen - Ungleichheiten, die die Verhaltensmöglichkeiten des Menschen einschränken, doch es gibt selbst dann immer noch Spielräume und die Fähigkeit des Menschen zu lernen. Hier kann auch die Unterscheidung zwischen Willens- und Handlungsfreiheit weiterhelfen; um mit Arthur Schopenhauer zu sprechen: der Mensch kann tun, was er will, aber nicht wollen, was er will. Die jüngsten Ergebnisse der neurowissenschaftlichen Forschung scheinen allerdings die systemisch - konstruktivistische Position der Autonomie bzw. der Freiheit des Menschen bezüglich seiner Konstruktionen einzuschränken. Ihr zu Folge bedeutet Lernen, bereits bestehende neuronale Bahnen zu nutzen und neue Vernetzungen herzustellen. Das Gehirn ist demnach die zentrale Schaltstelle bewusster und unbewusster Entscheidungen – es scheint autopoietisch, rekursiv und nicht linear zu funktionieren und auch diejenigen Prozesse zu determinieren, die wir als „freie“ Entscheidung wahrnehmen. Die Plastizität neuronaler Kognitionssysteme (Gehirn) ist dadurch gegeben, dass aktuelle Umwelterfahrungen auf bereits gespurte neuronale Netzwerke treffen, die aus sich heraus (z.B. durch Genetik) und durch frühere Erfahrungen entstanden sind und sich ändern können. Bereits bestehende Spuren werden unter dem Einfluss aktueller Gefühle und unbewusster Gedächtnisinhalte wahrscheinlicher bedient, als dass neue Spuren angelegt werden. Je häufiger eine Synapse aktiviert wird, umso dominanter wird sie. Kasten (2007: 18) sagt: „Lernen bedeutet, dass sich neue Synapsen bilden“ und weiter: „Nach der Hebb’schen Regel verbessern Nervenzellen ihre Verknüpfung, je häufiger sie gleichzeitig aktiviert sind. (…) Lernen und Verlernen sind neurobiologisch eine Veränderung der Stärke synaptischer Verbindungen (Kasten 2007: 19).
Für die supervisorische Arbeit scheint mir – trotz der genannten Einschränkungen – die Betonung seiner nicht determinierten Seite unverzichtbar; und wir sollten den Menschen weiter als zumindest weitgehend darin autonom zu betrachten, wie er etwas tut, und mit welcher Haltung er (selbst einer Zwangs-) Situation begegnet. Es gibt also immer Alternativen. Oft betrachten wir uns oder die Welt so, als seien wir determiniert, „gezwungen“ durch äußere Umstände oder festgelegt durch Triebe oder Bedürfnisse. Damit konstruieren wir die Welt so, dass wir für unsere Handlungen nicht verantwortlich zu sein brauchen. Jede Handlung hat Konsequenzen, Effekte, Wirkungen. Diese sind nicht notwendig autonomiereduzierend, sie können autonomieerweiternd sein. Hier sei auch noch Mals an den ethischen Imperativ Heinz von Foersters erinnert. Ich halte für mich und mein supervisorisches Handel die Sichtweise für brauchbarer, dass jeder für sein Konstrukt selbst verantwortlich ist und für die daraus folgernden Unterscheidungen und Handlungen und dass es immer Spielräume, Alternativen gibt. Diese Betrachtungsweise entspricht zudem der Ressourcenorientierung systemischer Supervision. Ich stimme mit Gerhard Portele (1989) überein, dass der Glaube, dass Dinge unveränderbar sind, sie unveränderbar macht. Der Glaube, dass Dinge veränderbar sind, macht sie (wenn auch nicht alle) veränderbar – allerdings auch nicht der Glaube allein. Er führt in diesem Kontext das Beispiel einer Klientin an, die Angst hat, auf die Strasse zu gehen. Diese Klientin kann nicht anders handeln, da sie sich die Welt so konstruiert, dass sie keine Alternative mehr sieht, was natürlich seine Vorgeschichte hat.. Was sie nicht sieht, ist, dass sie sich die Welt so konstruiert, und was sie nicht weiß, nicht sehen kann, ist, dass sie die Welt auch anders konstruieren könnte.

3. Systemtheorie und die Theorie selbstreferentieller Systeme nach Niklas Luhmann

Die Theorielandschaft des Konstruktivismus ist mittlerweile recht vielfältig und umfangreich geworden, unter anderem, weil sie sich in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen unabhängig voneinander entwickelte hat. Davon konnten hier nur einige wenige ausgewählte Aspekte aufgezeigt werden.
