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Vorabdruck aus Yvonne Dolan: Schritt für Schritt zur Freude zurück. Das Leben nach dem Trauma meistern

Dolan Schritt für Schritt Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2009 (September)

220 S., kartoniert

Preis: 19,95 €

ISBN-10: 389670706X
ISBN-13:
978-3896707062

Verlagsinformation:
Traumatische Erfahrungen können jeden treffen, und sie tun dies meist ohne Vorwarnung. Ihre Folgen zeigen sichmitunter erst spät und können für die Betroffenen große Einschränkungen mit sich bringen. Der Weg aus dem Trauma mag lang sein, aber er beginnt bereits mit dem ersten Schritt. Schon minimale Veränderungen können das Wohlbefinden verbessern, Zuversicht wecken und nach und nach sicheren Boden unter den Füßen schaffen. Yvonne Dolan bündelt in diesem Buch ihre langjährige Erfahrung aus der lösungs- und ressourcenorientierten Psychotherapie. In 50 überschaubaren und einfachen Übungen zeigt sie, wie Betroffene Schritt für Schritt
* wieder Kontrolle über das eigene Leben gewinnen
* die Aufmerksamkeit auf die kleinen Geschenke des Alltags lenken
* Träume und Hoffnungen in sich entdecken
* eine freudige Zukunft entwerfen und verwirklichen
* Beziehungen angenehm gestalten
* mit "Flashbacks" aus der Vergangenheit umgehen
* die Herausforderungen des Alltags meistern können.

Über das gesamte Buch verstreut regen präzise Fragen und Hinweise die Fantasie für eigene Ideen und den Sinn für Möglichkeiten an.


Über die Autorin:

Yvonne Dolan arbeitete 30 Jahre lang als Psychotherapeutin. Heute hält sie weltweit Vorlesungen über lösungsorientierte Kurzzeittherapie sowie Milton Ericksons Therapieansatz und führt entsprechende Ausbildungsseminare durch. Sie ist Autorin von mehreren Büchern und zahlreichen Artikeln, u. a. über Traumatherapie und Erickson'sche Hypnotherapie bei sexuellem Missbrauch. Mit Steve de Shazer hat sie das Buch "Mehr als ein Wunder. Lösungsorientierte Kurzzeittherapie heute" publiziert.

Was tun, wenn die Vergangenheit ihr hässliches Haupt erhebt?
 
Der Buddha hat gesagt:
»Ein Reisender sieht auf  seinem
Weg einen Fluss, dessen nahes
Ufer gefährlich und beängstigend
wirkt, während das andere
Ufer ihm als sicher erscheint.
Also sammelt der Mann Äste
und Zweige und baut daraus
ein Floß, auf dem er den Fluss
überquert. Nehmen wir nun an,
dass der Reisende, nachdem er
das andere Ufer erreicht hat,
das Floß auf seinen Kopf nimmt
und damit weiterwandert …«

Stephen Mitchell

Ebenso wie dieses Floß können schmerzhafte Erlebnisse zu einer emotionalen Belastung werden, die wir ständig mit uns herumschleppen, die uns in unserer Fähigkeit beeinträchtigt, uns frei zu bewegen und unser Leben zu genießen. In diesem Kapitel geht es darum, wie Sie sich von unerwünschten Belastungen, die aus der Vergangenheit stammen, befreien können, während Sie die Früchte der Stärken und Fertigkeiten ernten, die Sie durch die Bewältigung schmerzhafter Erlebnisse erworben haben. Im ersten Abschnitt des Kapitels lernen Sie, sich von störenden Bildern zu befreien, die als Nachwirkungen traumatischer Erlebnisse auftreten. Im zweiten Abschnitt geht es um unaufgelöste Probleme, die mit früheren Beziehungen zusammenhängen. Und im letzten Abschnitt lernen Sie nutzen, was Sie im Laufe Ihres Lebens durch traumatische Erlebnisse gelernt haben. Die folgenden Übungen werden ein erhebliches Maß an Energie bei Ihnen freisetzen.

Flashbacks

Manchmal machen sich traumatische oder schmerzhafte Erlebnisse später in Form sogenannter Flashbacks (auch »Erinnerungsblitze« genannt) bemerkbar: Gedanken und innere Bilder, die sich auf solche Erlebnisse beziehen, dringen plötzlich ins Bewusstsein. Abgesehen davon, dass dies unangenehm ist und beunruhigend wirkt, kann es die Konzentration und die Fähigkeit, völlig im gegenwärtigen Augenblick präsent zu sein, beeinträchtigen.
Wenn Sie mit Menschen in Kontakt kommen oder Situationen erleben, die Sie direkt oder indirekt an unangenehme Erlebnisse erinnern, kann das Flashbacks auslösen. Auch aktuelle Erlebnisse, die scheinbar nichts mit früheren Traumata zu tun haben, können zu einem Flashback führen, wenn irgendetwas an dem betreffenden Erlebnis ein Gefühl der Verletzlichkeit oder Angst hervorruft, das einem in der Vergangenheit erlebten ähnelt.
Haben Sie schon einmal unter solchen unangenehmen Gedanken oder Bildern gelitten? Den meisten Menschen passiert das früher oder später. Wenn Sie beispielsweise schon einmal in einen Autounfall verwickelt waren oder eines Nachmittags auf der Fahrt von der Arbeit nach Hause einen Beinahezusammenstoß erlebt haben, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass später am Abend des betreffenden Tages Bilder von dem anderen beteiligten Fahrzeug oder das Geräusch quietschender Reifen in Ihrem Bewusstsein aufgetaucht sind. Einige Menschen erleben dieses plötzliche Auftauchen von Gedanken und inneren Bildern immer wieder, andere nur gelegentlich, wenn ein ähnliches traumatisches Ereignis Erinnerungen an früher erlebte Situationen der gleichen Art wiederaufleben lässt.

