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Vorabdruck aus Günther Bauer: Einführung in das systemische Sozialmanagement
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Verlag Carl Auer Heidelberg 2013 (Herbst)
128 Seiten, Kt.
Preis: € 13,95
ISBN-13: 978-3-8497-0009-6
Verlagsinformation: Soziale Einrichtungen folgen Besonderheiten, die sie deutlich von Wirtschaftsunternehmen unterscheiden. Sie arbeiten in der Regel nicht gewinnorientiert, und die Qualität ihrer Arbeit ist schwer zu messen. Das Gleiche gilt für die Leistung der Mitarbeiter. Nicht zuletzt deshalb ist Burn-out in sozialen Berufen besonders häufig. Führungskräfte von sozialen Einrichtungen stellt das vor besondere Herausforderungen. Zum einen müssen sie die Innovationsfähigkeit ihrer Organisation erhalten, zum anderen die Gesundheit der Mitarbeiter. Für diese Aufgaben ist kein Führungsansatz besser geeignet als der systemische. Der erfahrene Sozialmanager Günther Bauer beschreibt hier die Grundlagen des systemischen Managements und ihre Anwendung auf das Führen von sozialen Organisationen. Die vorgestellten Analysen, Interventionen und Erfolgsstrategien regen dazu an, bisherige Führungsmethoden zu hinterfragen, und wecken die Lust, das Gelesene umgehend auszuprobieren. Von den klaren Aussagen und Empfehlungen des Autors können sowohl Führungsprofis als auch der Führungsnachwuchs täglich profitieren.
Über den Autor: Günther Bauer, Dr. phil., MSc, Studium der Sozialökonomie und Rechtswissenschaften; danach fünf Jahre Fachbereichsleiter für Sozialwissenschaften in der Erwachsenenbildung. 1990–2004 Leiter des Amtes für soziale Angelegenheiten der Stadt Linz. Seither Geschäftsführer der Seniorenzentren Linz GmbH mit ca. 1000 Mitarbeitenden. Berufsbegleitende Ausbildungen zum Supervisor (TOPS, Berlin) und Studium der Organisationsentwicklung am IFF Klagenfurt. Nebenberuflich tätig als Dozent, Trainer, Vortragender und Organisationsberater im Beraternetzwerk CC+, Linz. Schwerpunkte: Sozialmanagement, Führung, Personalwesen, Personal- und Organisationsentwicklung, Führungskräfte-Recruiting, Expertise im Sozialwesen (Mindestsicherung, Sozialprävention, berufliche Integration).
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Kap. 3: Sozialmanagement (S. 28-40)
3.1 Was ist Management?
In »Management« und »managen« steckt lat. manus = »die Hand«, möglicherweise auch der lat. Ausdruck manum agere = »an der Hand führen«. Jedenfalls ist »Personenführung« eine der zentralen Bedeutungen von »Management«. Allgemeiner kann Management als die Gesamtheit aller Steuerungssysteme, also Regelungen, Instrumente und Handlungsweisen, von Führungskräften gesehen werden, die vorhanden sein muss, damit eine Organisation erfolgreich wird und bleibt und sich in ihrer Umwelt behauptet. Führungskräfte haben dafür zu sorgen, dass die notwendigen Arbeitsabläufe eingeführt und die entsprechenden Ziele festgelegt sind, vor allem aber, dass Entscheidungen getroffen werden, damit diese Systeme zur Steuerung der Organisation genutzt werden können.
Wenn der hier vertretene systemische Ansatz zur Verdeutlichung des Unterschieds mit Managementansätzen verglichen wird, die sich auf ein mechanistisches Paradigma gründen, so sollen diese Ansätze auch als traditionell oder herkömmlich bezeichnet werden, weil eben echte systemische Ansätze noch nicht sehr weit verbreitet sind.
Traditionelle Ansätze von Management also beziehen sich hauptsächlich auf die »technische« Seite dieser Steuerungssysteme und der entsprechenden Tools, aber eher losgelöst von den Kommunikationsprozessen, die diese Systeme überhaupt erst zum Arbeiten bringen. Aus systemischer Sicht ist es Aufgabe von Führungskräften, diese Prozesse anzustoßen und zu betreiben.
Nehmen wir Controlling als eines dieser Steuerungsinstrumente: Strategisches Controlling im Sinn der Erarbeitung von Zielperspektiven ist Managementaufgabe ebenso wie das operative Controlling, also der Aufbau eines Berichtswesens, von Controllinginformationen, Kennzahlen und so weiter. Im Bereich des Managements kann auch ein großer Teil der Managementaufgaben an Stabsfunktionen delegiert werden. Aber das Festlegen von Zielen und das Treffen von Entscheidungen sind nicht delegierbar, ebenso wenig wie die Gestaltung von Kommunikations- und Entwicklungsprozessen, die zur Festlegung und Umsetzung von Strategien, Zielen, Controllingsystemen etc. führen.
