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Vorabdruck aus Steve de Shazer, Yvonne Dolan: Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie heute
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Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2008 (März)
224 S., kartoniert
Preis: 24,95 €
ISBN-10: 3896706284 ISBN-13: 978-3896706287
Verlagsinformation: "Stellen Sie sich vor, heute Nacht geschieht ein Wunder, und das Problem, über das wir gerade sprechen, ist gelöst!" Das ist die zentrale Frage der lösungsfokussierten Kurztherapie, die maßgeblich von Steve de Shazer entwickelt wurde. Ihr Ziel ist es, die Stärken und Resilienzen von Klienten zu aktivieren, mit denen diese handfeste Lösungen für ihr Problem finden und umsetzen können. Im Buch, das an die Bestseller "Der Dreh" und "Das Spiel mit Unterschieden" anknüpft, werden 18 therapeutische Prinzipien und Interventionsformen mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis und Therapietranskripten dargestellt. Die beigefügten Kommentare und Fragen des Teams zum jeweiligen Verlauf machen daraus eindrucksvolle Dokumente dieser Therapieform. Die Bedeutung von Emotionen wird hier ebenso diskutiert wie die Missverständnisse, die mit diesem therapeutischen Ansatz verbunden sind. "Mehr als ein Wunder" ist das letzte Buch, an dem Steve de Shazer mitgeschrieben hat. Es rundet einerseits seine Arbeit und die seiner Frau Insoo Kim Berg in bemerkenswerter Weise ab. Andererseits zeigen die Beiträge von Harry Korman, Terry Trepper und Eric McCollum, wie eine neue Generation lösungsorientiert arbeitender Therapeuten den Ansatz erfolgreich weiterentwickelt. Ein Vorwort von Matthias Varga von Kibéd leitet das Buch ein. |
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Steve de Shazer, Yvonne Dolan:
Kapitel 10. Fragen und möglich Missverständnisse
10.1 Allgemeine Einwände
Weshalb ignoriert die SFBT die Probleme der Klienten? Wie können Sie jemandem helfen, wenn Sie mit ihm nicht über seine Schwierigkeiten sprechen?
Manchmal wird die SFBT so dargestellt, als ob das Sprechen über Probleme nicht erlaubt sei. Nichts könnte der Wahrheit ferner sein. Die in diesem Buch enthaltenen Transkripte dürften Beleg genug sein, um dieses Missverständnis auszuräumen. Carl schildert Insoo Kim Berg seine familiären Schwierigkeiten und seine Verzweiflung in der Nacht vor ihrer Begegnung. Im Gespräch mit Yvonne Dolan berichtet Margaret von ihrer Drogenabhängigkeit, ihrer Beziehung zu einem gewalttätigen Mann und von ihren »Lügen«, die sie ihrer Gastfamilie auftischt. Und in der Unterhaltung zwischen Robert, seiner Mutter und Steve de Shazer sind die Magenschmerzen des Klienten, sein allgemeiner Motivationsmangel und seine Schwierigkeiten, regelmäßig zur Schule zu gehen, das Thema. In keinem einzigen dieser Interviews wird der Versuch unternommen, die Klienten davon abzuhalten, über ihre Anliegen zu sprechen. De facto ist es ein vitales Element des lösungsfokussierten Therapiekonzepts, für das Problem Raum zu schaffen oder dieses zu »würdigen«, wenn die Klienten spüren sollen, dass der Therapeut bzw. die Therapeutin ihre Notlage versteht und ihnen helfen will. Wenn der Klient ein problematisches Gefühl oder eine schwierige Situation beschreibt, stellt der Therapeut ihm die ungefähr so formulierte Frage: »Welche Veränderung hätten Sie gerne, was dieses Gefühl/diesen Gedanken/dieses Verhalten anbelangt?« Wenn man mit dem Klienten über seine Wünsche spricht, wird fast immer auch sein Problem thematisiert, weil er dann nämlich den Unterschied zwischen seinem Problem und seiner Wunschvorstellung beschreibt. Wenn wir also darüber sprechen, was die Klienten wollen, bleiben wir auf einer phänomenologischen Ebene immer noch bei ihren Problemen, und wir können die mit ihren Schwierigkeiten einhergehenden Schmerzen und Leiden bestätigen, während schon Ziele und Ausnahmen des Problems exploriert werden. Die SFBT unterscheidet sich von anderen Ansätzen dadurch, dass nach diesem Konzept arbeitende Therapeuten die meiste Energie darein legen, den Klienten zu einer ergiebigen Beschreibung seiner Lösung zu motivieren, statt immer detailliertere Beschreibungen des Problems hervorzubringen. Für diese therapeutische Haltung gibt es Gründe: Erstens: Wenn der Klient eine zunehmend komplexe und detaillierte Beschreibung seiner Lösung entwickelt, tun sich wahrscheinlich auch Wege auf, wie dieser anvisierte Zustand erreicht werden kann. Margaret z. B. stellt fest, dass es für sie ein Hinweis auf eine Lösung in ihrem Leben wäre, wenn sie morgens aufwachen würde, ohne sofort an ihren früheren Freund denken zu müssen. An die Stelle solcher Gedanken würden Überlegungen treten, wie sie eine Arbeitsstelle finden könnte. Demzufolge artikuliert Margaret ihre Lösung und erkennt allmählich, wie sie ihr Ziel erreichen kann. Wenn die Klientin ihren eigenen Weg entwickelt, ist damit unweigerlich die Motivation verbunden, ihn auch zu beschreiten, und der Therapeut muss sie nicht zur Befolgung eines Plans »anfeuern«, den er selbst für den besten hält. Zweitens: Wir fokussieren auf Lösungsbeschreibungen, weil Problembeschreibungen oft zu routinehaften und monolithischen Sprachstrukturen erstarren, die verhindern, dass neue oder widersprüchliche Möglichkeiten wahrgenommen werden. So kann z. B. das Etikett »Depression« zu einer allumfassenden Beschreibung werden, die einen in erster Linie Belege dafür suchen lässt, dass man depressiv ist. Dann stehen Phasen von Müdigkeit, Momente der Mutlosigkeit, Taktlosigkeiten in der Beziehung, beleidigte Verärgerung wegen geringfügiger Kränkungen usw. garantiert im Vordergrund der Zustandsbeschreibung. Hoffnungsfrohe Gedanken über die Zukunft, kleine Errungenschaften, zufrieden stellende Interaktionen und Augenblicke der Zufriedenheit werden dagegen entweder völlig ignoriert oder aber als naiv oder unglaubwürdig abgetan, weil sie die Beschreibung einer Depression nicht erhärten. Wenn aber der Klient eine Lösungsbeschreibung entwickeln darf, bietet ihm das eine sprachliche Struktur, in der positive Erfahrungen nicht mehr verworfen werden müssen. Diese werden nun eher als etwas Wichtiges und Glaubwürdiges wahrgenommen und können als Beleg für eine sich abzeichnende Lösung akzeptiert werden. Kehren wir zu Margarets Fall zurück: Das nächste Mal, wenn sie nach dem Aufwachen nicht sofort an ihren Freund denkt und dies nach einer Weile realisiert, kann sie darin die Bestätigung finden, dass sie sich auf eine Lösung zu bewegt, und muss darin nicht Belege dafür suchen, dass sie die Abhängigkeit von ihrem Freund leugnet.