Claire hatte am Tag, bevor ich sie kennen lernte, miterlebt, wie ihr Partner neben seinem Auto mit vorgehaltenem Revolver ausgeraubt worden war. Obwohl weder ihm noch ihr körperlicher Schaden zugefügt worden war, hatte die Situation beide sehr verängstigt, und in der Zeit danach waren bei ihnen die beunruhigenden unerwünschten Bilder aufgetaucht, die für posttraumatischen Stress typisch sind. Einige Stunden nach dem Raubüberfall, als sie versuchten, sich in ihrem Haus zu entspannen, hatten sie den Raub unfreiwillig noch einmal durchlebt. Bilder vom maskierten Gesicht des Räubers und seinem ausgestreckten Arm mit dem bedrohlich auf Claires Partner gerichteten Revolver tauchten immer wieder auf und lösten Entsetzen aus. Sie hatten sich in jener Situation gefragt: »Wird er uns umbringen? Was wird er tun, wenn er das Geld bekommen hat?«
Wie es in Fällen posttraumatischer Belastung häufig der Fall ist, durchlebte Claire die Situation des Raubüberfalls am Abend des Vorfalls und am nächsten Tag noch mehrmals. Nachdem sie mir ihr Erlebnis geschildert hatte, brachte ich ihr die Übung »Schreiben, Lesen und Verbrennen« bei, die sich sowohl bei ihr als auch bei ihrem Partner als wirksam erwies.

Schreiben, Lesen und Verbrennen

Weil diese Übung so einfach und kurz ist, empfehle ich sie Klienten, die von traumabezogenen Gedanken und Bildern heimgesucht werden, gewöhnlich als erste. Sie wurde im Brief Family Therapy Center in Milwaukee entwickelt und führt in den meisten Fällen rasch zu einer Linderung der Belastungssymptome.

Ein kleiner Schritt

Suchen Sie sich einen Ort, an dem Sie eine Weile bequem und ungestört sitzen können. Sie brauchen ein Blatt Papier, einen Stift und ein Feuerzeug bzw. Streichhölzer.
  1. Beschreiben Sie schriftlich die Bilder oder Gedanken, die Sie plagen.
  2. Lesen Sie Ihre Beschreibung einer Person vor, die bereit ist, Sie bei dieser Übung zu unterstützen. Falls sich niemand dazu bereiterklärt, können Sie sich die Beschreibung auch selbst laut vorlesen und sich dabei vorstellen, dass Ihnen jemand, den Sie als mitfühlenden Zuhörer kennen, zuhört.
  3. Nehmen Sie das Blatt Papier mit der Beschreibung der Gedanken oder Bilder, zerreißen und verbrennen Sie es.
Indem Sie die Beschreibung Ihrer unerwünschten inneren Bilder laut vorlesen und sie anschließend verbrennen, durchbrechen Sie das Muster zudringlicher Gedanken, weil dem erinnerten traumatischen Ereignis durch dieses Verfahren symbolisch ein neues Ende und eine Auflösung hinzugefügt wird.
Sie können die Übung »Schreiben, Lesen und Verbrennen« jederzeit wiederholen, wenn solche Bilder Sie erneut plagen. Sie befreit Sie von unerwünschten Flashbacks. Manchmal muss man sie oft wiederholen, damit keine neuen unerwünschten Bilder an die Stelle der alten, verbrannten treten.
Möglicherweise werden Sie feststellen, dass diese Übung am besten wirkt, wenn man danach die folgenden Übungen »Linderung durch Zeichnen«, »Negative Botschaften umschreiben« und/oder »Heilende Briefe« durchführt.

Linderung durch Zeichnen

Wenn Sie gern zeichnen oder malen, gefällt Ihnen die folgende Übung wahrscheinlich besser als »Schreiben, Lesen und Verbrennen«. Obwohl es sich dabei um eine Abwandlung einer Technik handelt, die ursprünglich für die Arbeit mit Kindern entwickelt wurde (Crowley & Mills 2006), haben auch viele Erwachsene es mit ihrer Hilfe geschafft, den Strom negativer Gedanken zu unterbrechen und zu einer heilenden Auflösung zu gelangen. Wie die vorangegangenen Übungen ist auch diese nicht schwierig und führt meist rasch zu einer Linderung.