Man unterscheidet heute neben der sozial-konstruktivistischen Richtung mit den zentralen Begriffen Konstruktion und De-Konstruktion noch die kognitiv-konstruktivistische (Subjektive Theorien, Landkarten) und die radikal konstruktivistische. Mit der Anwendung insbesondere der radikal-konstruktivistischen Erkenntnisse auf Systeme entstand Luhmanns Systemtheorie oder genauer: System-Umwelttheorie. (In diesem Sinne ist seine Systemtheorie ein Anwendungsfall des Konstruktivismus.) Dabei wird das Wort System benutzt, um eine Vielzahl gleichartiger Elemente, die zueinander in sinnvoller und nach außen abgrenzbarer Beziehung stehen, als Ganzheit darzustellen. Die Ganzheit des Systems ist jedoch mehr als die Summe seiner Einzelteile, also emergent. Es entsteht eine andere, zusätzliche Qualität.
Der Luhmannschen Systemtheorie liegen die zwei Leitprinzipien zugrunde, dass alle Systeme in der System/Umwelt Differenz operieren, und sie sich nach dem Autopoiesekonzept organisieren. Mit der System/Umwelt Differenz wird auch die Unterscheidung von Innen und Außen eingeführt. Das Innen ist das System selbst, zur Umwelt gehört alles, was nicht Bestandteil des Systems ist. Systeme werden unterschieden in triviale und nichttriviale Systeme oder „Maschinen“ wie Heinz von Foerster mit Blick auf den Operationsmodus sagt (von Foerster 1985). Bei trivialen Maschinen bestimmt der Input (x) den Output (y). Sie sind also berechenbar, prognostizierbar. Die vom Menschen geschaffenen Maschinen sind solche trivialen Maschinen. Wenden wir diese Betrachtungsweise aber auf die Welt oder Lebewesen oder die Supervision an, dann werden wir scheitern. Hier handelt es sich nämlich um nichttriviale Maschinen, die über einen nicht determinierten inneren, Zustand (Z) verfügen. Nach Eingabe des Inputs x kommt je nach innerem Zustand z ein Output a, b, c oder ein noch anderer heraus. Portele verdeutlicht das unter Berufung auf Bateson an folgendem Beispiel (Portele 1989: 12): „ Wenn ich einen Stein werfe, kann ich seinen Flug in etwa vorhersagen. Wenn ich einen Hund trete, dann folgt er vielleicht am Anfang noch der vorherbestimmten Flugbahn, aber dann...vielleicht wird er nicht nur bellen und davonlaufen, sondern mich beiß(!)en. Er hat Alternativen.“ Neben der Kontingenz menschlichen Handelns und der damit gegebenen Unvorhersagbarkeit wird hier auch noch Mals die Nichtinstruierbarkeit autopoietischer Systeme - wie Supervisanden – deutlich.
SupervisorenInnen rechnen gewünschte, erhoffte Verhaltensänderungen bei Supervisanden gerne ihren ‚erfolgreichen‘ Interventionen zu, also ihrem Input. Damit bauen sie eine fragwürdige Kausalitätskette zwischen Input und Output nichttrivialer Systeme auf und verwechseln Ursache und Anlass. Handlungen, also auch supervisorische Interventionen, können nie Ursache für Verhaltensänderungen – also Lernen – sein, wohl aber Anlass. In diesem Sinne ist ein (instruktives) „Inter-venieren“ gar nicht möglich, wohl aber Beeinflussung. Als Supervisoren können wir Systeme also nur irritieren, stören, anregen, in Eigenschwingung versetzen oder perturbieren. In dieser Hinsicht ist systemische Supervision die Anregung beruflicher Selbstorganisationsprozesse. Von narzisstischen Erfolgszurechnungen muss damit Abschied genommen werden zu Gunsten der entlastenden Sichtweise, dass wir nicht für das Handeln anderer verantwortlich sind, wohl aber für unsere eigenen Konstrukte. Das wiederum sollte uns verpflichten, hart an unserer Anschlussfähigkeit zu arbeiten, damit unsere Kommunikation, also unsere Einladungen zur Multiperspektivität, unsere Deutungsangebote, Sichtweisen und Spiegelungen möglichst Anschluss finden. Wir können die Bedingungen für eine Änderung des Systems günstig gestalten, denn Systeme sind besonders dann beeinflussbar, „...wenn der „Einfluss“ ihrer aktuellen Struktur entspricht, „passt“ (Neumeyer 2004: 51).“ Die strukturelle Kopplung zweier oder mehrerer autopoietischer Systeme ist abhängig von ihren affektiv-kognitiven Strukturen. Deshalb ist es wichtig, den Supervisanden in ihrer Wahrnehmung der Welt begegnen zu können, ihre Landkarten der Welt zu verstehen. (wichtige Hinweise hierzu hat uns das NLP geliefert). Hierzu müssen Supervisoren in der Lage sein, sich von ihrem eigenen Bezugssystem und den entsprechenden Vorlieben zu distanzieren. Mit Hilfe dieser Fähigkeiten können SupervisorenInnen die Wahrscheinlichkeit von Lernerfolgen erhöhen – aber nicht garantieren. Systemisch-konstruktivistische Supervision heißt, einander als weitgehend autonom zu betrachten und jedem die Verantwortung für seine/ihre Konstruktionen zu lassen, wohl wissend, dass es auf beiden Seiten, der des Supervisors und der des Supervisanden, so etwas wie Rigidität von Wahrnehmungsverzerrungen und/oder –mustern gibt, also quasi „neurotische“ Wahrnehmungsweisen. Wir sollten als SupervisorenInnen Respekt vor den Sichtweisen, Landkarten der Welt und bisherigen Problemlösungsversuchen der Supervisanden haben, sie würdigend verstehen und zu vielleicht brauchbareren Alternativen einzuladen und ermuntern.