Wie können Sie ein therapeutisches Konzept anwenden, das sich nicht mit Gefühlen befasst?
Da das Thema »SFBT und Emotionen« in Kapitel 9 ausführlich behandelt wird, verweisen wir die Leser und Leserinnen zu dieser Frage an die dortige Diskussion. Aber in aller Kürze sei gesagt, dass die SFBT in den Ruf eines therapeutischen Ansatzes gekommen ist, der die Emotionen ausklammere. Genauso wie die falsche Annahme, dass die Klienten in der lösungsfokussierten Therapie nicht über ihre Probleme sprechen dürften, beruht die Vermutung, dass die Klienten zum Leugnen oder Zurückweisen ihrer Emotionen angehalten würden, auf einem Missverständnis. Allerdings wird das therapeutische Gespräch über Gefühle auch nicht gerade gefördert. Emotionen kommen ins Spiel, wenn der Klient das braucht oder möchte; der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut akzeptiert das, entlockt dem Klienten aber meistens keine weitere ins Detail gehende Beschreibung dessen, wie das Gefühl beschaffen ist oder was der Klient der Emotion zuschreibt (z. B.: »Weshalb, glauben Sie, fühlen Sie auf diese Weise?«). Niemals würde man einen Klienten entmutigen, wenn er seinen Gefühlen Ausdruck verleihen möchte. Dies zu tun, wäre, gelinde gesagt, respektlos. Außerdem bitten lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten ihre Klienten nicht, die Beschreibung eines inneren emotionalen Zustands sprachlich immer mehr zu verfeinern und über dessen vermutete Ursachen und Wirkungen zu spekulieren (»Was, glauben Sie, macht Sie so traurig? Wenn Sie traurig sind, haben Sie da noch andere Gefühle?«). Stattdessen halten wir es für hilfreicher, emotionale Zustände in äußere Handlungen und Kontexte einzubetten, da dies der Ort ist, an dem Klienten die Veränderung sehen wollen. Außerdem führt das Reden über Emotionen, als ob diese unabhängig von Handlungen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen Menschen existierten, dazu, dass das Gefühlhafte mystifiziert wird – was eine willkürliche Grenze zwischen inneren und äußeren Welten zieht und die Ganzheit unserer Erfahrung verletzt. Eine Frage, die eine solche Fokusverschiebung ermöglicht, kann z. B. lauten: »Welche Handlungen würden Sie an sich beobachten, die Ihnen signalisieren würden, dass Sie zufriedener sind?« – und ihre Beantwortung kann zum Verhaltensindikator für Veränderungen im inneren Zustand des Klienten werden. Eine kontextbezogene Frage kann z. B. sein: »Woran würde Ihre Frau merken, dass Sie sich besser fühlen? Was würde sie an Ihnen beobachten können?« Nach dem Konzept der SFBT sind emotionale Zustände eng mit Handlungen verbunden, die ihrerseits in einem externen Kontext stattfinden. Lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten gehen mit Emotionen des Klienten zwar nicht so um wie eher traditionell orientierte Therapeuten; aber dadurch, dass sie beim Klienten sorgfältig auf externe Indikatoren für emotionale Veränderungen achten, geben sie ihm die Chance, ein feineres Gespür für die Markierungen gefühlsbezogener Wandlungen zu entwickeln, sodass er schließlich eher die Außenwelt beobachten kann, als sich weiterhin auf sein Inneres konzentrieren zu müssen. In Kapitel 9 werden diese Überlegungen eingehend untersucht.
10.2 Einwände von Nichtexperten
Sie gehen davon aus, dass Menschen immer wissen, was zu tun ist. Viele meiner Klienten wissen das keineswegs. Manchmal muss man Menschen sagen, was sie tun müssen. Werden Therapeuten nicht genau dafür bezahlt?