Führungskräfte mit systemischem Ansatz (und damit auch mit einem Schwerpunkt auf dem kommunikativen Führungshandeln) beschränken sich nicht darauf, selbst zu entscheiden, welche Controllingdaten ausgewählt werden, wie sie erhoben und interpretiert werden. Sie gestalten einen kommunikativen Prozess zur Er- und Verarbeitung von Controllinginformationen und gründen ihre nachfolgende Entscheidung auf eine breite Basis unterschiedlicher Sichtweisen. Dadurch schaffen sie eine gute Grundlage für die Umsetzung der getroffenen Entscheidung, weil sich die Mitarbeitenden mit dieser Entscheidung gut identifizieren können.
Doch gerade weil der Führungsaspekt, also die systemische Steuerungsleistung im Zusammenhang mit Managementaufgaben, teilweise vernachlässigt wird, gestaltet sich die Umsetzung von Entscheidungen oftmals als schwierig bis unmöglich, verursacht erheblichen Zeit- und Kostenaufwand sowie teilweise schwerwiegende Kollateralschäden bei der Mitarbeitermotivation oder der Unternehmenskultur, weil Entscheidungen, die nicht nachvollzogen werden können, auch kein Engagement bei der Umsetzung erwarten lassen.
Systemisches Management sieht daher die eigene Verantwortung nicht in der eigenständigen Erarbeitung von Zielen oder Strategien, sondern darin, Prozesse in Gang zu bringen, die am Ende tragfähige Vorschläge für Ziele oder Strategien erbringen, welche die Führungskraft dann umsetzen kann, denn
»Führung soll heißen, Anweisungen zu geben, die befolgt werden, weil die Untergebenen sich mit ihnen identifizieren« (Baecker 1994, S. 32).
Dirk Baecker skizziert vier Systemreferenzen für das Management (Baecker 2003, S. 234): die Referenz auf den Betrieb, die Referenz auf die Wirtschaft, die Referenz auf die Gesellschaft und die Referenz auf das Individuum. In der herkömmlichen Managementlehre stehen die Referenz auf den Betrieb und die Referenz auf die Wirtschaft im Vordergrund. Die Referenz auf die Gesellschaft bleibt bisher weitgehend den öffentlichen Institutionen, den NGOs und den NPOs (Nichtregierungs- und Non-Profit-Organisationen) vorbehalten. Und die Referenz auf das Individuum, also die Führungsaufgabe im engeren Sinn, wird als Erfolgsfaktor in den Betrieben der Wirtschaft, aber auch der Sozialwirtschaft noch immer weitgehend unterschätzt.
3.2 Management des Sozialen
Inwiefern unterscheidet sich das Management des Sozialen vom Management gewinnorientierter Wirtschaftsbetriebe? Die zusammengesetzten Begriffe »Sozialökonomie« und »Sozialmanagement« tragen den Widerspruch zwischen dem Gewinnstreben der Wirtschaft und der Logik des Altruismus des Sozialen in sich. Die Einführung von Wirtschaftsdenken in sozialen Organisationen wurde daher anfänglich und teilweise auch grundsätzlich seitens der im Sozialbereich Tätigen infrage gestellt.
Inzwischen ist die Logik der Wirtschaft auch im sozialen Sektor allgegenwärtig. Doch die Durchdringung des Sozialen mit betriebswirtschaftlichen Überlegungen wird in vielen Bereichen weiterhin kritisch gesehen.
Aus konstruktivistischer Sicht soll hier nicht über Richtig oder Falsch geurteilt werden. Vielmehr soll unterschieden werden zwischen wirtschaftlichen Ansätzen, welche die Anliegen und Ziele des Sozialen wirksam unterstützen können, und solchen, welche die Wirksamkeit sozialer Organisationen nicht verbessern oder sogar verschlechtern. Denn die Aufgabe von Management und Führung ist die Optimierung der Leistungsfähigkeit einer Organisation. Auch im Sozialbereich kann Management als die erfolgskritische Ressource für diesen Optimierungsprozess verstanden werden (Wimmer 1996, S. 47).
Bei der Beleuchtung des Begriffs »Sozialmanagement« könnte folgende Schwerpunktsetzung in Bezug auf die vier von Dirk Baecker vorgeschlagenen Referenzpunkte vorgenommen werden. Die Referenz auf den Betrieb, also auf die Organisation als System, stellt sich aus der Sicht des systemischen (Sozial-)Managements jedenfalls gänzlich anders dar als aus der Sicht des herkömmlichen (Sozial-)Managements, wie in Kapitel 4 gezeigt werden wird.