Die System-Umwelt Theorie Luhmanns entstand, indem er die Erkenntnisse, die Maturana und Varela aus der biologischen Forschung gewonnen hatten, auf Soziale Systeme übertrug. Er generalisierte den Autopoiesebegriff als Organisationsform allen Lebendigen und so eine Übertragung auf unterschiedliche Systemarten und er erarbeitet so seine Theorie selbstreferentieller – autopoietischer Systeme. Als äußersten Bezugsrahmen für seine System/Umwelt Theorie wählt Luhmann die Welt als letzten Bezugspunkt aller möglichen Sinnkonstitution und beansprucht damit Universalität für seine Theorie. Diese setzt sich nämlich mit der Komplexität von Welt auseinander und versucht damit eine enorme Reduktionsleistung zu erbringen. Will sie dies leisten, dann muss diese Theorie selbst überaus komplex sein. Eine Theorie selbstreferentieller Systeme muss aber selbst auch selbstreferentiell sein, denn auch sie beobachtet und beschreibt andere Systeme (Fremdreferenz) nur mit Bezug auf sich selbst (Selbstreferenz). Diesem Paradox kann sie, und diejenigen, die sich mit ihr beschäftigen, nicht entfliehen. Auch sprachlich stößt eine solche Theorie an Grenzen: für viele Phänomene, die in der Systemtheorie zirkulär gedacht sind (Autopoiesis, Beobachtung, Kommunikation, Sinn u.a.) gibt es nur lineare Darstellungsmöglichkeiten. Das systemtheoretische Vokabular ist von daher gewöhnungsbedürftig. Die Vorstellung vom Menschen als psychisches System und davon, dass psychische Systeme Umwelt von sozialen Systemen (und umgekehrt) sind, trifft in der Supervisorenszene oft auf Vorbehalte. Auch bleibt eine gewisse begriffliche Unschärfe, denn bei genauerer Betrachtung müsste man sagen, dass der Mensch ein Konglomerat an unterschiedlichen autopoietischen Systemen ist. Dennoch ist die Luhmannsche Unterscheidung für Supervisoren äußerst brauchbar und hilfreich, lässt sich mit ihr doch Psychisches aus Psychischem und soziales aus Sozialem erklären.
Wie schon erwähnt unterscheidet Luhmann im Wesentlichen drei Systemarten: biologische Systeme, psychische Systeme und soziale Systeme, wobei die letzten beiden sinnhafte Systeme sind. Diese verarbeiten Komplexität also in Form von Sinn. Alle drei sind selbstreferentiell und auf ihre je eigene Weise autopoietisch. Sie sind auf eine Umwelt angewiesen und differenzieren sich von dieser durch den permanenten Anschluss von Operationen des gleichen Typus.
Biologische Systeme verarbeiten bzw. reproduzieren autopoietisch Materie und erzeugen per Stoffwechsel Energie. Das Produkt ist Leben.
Die Operation psychischer Systeme sind Kognitionsprozesse – also Denken und Fühlen. Ihr Produkt ist Bewusstsein. Das Bewusstsein kann nicht anders als in einem andauernden Prozess Gedanke an Gedanke zu reihen. Die Elemente des autopoietischen Geschehens, die Gedanken und Vorstellungen, haben insofern Ereignischarakter, als sie im Moment ihres Entstehens auch schon wieder im Zerfall begriffen sind.