Als einmal über die Frage diskutiert wurde, worin sich das Konzept der SFBT von anderen Therapieansätzen unterscheidet, äußerte ein erfahrener lösungsfokussiert arbeitender Therapeut, dass man bei dieser Therapieart dem Klienten keine Ratschläge gebe. Dies führte Insoo Kim Berg zu der verwunderten Frage: »Was? Sie meinen, dass Sie, wenn Sie etwas wüssten, das dem Klienten helfen könnte, es ihm nicht sagen würden?« Die hinter der SFBT stehende Überzeugung, wonach Klienten über die Informationen verfügen, die sie zum Planen und Erreichen eines gewünschten Ergebnisses brauchen, kann so ausgelegt werden, dass der Therapeut im Therapiegespräch nie seine Vorstellungen, Vorschläge oder Alternativen kundtut. Das muss nicht unbedingt so gehandhabt werden. Doch aus der Perspektive des lösungsfokussierten Arbeitens gibt es zwei Einwände gegen das Erteilen von Ratschlägen. Erstens: Im Vergleich zu Therapieansätzen, die auf die Ausbildung von Fertigkeiten oder Beseitigung von Defiziten fokussieren, erteilt man dem Klienten beim lösungsfokussierten Arbeiten selten Ratschläge. Der Klient ist die oberste und wichtigste Autorität in der Frage, welches Ziel er hat und wie er dorthin gelangt. Wenn der auf die Vermittlung von Fertigkeiten spezialisierte Therapeut seine Klienten z. B. in kommunikativen Fähigkeiten schult, bedient er sich fast ausschließlich gewisser Direktiven, die diese zu befolgen haben. Lösungsfokussiert arbeitenden Therapeuten wäre viel mehr daran gelegen, dem Klienten Beispiele für gelungene Kommunikation zu entlocken und ihm erkennen zu helfen, wie er in solchen Fällen bis dahin gehandelt hat. Zweitens: Die Vorschläge lösungsfokussiert arbeitender Therapeuten sind einfach genau das: Vorschläge. Diese werden dem Klienten versuchsweise, gewissermaßen als Alternativen angeboten, die er je nachdem, ob er sie passend findet, annehmen oder verwerfen kann. Der Therapeut kann sich auch von seinem Vorschlag distanzieren, indem er ihn einer anderen Person zuschreibt. (»Manche Klienten haben es schon als hilfreich empfunden, unter diesen Umständen einen Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen. Kommt Ihnen das sinnvoll vor?«) Der Klient behält die Verantwortung für die Ziele seiner Therapie. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich stark von verschreibenden Therapieansätzen, bei denen es wichtig ist, dass der Klient die ihm vom Therapeuten präsentierten Ideen annimmt. Therapeuten sind im Großen und Ganzen sehr großzügige Menschen und haben den genuinen Wunsch, anderen zu helfen. Oftmals geben wir diesem Wunsch Ausdruck, indem wir generös unsere Vorstellungen über Dinge mitteilen, die unserer Ansicht nach im Leben der Klienten etwas bewirken könnten. Leider sind die meisten unserer guten Ideen nichts Neues für unsere Klienten. Sie haben zuvor schon davon gehört. Wenn wir auf unserer Großzügigkeit beharren, kann die Situation leicht zu einer höflichen (manchmal weniger höflichen) therapeutischen Auseinandersetzung werden, und der Klient kann alle unsere gut gemeinten Vorschläge mit dem Argument entkräften, dass sie unmöglich, nicht praktikabel oder irgendwie inakzeptabel seien. Weitere Bemühungen, den Klienten von unseren Vorstellungen zu überzeugen, heizen die Auseinandersetzung nur noch an. Folglich sind Therapeuten besser bedient, wenn sie ihren Blick darauf richten, welche Aufgabe sie in der Therapie haben. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, dass wir uns die richtigen Lösungen für den Klienten ausdenken und ihn dann davon überzeugen, sie akzeptieren zu müssen. Unsere Aufgabe besteht darin, die Bedingungen zu schaffen, unter denen der Klient seine eigenen Lösungen finden kann, und ihm zu helfen, in seinem Inneren zu finden, was er wirklich will und wie er dorthin gelangt.
Klienten leugnen manchmal ihre Schwierigkeiten und müssen deshalb mit diesen konfrontiert werden. Werden in der SFBT ernsthafte Probleme nicht ignoriert, wenn man den Klienten nicht mit seinen Problemen konfrontiert?
Wenn wir den Klienten mit seinen Problemen konfrontieren, gehen wir von der Annahme aus, dass wir über Dinge in seinem Leben Bescheid wüssten, deren er sich selbst nicht bewusst ist. Das hätte zur Folge, dass wir die Klienten mit den schlimmen Auswirkungen z. B. ihres Trinkverhaltens, ihrer Wut, ihres üblen Erziehungsstils usw. konfrontieren müssten, sobald wir etwas Derartiges bemerken. Doch eine Konfrontation bewirkt häufig, dass der Klient sich in die defensive Ecke zurückzieht und der Therapeut darüber frustriert ist. Der Schuss kann sogar nach hinten losgehen. In mindestens einer Studie (Miller, Benefield a. Tonigan 1993) hat man festgestellt, dass Menschen, die mit ihren Alkoholproblemen konfrontiert worden sind, nach der Behandlung mehr Alkohol getrunken haben als vorher. Was also tun, wenn Klienten sich abträglicher Situationen in ihrem Leben nicht bewusst sind oder diese leugnen? Hilfreich ist hier die Strategie, kontextbezogene Fragen zu stellen, z. B.: »Ich weiß, Sie sehen kein Problem in Ihren Wutausbrüchen. Doch was, glauben Sie, hätten Ihre Kinder gerne anders, wenn wieder einmal die Situation entsteht, dass Sie in Rage geraten? Was hätte Ihre Frau in solch einer Situation gerne anders? Ihre Kolleginnen und Kollegen?« Wenn der Klient darüber nachdenkt, wie andere Personen sein Benehmen einschätzen, hat er die Möglichkeit, seine Schwierigkeiten anzuerkennen, ohne sich diese sofort »aneignen« zu müssen. Unter diesen Bedingungen ist es wahrscheinlich, dass der Klient sich selbst wirksamer und tiefer gehend mit seinen Problemen »konfrontiert«, als wir dies tun könnten.
Wie geht man in der SFBT mit Dingen um, die auf Gefahren hinweisen oder die Sicherheit von Menschen bedrohen? Ignoriert der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut Sicherheitsprobleme, wenn der Klient sie nicht thematisiert oder für unwichtig hält?