Die Referenz auf die Wirtschaft bekommt im sozialen Sektor eine andere Gewichtung. Es geht nicht um Gewinn, sondern es geht darum, gesellschaftlich zur Verfügung gestellte Ressourcen optimal in soziale Dienstleistungen zu verwandeln oder einen bestimmten qualitativ und quantitativ festgelegten Output an Dienstleistungen möglichst kostengünstig anzubieten.
Die Referenz auf die Gesellschaft steht natürlich für die Sozialwirtschaft deutlich stärker im Vordergrund. Organisationen der Sozialwirtschaft agieren im öffentlichen Auftrag, sichern soziale Standards und werden weitgehend von der öffentlichen Hand finanziert, ob durch Subventionen oder durch Leistungsentgelte. Als Non-Profit-Organisationen sind sie nicht von einer Profitlogik angetrieben. Sie sichern ihren Weiterbestand und ihre Entwicklung, also ihr organisatorisches Überleben, nicht durch die Erwirtschaftung von Gewinn, sondern dadurch, dass sie sich bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen und damit bei der Verwirklichung einer gerechten sozialen Versorgung gesellschaftlich unentbehrlich machen. Dies gelingt ihnen, wenn und solange ihre Leistung aus gesellschaftlicher Sicht die dafür aufzuwendenden Kosten rechtfertigt.
Beim vierten Referenzpunkt, dem Individuum, attestiert man den Organisationen des Sozialen oftmals höhere Kompetenz als so manchen gewinnorientierten Wirtschaftsbetrieben. Hier geht es um die kommunikative Auseinandersetzung im Rahmen von individueller Führung oder der Führung von Teams. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob diese Führungsaufgabe von mechanistischen oder von systemischen Grundannahmen begleitet wird. Zusammenfassend gesehen, geht es also beim Sozialmanagement nicht nur um das Management sozialer Aufgaben, sondern auch um eine Form von Management, die sich vom Management des Profitsektors aufgrund der spezifischen Aufgabenstellungen, Zielgruppen, Mitarbeiterqualifikationen und wegen ihrer gesellschaftlichen Einbettung wesentlich unterscheiden muss, um erfolgreich zu sein.
3.3 Die Kunst des systemischen Managements
Der Begriff »Management« bezeichnet im herkömmlichen Sinn eine Instanz in einer Organisation, die dazu berufen ist, Entscheidungen zu treffen, über Menschen und Material zu disponieren, Macht auszuüben, Ziele vorzugeben und für Ergebnisse verantwortlich zu sein. »Managen« bedeutet entscheiden, umsetzen, durchführen. Management ist ergebnisorientiert und wird an Ergebnissen gemessen. Managen zielt darauf ab, die Dinge richtig zu tun. Der Begriff »Management« orientiert sich im Wesentlichen am mechanistischen Paradigma. Es liegt ihm eine Vorstellung von Machbarkeit, von Berechenbarkeit und von hierarchischer Durchsetzung von Interessen und Zielen zugrunde. Im Wesentlichen geht es beim Management herkömmlicherweise auch um das Aufrechterhalten des Status quo.
Management in der Privatwirtschaft versteht sich zielorientiert. Hier zählen greifbare Ergebnisse. Fokussiert wird daher vor allem auf rational und kognitiv nachvollziehbare Fakten und Kosten. Menschliche Aspekte wie Gefühle, Stimmungen oder Befindlichkeiten, aber auch andere Faktoren wie Mitarbeiterpotenziale oder die Bindung ans Unternehmen, deren Veränderung sich erst zeitverzögert auf die harten Fakten auswirkt, stehen nicht so sehr im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Ein traditioneller Manager sieht sich eher als Disponent über Personen und Sachen, der rasch und wirtschaftlich Entscheidungen trifft, also vorwiegend allein. Wenn man aber davon ausgeht, dass die Effizienz einer Entscheidung einerseits von der Qualität dieser Entscheidung und andererseits von der Akzeptanz durch diejenigen abhängt, die sie umsetzen sollen (Scala u. Grossmann 1997, S. 57), so sind einsame Entscheidungen aufgrund beider Aspekte suboptimal. Denn einerseits wurde in Experimenten nachgewiesen, dass die Qualität von Gruppenentscheidungen in jedem Fall besser ist als die beste Einzelentscheidung (Kelley a. Thibaut 1969), andererseits stellt die Akzeptanz einer Entscheidungen durch die Betroffenen eine wichtige Voraussetzung für die optimale Umsetzung dar. Mitarbeitende eher als Befehlsempfänger zu sehen, die jede Entscheidung »willenlos« umsetzen, ohne subjektive Unterschiede zu machen, könnte zu erheblichen Widerständen, zu Zeit- und Motivationsverlust der Beteiligten führen.