Ein kleiner Schritt

Sie brauchen Zeichenpapier und Farbstifte, Malkreide, farbige Marker oder Farben. Sie werden drei Bilder zeichnen oder malen. Halten Sie sich für die Übung mindestens eine Stunde frei.
  1. Zeichnen oder malen Sie die inneren Bilder oder Gefühle, die Sie mit Ihren negativen Gedanken assoziieren. Benutzen Sie Farben, die diese Bilder und Gefühle bei Ihnen am besten aktivieren. Machen Sie sich keine Gedanken über den künstlerischen Ausdruck. Sie können entweder ein »realistisches« oder ein abstraktes Bild aus Linien, Formen und Farben malen. Ganz gleich, welche Darstellungsform Sie wählen, es ist in jedem Fall die richtige, weil es die ist, für die Sie sich entschieden haben.
  2. Zeichnen oder malen Sie auf einem zweiten Blatt eine Darstellung, die das Fehlen der negativen Bilder veranschaulicht. Dieses Bild zeigt, was Sie statt der unerwünschten Flashbacks lieber erleben würden. Machen Sie sich auch dabei keine Gedanken um die Darstellung und konzentrieren Sie sich darauf, den Gedanken oder das Gefühl, das Sie darstellen wollen, so zu zeichnen oder zu malen, wie es Ihnen richtig erscheint.
  3. Malen oder zeichnen Sie auf einem dritten Blatt, wie Sie von dem auf dem ersten Bild dargestellten Gemütszustand zu dem auf dem zweiten Bild dargestellten kommen könnten.
  4. Zerreißen Sie das erste Bild.
Linda wurde von ihrem Kunstlehrer am College sexuell belästigt. Als sie sich dagegen zur Wehr setzte, äußerte er sich im Unterricht abfällig über ihre Arbeit. Statt sie konstruktiv zu kritisieren, machte er sie lächerlich und demütigte sie vor ihren Kommilitonen.
Durch zähe Entschlossenheit gelang es Linda, die verbalen Übergriffe des Lehrers so lange zu ertragen, bis der Kurs bei ihm zu Ende war und sie ihren Abschluss in Kunst geschafft hatte. Obwohl dieses Erlebnis ihr Selbstvertrauen erschüttert hatte, hörte sie nie auf, in ihrer Freizeit zu malen, und im Laufe der Zeit wurde sie wieder ein wenig selbstsicherer. Schließlich erkannten ihre Kollegen die Qualität ihrer Arbeiten und lobten sie.
Als Linda dann eingeladen wurde, ihre Arbeit in einer von einer Jury betreuten Ausstellung zu präsentieren, machte sich der unheilvolle Einfluss des Lehrers in Form von Flashbacks wieder bemerkbar. Plötzlich fiel ihr wieder eine vernichtende Äußerung des Mannes ein: »Bemerkenswert an Ihrer Arbeit ist nur, wie deutlich sie zeigt, dass Sie keinerlei Talent haben.« Am belastendsten an diesem Flashback war für Linda der Ausdruck der Verachtung auf dem Gesicht des Lehrers. Dieses Bild tauchte immer wieder vor ihrem geistigen Auge auf und unterminierte ihr hart erarbeitetes Selbstvertrauen.
Weil Zeichnen und Malen Lindas bevorzugtes Mittel des Selbstausdrucks war, empfahl ich ihr, die Übung »Linderung durch Zeichnen« auszuführen, um sich von der verinnerlichten unerwünschten (und unzutreffenden!) Botschaft zu befreien. Zunächst zeichnete Linda ein Bild von sich als Studentin, auf dem der Lehrer, der sie kritisiert hatte, über ihr stand. Der Mann war auf dem Bild wesentlich größer als sie. Auf dem zweiten Bild zeichnete Linda sich vor einer Ausstellung ihrer Bilder, wobei ihr Gesicht heiter und glücklich wirkte.
Das dritte Bild sollte veranschaulichen, wie sie vom ersten Bild zum zweiten Bild kommen könnte. Hier zeichnete Linda sich im Kreise von Lehrern und Kollegen, die sie unterstützten – einigen, die sie schon früher gekannt hatte, und anderen, die sie mittlerweile neu kennen gelernt hatte. Der Lehrer, der ihr so übel mitgespielt hatte, stand außerhalb des Kreises, und es war ihm nicht möglich, in Lindas Nähe zu kommen. Er war auf diesem Bild kleiner als Lindas Kollegen und als andere Lehrer und auch kleiner als auf dem Bild, das Linda von ihm in Erinnerung hatte.
Dann zerriss Linda das erste Bild. Die beiden anderen behielt sie und schaute sie sich jedes Mal an, wenn sie Zweifel wegen der bevorstehenden Ausstellung hatte. An der Ausstellung teilzunehmen war für sie ein heilendes Erlebnis und ein Wendepunkt in ihrer Karriere.

Negative Botschaften umschreiben

Unzutreffende und unerwünschte negative Botschaften von Eltern, Betreuern, Lehrern und anderen Autoritätspersonen finden manchmal ungewollt Eingang in unser Selbstbild. Wenn das dominierende Merkmal von Lindas traumatischen Flashbacks die negative Botschaft des Lehrers über den Wert ihrer Arbeit gewesen wäre, also nicht der Gesichtsausdruck des Mannes, hätte ich ihr empfohlen, die folgende Übung auszuprobieren.

Ein kleiner Schritt

Denken Sie darüber nach, welche negative oder destruktive Botschaft aus der Vergangenheit Ihr Selbstvertrauen oder einen positiven Blick auf Ihr Leben beeinträchtigt. Denken Sie sich nun eine neue und gesunde Botschaft aus, die Sie gern anstelle der negativen erhalten würden. Schreiben Sie diese neue Botschaft zunächst mit Ihrer dominanten und dann mit Ihrer nicht dominanten Hand mehrmals auf, bis Sie das Gefühl haben, dass es sich um einen vertrauten Bestandteil Ihrer inneren Überzeugung handelt.