Auch diese Frage beruht auf einem krassen Missverständnis und ist auf die Annahme zurückzuführen, dass wir Sicherheitsfragen ignorierten, wenn wir nicht »explizit« darüber sprechen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die SFBT zeigt z. B. Erfolg in Fällen von häuslicher Gewalt (Lee, Sebold a. Uken 2003), wenn Jugendämter mit Kindesmisshandlung und -vernachlässigung umgehen müssen (Berg u. Kelly 2001), in der beruflichen Weiterbildung von Strafgefangenen (Walker, Sakai a. Brady 2006), in der Behandlung von Drogenabhängigen (Berg u. Miller 2007; Berg u. Reuss 1999; McCollum a. Trepper 2001) und auch in der therapeutischen Arbeit mit vielen anderen Arten von Klienten, z. B. Personen, die wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt worden sind. Darüber hinaus wird das Konzept der SFBT als grundlegende Methode in der Schulsozialarbeit eingesetzt – mit bemerkenswerten Erfolgsquoten (Streeter a. Franklin 2002), und es findet sogar Anwendung in US-amerikanischen Programmen, mit denen man Schulabbrechern und Sonderschulkindern eine Chance geben will. Ebenfalls als wirksam erwiesen haben sich auf den Prinzipien der SFBT beruhende Programme zur Suizidprävention bei gefährdeten Jugendlichen. Der Unterschied zwischen dem Konzept der SFBT und anderen therapeutischen Ansätzen besteht darin, dass der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut alles darauf verwendet, die Gedanken und Vorstellungen seines Klienten zur Abwendung von Gefahren zu nutzen – und zwar unabhängig von der Art der Probleme, die der Klient präsentiert, und auch unabhängig davon, ob der Klient sich freiwillig einer Therapie unterzieht oder dazu gezwungen wird, um z. B. eine Strafverbüßung abzuwenden. Auf der Basis der von Insoo Kim Berg et al. (Berg u. Kelly 2001; DeJong u. Berg 2003) zum Thema Kindesmisshandlung und -vernachlässigung vorgelegten Arbeit sind zahlreiche Sozialarbeiter darin geschult worden, solche Fragen zu stellen, mit deren Hilfe die Klienten und/oder andere Personen, z. B. die gefährdeten Kinder, motiviert werden sollen zu sagen, was sie wünschen und brauchen, um die in ihrem Alltagsleben so dringend benötigte Sicherheit zu erhöhen. Weil das Konzept der SFBT so angelegt ist, dass der Klient als Experte seines eigenen Lebens betrachtet wird, beziehen wir uns immer auf das vom Klienten wahrgenommene – wenn auch noch so geringe – Ausmaß an Sicherheit und suchen von da aus Wege, wie die bereits vorhandene Sicherheit erhöht werden kann. Von daher ist das eine Lösung, die der Klient findet, und nicht eine, die ihm von außen aufgedrückt wird. Dem Klienten vorzuschreiben, was er zu tun hat, halten wir für respektlos und unter seiner Würde. Außerdem ist es, pragmatisch gesehen, so, dass die meisten Menschen sich dann tief greifend und langfristig verändern, wenn der Wunsch nach Veränderung von ihnen selbst ausgeht; wenn Menschen aber gegen ihren Willen zur Veränderung gezwungen werden, verändern sich die meisten von ihnen nur wenig und nur für kurze Zeit. Im Therapiegespräch z. B. mit einer Frau, die zu ihrem gewalttätigen Ehemann zurückkehren möchte, kann man versucht sein, ihr die Fähigkeit abzusprechen, für sich und/oder ihre Kinder eine gute Entscheidung zu treffen, und der Verlockung erliegen, die Frau über ihre Beziehung zu belehren, aufzuklären und ihr zu raten, ihren Mann zu verlassen. Doch wenn man an eine solche Situation mit der Einstellung herangeht, die hinter dem Vorhaben der Frau stehenden Erwägungen kennen lernen zu wollen, könnte man zu ihr sagen: »Sie haben bestimmt einen triftigen Grund dafür, dass Sie sich wieder in eine Situation begeben wollen, die sie als gefährlich beschrieben haben. Ich frage mich, welchen triftigen Grund Sie dafür haben.« Diese Vorgehensweise würde einen völlig anderen Weg eröffnen, auf dem man etwas über die »Logik« der Überlegungen der Frau erfährt und darüber, was sie für sich und ihre Kinder für wichtig hält und was sie für sich und ihre Kinder in der Zukunft erhofft. Mit einer solchen Herangehensweise, die der Klientin Optionen und Wahlmöglichkeiten bietet, wird man sie eher zur Bewältigung ihrer Situation befähigen, als wenn man ihr sagte, was sie tun sollte. Ein Mensch, der sich in einer üblen Lage befindet, ist am allerwenigsten darauf erpicht, dass eine andere Person ihm ihre Ideen und Lösungen aufnötigt. Überdies kämen zu der bestehenden Verletzung, die an sich schon eine Erniedrigung darstellt, auch noch die kränkenden Vorschriften des Therapeuten hinzu. Wir glauben nicht, dass es hier um ein Entweder-oder geht, sondern um ein Sowohl-als-auch, d. h., dass die Klientin ihre Würde wahren und dennoch für sich und ihre Kinder eine gute Entscheidung treffen kann. Als Therapeut muss man darauf achten, dass im Hinblick auf die Sicherheit des Klienten ausführliche Planungen entwickelt werden, die zu seinen Erfahrungen und Lebensrealitäten passen. Im vorliegenden Fall können auch Skalierungsfragen recht hilfreich sein, um kleine schrittweise durchgeführte Veränderungen anzuzeigen, die die Klientin umsetzen kann, statt dass sie an einem Punkt, an dem sie unter einem enormen Stress steht, zu gewaltigen Veränderungen angespornt wird.
Wie geht der lösungsfokussiert arbeitende Therapeut z. B. im Fall von Kindesmissbrauch mit der Kontrolle durch Sozialbehörden oder -einrichtungen um?