Der Begriff »systemisches Management« hingegen impliziert, dass es mit dem Beauftragen oder Anordnen alleine nicht getan ist. Es sind Leadership gefragt, Sozialkompetenz von Führung, das Gestalten von Beziehung, das Berücksichtigen von Emotionen. Es geht nicht nur um das Verwalten, sondern auch um das Gestalten einer Organisation. Führung bedeutet, andere zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen zu bewegen, ohne dass Druck oder Zwang im Vordergrund steht. Führen bedeutet, die Komplexität beziehungsweise Nichttrivialität des Objektes von Führung, seien es Personen, Gruppen oder Organisationen, anzuerkennen. Somit bezweckt die Tätigkeit des Führens nicht, andere zu bestimmen oder zu manipulieren, sondern den kreativen Prozess der Koproduktion eines Ergebnisses gemeinsam mit Geführten, die als autonome Persönlichkeiten geachtet werden.
Um das Handeln mehrerer Personen dennoch in eine gemeinsame Richtung zu orientieren, ist es für eine Führungskraft notwendig, sich mit Fragen von Ethik, Werten, Sinn, Emotionen und Beziehungen auseinanderzusetzen. Gerade in diesem Bereich liegt eine Stärke, ja vielleicht sogar eine Überlegenheit des Sozialmanagements gegenüber dem Profitsektor.
Die Beschäftigung mit diesen Aspekten mag für einen traditionellen Manager als Zeitverschwendung erscheinen, die nichts mit Effizienz zu tun hat. Aber gerade durch das Beachten von Themen wie »Sinn«, »Ethik«, »Werte«, »Beziehungen« und »Emotionen« wird eine höchst wirtschaftliche Grundlage für qualitativ hochstehende Ergebnisse geschaffen. Wer hier Zeit und Aufwand sparen will, legt gleichzeitig die Grundlage für Reibungsverluste, die letztlich die Wirtschaftlichkeit der gesamten Vorgangsweise infrage stellen. Systemisches Sozialmanagement schafft vielleicht nicht immer die quick wins, die sich unsere an Shareholder-Value orientierte Hochleistungsgesellschaft so sehr wünscht, sie schafft aber eine solide Basis für eine langfristige Optimierung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses einer Organisation.
Systemisches Sozialmanagement stellt daher Führung im Sinne von Leadership ins Zentrum. Der Leadership-Ansatz ist aus systemtheoretischer Sicht für die speziellen Aufgaben des Sozialmanagements nicht nur der geeignetere, durch eine Optimierung der Führungsleistung kann langfristig auch die Relation zwischen Input und Output besser optimiert werden als mit traditionellen Managementansätzen. Langfristig erreicht systemisches Management mit systemischen Ansätzen von Führung und Organisationsentwicklung angestrebte Ziele rascher und kostengünstiger, also wirtschaftlicher.
Von geschäftstüchtigen Managementberatern, Weiterbildungsinstituten oder Buchautoren werden immer wieder Patentrezepte für Führung und Management propagiert. Sie versprechen sichere Erfolge bei einfacher Anwendung. Sie bauen also auf dem Maschinenmodell für Organisationen auf. Wenn Führungskräfte auf ihrer Suche nach brauchbaren Ansätzen und sinnvoller Unterstützung ihrer Führungsarbeit sich von solchen Versprechungen beeindrucken lassen, dann können sie nur enttäuscht werden. Denn es gibt für Führung keine brauchbaren Rezepte, Methoden oder Techniken, mit denen man das Sicheinlassen auf die Komplexität, das sensible Beobachten und Einschätzen der Situation, die Selbstbeobachtung und die kreative Entscheidung für eine Führungsintervention vermeiden oder durch die man auf Erfahrungswissen und persönliche Haltung verzichten könnte.
Auch wenn manchmal im Zusammenhang mit Führung hilfreiche Beobachtungsraster oder Handlungsschemata angeboten werden, so bleibt doch die Entscheidung, ob überhaupt eine Führungshandlung, wenn ja, wann und insbesondere welche aus der Unendlichkeit aller bestehenden Möglichkeiten, gesetzt werden soll, ein kreativer Akt, der auch durch das beste Patentrezept nicht ersetzt werden kann. Systemisches Sozialmanagement beinhaltet deshalb nicht nur handwerkliche, sondern vor allem auch künstlerische Aspekte.