Indem Sie sowohl Ihre nicht dominante Hand als auch diejenige benutzen, mit der Sie normalerweise schreiben, wird die Botschaft mit Ihrer rechten Gehirnhälfte verbunden, der Hemisphäre, von der Neurologen annehmen, dass sie mit unbewussten Prozessen assoziiert ist. Ausgehend davon, dass Sie sowohl auf unbewusster als auch auf bewusster Ebene eine negative Botschaft aufgenommen haben, wird durch das Aufschreiben der gleichen Botschaft mit beiden Händen die korrigierende Information umfassend aufgenommen.
Die Wirkung der neuen, positiven Botschaft lässt sich durch das mehrmalige Aufschreiben fördern. Machen Sie sich keine Gedanken, wenn Sie beim ersten Aufschreiben der neuen Botschaft nicht das Gefühl haben, dass diese »echt« oder zutreffend ist; sie wird ganz allmählich in Ihr Verhalten und in die Art, wie Sie sich selbst und Ihr Leben denken, Eingang finden.

Marly, eine begabte Pianistin, hatte viel Freude daran, klassische Klavierstücke einzustudieren. Doch jedes Mal, wenn ihr Mann oder ihre Freunde sie baten, etwas für sie zu spielen, erstarrte sie vor Angst, weil sie sich dann an wütende Äußerungen ihres Vaters erinnerte.
Als Marly sechs Jahre alt gewesen war, hatte sie sich damit abgemüht, die simple Melodie eines Übungsstücks zu erlernen, das sie in der nächsten Klavierstunde vorspielen sollte. Ihr Vater, ein Alkoholiker, war an jenem Nachmittag zu Hause gewesen und hatte versucht, seinen Kater auszuschlafen. Durch das Klavierspiel geweckt, war er wütend geworden und hatte das kleine Mädchen angeschrien: »Nicht einmal eine einfache Melodie kannst du spielen, du Idiotin! Mach die Tür zu. Niemand will dieses Geklimper hören.«
Ich forderte Marly auf, sich Gedanken zu machen, durch welche Botschaft sie jene schmerzliche Botschaft aus ihrer Kindheit ersetzt sehen wolle. Sie dachte einige Augenblicke nach, und schließlich fiel ihr ein, was sie ihrer eigenen Tochter jedes Mal sagte, wenn diese Klavier übte: »Du wirst jedes Mal besser, wenn du spielst, und ich freue mich jedes Mal, wenn ich dich spielen höre.« Marly schrieb diese Botschaft für sich selbst auf, zunächst mit ihrer dominanten und anschließend mit der nicht dominanten Hand. Dieses Prozedere wiederholte sie im Laufe der nächsten Tage noch ein paar Mal, bis sie die Botschaft als natürlich empfand und sich damit wohl fühlte.

Beziehungen, die noch nicht abgeschlossen sind

Negative Gedanken und Bilder können mit starken Gefühlen verbunden sein, die eine wichtige frühere Bezugsperson betreffen. Ihre Beziehung zu solchen Menschen fühlt sich häufig nicht abgeschlossen oder irgendwie unfertig an.
Probleme aufzulösen, die in der Vergangenheit entstanden sind und bei denen eine andere Person im Spiel ist, kann schwierig werden, wenn dies nur unter Beteiligung der anderen Person möglich ist. Auch wenn Sie selbst bereit sind, aktiv an der Auflösung der emotionalen Belastung zu arbeiten, muss das bei der anderen Person nicht unbedingt der Fall sein. Möglicherweise ist sie nicht bereit bzw. physisch oder mental nicht in der Lage, die Konflikte, die sie mit Ihnen hatte, zu lösen.

Carla war von ihrem Großvater sexuell missbraucht worden. Obwohl dies mittlerweile schon einige Jahre her war, litt sie immer noch unter den seelischen Verletzungen und der Wut über das Erlebte. Sie wünschte sich, ihr Großvater möge seine Schuld eingestehen und bereuen, dass er ihr Schmerz zugefügt hatte. Doch da er mittlerweile an Alzheimer erkrankt und die Krankheit bereits weit fortgeschritten war, würde es dazu wohl nicht kommen. Er erkannte die Mitglieder seiner Familie schon nicht mehr und war nicht mehr in der Lage, eigenverantwortlich und rational über die Dinge, die Carla mit ihm besprechen wollte, nachzudenken.
In Fällen wie diesen ist die Person, mit der Sie in der Vergangenheit ein Problem gehabt haben, für Sie nicht mehr erreichbar oder bereits tot. Möglicherweise ist auch die Person, die Ihnen Unrecht angetan hat, nicht bereit, unter die Probleme, die sie mit Ihnen hatte, einen Schlussstrich zu ziehen. Kathys Ehe endete, als ihr Mann Dave plötzlich sie und ihre beiden Kinder im Vorschulalter für eine andere Frau verließ. Er verweigerte jede Erklärung. Noch Jahre später lehnte er es ab, über das Geschehene zu reden. Nach der Scheidung suchte Kathy den Kontakt zu anderen Männern, doch sobald sich eine ernstere Beziehung anbahnte, standen ihr ihre unaufgelösten Gefühle Dave gegenüber im Wege. Kathy merkte, dass sie die Wut und das Misstrauen, die in ihrer Ehe entstanden waren, auf ihre neuen potenziellen Partner projizierte.