Insoo Kim Berg hat in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten und in zahlreichen Ländern in Europa und Asien intensiv mit Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen zusammengearbeitet und in diesem Zusammenhang die Prinzipien der SFBT auf Klienten angepasst, die per Gerichtsbeschluss zur Therapie gezwungen (also unfreiwillig behandelt) wurden, und sie auch umfassend praktiziert. Wenn Fragende von der »Kontrolle durch Sozialbehörden oder -einrichtungen« sprechen, kann sich hinter der Frage der Gedanke verbergen, dass die von bestimmten Ämtern ausgeübten Kontrollfunktionen unvereinbar sind mit den Prinzipien, nach denen man in der SFBT mit den Vorstellungen der Klienten umgeht. Wie in diesem Buch schon mehrfach betont, verfahren wir mit den Anliegen des Klienten und seinem Wunsch nach einem besseren Leben so, wie er es sich vorstellt. Noch nie haben uns Klienten zu verstehen gegeben, dass sie es gut finden, mit uns arbeiten »zu müssen«, und Insoo Kim Berg hat auch nie erlebt, dass Klienten sich gern von einem Besuch vom Jugendamt überraschen lassen. Wenn man Klienten fragt, was ihre Lage während eines solchen »Überraschungsbesuchs« – wenn auch nur ein bisschen – besser machen würde, sagen sie meistens das, was sie auch dem Besucher vom Amt sagen würden: »Ich habe wirklich nichts gegen Sie persönlich; Sie scheinen ein ganz netter Mensch zu sein. Aber ich möchte, dass Sie endgültig aus meinem Leben verschwinden.« Und natürlich will das Jugendamt die Akte schließen, sobald sich die Bedingungen des Klienten gebessert haben. Deshalb ist es möglich, ein gemeinsames Ziel zu finden, wenn die Wünsche des Klienten und die Wünsche des Jugendamtes unmittelbar aufeinander abgestimmt werden. Alle Seiten müssen bestimmte verbindliche Schritte unternehmen, damit dieses Ziel erreicht wird, nämlich: »dass die jeweils andere Seite aus dem Leben des anderen verschwindet«. An diesem Punkt sind viele Aushandlungsmöglichkeiten gegeben, und gute therapeutische Arbeit leisten wir vor allem dadurch, dass wir den Schilderungen der Klienten zuhören, auf welche Weise ihr Leben besser wird, wenn wir erst einmal aus ihrem Leben verschwunden sind. Dazu muss man beharrlich den Gedanken des Klienten folgen: was, wann, wer anders sein wird; wo etwas anders sein wird; wie sich die Situation verändern wird; wer diese Veränderungen zuerst bemerken wird; und wie die anderen auf diese Veränderungen reagieren werden. Selbst dann, wenn man ein Kind von seinen Eltern trennen muss, weil sie es vernachlässigen, kann dies auf respektvolle Weise geschehen – oder aber auch auf demütigende, arrogante und bestrafende Art. Wir können Eltern einen solchen Schritt damit begründen: »Weil wir wollen, dass Ihr Kind sicher ist«, oder aber ihnen vorwerfen: »Sie sind schlechte Eltern.« Die meisten Eltern oder Betreuungspersonen, die den allgemeinen Standards einer adäquaten Kindererziehung nicht genügen, sind sich ihres Unvermögens schmerzlich bewusst. Entscheidend ist, dass für diese Schwierigkeiten Lösungen gefunden und nicht die Eltern wegen ihrer Inkompetenz beschuldigt werden. Insoo Kim Berg hat nie Eltern kennen gelernt, die wollten, dass das Leben ihres Kindes schlechter verläuft, als ihr eigenes war. De facto wollen die meisten Eltern, dass das Leben ihres Kindes besser ist als ihr eigenes. Deshalb sollten wir eher darüber nachdenken, wie Eltern sich so verändern können, dass sie den üblichen Standards sozialen Elternverhaltens genügen, statt sie unter die »Kontrolle durch Sozialbehörden oder -einrichtungen« zu stellen.
10.3 Die SFBT und andere Therapieansätze
Ist die SFBT nicht einfach eine Spielart von …?
Personen, die sich mit der Praxis der SFBT (oder mit neuen Aspekten davon) vertraut machen, versuchen oftmals, dieses Konzept in ein bereits vorhandenes Schema einzupassen. In Workshops taucht häufig die Frage auf, ob die SFBT nicht einfach eine Spielart eines anderen therapeutischen Ansatzes sei – den die Fragenden bezeichnenderweise schon kennen und anwenden. Durch die Verbindung beider Ansätze wird das neu entstandene Wissen in einen bereits existierenden Rahmen eingefügt, was ein beruhigendes Gefühl und Vertrauen vermittelt. Es mag schon wissenschaftliche Gründe dafür geben, über die Unterschiede zwischen einzelnen Therapieansätzen und über ihre Ähnlichkeiten zu diskutieren; denn die allzu schnelle Integration des lösungsfokussierten Konzepts in ein vorhandenes Schema birgt einige Risiken in sich. Betont werden nämlich die Ähnlichkeiten, während signifikante Unterschiede vielleicht verborgen bleiben. Die SFBT wird z. B. oft als Variante der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) beschrieben. Natürlich fokussiert man bei der SFBT auf Gedanken und Handlungen, wie man dies bei der KVT auch tut. Doch die verschreibenden und direktiven Momente der KVT stehen in krassem Gegensatz zu den Prinzipien der SFBT, wonach die Klienten ihre Ziele und ihre Wege zum Ziel selbst wählen. Dieser fundamentale Unterschied bleibt möglicherweise im Dunkeln, wenn die SFBT nur als Spielart der KVT betrachtet wird. In diesem Zusammenhang ist die aus dem Zen stammende Idee vom Geist des Anfängers hilfreich: Experten können sich schwer neue Dinge aneignen, weil ihr Geist bereits angefüllt ist mit Landkarten von der Welt und Annahmen über ihre Beschaffenheit. Etwas Neues lernen heißt einige lieb gewonnene und vertraute Denkweisen ablegen. Der Anfänger hingegen bringt weniger vorgefasste Ansichten in den Lernprozess ein und kann die neuen Informationen deutlicher erkennen. Wer die Praxis der SFBT (oder sonst etwas) lernen möchte, tut gut daran, sich mit einem möglichst vollkommenen Anfängergeist an seine Aufgabe zu machen. Wenn sich die neuen Pfade als nicht gangbar erweisen sollten, kann man immer noch zu den alten zurückkehren.