Die Operation sozialer Systeme ist Kommunikation und das Produkt sind Entscheidungen. Soziale Systeme sind strukturell an biologische und psychische gekoppelt lassen sich aber eigenständig beobachten und beschreiben und sind durch Kommunikation als konstitutives Element definiert. Das bedeutet, dass es nicht Menschen als biologische Systeme oder Personen als psychische Systeme sind, die die Elemente des sozialen Systems bilden sondern die Kommunikation selbst.
Als autopoietische Systeme sind diese drei Systeme füreinander Umwelten. Sie können sich wechselseitig anregen, irritieren, stören oder perturbieren aber nicht gezielt instruieren. Soziale Systeme – also auch das Arbeitssystem Supervision -sind strukturell an biologische und psychische Systeme gekoppelt und aufeinander angewiesen, operieren aber autonom. Ein direkter Kontakt ist nicht möglich auch ein unmittelbarer Kontakt zwischen zwei Bewusstseinssystemen (Ich – Du) ist laut Luhmann, und wie weiter vorne aufgezeigt, nicht möglich. Hier stellt sich die Frage, wie kann es zu Sozialität kommen, wenn Bewusstseinssysteme autopoietisch operieren, also in sich geschlossen sind und nicht in unmittelbaren Kontakt miteinander treten können? Luhmann (1984: 292) sagt: „Soziale Systeme entstehen auf Grund der Geräusche, die psychische Systeme erzeugen bei ihren Versuchen zu kommunizieren“. Soziale Systeme sind damit Kommunikationssysteme, die auf Kommunikation beruhen und nicht auf Intersubjektivität. Psychische Systeme bzw. Bewusstseine sind lediglich beteiligt an der Kommunikation. Mit Kommunikation wird es möglich, Unsicherheit und Unberechenbarkeit in Erwartbarkeit – also Struktur - zu wandeln und die Kontingenz auf beiden Seiten der Interaktionspartner, (doppelte Kontingenz) einzugrenzen. Kontingenz bezeichnet die potentiellen anderen Möglichkeiten, die es auch im Handeln oder Erleben gegeben hätte. Wirklichkeit ist also ein kognitiver und kommunikativer Prozess. Sie ist sozial konstruiert und bewusstseinsabhängig.

4. Supervision als soziales System

Bei der Supervision handelt es sich um ein Arbeitssystem, das die Merkmale eines sozialen Systems im Sinne Luhmanns aufweist. Wie diese grenzt sie sich von der Umwelt durch bestimmte Sinnkonstrukte als Selektionsmechanismus ab und reduziert so die Komplexität nach außen und innen. Auf diese Weise entsteht die jeweilige Systemidentität. So gesehen ist Supervision der Versuch, durch Kommunikation gemeinsam Sinn zu erzeugen. Trotz Kontingenz und potientell möglicher neuer rekursiver Sinnvereinbarungen wissen die Mitglieder des Supervisionssystems (mindestens nach einiger Zeit) was Inhalt von Supervision sein kann und was eher nicht. Sinn reduziert sonst ungeordnete Umweltkomplexität auf ein für das System verarbeitbares Maß. Diese notwendige Reduktion und die Grenzziehung gegenüber der Umwelt ermöglichen damit die Identitätsbildung des Systems und regulieren seine kommunikative Abschottung oder Anschlussbereitschaft. Grenzen dienen der Systemerhaltung und regeln die Beziehung zwischen System und Umwelt, zwischen Innen und Außen. In sozialen Systemen wie der Supervision entstehen Grenzen durch Vereinbarungen. In der Supervision werden diese Arbeitsabsprachen, Lernzielabsprachen oder Kontrakt genannt. Damit wird geregelt, wer und was dazugehört, was die „Spielregeln“ des Miteinanders und gegenüber der Umwelt sind, was Sinn der Supervision ist und demnach Sinn macht und was nicht, welche Elemente und Operationen zu ihr gehören. Sinn ist immer systemspezifisch und realisiert sich in sozialen Systemen durch Kommunikation. Es versteht sich von selbst, dass diese für das Gelingen von Supervision bedeutenden Aspekte Gegenstand der Beobachtung von SupervisorenInnen sind. Dass Systeme nicht instruierbar sind und sie ohnehin das tun, was ihrer Selbstorganisation entspricht, hat Konsequenzen für die Rolle des systemischen Supervisors. Er ist nicht mehr der Experte, der weiß, was richtig oder gut für den Supervisanden ist, sondern er ist Experte für den Umgang mit autopoietischen, sebstreferentiellen operational geschlossenen,
bisweilen eigensinnigen und eigengesetzlichen Systemen. Das heißt, er legt auch aus diesem Grunde besonderen Wert auf Prozesse des Beziehungsaufbaus und der Beziehungsaufnahme.