Die Übung »Heilende Briefe« vermag den Schmerz über unabgeschlossene Beziehungen wie die soeben beschriebenen aufzulösen. Weil oft Menschen, mit denen Sie in der Vergangenheit ein Problem hatten, nicht bereit oder in der Lage sind, sich an der abschließenden Auseinandersetzung mit diesem Problem zu beteiligen, setzt die Durchführung dieser Übung die Mitwirkung der anderen Seite nicht voraus.
Die heilenden Briefe helfen Ihnen, problematische Situationen auf eine Weise zu bewältigen, die Ihnen unmöglich wäre, wenn Sie dabei auf entsprechende Reaktionen derjenigen, die Ihnen Unrecht angetan haben, angewiesen wären. Wenn die andere Person erreichbar ist und bereit, mit Ihnen zusammen an der Auflösung früherer Konflikte zu arbeiten, können die Briefe Ihnen zur Vorbereitung auf reale Gespräche mit den Betreffenden dienen.
Die heilenden Briefe zu schreiben wird Ihnen helfen, sich von negativen Botschaften über das, was Ihnen angetan wurde, zu befreien – von unzutreffenden verinnerlichten Botschaften über Sie selbst, die Sie sich aufgrund des erlebten Missbrauchs oder Traumas unbewusst und unkritisch angeeignet haben.

Heilende Briefe

Bitte lesen Sie sich alle Anweisungen in diesem Abschnitt durch, bevor Sie mit der Übung beginnen.
Schreiben Sie die heilenden Briefe möglichst auf. Sie können sie aber auch laut vorlesen oder sie sich im Geiste vorstellen. Dennoch fallen die Resultate in der Regel am besten aus, wenn sie aufgeschrieben werden.
Adressieren Sie Ihre Briefe an die Person, der gegenüber Sie Emotionen nicht vollständig ausgedrückt haben. Schreiben Sie Ihre Briefe nicht in der erklärten Absicht, sie tatsächlich abzuschicken; gestehen Sie sich die Freiheit zu, alles zu schreiben, was Sie schreiben wollen oder müssen. (Nach Abschluss der Übung können Sie einen weiteren Brief verfassen, den Sie abschicken, wenn Sie dies wollen. Doch wenn Sie sich schon beim Schreiben vorstellen, wie solch ein Brief wirken wird, kann das die therapeutische Wirkung des Schreibens beeinträchtigen, weil Sie sich nicht mehr ungefiltert ausdrücken können.)
Im Rahmen der Übung verfassen Sie vier Briefe. Den ersten schreiben Sie ohne Unterbrechung. Den dritten Brief müssen Sie unmittelbar nach dem zweiten verfassen. Dadurch wird gewährleistet, dass dieser Prozess therapeutisch (also heilend) und nicht traumatisierend wirkt. Den vierten Brief können Sie zu einem anderen Zeitpunkt fertigstellen.
Nehmen Sie sich für den ersten Brief eine Stunde Zeit, für die Briefe zwei und drei zusammen zwei Stunden und für Brief vier eine Stunde. Wie viel Zeit Sie zum Verfassen bestimmter Briefe benötigen, hängt jeweils sowohl von Ihrer individuellen Verarbeitung ab als auch von der Komplexität der früheren Beziehung oder Situation, um die es in Ihrem Brief geht. Die Briefe werden in der Regel im Laufe von drei aufeinanderfolgenden Tagen geschrieben; Sie können dazwischen aber auch mehr Zeit verstreichen lassen.
Sie können die heilenden Briefe, falls erforderlich, mehrmals schreiben, um Ihr Gefühl zu verstärken, dass das Problem wirklich aufgelöst ist, und um eventuelle noch bestehende andere belastende Gefühle aufzulösen. Falls das Schreiben der Briefe bei Ihnen Gefühle aktiviert, die Sie als unerträglich empfinden, rate ich Ihnen, nicht zu zögern, sich für die Bewältigung Ihrer Schmerzen oder Ihrer Wut Hilfe zu suchen. Sie verdienen Hilfe und Trost. Wenn Sie von den Menschen in Ihrer Umgebung die erforderliche Hilfe nicht bekommen, wenden Sie sich am besten an einen Psychotherapeuten.

Ein kleiner Schritt

Erster Brief: Nicht aufgelöste Gedanken und Gefühle loslassen

Adressieren Sie diesen Brief an die Person, mit der Ihre unvollständig ausgedrückten Gefühle oder ungelösten Probleme zusammenhängen. Beschreiben Sie, welchen Einfluss es auf Sie hatte, diesen Menschen zu kennen, und wie die Worte oder Handlungen des Betreffenden auf Sie gewirkt haben. Beziehen Sie in den Brief eine Aussage darüber ein, welche Reaktion Sie sich von diesem Menschen auf Ihren Brief wünschen.
Der erste Brief soll Ihnen die Möglichkeit geben, Ihre Gedanken oder Gefühle über die Geschehnisse in der früheren Beziehung, die Sie immer noch schmerzen, auszudrücken und in stärkerem Maße zuzulassen.

Zweiter Brief: Verinnerlichte negative Botschaften loslassen

Verfassen Sie eine imaginäre Antwort der Person, an die Sie im ersten Brief geschrieben haben. Darin sollen Ihre Ängste darüber zum Ausdruck kommen, was die andere Person Ihnen antworten könnte, sowie auch die Ängste, die Sie haben, weil die andere Person sich weigert, sich mit dem, was Sie im ersten Brief ausgedrückt haben, auch nur auseinanderzusetzen, geschweige denn, es verstehen zu wollen. Der zweite Brief soll Ihnen helfen, sich von negativen Überzeugungen oder Botschaften zu befreien, die Sie aufgrund der Handlungen der anderen Person verinnerlicht haben. Im Anschluss an den zweiten Brief sollten Sie sofort den dritten schreiben.