3.4 Systemische Haltung
Wir sprechen von einer systemischen Management- oder Führungshaltung, um klarzumachen, dass es sich bei einem systemischen Zugang zum Thema »Management« nicht primär um eine Methode oder Technik handelt. Es geht um eine Haltung oder Einstellung. Dazu reicht es nicht, sich entsprechendes Wissen über Systemtheorie und Konstruktivismus anzueignen. Die Grundannahmen des mechanistischen Paradigmas wurden uns schon von Kindheit an tief eingeprägt: Wir bekommen gute Noten, wenn wir etwas richtig beantworten, und schlechte, wenn die Antwort falsch ist. Es ist klar, dass man immer schon vorher wissen kann, was richtig und was falsch ist. Wer was Falsches sagt oder tut, ist selbst schuld. Strafe ist die notwendige Konsequenz schuldhaften Verhaltens. Wissenschaftliche Objektivität ist dadurch zu erreichen, dass ein Forscher objektive, also von seiner Person unabhängige Aussagen trifft. Immer, wenn etwas schiefgeht, muss auch wer Schuld haben … und so weiter.
Da einige Prämissen des systemischen Paradigmas in diametralem Widerspruch zu diesen Grundannahmen stehen, welche die meisten von uns in Schulen und an Universitäten gelehrt bekamen, ist es hilfreich, alte Grundannahmen los- und sich auf diese neue Sichtweise einzulassen. Es bedarf einer längeren Auseinandersetzung mit systemischen Sichtweisen, will man herkömmliche Routinen des Denkens und Handelns in systemisches Denken und Handeln überführen. Um klarzumachen, was gemeint ist, beschreibe ich hier einen Idealfall systemischer Haltung: Systemische Sichtweisen führen konsequenterweise auch zu einer Veränderung von Werthaltungen. Denn aus dem Verständnis der Autopoiesis biologischer und sozialer Systeme erwächst mittelfristig eine Haltung der Achtung und Wertschätzung der Autonomie und Selbstorganisationsfähigkeit von Mitarbeitenden oder Organisationseinheiten. Systemische Führungshaltung bedeutet achtsamen und wertschätzenden Umgang, bedeutet egalitäres Auf-andere-Zugehen anstatt einer besonderen Betonung hierarchischer Verhältnisse.
Die Erkenntnisse des Konstruktivismus führen bei systemorientierten Führungskräften zu einer Haltung der Neutralität, der Neugierde auf die Sichtweisen anderer und des Zweifels an eigenen Eindrücken, also zu großer Offenheit. Es geht darum, weder die Richtigkeit der eigenen Meinung herauszustellen oder zu beweisen noch gegebenenfalls die Unrichtigkeit der Meinung anderer. Es geht nicht darum, wer recht hat, es geht um Vertrauen, um wertschätzende Beziehungen, es geht um Empathie und Neugierde, darum, vieles auszuprobieren, und letztlich darum, herauszufinden, was am besten funktioniert.
Das Verständnis des Unterschieds zwischen linearen und zirkulären Denk- und Handlungsmustern veranlasst systemische Führungskräfte, großen Problemen manchmal mit geringfügigen Interventionen zu begegnen; eher spontan etwas auszuprobieren, anstatt lange zu analysieren; Fehler zwar ernst zu nehmen, aber als Lernchancen für die Zukunft zu betrachten, anstatt Schuldige zu suchen; vieles nicht nach kurzfristigen Nützlichkeitserwägungen zu beurteilen, sondern in Neuem auch Chancen auf unerwartete Möglichkeiten zu sehen.
Systemische orientierte Führungskräfte sind weniger einsam als ihre Kollegen mit herkömmlichen Ansätzen. Sie suchen den Austausch mit ihren Mitarbeitenden, um herauszufinden, wie sie denken, was sie motiviert und wie ihre subjektive Sinnkonstruktion beschaffen ist. Dies tun sie nicht, weil sie das Sammeln von Informationen als Methode zur Machtausübung betreiben, sondern aus echtem, empathischem Interesse an ihrem Gegenüber. Gleichzeitig verbessern sie damit erheblich die Grundlage zur Bildung von Hypothesen über die gegebene Situation, die ihnen als Basis für geeignete Führungsinterventionen dienen. Auch bei Entscheidungen suchen sie vorher den Austausch mit allen Beteiligten, weil ihnen klar ist, dass, wie bereits erwähnt, dadurch nicht nur die Qualität der Entscheidung deutlich verbessert werden kann, sondern weil dadurch auch eine höhere Akzeptanz der Entscheidung und damit wesentlich bessere Chancen bei der Umsetzung zu erwarten sind.