 Betrachtet man die Supervision als soziales System dann besteht sie für Luhmann, aus Kommunikation und nicht aus Personen. Soziale Systeme haben nämlich keine Gefühle. (You can never kiss a system!) Psychische Phänomene ob kognitiver oder affektiver Natur oder Intersubjektivität oder die individuellen Akteure selbst, gehören für Luhmann nicht zum System. Sie werden als psychische Systeme zu seiner jeweiligen Umwelt zugerechnet und beobachtbar sei in ihnen nur der Umgang mit der Kommunikation über Gefühle – nicht die Gefühle selbst. Gefühle und Affekte sind also auch in seinem Konstrukt des psychischen Systems nicht vorhanden und für ihn als Soziologen nicht relevant (Zur Unterscheidung von Gefühlen, Emotionen, Affekten und Empathie siehe Levold 2004) Für Supervisoren hingegen sind sie hoch bedeutsam sowohl als Verstehenshintergrund von Verhalten und Interaktionsprozessen als auch bei der Herstellung und Aufrechterhaltung einer tragfähigen Beraterbeziehung. Als andragogisches Verfahren hat Supervision immer mit Lernen, berufsbezogener Bildung und Selbstbildung zu tun. Lernen in Supervision geschieht dann am effektivsten, wenn das Lernklima stimmt. Hierzu gehört eben wesentlich der Aufbau einer professionellen, von Sicherheit und Vertrauen geprägten Beziehung. Unter dem Stichwort Rapportherstellung gibt hierzu das Neuro Linguistische Programmieren, ich spreche lieber von  Neuro Linguistischem Kommunizieren, wichtige Hinweise (siehe Krapohl 1992). Auch die Ergebnisse der Neurowissenschaften belegen die Bedeutsamkeit der Emotion für das Lernen (Damasio 1994). Lernen ist kein passiver Vorgang. Bei jedem Lernschritt werden neue Synapsen gebildet und es entstehen neue Verknüpfungen. Dass Emotionale Beteiligung Lernerfolge verbessert, haben u.a. Spitzer und Erk (2005) nachgewiesen und belegt. Emotionen bewerten, das ist ein wesentlicher Selektionsfaktor für die Flut an Informationen, die täglich auf uns einwirkt, und eine notwendige und sinnvolle Unterstützung der Kognition. Damit wird sicher gestellt, dass wir nur die wichtigen Dinge weiter verarbeiten und so wird Überforderung vermieden und gewährleistet, dass wir auf drohende Gefahren umgehend reagieren können. Auch für das Lernen in Supervision gilt, dass „je mehr Sinneskanäle angesprochen werden, um so effizienter und effektiver speichert unser Gedächtnis“ (Kraus 2006: 151). Neues lässt sich leichter lernen, wenn es an bereits Bekanntes anknüpfen kann. Eine weiterer Beleg für die weiter oben im Kontext von Kommunikation in sozialen Systemen thematisierte Wichtigkeit der Anschlussfähigkeit von Kommunikationen.
Gezielte Aufmerksamkeit, Motivation und Emotionen sind für das Lernen elementar. Lob, Freude, Stolz, Überraschung und Belohnung wirken sich positiv auf die Lernmotivation und damit auf das Lernen aus. Auch negative Emotionen beeinflussen den Lernprozess. Wird z.B. „ unter Angst gelernt kann die Angst ‚mitgelernt’ werden; das führt dazu, dass sie auch beim Abruf des Gelernten wieder auftritt“ (Netzwerk für Gehirnforschung und Schule 2004 : 8). Angst und Stress sind die Gegner von Lernen. Überforderung kann leicht zu Stress oder Resignation führen und haben negative Auswirkungen auf das Gedächtnis und das führt nachweisbar zu Verlusten von Neuronen im Hippocampus. Stresshormone mindern dann die Leistungsfähigkeit. Sie reduzieren das Energieangebot durch eine verminderte Glukoseaufnahme, so dass trotz erhöhtem Energiebedarf weniger Energie zur Verfügung steht (Spitzer 2007: 171 und Schirp 2006: 118). Mit Hinweis auf sensible Phasen für die Entwicklung von Synapsen und Neuroplastizität in Kindheit und Jugend und der Bedeutung ihrer stressfreien Nutzung wird immer deutlicher, welch hohen Stellenwert die Lebensumwelt und deren Beschaffenheit hat. Dies erhält auch Bestätigung durch die Bindungsforschung. Aber nicht nur in diesen Phasen sind emotionale Sicherheit und ein anregendes Umfeld für das Lernvermögen maßgeblich. Diese Erkenntnisse der Neurowissenschaften werden die Didaktik in Schule und Erwachsenenbildung neu beleben und auch die Supervision.