Dritter Brief: Verinnerlichte Hoffnungen loslassen

Schreiben Sie nun eine andere imaginäre Reaktion der Person auf, die Ihnen Unrecht zugefügt hat. Bringen Sie diesmal anders als im zweiten Brief die Hoffnungen und Wünsche zum Ausdruck, die Sie im Hinblick auf die Reaktion der anderen Person haben. Kommunizieren Sie die Bereitschaft der anderen Person, die Verantwortung für das, was sie Ihnen angetan hat, zu übernehmen und durch eine mitfühlende Reaktion auf den Groll, den Sie im ersten Brief zum Ausdruck gebracht haben, ihre Reue auszudrücken. Dieser dritte Brief zielt auf die heilende Auflösung ab, die mit der erwünschten oder erhofften Reaktion verbunden ist.

Vierter Brief: Sich selbst befreien

Schreiben Sie nun noch einen letzten Brief an die Person, die Sie verletzt hat. Antworten Sie auf das, was sie Ihnen im dritten Brief mitgeteilt hat, und reflektieren Sie die Veränderungen und die befreiende Wirkung, die dies auf Sie hatte. Berücksichtigen Sie alles, was Sie im ersten Brief nicht erwähnt haben oder was Ihnen erst später eingefallen ist.
Sie können diesen Brief sofort nach dem dritten Brief schreiben, aber auch erst einige Tage, Wochen oder Monate später. Ein Zeichen dafür, dass das Schreiben der heilenden Briefe seinen Zweck erfüllt hat, sind Gefühle des Friedens und Trostes, die sich im Anschluss daran einstellen.

Ein Beispiel: Die Wirkung heilender Briefe

Roberta war noch als Erwachsene wütend auf ihren Stiefvater, der ihre jüngeren Schwestern sexuell missbraucht und ihre Mutter körperlich misshandelt hatte. Obwohl mehrere Familienmitglieder bezeugen konnten, was der Mann getan hatte, stritt er es nach wie vor ab, und die betroffenen Frauen schafften es nicht, unter die Probleme, die sie mit ihm gehabt hatten, einen Schlussstrich zu ziehen.
Wegen des Schmerzes und Grolls, den Roberta noch immer empfand, fiel es ihr schwer, ihrem Freund zu vertrauen, und manchmal wurde sie unverhältnismäßig wütend auf ihn. Nachdem sie diese Gefühle, die eigentlich ihrem Stiefvater galten, Näher betrachtet hatte, wurde ihr klar, dass sie diese auf ihre gegenwärtige Beziehung übertrug. Durch das Schreiben der heilenden Briefe gelang es ihr, sich von dieser emotionalen Last zu befreien, und sie lernte, eine gute Beziehung mit ihrem Freund zu führen.

Erster Beispielbrief

Roberta adressierte diesen Brief an ihren Stiefvater und beschrieb darin, was er getan hatte, wie sie sich deswegen fühlte und was sie sich von ihm wünschte.

Hallo Roger,
du hast meine kleinen Schwestern und Kusinen sexuell missbraucht, und du hast meine Mutter geschlagen. Im Laufe der Jahre habe ich gehofft, du würdest irgendwann erklären, dass dir leid tut, was du getan hast. Ich bin immer noch sehr wütend auf dich, weil du meine Schwestern und Kusinen und meine Mutter so sehr verletzt hast. Es hat mir sehr weh getan mit anzusehen, was du ihnen angetan hast. Du hast sie nicht nur missbraucht, sondern ihnen außerdem die Botschaft vermittelt, dass ihre Gefühle keine Rolle spielten. Sie alle hatten Schwierigkeiten, an sich selbst zu glauben, und sie alle hatten nicht genügend Selbstver- trauen, um in ihrem Leben zu tun, was sie gern getan hätten. Deshalb haben sie es sehr schwer gehabt. Sie hatten Probleme mit ihren Arbeitgebern, und sie suchen sich wie Mutter immer wieder Männer aus, die sie schlagen.
Du hast dich immer geweigert, zu dem zu stehen, was du getan hast. Nicht einmal Jahre später, als sie mit dir zu reden versuchten, hast du die Wahrheit gesagt, und du hast dich auch niemals entschuldigt. Durch dein fortgesetztes Leugnen hast du es ihnen noch zusätzlich erschwert, die Folgen des Missbrauchs zu überwinden. Deshalb bin ich sehr wütend und traurig. Wenn ich sehe, was du bei ihnen angerichtet hast, fällt es mir schwer, anderen Männern zu vertrauen – das gilt sogar für die freundlichen und guten Männer aus meiner Kirchengemeinde. Ich fürchte Immer wieder, dass sie sich irgendwann so verhalten werden wie du.
Ich schreibe dies, weil ich möchte, dass du zu dem, was du getan hast, stehst. Ich möchte, dass du sagst, dass es dir leid tut, damit meine Schwestern und meine Mutter und ich dir vergeben können. Ursprünglich wollte ich zu dem vorigen Satz noch hinzufügen: »damit wir alle unbeschwerter weiterleben können.« Tatsache ist jedoch: Ich habe mich entschlossen, mein Leben unabhängig davon, ob du dich entschuldigst oder nicht, nach meinen Vorstellungen zu führen. Du wirst mein zukünftiges Leben nicht ruinieren.
Gruß
Roberta

Zweiter Beispielbrief

Roberta schrieb die folgende Antwort Rogers, um sich von allen Ängsten und negativen Botschaften zu befreien, die sie möglicherweise verinnerlicht und in ihr Unbewusstes verbannt hatte.

