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07.01.2014
Haja Molter, Rose Schindler & Arist von Schlippe (Hrsg.) (2012): Vom Gegenwind zum Aufwind. Der Aufbruch des systemischen Gedankens
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Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012
286 S. mit 8 Abb. u. 16 Tab., Fester Einband
Preis: 29,99 €
ISBN: 978-3-525-40184-2 |
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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht
Thomas Schwarz, Essen
Nur das Denken, das wir leben, hat einen Wert.
(Hermann Hesse)
Systemisches Denken zeichnet sich unter anderem durch die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Vielfalt aus. Dazu passt es, dass die Autoren sich vorgenommen haben, »die Leistungsfähigkeit systemischen Denkens in ganz unterschiedlichen Anwendungsbereichen und aus einer Vielzahl von Perspektiven vorzustellen«. Das Buch ist Hans Schindler zum 60. Geburtstag gewidmet. Schindler wird jenen, die sich in der systemischen Szene schon länger auskennen, allemal bekannt sein. Der Schlussbeitrag von Kieselbach und Stadtler über »Die systemische Perspektive als Brücke zwischen marxistischer Psychologie und Individualpsychologie« klingt vom Titel zwar wie das Thema einer Habilitationsschrift, tatsächlich bilden die nur etwas mehr als dreieinhalb Seiten zum einen eine Art verfrühten Nachruf auf den Jubilar, zum anderen evozieren diese Seiten, auch in dieser Kürze, durchaus Anregungen für eigene, weiterführende Gedanken und Lektüren. Dies könnte bereits das Resümee zu diesem Buch sein.
Den mit Abstand längsten Beitrag (70 Seiten) hat Sylke Meyerhuber über »Systemische Zusammenhänge von Entgrenzung, Arbeitssucht, Burnout und Mobbing sowie Vertrauen, Verantwortung und Achtsamkeit in Organisationen« geschrieben. Im Vergleich zu den anderen Aufsätzen ist das sehr breit, wenngleich der Text der Komplexität des Themas sicher gerecht wird. Der Beitrag von Peter Wetzels über »Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Demokratiedistanz junger Menschen« schließt an die bekannten Bielefelder Studien zum Rechtsextremismus der letzten 25 bis 30 Jahre an und glänzt mit einer verdichteten Darstellung von Theorie und Empirie.
Weitere Beiträge befassen sich mit »Systemischen Überlegungen zur Beratung ›hochstrittiger Eltern‹ (Kurt Pelzer), mit der erfolgreichen Integration traumatischer Erfahrungen in die eigene Lebensgeschichte (Ludewig und Wullschleger) oder mit den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit samt Überlegungen zu den Konsequenzen für die Beratungspraxis mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (Peter Luitjens). Luitjens plädiert für eine therapeutische Haltung der Solidarität mit den Klienten. Eine solche Positionierung gefällt, sie schafft Orientierung, macht Mut, stiftet an. Rudolf Klein spürt mit unter anderem ritualtheoretischen und philosophischen Ausführungen dem krisenhaften Subjekt in Praxen der Beratung und Therapie von Menschen mit einem abhängigen Trinkverhalten nach: »Die Hilflosigkeit eines jeden gegenüber dem anderen ist identisch mit der Macht, dem anderen seine Ohnmacht aufzuzeigen« (S. 272).
Festschriften bringen mitunter das Problem mit sich, dass die Beiträgerinnen und Beiträger, häufig langjährige Weggefährten des Jubilars, durch die gemeinsame Arbeit und die geteilten Interessen, Kontroversen, Impulse, Anekdoten bereichert, über die und durch diese Zeit mit einem Potpourri an Themen und Arbeitsschwerpunkten aufwarten, aus denen sich in der Gesamtheit für den Lesenden kaum mehr ein systematischer Zusammenhang erkennen lässt. Dies muss nicht notwendigerweise so sein, wie dieses Buch zeigt. Der Titel ist übrigens der »Überschrift eines Expertengespräches zum Kampf um die wissenschaftliche Anerkennung der systemischen Therapie« (S. 17) entnommen.
Den geschichtlichen Hintergrund sowie den (system-)theoretischen Unter- wie auch Überbau systemischen Denkens markiert Cornelia Oestereich eingangs in ihrem Geleitwort. Die dort angeführten Namen, Theorien, Konzepte, Modelle und Einflüsse taugen jedenfalls zu einer ersten Orientierung in der sich ordnenden Vielfalt. Einige der Beiträge werden gewiss noch manches Hochschulseminar oder das Selbststudium im Rahmen systemischer Weiterbildungen bereichern. Das systemische Feld ist jedenfalls weiträumig, aber keineswegs ausufernd abgesteckt.
(mit freundlicher Genehmigung aus Kontext 4/2013)
Hier kann man online in das Buch hineinschauen.