Wie weiter oben schon erwähnt, ist die Luhmannsche Konzeption auf Grund Ihrer Vernachlässigung emotionaler und affektiver Prozesse, hier stimme ich Tom Levold (2004) zu, für die supervisorische Arbeit  nur bedingt brauchbar. Im sozialen System Supervision werden Menschen beraten, geschieht Beziehungsarbeit, Gefühle werden kommuniziert und es wird u.U. über Gefühle kommuniziert. Gefühle, Gedanken, Vorstellungen oder Bedeutungszuschreibungen anderer sind zwar selbst nicht direkt sichtbar, wohl aber deren Verhaltensäußerungen; damit sind sie erschließbar und benennbar. Wir können zudem genau darüber in Kommunikation treten. Supervisionssysteme „ können dann transparenter werden, wenn über die laufenden Interaktionen (z.B. durch zirkuläre Fragen) Beschreibungen der jeweils anderen Systemmitglieder gebildet werden, die es erlauben, deren Verhalten vorläufig und wahrscheinlich zu erklären. Die Beschreibungen können in der weiteren Kommunikation getestet, wenn nötig revidiert und darüber gebündelt werden“ (Neumeyer 2004: 51).

5. Systemische Supervision und die Beobachtung der Beobachtung

Beobachtung ist der systemische Begriff für Diagnostizieren oder - um sprachlich konsequent zu sein - für Hypothesenbildung. Da Beobachtungen – wie bereits erwähnt – keine objektiven Wahrheiten oder Abbilder von Wirklichkeit liefern, bevorzugen systemische SupervisorenInnen  den Begriff Hypothesenbildung, denn dieser impliziert, anders als „Diagnose“, einen Kontingenzvorbehalt. Auch der Begriff der Intervention ist, da er Instruierbarkeit unterstellt, mit systemischem Denken nicht kompatibel und wird hier ersetzt durch Begriffe wie Irritation, Perturbation oder Störung. Interventionen sind also geplante Störungen. Diese können brauchbar sein für das jeweilige Arbeitssystem oder eben nicht und werden dann durch das Beobachtungssystem Supervision durch neue, vielleicht brauchbarere Störungen ersetzt. SupervisorenInnen sind Beobachter von Beobachtern.
Die für Hypothesenbildung in der Supervision relevanten Fragen sind nach Kersting (2002: 164, 165) folgende:
Welche Bezeichnungen werden benutzt?
  • Welche Unterscheidungen werden benutzt?
  • Welche werden ausgegrenzt? (Tabus, Geheimnisse)
  • Welche Beschreibungen werden damit gegeben?
  • Welche Erklärungen werden damit gegeben?
  • Welche Bewertungen werden damit gegeben?
  • Welche Zeitperspektive (Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart) wird verwendet?
  • Welches Handeln eröffnet sich auf der Grundlage dieser Beobachtungen?
Nach Spencer–Brown heißt Beobachtung Unterscheiden und Bezeichnen (alles Gesagte wir von einem Beobachter gesagt) und ist neben dem Operieren und der Grenzziehung bzw. Abgrenzung gegenüber der Umwelt eine weitere zentrale Aktivität von Systemen. Die Beschreibung eines Systems anhand von Unterscheidungen wird Beobachtung genannt Beobachtung findet dann statt, wenn ein System aus der Feststellung eines Unterschieds, einer Differenz, eine Information (Bezeichnung) gewinnt und verarbeiten kann. Informationen bestehen aus Unterschieden, die, wie bereits erwähnt, einen Unterschied machen. Dieser Unterschied entsteht durch die Bedeutungszuschreibung des kommunizierten Inhalts durch das Individuum. Unterscheidungen dienen zur Reduzierung der Komplexität auf ein verarbeitbares Maß. Sie geben Orientierung und sind Grundlage für das Treffen von Entscheidungen. Reduktionen sind immer auch Selektionen.