Kann ich die SFBT integrieren in …?
Diese Frage ist mit der vorangegangenen verschwistert. Wir empfehlen zwar, sich dem Erlernen eines neuen Therapieansatzes mit der Einstellung des Anfängers zu nähern, aber eine Totalamnesie ist dafür nicht notwendig. Viele aus anderen Ansätzen stammende Techniken lassen sich mit großem Gewinn in das SFBT-Modell einfügen. Yvonne Dolan ist ausgebildet in Hypnotherapie nach Milton Erickson und arbeitet z. B. mit hypnotischen Bilderwelten, wenn sie im Gespräch mit Margaret die Wunderfrage behandelt. Techniken, die dem Therapeuten eine direktive Haltung abverlangen oder ihn als den Experten ausweisen oder die dem Klienten die Fähigkeit absprechen, die Richtung seiner Therapie selbst bestimmen zu können, decken sich jedoch nicht mit den Prinzipien der SFBT und sollten nicht angewendet werden, wenn man lösungsfokussiert arbeiten möchte. An dieser Stelle sollten wir nun über den Prozess sprechen, in dem Therapeuten das Konzept der SFBT übernehmen und zu ihrer primären Arbeitsmethode machen. Pichot und Dolan (2003) erkennen drei Stufen dieses Prozesses. Auf der ersten Stufe werden einige lösungsfokussierte Techniken in einen bereits vorhandenen therapeutischen Ansatz integriert. Der schon existierende Ansatz bleibt zunächst die primäre Orientierung. So könnte z. B. ein Therapeut, der vorwiegend verhaltensbezogen arbeitet, die Mitteilung seines Klientenpaares, eine angenehme Woche miteinander verbracht zu haben, als Ausnahme ihres Problems betrachten und den beiden einige Fragen darüber stellen, was sie jeweils zu diesem untypischen Ergebnis beigetragen haben. Danach könnte der Therapeut seinen Fokus verengen und sich danach erkundigen, wie das Paar die bis dahin therapeutisch vermittelten Fertigkeiten der Konfliktlösung eingesetzt hat, um dieses gute Resultat zu erzielen. Der Schwerpunkt seines therapeutischen Arbeitens liegt weiterhin auf dem Verhaltenstraining, obwohl er ausführlich auf eine Ausnahme des Problems eingegangen ist. Auf der zweiten Stufe werden laut Pichot und Dolan (2003) die Techniken und Prinzipien der SFBT zum Fundament des therapeutischen Arbeitens. In dieser Phase nimmt die Therapie Qualitäten an, wie sie den in diesem Buch vorgestellten Transkripten eigen sind: Der Klient steht ihm Zentrum, und der Therapeut vermeidet die Rolle des Experten. Auf der dritten Stufe werden laut Pichot und Dolan (2003) die Prinzipien der SFBT dann zur Lebensphilosophie – und durchdringen nicht nur die Arbeit im Therapieraum, sondern haben auch Auswirkungen darauf, wie Sozialbehörden oder -einrichtungen geleitet werden, wie man mit Kollegen und Kolleginnen umgeht oder wie man sein Leben generell gestaltet. Diesen Prozess zu explorieren würde den Rahmen dieses Buches natürlich sprengen.
10.4 Eine Frage des Stils
Sie stellen anscheinend nur Fragen. Sind Klienten durch alle diese Fragen nicht irritiert?
Fragen sind tatsächlich ein wesentliches Element der SFBT, und eine Therapie ohne Fragen ist schwer vorstellbar. Doch dabei darf man nicht vergessen, dass es vielerlei Fragen gibt – die sich genauso sehr in ihrer Intonation wie inhaltlich unterscheiden. Manche Fragen stellt der Therapeut so, dass er dem Klienten etwas beibringt, was dieser aus Sicht des Therapeuten wissen sollte. Dazu ein Beispiel: »Was wird Ihrer Meinung nach aus Ihrer Ehe, wenn Sie weiterhin jeden Abend sechs Flaschen Bier trinken, nachdem Sie nach Hause gekommen sind?« Eine solche Frage stellt man nicht, um Informationen zu gewinnen. Der Therapeut hat eine klare Vorstellung davon, was geschehen wird, wenn der Klient weiterhin so viel trinkt, und will nun mit seiner Frage den Klienten dazu bringen, dass er genau diese Konsequenz formuliert. Auf solche Fragen antworten Klienten meistens zögerlich, weil sie befürchten, dass ihre Antwort gegen sie verwendet wird. Wenn der Klient auf die obige Frage z. B. antwortet: »Meine Frau wird mich wahrscheinlich verlassen«, dann muss er gewärtigen, dass der Therapeut ihm sagt, es sei ziemlich unklug, mit dem Trinken weiterzumachen. Dies mag zwar stimmen, aber für den Klienten ist es hart, diese Wahrheit einer Person gegenüber einzugestehen, die mit ihrer Frage beweist, dass sie besser weiß, was zu tun ist, als er selbst. Ein solches Muster zeigt sich in unseren Fragen auf einer noch subtileren Ebene, wenn wir nämlich unsere eigene Sicht davon entwickeln, was für den Klienten am besten ist. Dann ist der Klient in der Position, dass er über unsere Sichtweisen oder über unsere Wünsche nachdenken muss. Klienten haben genug damit zu tun, darüber nachzudenken, was sie wollen, und brauchen es nicht, dass wir ihnen ihre Aufgabe noch schwieriger machen. Wenn es uns gelingt, dem Klienten ohne therapeutische Agenda zu begegnen (wonach wir streben können, was wir aber wahrscheinlich nie wirklich erreichen werden), kommunizieren wir ihm unser Vertrauen in seine Fähigkeit, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Auch andere Fragen sind so angelegt, dass sie den Klienten zur Artikulation seiner Sicht der Dinge motivieren – und die meisten in der SFBT gestellten Fragen fallen wahrscheinlich in diese Kategorie. Es werden keine Annahmen im Voraus darüber gemacht, wie eine »richtige« oder »bessere« Antwort auf eine solche Frage lauten könnte. Im Gespräch mit Robert und seiner Mutter fragt Steve de Shazer: »Nun eine weitere damit zusammenhängende Art von Frage, okay? Wie lange müssten die Dinge [die Magenschmerzen – Hinzufüg. d. Autoren] bei 7 ½ bis 7 bleiben, um dich zu überzeugen, dass die Besserung von Dauer ist? Oder welche anderen Möglichkeiten könnten – welche anderen Dinge könnten dich überzeugen, dass die Schmerzen dauerhaft besser sind?