Systemische Führungskräfte legen Wert auf Reflexion. Sie reflektieren nicht nur selbst ihre Führungs- und Managementtätigkeit, indem sie sich, gegebenenfalls gemeinsam mit einem Coach, sozusagen selbst beobachten; sie organisieren auch die Selbstbeobachtung und damit die Reflexivität ihrer Organisation, indem sie Evaluierungs- und Reflexionsrunden zu einzelnen Themen oder generell, manchmal auch quer zur bestehenden Organisationsstruktur einberufen und die Ergebnisse für die gesamte Organisation transparent machen (Zepke 2005). Dabei versuchen sie, die Tabuzone der Organisation, also jenen Bereich, über den nicht gesprochen werden kann, möglichst klein zu halten. Dies gelingt ihnen unter anderem auch dadurch, dass sie selbst Kritik und das Ansprechen unangenehmer Themen zulassen und mit Kritik offen, mit Kritikern wertschätzend umgehen.
Damit verlassen sie auch häufig die Komfortzone, ihre eigene und die ihrer Organisation. Dies ist jener Bereich, in dem kalkulier- und vorhersehbar Unannehmlichkeiten vermieden werden können. Sie begeben sich in einen Bereich des Denkens und der Kommunikation, in dem es auch unangenehm oder bedrohlich werden kann. Dies beginnt bereits, wenn eine Führungskraft den Schutzpanzer einer hierarchischen Position ablegt und den Mitarbeitenden auf Augenhöhe begegnet. Aber außerhalb der Komfortzone lauern nicht nur Unannehmlichkeiten und Gefahren, sondern auch neue Perspektiven und unerwartete Chancen und Lösungen (3).
So gesehen, beweisen systemische Führungskräfte Mut, indem sie sich nicht von ihren Ängsten einschränken lassen. Dadurch gewinnen sie aber auch neuen Handlungsspielraum, der ihnen angstfreies Agieren jenseits der überwundenen Ängste ermöglicht.
Wäre systemisches Management eine Methode oder Technik, so könnte sie von jedem, der die Technik erlernt hat, nach Belieben angewendet werden. Wie aus der vorstehenden Argumentation unschwer erkennbar, erfordert die systemische Führung einer Organisation aber nicht nur wesentliche Einsichten, sondern auch eine zugrunde liegende Wertehaltung und eine stabile, auf echtem Selbstwertgefühl beruhende Persönlichkeit, damit man als Führungskraft authentisch handeln kann. Es gilt also, diese grundlegende Wertehaltung zu verinnerlichen und sich als Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Denn systemisches Management, nur als Methode oder Technik angewendet, kann nicht funktionieren.
3.5 Besonderheiten des Sozialmanagements
Der Non-Profit-Bereich ist eine eigene Kategorie, die sich in weiten Bereichen der Logik herkömmlicher betriebswirtschaftlicher Ansätze entzieht. Alle Versuche, die Rationalität des Profitbereiches auf den Sozialbereich zu übertragen, können als gescheitert angesehen werden. Das hat vier Hauptgründe (Collins 2005, S. 3).
Erstens ist die Steuerung auf der Grundlage von Ergebnissen schwieriger. Im Profitbereich sind sowohl der Input (Kosten) als auch der Output (Markterlös der Produkte) in Geld zu messen. Der Saldo aus Input und Output, der Gewinn, ist eins zu eins der Gradmesser für den Erfolg. Das Erfolgsrezept in der Wirtschaft besteht also darin, bei konstanten Kosten den Output und damit auch den Gewinn zu erhöhen oder bei Aufrechterhaltung der Produktion die Kosten zu senken. Da die Qualität der Produkte am Markt mit unterschiedlichen Preisen bewertet wird, braucht sie bei der Ergebnisbeurteilung nicht berücksichtigt zu werden. Mit einer Zahl, dem Gewinn, ist alles ausgesagt.
Im Sozialbereich, wo die Erlöse gerade eben nur kostendeckend sind, können sie nicht als Gradmesser für den Erfolg herangezogen werden. Dennoch ist die Verbesserung der Ergebnisse in Relation zu den Kosten auch im Sozialbereich eine wirtschaftliche Herausforderung. Will man hier Klarheit gewinnen, muss aber eine Einschätzung der quantitativen und qualitativen Elemente einer sozialen Dienstleistung in Relation zu den Kosten vorgenommen werden. Dies ist mit einfachen Finanzcontrollinginstrumenten nicht möglich. Der Aufbau eines qualitativen Controllingsystems erfordert erheblichen Aufwand, die Interpretation der Daten viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Eine ergebnisgeleitete Steuerung ist daher im Sozialbereich aufgrund der Schwierigkeiten, Ergebnisse valide darzustellen, eine wesentlich größere Herausforderung als im Profitbereich.