In der Beobachtung 1. Ordnung beobachtet ein Beobachter die Welt oder Ausschnitte der Welt oder auch Objekte in ihr, und zwar so, als ob sie ihm wie äußere Gegenstände gegenüber stünden. Die zentrale Fragestellung lautet: was wird beobachtet? Die Beobachtung erster Ordnung sieht auf Grund der einseitigen Ausrichtung auf das Beobachtete konstitutiv nur die bezeichnete Seite der Unterscheidung. Die andere, die nicht bezeichnete Seite ist ihr „blinder Fleck“.
Die Beobachtung zweiter Ordnung dagegen beobachtet nun die Beobachtung erster Ordnung im Hinblick auf deren bezeichnete und unbezeichnete Seite. Sie sieht daher – im Gegensatz zur Beobachtung erster Ordnung – beide Seiten der Unterscheidung, die die Beobachtung erster Ordnung unterschieden hat und kann nun genauer nachfragen, was ist die andere Seite der Unterscheidung oder wie genau wurde unterschieden? Die Vorzugsfrage einer Beobachtung zweiter Ordnung lautet wie, d. h. mit welchen Unterscheidungen, beobachtet der Beobachter? (Und: „Warum so und nicht anders?“).
Die Beobachtung zweiter Ordnung ist immer auch eine Beobachtung erster Ordnung. Auch sie muss ihren Gegenstand, die Beobachtung erster Ordnung, bezeichnen und dadurch von etwas unterscheiden: Was ist die andere Seite der bezeichneten Unterscheidung? Die Beobachtung zweiter Ordnung ist weniger und sie ist mehr als die Beobachtung erster Ordnung. Sie ist weniger, weil sie nur Beobachter beobachtet und nichts anderes. Sie ist mehr, weil sie nicht nur diesen, ihren Gegenstand sieht , sondern auch noch sieht, was er sieht und wie er sieht, und evtl. sogar sieht, was er nicht sieht, und sieht, dass er nicht sieht, dass er nicht sieht, was er nicht sieht“ (Luhmann 1990).
Für die Supervision ist wichtig zu wissen, dass jede unserer Beobachtungen ihren blinden Fleck hat und sie sich selbst aktuell nicht sehen kann. Jede Beobachtung beginnt mit einer Unterscheidung, einer Differenz, und damit einer Zerstörung von Einheit. Beobachtungen fokussieren auf bestimmte Ausschnitte der Realität und erzeugen so einen „Rest“, einen abgedunkelten, ausgegrenzten, weggelassenen Teil der Beobachtung (Weik/Lang 2001). Im Moment der Beobachtung sehen wir weder die andere Seite der Beobachtung, noch die aktuell benutzte Unterscheidung noch die anderen auch möglichen Unterscheidungen. Diese Blindheit lässt sich nur mit Hilfe von weiteren Beobachtungen im Nachhinein beobachten, wobei diese dann aktuell selbst wieder blind sind. Blinde Flecken sind also letztlich nicht vermeidbar, wohl austauschbar.
Die Beobachtung der Inhalte der Kommunikation und der Beziehungen zwischen den Kommunikationspartnern kam mit Watzlawick in die supervisorische Arbeit. Zur Beobachtung von einzelnen Personen und deren Kommunikationsäußerungen kam mit dem systemischen Denken die Beobachtung des gesamten Systems hinzu. In diesem Sinne verstehe ich die systemische Sichtweise als eine Ergänzung meines Supervisionskonzeptes und nicht als ein „entweder –oder“. Systemische Supervision bedeutet für mich die Beobachtung eines Sozialen Systems, mit anderen Worten: Beobachtung 2. Ordnung und die Beobachtung der Psychischen Systeme insbesondere in ihren Auswirkungen auf die Beziehungsebene. Als Beobachtungshinweise für die Supervision möchte ich deshalb den bereits oben genannten folgende noch hinzufügen:
  • Beobachte die Beziehungen, Gefühle und Affekte!
  • Beobachte die Beobachtung und die Beobachter!
  • Beobachte das Supervisionssystem und seine Umwelt!
  • Beobachte Dich selbst!