« Mit dieser Frage sollen anscheinend Informationen gewonnen werden, und Steve de Shazer ist ernsthaft daran interessiert, die ganz persönliche Antwort des Klienten zu erfahren. Die Antwort »30 Minuten« wäre genauso hilfreich und »wahr« wie die Antwort »sechs Monate«. Fragen, die uns helfen, die Sichtweise des Klienten zu verstehen, ohne dass wir ihm auf subtile Weise unsere eigene Sichtweise überstülpen, haben selten wütende Reaktionen des Klienten zur Folge. Der Klient empfindet solche Fragen vielleicht als schwierig, weil sie nach Dingen fragen, über die er sich vorher eventuell noch keine Gedanken gemacht hat; aber es ist unwahrscheinlich, dass er wegen solcher Fragen eine Wut auf den Therapeuten hat.
Die SFBT scheint ein Ansatz der langsamen Schritte zu sein. Klienten müssen über die an sie gestellten Fragen nachdenken. Meine Behörde verlangt von mir, dass ich innerhalb kurzer Zeit sehr viele therapeutische Beurteilungen abgebe. Ich habe keine Zeit zum lösungsfokussierten Arbeiten.
Manchmal wird die Ansicht vertreten, die SFBT laufe in einem beschaulichen oder gemächlichen Tempo ab, was auch zutreffen kann, wenn nämlich der Klient Zeit braucht, um die an ihn gestellten Fragen zu beantworten. Meistens ist es tatsächlich ein gutes Zeichen, wenn Klienten eine Frage nicht sofort beantworten können; denn das bedeutet, dass sie in neuen oder ihnen nicht vertrauten Bahnen denken müssen. Zeitweilig scheint das langsame Tempo unvereinbar zu sein mit den Anforderungen von Einrichtungen oder Ämtern oder auch mit dem Wunsch des Therapeuten, schnell viele Informationen zu gewinnen. Wir können Therapeuten und Therapeutinnen nur raten, auf Nummer sicher zu gehen, wenn sie Klienten beim Nachdenken helfen! Es ist zwar wichtig, Informationen zu gewinnen, aber genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger ist es, den Klienten neue Möglichkeiten zu eröffnen, damit sie sich eine Vorstellung von ihrer Zukunft machen und planen können, wie sie dieser Zukunft begegnen wollen. Wenn Klienten dem Therapeuten eine lange Liste von Problemen präsentieren, kommt es manchmal vor, dass man in einer einzigen Sitzung sehr viel Material erheben muss, um sicher sein zu können, dass man auf alle Anliegen der Klienten geachtet hat. Nach dem Modell der Kurztherapie arbeitende Therapeuten gehen generell von der Annahme aus, dass kleine Veränderungen in der Therapiesitzung zu großen Veränderungen im Leben des Klienten außerhalb des Therapieraums führen können. Deshalb wird es im Laufe der Zeit mehr Früchte tragen, wenn wir unsere Klienten tatkräftig und sorgfältig dazu ermuntern, sich Veränderungen vorzustellen und umzusetzen, als wenn wir schnell, aber weniger effizient ein riesiges Territorium abdecken. Und in dem Prozess, in dem lösungsfokussierte Fragen gestellt werden, gewinnen wir viele der benötigten Information ganz von selbst. Wenn das Protokoll einer Behörde es verlangt, dass Therapeuten bestimmte Daten erheben müssen, damit der Klient behandelt werden kann, teilen Sie dem Klienten am besten einfach mit, dass Sie die ersten paar Minuten zu Beginn der ersten Sitzung für notwendige Fragen reserviert hätten und Sie beide sich anschließend im Gespräch mit seinen Anliegen befassen würden.
Ich glaube, die SFBT ist nur ein Trostpflaster. Was macht man bei diesem Vorgehen mit tief sitzenden Gefühlen und Problemen?
Es hängt davon ab, was Sie unter »tief« verstehen. Wie gesagt, ist das Konzept der SFBT weniger auf ausgefeilte Beschreibungen negativer Seelenzustände ausgelegt. Als »tief« in diesem herkömmlichen Sinn kann die SFBT nicht bezeichnet werden. Lösungsfokussiert arbeitende Therapeuten wollen aber ein tiefes Verständnis vom Alltagsleben des Klienten und den Veränderungen gewinnen, die er dort sehen möchte. Paradoxerweise muss der Therapeut an der Oberfläche bleiben, damit er ein tiefes Verständnis vom Leben seiner Klienten und den gewünschten Ergebnissen entwickeln kann. Das ist schwierig, weil in unserer Kultur und Profession die Vorstellung etabliert ist, dass alles Handeln seinen Ursprung in separaten, inneren, privaten Zuständen des Individuums hat. Doch das Konzept der SFBT weist nicht nur die Vermutung eines solchen Zusammenhangs zurück, sondern lehnt auch die Unterscheidung zwischen Innen und Außen, zwischen Emotion, Kognition und Aktion ab. So verstanden, greift ein gründliches und einfühlsames Verständnis des Alltagslebens des Klienten tief.