Hallo Roberta, nicht zum ersten Mal bin ich entsetzt über deine verrückten und verzerrten Wahrnehmungen. Du versuchst, deine eigenen Fehl- schläge und die Misserfolge deiner Mutter und deiner Schwestern darauf zurückzuführen, dass ich sie missbraucht und misshandelt hätte. Ich habe weder ihnen noch deinen Kusinen jemals etwas getan. Und ich habe auch nie deine Mutter verletzt. Sie lügen, genauso wie du. Du versuchst, mir etwas anzuhängen und meine Beziehung zu Eurer Mutter zu stören. Ich bin froh, dass ich dich nie mehr wieder sehen werde.
Gruß
Roger

Dritter Beispielbrief

Roberta schrieb die folgende imaginäre Antwort Rogers auf, um sich von alten Hoffnungen und Sehnsüchten zu lösen, die sich auf das bezogen, was sie von ihm hätte hören wollen, weil sie mit dem Erlebten abschließen und sich psychisch davon lösen wollte.

Hallo Roberta,
ich war sehr traurig, nachdem ich deinen Brief gelesen hatte und mir klar geworden war, welche schrecklichen Auswirkungen das hatte, was ich getan habe. Was ich deiner Mutter und deinen Schwestern und Kusinen angetan habe und dass ich dich dadurch verletzt habe, tut mir sehr leid. Du sollst wissen, dass ich damals nicht darüber nachgedacht habe, dass mein Verhalten eine so schreckliche Wirkung auf deine Mutter und die kleinen Mädchen und auf dich haben würde. Wenn ich darüber nachgedacht hätte, hätte ich sie niemals missbraucht und deine Mutter nie geschlagen.
Ich weiß, dass ich das, was ich getan habe, niemals wiedergutmachen kann; aber ich werde es versuchen, indem ich für deine Schwestern und deine Kusinen die psychologische Beratung bezahle und sie so in ihren Bemühungen unterstütze, wieder gesund zu werden. Deiner Mutter habe ich gesagt, dass mir  das, was ich getan habe, leid tut. Ich hoffe, du und sie alle werden mir vergeben können. Ich wünsche dir alles Gute. Ich wünsche dir ein gutes Leben, ein Leben, das die üblen Dinge ausgleicht, die in deiner Kindheit in deiner Familie geschehen sind.
Gruß
Roger

Vierter Beispielbrief

Roberta antwortet hier auf den dritten Brief, um mit der Problematik endgültig abzuschließen.

Hallo Roger,
ich danke dir dafür, dass du bereit warst, dir anzuhören, was ich dir sagen musste, und ich danke dir auch für deine Antwort. Das hat für mich vieles verändert. Mein Herz ist ein weniger leichter geworden. Ich wünsche dir Gottes Licht und Frieden auf deiner weiteren Lebensreise.
Gruß
Roberta

Wie Sie von Ihrer Vergangenheit profitieren können

Allen, ein 32-jähriger Lehrer, war von zwei Fremden ohne ersichtlichen Grund zusammengeschlagen worden. Er erklärte, weshalb er sich zu einer psychotherapeutischen Beratung bei mir entschlossen hatte: »Ich hatte immer das Gefühl, dass Dinge aus einem bestimmten Grund geschehen, aber ich kann mir einfach nicht erklären, wie ich mir das, was diese beiden Kerle mir angetan haben, verdient haben soll. Ich frage mich immer wieder: ›Warum ist das nur passiert?‹«

Ich versuchte, ihm klar zu machen, dass üble Dinge manchmal völlig ohne jeden Grund passieren und dass dies eine der Tragödien der menschlichen Existenz ist. Während einige Menschen es als tröstlich empfinden, dass ihnen so etwas auch rein zufällig passieren kann, war mir klar, dass das auf Allen nicht zutraf.
Allen verstand zwar, was ich meinte, doch konnte er sich von dem Erlebten nicht so lösen: »Vom Verstand her ist mir klar, dass das, was Sie sagen, stimmt, aber damit komme ich emotional nicht zurecht. Ich muss dem, was geschehen ist, einen Sinn geben, selbst wenn es nicht möglich ist, diesen Sinn objektiv zu beweisen.«

Der Fluss, den Sie überquert haben

Ein traumatisches Erlebnis zu überleben gleicht dem Überqueren eines Flusses: Indem Sie für sich selbst sorgen, entwickeln Sie neue Fertigkeiten, die Ihnen in Zukunft helfen können. Ich habe für Menschen wie Allen, die herausfinden wollen, wie sie von dem profitieren können, was sie durch das Überleben eines schmerzhaften Erlebnisses gelernt haben, die folgende Übung entwickelt.

Ein kleiner Schritt

Nehmen Sie sich für diese Übung mindestens eine Stunde Zeit. Denken Sie an das schmerzhafte Erlebnis, das Sie überlebt haben, und beschreiben Sie es kurz.