Zweitens können Führungskräfte im Profitbereich auf eine klare Machtstruktur zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen zurückgreifen. Machtstrukturen im Sozialbereich sind oftmals diffus. Die Hierarchie ist oft nicht so ausgeprägt. Führungskräfte verfügen über weniger persönliche Entscheidungsmacht.
Dies entspringt der Geschichte des sozialen Engagements, das in Familie und Nachbarschaft seit Jahrtausenden als soziale Verpflichtung und nicht als professionelle Tätigkeit konzipiert war. Überwiegend arbeiten im Sozialbereich immer noch Menschen, die weniger am finanziellen Verdienst interessiert sind als an dem Sinnstiftungsaspekt ihrer Tätigkeit und an passenden Rahmenbedingungen. Gehälter im Sozialbereich sind nicht nur niedrig, sondern auch einigermaßen standardisiert, da die öffentliche Hand als Hauptfinanzier dafür sorgt, dass sich nicht in einzelnen Bereichen Gehaltsabweichungen nach oben ergeben. Auch das Image des Sozialbereiches ist gering. Es orientiert sich großteils am sozialen Status der Klienten. Da aber gleichzeitig fast in allen Bereichen spezielle, meist länger dauernde Ausbildungen vorausgesetzt werden, gibt es nur in Ausnahmefällen sehr viele Bewerber auf eine offene Stelle. Wenn also die Rahmenbedingungen in einer Organisation für die Mitarbeitenden nicht mehr passen, können sie ohne großen Schaden und risikolos zu einem anderen Arbeitgeber wechseln.
Im Gegensatz zu Managern in der Wirtschaft, deren Wert (und deren Macht) sich am Ergebnis orientiert, das die Organisation erwirtschaftet, kann der Wert des Sozialmanagements nicht so einfach festgestellt werden. Wenn Wirtschaftsmanager auf hohe Gewinne verweisen können, dann ist es für Aufsichtsräte und Eigentümer unerheblich, ob der Manager in seiner Organisation beliebt ist, ob er ständig Konflikte führt oder Leuten kündigt. Gewinn oder Verlust entscheidet in der Privatwirtschaft eindeutig, ob ein Manager belohnt oder abgesetzt werden muss.
Da der Output einer sozialen Organisation nicht so einfach beurteilt werden kann, sind auch die damit verbundenen Managementqualitäten nicht so eindeutig feststellbar. Mangels anderer passender Beurteilungskriterien wird im Sozialbereich an einem Manager schnell gezweifelt, wenn in der Organisation Turbulenzen auftreten, wenn Mitarbeitende unzufrieden sind und wenn Kritik geübt wird, oder auch bei steigender Mitarbeiterfluktuation. Die Entscheidung, ob Kunden, Kundinnen und Mitarbeitende zumindest nicht auffallend unzufrieden sind, fällt für den Vorstand eines Sozialvereins auch leichter als eine zuverlässige Einschätzung der qualitativen oder kostenmäßigen Optimierungsergebnisse des Managements.
Diese Rahmenbedingungen schränken die Entscheidungsmacht von Sozialmanagern erheblich ein. Um zu Entscheidungen zu kommen, müssen Sozialmanager viel mehr auf Strategien der Überzeugung, der Beteiligung, der Bildung von Koalitionen oder auf Tauschgeschäfte setzen. In diesem Zusammenhang sind Führungs- und Sozialkompetenz wichtiger als im Profitbereich, weil die Mitarbeitenden zu einem bestimmten Verhalten oft nur durch sanfte Beeinflussung und kaum durch Zwang gebracht werden können. Sozialmanager können ihre Organisationen nur mit Überzeugungskraft, persönlichem Vorbild und weiteren systemischen Interventionen optimal steuern.
Drittens erschwert die Kultur des Sozialbereichs eine konsequente Personalpolitik und zwingt zu Kompromissen. Wenn die fachlichen und persönlichen Vorstellungen und Fähigkeiten eines Mitarbeitenden nicht mit den Anforderungen des Arbeitsplatzes übereinstimmen, dann ist es aus Arbeitgebersicht schwieriger, das Arbeitsverhältnis zu beenden, als in der Privatwirtschaft. Die hohe Teamorientierung führt auch dazu, dass in einem Team Mitarbeitende, die nicht oder nur eingeschränkt leistungsfähig sind, eine Zeit lang mitgetragen werden.