10.5 Gibt es Belege für die Wirksamkeit der SFBT?
Die Forschungslage zur lösungsfokussierten Kurztherapie verbessert sich zunehmend. Gingerich und Eisengart (2000) analysierten 15 Studien, die sich mit der Wirksamkeit der SFBT beschäftigen. Diese Untersuchungen weisen unterschiedliche Grade experimenteller Kontrolle auf. Von den fünf Studien, die als ausreichend gut kontrolliert beurteilt werden, stellen alle signifikant positive Ergebnisse der lösungsfokussierten Therapie fest. Gingerich präsentiert auf seiner Website (www.gingerich.net) eine kontinuierlich aktualisierte Übersicht über die Wirksamkeitsstudien. Bis 2001 hat er 18 Studien über die Wirksamkeit der SFBT analysiert, darunter sieben gut kontrollierte Untersuchungen. Von den 18 Studien bescheinigen 17 dieser Therapieart gute Ergebnisse. Während die Frage nach der Wirksamkeit der SFBT noch nicht vollständig beantwortet ist, wachsen natürlich die Belege dafür, dass sie funktioniert.
10.6 Was macht das Arbeiten nach dem SFBT-Konzept lohnenswert? Könnte nicht auch ein Computer lösungsfokussiert arbeiten?
Das Vorgehen der SFBT klingt irgendwie langweilig. Was ist der Kick daran, immer wieder die Wunderfrage zu stellen?
Lösungsfokussiertes Arbeiten ist vielleicht eine Frage des Geschmacks. Manche Menschen mögen das Wabern einer großen Jazzband, während anderen ein Jazztrio lieber ist. Zwar lässt sich kaum bestreiten, dass die vielschichtigen Harmonien mehrerer Instrumentalgruppen bezaubern, aber genauso fesselnd können die endlosen Tonvariationen sein, die Klavier, Bass und Schlagzeug hervorbringen. Diejenigen, die eher der SFBT zugeneigt sind, ähneln vielleicht eher den Liebhabern von Jazztrios. Bei der SFBT entwickeln sich Kreativität und therapeutische Kunst aus dem Wissen, wie man mit den Anforderungen dieses Ansatzes arbeitet und wie man den Klienten helfen kann, aus den alltäglichen Melodien ihres Lebens Meisterwerke zu komponieren. Dieses Vorgehen strahlt vielleicht nicht die Intensität einer Therapie auf dem Niveau einer »Tanzkapelle« aus, ist deshalb aber nicht weniger kreativ oder weniger befriedigend.
Welche Erfahrungen machen Therapeuten und Therapeutinnen, die im Stil der SFBT arbeiten?
Zwei aus unserer Gruppe, Eric McCollum und Terry Trepper, sind seit Jahren in der Ausbildung von Drogenberatern tätig, die mit betroffenen Familien lösungsfokussiert arbeiten. Viele von ihnen wenden das SFBT-Modell inzwischen auch in der Einzel- und Gruppenberatung an. In jeder Ausbildungs-und Supervisionsgruppe haben wir ein ähnliches Phänomen beobachtet. Nach ein paar Monaten, wenn die Teilnehmer mit dem Modell vertrauter geworden waren, gingen sie mit neuem Interesse an ihre Arbeit heran und zeigten weniger Symptome des Ausgebranntseins. Ein Berater berichtete, dass sich die Jugendlichen in seinen Gruppensitzungen viel stärker beteiligten, seit er sie dazu motiviere, über zukünftige Erfolge nachzudenken, statt sich über vergangene Misserfolge den Kopf zu zerbrechen. Er freue sich sehr über diese Entwicklung, und die Arbeit mit den jungen Leuten mache ihm jetzt großen Spaß. Ein anderer Berater berichtete, dass es die Familien beruhige und sie sich mehr anstrengten, wenn er den Schwerpunkt auf ihre Stärken lege. Aber besonders prägnant wurde dieser Unterschied an einem Tag im Januar von einer Beraterin zusammengefasst, die in meiner Supervisionsgruppe war: »Das waren die schönsten Weihnachtstage, die ich seit Jahren hatte«, erzählte sie mir. »Früher war ich während dieser Zeit immer sehr besorgt, dass einer meiner Klienten rückfällig werden könnte. Ich musste permanent an meine Klienten denken und an all die Versuchungen, denen sie an diesen Feiertagen ausgesetzt waren – Weihnachtsfeiern im Betrieb, überall Alkoholwerbung, dann Silvester. Dieses Jahr habe ich festgestellt, dass meine Klienten in der Lage sind, Rückfälle zu vermeiden, und das ist eine Aufgabe, die sie zu erfüllen haben. Das hat mich innerlich entspannt. Sie wissen, was sie zu tun haben.« Diese Beraterin hatte sich nicht in zynisches Desinteresse in Form eines Burnout-Syndroms geflüchtet, sondern sorgte sich heftig um ihre Klienten. Der Unterschied zu früher bestand darin, dass sie mehr Vertrauen in ihre Klienten und in ihre gemeinsame Arbeit hatte. Beim Konzept der SFBT ist die Partnerschaft zwischen Klient und Therapeut eher auf Gleichheit ausgelegt und dadurch gekennzeichnet, dass der Klient so viel »Schwerarbeit« verrichtet wie der Therapeut oder sogar noch mehr als dieser. Diese Verlagerung kann das Verhältnis zum Klienten durchaus entspannen. Man ist für jemanden, der sich auf dem Weg zur Veränderung befindet, leichter ein interessierter und mitfühlender Gefährte, als wenn einem die Verantwortung für dessen Veränderung eine Last ist.
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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Carl-Auer-Verlages
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