Und hier gibt es noch als Leseprobe die ersten Beiträge als PDF.
Verlagsinformation:
Der Aufwind, in dem sich das systemische Denken derzeit bewegt, ist wohlverdient. Denn dieses schon seit vielen Jahren in der Praxis äußerst beliebte Modell hat lange um seine offizielle Anerkennung kämpfen müssen, zumindest im Bereich der Gesundheitsversorgung. In anderen Feldern wie etwa Pädagogik, Organisationsberatung oder Wirtschaftswissenschaften wird mit diesem Denken ganz selbstverständlich umgegangen. Nach wie vor gibt es Gegenwind – und es kann nicht darum gehen, ihn zum Schweigen zu bringen, denn wenn man fliegen will, braucht man neben Aufwind auch diesen. So ist es das Anliegen dieses Buches, die Leistungsfähigkeit systemischen Denkens in ganz unterschiedlichen Anwendungsbereichen und aus einer Vielzahl von Perspektiven vorzustellen. Namhafte Autoren diskutieren eine große Bandbreite von Themen aus Therapie, Organisationsberatung und Berufspolitik.
Inhalt:
Oestereich, Cornelia: Vom Gegenwind zum Aufwind – eine Erfolgsstory des systemischen Denkens in unterschiedlichen Handlungsfeldern. Geleitwort. S. 11-15.
Molter, Haja, Schlippe, Arist von, Wilhelm Rotthaus, Kurt Ludewig, Cornelia Oestereich, Jochen Schweitzer & Jürgen Kriz: Vom Gegenwind zum Aufwind. Der Kampf um die wissenschaftliche Anerkennung der systemischen Therapie. Haja Molter im Gespräch mit Arist von Schlippe, Wilhelm Rotthaus, Kurt Ludewig, Cornelia Oestereich, Jochen Schweitzer und Jürgen Kriz. S. 23-35.
Schlippe, Arist von: Intuition – Plädoyer für die Abschaffung eines Begriffes. S. 36-47.
Loth, Wolfgang: Zwischen instrumentellem Denken und existenzieller Erfahrung. Einige Überlegungen zum Helfen in der Not. S. 48-67.
Otto, Wiebke & Ilke Krone: Vom Gegenwind zum Aufwind: Der Aufbruch des systemischen Gedankens. Einleitung. S. 16-21.
Nicolai, Elisabeth: «Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur so selten dazu« – Was hat Karl Valentin mit systemischer Therapie zu tun? S. 68-73.
Grabbe, Michael: Weg ist das Ziel – nichts wie weg! Oder: Das Ziel ist im Weg! Oder: Die Freiheit der Leere …. S. 74-85.
Meyerhuber, Sylke: Soziale Nachhaltigkeit im Spannungsfeld postmoderner Arbeit. Systemische Zusammenhänge von Entgrenzung, Arbeitssucht, Burnout und Mobbing sowie Vertrauen, Verantwortung und Achtsamkeit in Organisationen. S. 86-155.
Pelzer, Kurt: Mit Klarheit und Bescheidenheit. Systemische Überlegungen zur Beratung »hochstrittiger Eltern«. S. 156-184.
Luitjens, Peter: «Schwierige« Kinder in der systemischen Therapie. Eine Aufforderung zu einer Erweiterung der Kontextsensibilität auf gesellschaftlich vermittelte Problemtrancen. S. 185-202.
Wetzels, Peter: Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Demokratiedistanz junger Menschen. Begleiterscheinung einer Ökonomisierung des Sozialen und der Etablierung von Ellenbogenmentalitaäten? S. 203-238.
Ludewig, Revital & Rebecca Wullschleger: Wachstum nach Trauma? »Eine schwarze Perle in der bunten Perlenkette«. Integration von traumatischen Erfahrungen in die eigene Lebensgeschichte. S. 239-255.
Klein, Rudolf: Wandel und Wandlungen. Zur Veränderung der Alkoholabhängigkeit, ihren Herausforderungen, Chancen und Risiken. S. 256-273.
Kieselbach, Thomas & Michael Stadler: Die systemische Perspektive als Brücke zwischen marxistischer Psychologie und Individualpsychologie. S. 274-277.
Über die Herausgeber:
Haja Molter, Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Lehrtherapeut und Lehrender Supervisor am IF Weinheim – Institut für Systemische Ausbildung & Entwicklung.
Rose Schindler, B. Sc., ist Doktorandin an der Technischen Universität Chemnitz im Fach Allgemeine und Biopsychologie.
Arist von Schlippe, Prof. Dr. phil., Diplom-Psychologe, hat den Lehrstuhl für Führung und Dynamik von Familienunternehmen an der Wirtschaftsfakultät der Universität Witten/Herdecke inne. Er ist lehrender Supervisor und Lehrtherapeut am IF Weinheim, Institut für systemische Ausbildung und Entwicklung. |
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