  1. Was haben Sie gelernt, indem Sie dieses Erlebnis überlebt haben?
  2. Welche Stärken oder Talente haben Sie genutzt, um über das Erlebnis hinwegzukommen, oder später entwickelt?
  3. Wie können Sie diese Stärken oder Talente jetzt zu Ihrem Vorteil nutzen?

Carla, eine erfolgreiche Anwältin Mitte 40, war als Kind von ihrem Großvater sexuell missbraucht worden. Sie erklärte mir ihr Dilemma wie folgt: »Ich glaube, das Härteste, was ich jemals erlebt habe, ist, dass ich von meinem Großvater sexuell missbraucht worden bin. Wenn das passierte, fühlte ich mich wie ein Nichts. Ich wollte dann manchmal einfach sterben.«
 
Auf die Fragen antwortete sie folgendermaßen:

1. Was haben Sie gelernt, indem Sie dieses Erlebnis überlebt haben?
»Um es zu überleben, musste ich in jener Situation Möglichkeiten finden, mich davon abzulenken. Ich habe als Kind stundenlang Cello gespielt, um die schrecklichen Gefühle zu überwinden, die ich bekam, wenn ich daran dachte, was Großvater mir angetan hatte. Ich konnte ihn von seinem Tun nicht abbringen, weil er sehr gewalttätig war und weil ich fürchtete, er würde sich rächen, wenn ich ihn verraten würde.«

2. Welche Stärken oder Talente haben Sie damals genutzt, um über das Erlebnis hinwegzukommen, oder später entwickelt?
»Ich erinnere mich noch daran, dass ich mir den Film A Chorus Line angesehen habe. In diesem Film redete eine Frau darüber, wie gern sie fürs Ballett trainiere, weil dort alles schön und okay sei. So war es für mich mit dem Cello, und diese Fähigkeit habe ich entwickelt, um mit der Situation fertig zu werden. Später wurde ich stärker, und in Therapiegruppen lernte ich, meine Gefühle auszudrücken und wütend zu werden, wenn das notwendig war, und meine eigene Auffassung zu vertreten.
Meine Position zu vertreten und wütend werden zu können, wenn das sinnvoll war, war für mich besonders wichtig, weil ich das in der Zeit, als mein Großvater mich missbraucht hatte, nicht konnte. Das habe ich erst nach dem Missbrauch gelernt, um mit dem damals Erlebten fertig zu werden und mich vor weiterem Missbrauch anderer Art zu schützen. Dass ich gelernt habe, meine Wut auszudrücken, hat mir geholfen, mich gegen Menschen, die mich emotional misshandeln oder finanziell ausnutzen wollten, zu wehren.«

3. Wie können Sie diese Stärken oder Talente jetzt zu Ihrem Vorteil nutzen?
»Was die Nutzung dieser Fertigkeiten – meine eigene Auffassung zu vertreten und Cello zu spielen – in meinem jetzigen Leben angeht, so glaube ich, dass ich wieder mit dem Musizieren beginnen sollte. Ich spiele seit fünf oder sechs Jahren nicht mehr Cello. Ich habe nicht einmal mehr ein Cello; aber immerhin höre ich noch Musik. Ich möchte mir wieder mehr Zeit für Musik nehmen, mir CDs anhören und vielleicht auch Konzerte besuchen. Ich glaube, ich würde gern ein anderes Musikinstrument spielen lernen, eines, das ich besser tragen kann, zum Beispiel Gitarre. Und was mein Durchsetzungsvermögen angeht, so möchte ich in meinem Beruf selbstsicherer werden.«

Aus Ihrer Vergangenheit lernen

Die letzte Übung dieses Kapitels fasst die in den vorangegangenen Übungen geleistete Arbeit zusammen. Außerdem werden Sie weiterhin von dem Wissen und den Ressourcen profitieren, die Sie entwickelt haben, um das in der Vergangenheit Erlebte zu überleben. Ebenso wie bei den anderen in diesem Buch beschriebenen Übungen können Sie auch in diesem Fall Ihre Antworten entweder aufschreiben oder auf einen Tonträger aufnehmen. Und Sie können die Übung so oft wiederholen, wie Sie wollen.

Ein kleiner Schritt

Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um sich in einen Tagtraum über Ihr künftiges Leben zu versenken. Stellen Sie sich vor, Sie nutzen produktiv das gesamte Wissen, das Sie sich sowohl durch Erlebnisse, die Sie lieber vergessen würden, als auch durch solche, an die Sie sich gern erinnern, angeeignet haben.

Alles, was Sie jemals gelernt haben, ist Teil Ihrer persönlichen Weisheit. Sie müssen nicht erst alt werden, um Weisheit zu erlangen, Sie müssen nur aufrichtig und aus vollem Herzen gelebt haben.


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mit freundlicher Genehmigung des Carl-Auer-Verlages



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15.06.2014
Die Systemische Gesellschaft sucht zum 1. Januar 2015 neue Geschäftsführung
10.04.2014
W 3 Endowed Professorship for Systemic Family Therapy in Freiburg
08.04.2014
Gesundheitsausgaben 2012 übersteigen 300 Milliarden Euro
28.01.2014
Fast jede zweite neue Frührente psychisch bedingt
17.12.2013
Diagnose Alkoholmissbrauch: 2012 wieder mehr Kinder und Jugendliche stationär behandelt

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