Soziale Einstellung wird nicht nur gegenüber den Klienten und Klientinnen praktiziert, sondern auch gegenüber den Kollegen und Kolleginnen. Erst wenn Teams erheblich unter Problemen mit einem ungeeigneten oder wenig teamfähigen Teammitglied leiden, werden die Konflikte offensichtlich. Aber selbst dann muss die Beendigung des Arbeitsverhältnisses oft gegen den Widerstand des ganzen Teams durchgesetzt werden. Zudem fällt Sozialmanagern oft die Entscheidung, sich von einem schwachen Teammitglied zu trennen, auch aufgrund der eigenen sozialen Einstellung schwer.
Viertens ist es in Non-Profit-Organisationen nicht so einfach, die Notwendigkeit von Veränderungen zu begründen. Da mittelmäßige Ergebnisse im Sozialbereich nicht so offenkundig sind wie Gewinneinbrüche in der Privatwirtschaft, scheitern notwendige Veränderungsmaßnahmen oft daran, dass keine gemeinsame Problemsicht hergestellt werden kann.
Und fünftens möchte ich hervorheben, dass es im Sozialmanagement nicht nur Erschwernisse gibt, sondern auch einen bedeutenden Pluspunkt, und das ist die Mitarbeitermotivation. Mitarbeitende gehen überwiegend aus einer intrinsischen Motivation in den Sozialbereich. Sie wollen mit und für Menschen arbeiten und für die Gesellschaft etwas Gutes bewirken. Sie haben eine Vision und eine Mission, und wenn sie damit auf eine Organisation treffen, die ihnen die Umsetzung ihrer sozialen Vorstellungen ermöglicht, dann ist die Grundlage für Höchstleistungen gegeben. Mitarbeitende im Sozialbereich müssen nicht motiviert werden. Es sind keine Bonuszahlungen oder zusätzlichen Leistungsentgelte erforderlich. Mitarbeitende kommen in den Sozialbereich mit großem Engagement für die Sache. Die größte Herausforderung für das Sozialmanagement besteht in diesem Zusammenhang darin, diese Motivation nicht durch bürokratische Routinen oder abwertenden Umgang zu zerstören, sondern durch anschlussfähige Kommunikation auf diese Sinnkonstruktion der Mitarbeitenden Bezug zu nehmen.
Das hohe Engagement kann aber auch zu einer Gefahr werden, wenn zu oft das eigene Wohlergehen zugunsten der Bedürfnisse der Klienten zurückgestellt wird, wenn die Hilfeleistung zwecks Selbstbestätigung zum Selbstzweck wird oder wenn Mitarbeitende an der beklagenswerten Situation ihrer Zielgruppe verzweifeln und die Grenzen ihrer eigenen Leistungsfähigkeit überdehnen.
Der Sozialbereich verlangt daher von Führungskräften auch ein erhöhtes Maß an Fürsorge für die Mitarbeitenden, etwa durch das Angebot von Supervision als professionelle Möglichkeit der Reflexion des eigenen Handelns und als Basis für eine stabile gesundheitliche Situation (vgl. auch Abschn. 9.6).
Anmerkungen:
(1) Die letzten sechs Absätze wurden entnommen Bauer u. Grossmann 2010.
Literatur:
Baecker, D. (1994): Postheroisches Management. Ein Vademecum. Berlin (Merve). Baecker, D. (2003): Organisation und Management. Frankfurt a. M. (Suhrkamp). Bauer, G. u. R. Grossmann (2010): Einführung in das systemische Führen und Managen. (Unveröffentl. Manuskript.) Collins, J. (2005): Why business thinking is not the answer. Good to great and the social sectors. A monograph to accompany good to great. Why some companies make the leap … and others don’t. San Francisco (Elements Design). Kelley, H. a. J. Thibaut (1969): Group problem solving. In: G. Lindzey a. E. Aronds (eds.): The handbook of social psychology.Vol. 4. Reading, MA (Addison-Wesley), pp. 1–101. Scala, K. u. R. Grossmann (1997): Supervision in Organisationen. Veränderungen bewältigen – Qualität sichern – Entwicklung fördern. Weinheim/ München (Juventa), 2. Aufl. 2002. Wimmer, R. (1996): Die Zukunft von Führung. Brauchen wir noch Vorgesetzte im herkömmlichen Sinn? Zeitschrift für Organisationsentwicklung 4: 46–57. Zepke, G. (2005): Reflexionsarchitekturen. Evaluierung als Beitrag zum Or- ganisationslernen. Heidelberg (Carl-Auer).
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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages Carl-Auer-Systeme
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