Wie vorher schon erwähnt, sind die Psychischen Systeme nach Luhmann jedoch nicht Bestandteil des Systems sondern sie sind Umwelt. Aber selbst die Luhmannsche Konzeption psychischer Systeme umfasst keine Gefühle oder Affekte sondern lediglich Gedanken, Kognition. Es ist „ein entsubjektiviertes beobachtbares, beobachtendes System.“ (Krause 1996: 164) Arbeitssysteme sind zwar ohne Personen nicht denkbar, aber Personen, Bewusstseinssysteme, die Supervisanden werden der Umwelt zugerechnet. Konsequenter Weise sind lediglich die Spielregeln des Arbeitssystems und deren Veränderung Gegenstand von Beobachtung und Ziel von Irritationen und Störungen. Diese Sichtweise halte ich zwar für brauchbar in der Supervision, allerdings sie alleine scheint mir nicht auszureichen, wie im vorigen Kapitel bereits dargelegt. Ich grenze mich hier von der radikal systemischen Auffassung ab und nutze neben der Luhmannschen Sichtweise psychodynamische Konzepte, mit denen die Individuen, Emotionen und Affekte, die Gruppendynamik und Beziehungen der Supervisanden untereinander und deren Qualität beobachtbar werden. Der Switch zwischen systemisch-konstruktivistischen Sichtweisen und psychodynamischen bietet für die Supervision einen enormen Erkenntnisgewinn. Aus diesem Grunde umfasst der von mir geleitete Masterstudiengang Supervision auch beide Konzepte: systemisch-konstruktivistische und psychodynamische.
Eine wichtige Komponente für erfolgreiches Supervisieren ist die Beziehung zwischen SupervisorIn und den Supervisanden und das Beziehungsgeflecht der Supervisanden untereinander und zur Organisation. Diese Beziehung wiederum wird maßgeblich geprägt durch die Haltung. Hieraus erwachsen die Impulse für Erfolg oder Nicht-Erfolg der Supervision. Wenngleich Supervisanden, Systeme nicht instruierbar sind, so sind sie doch beeinflussbar. Die Gestaltung von Nähe – Distanz, der Dialogkultur, der supervisorischen Interventionen im Sinne von Irritationen, hat Einfluss auf Inhalte und Beziehungen, Gefühle und Gefühlslagen und die daraus resultierenden Dynamiken. Lernklima und Lernbereitschaft hängen maßgeblich hiervon ab (hierzu sowie zum Thema Gruppendynamik, Gruppenphasen, Prozesse in Gruppen siehe auch Krapohl 1987 und 1997). Diese Zusammenhänge und Wirkungen zu reflektieren und gegebenenfalls zu metakommunizieren, gehört zum supervisorischen Handwerk.
Was lässt sich nun aus dem bisher Gesagten für die Haltung systemischer Supervisoren/innen folgern? Die Grundlage der professionellen Beziehung sind für mich: Achtung, Respekt und Würde vor den (und dem) jeweils anderen und deren Wirklichkeitskonstruktionen. Sie respektieren Menschen als selbstverantwortlich handelnde Personen. Das verpflichtet zu entsprechender Zugewandtheit und Aufmerksamkeit aber auch zu einer respektvollen Respektlosigkeit gegenüber Problemerzeugenden Mustern in sozialen Systemen. Systemische SupervisorenInnen missionieren nicht, sie gehen eher ethnologisch vor und begegnen erstarrten „Wahrheiten“ bei sich selbst und anderen mit Kontingenz und der sich daraus ergebenden Bescheidenheit im Auftreten.  Sie befolgen den ethischen Imperativ von Heinz von Foerster: „Handle stets so, dass weitere Möglichkeiten entstehen“ (1985: 60) und verhelfen durch Multiperspektivität zu neuen Sichtweisen und erweitern damit Denk- und Handlungsmöglichkeiten.
Systemische Supervision bemüht sich um Allparteilichkeit und arbeitet kontextbezogen, lösungs- und ressourcenorientiert. Reflexion und Lösungsorientierung werden nicht linear – kausal gedacht sondern zirkulär. Sie ist sowohl auftragsbezogen als auch prozessorientiert. Im Fokus stehen die Wechselwirkungen von Person, Rolle, Funktion, Auftrag und Organisation. Symptome werden verstanden als Ausdruck von momentanen Schwierigkeiten bei notwendigen Neuanpassungen an eine veränderte Situation und werden auf der Folie betrachtet, welche Funktion sie für das System und den Symptomträger haben. Sie werden gewürdigt, als derzeit beste zur Verfügung stehende „Lösung“.
Ich selbst bezeichne mein Supervisionskonzept als integrativ – systemisch – lösungsorientiert. Ich integriere das in mein Supervisionskonzept, was eine Erweiterung professioneller Handlungskonzepte verspricht und der Kompetenzentfaltung und dem persönlichen Wachstum von Fachkräften dient, und was kompatibel ist mit meinen oben dargelegten Grundauffassungen. Wie sich das methodisch in Supervision umsetzen lässt, zeigt der folgende Beitrag von G. Keil auf.


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